CTOUR on Tour: Český Krumlov, das Goldstück an der Moldau

Gleich ob in Peking, Tokio oder Seoul, für die junge Bildungsschicht ist Český Krumlov ein Begriff. Mit großem Augenaufschlag und den einleitenden Worten „a magic place“ wird man verzaubert schwärmen. Jahr für Jahr kommen Hunderttausende, die mit ihren „Schloss-Hintergrund-Selfis“ zu Hause beste PR machen.

Blick auf die Stadt
Blick auf die Stadt

Wer glaubt, unsere asiatischen Freunde würden die europäischen Touristen mit Träger-T-Shirt und Plastiksandalen kopieren, der irrt. Bestgeschminkt und feinst gekleidet, präsentieren sie sich vor Postkartenmotiven. Jedes Schloss und jede Ruine, gleich aus welcher Epoche, speichern sie unter „Europan-Style“ ab. Wie stark sie an der Historie interessiert sind, bleibt offen. Wie einst ihre Eltern den Mercedes Stern, präsentieren sie heute ihre „Doku-Show“. Europäische UNESCO Kultur-Highlights besucht zu haben, ist ein  Zeichen ihres gehobenen Lebensstils. Vienna, Salzburg, Hallstatt, Krumlov und dann noch ein Schuss Florenz.

Blick auf die Moldau
Blick auf die Moldau

Als Aschenputtel neue Kleider bekam
Bis 1989 war Krumlov eine schmutzige Stadt. Eine der größten osteuropäischen Papier-Kombinate pustete ungefiltert Chemie in die Luft und Säure in die Moldau. Ein Bad im Fluss hätte die Haut verätzt. Der Flossfahrer Michael, der heute heiter die Besucher durch das saubere, wenn auch durch den Eisengehalt bräunlich schimmernde Wasser schifft, lacht über das früher wechselnde Farbspiel. „Mal grün, mal blau, aber häufig überwog das Rot, weil man zu viele politische Pamphlete druckte.“

Als man dann 1992 die Stadt zum UNESCO-Kulturerbe erhob, wurde über Nacht jeder graue Stein zum Juwel. Wie die Moldauschlinge die Stadt umrundet und bei Hochwasser in die Häuser drang, floss das Geld der Investoren in jedes baufällige Gebäude. Die Bürgerhäuser wurden zu Pensionen. Mit Mauerdurchbrüchen schaffte man bis zu 50 Zimmer. Das Jesuiten-Kloster „hübschte “ man zum Fünf-Sterne-Hotel auf. Die Gästezimmer verschönerten die Maler mit traditioneller böhmischer Schablonenmalerei. Für die Salons schaffte man Gründerzeit-Möbel aus aller Welt herbei. Die sozialistische Tristesse verflog über Nacht, als wäre das Ostregime nur eine unwillkommene Windböe gewesen.

Im Museum
Im Museum
Atelier Seidel
Atelier Seidl

Jeder Winkel ein Postkartenmotiv
In der Blütezeit Ende des 19.Jahrhundert, “als Böhmen noch bei Österreich war“, wie es so schön im Wienerlied besungen wird, war die Stadt ähnlich begehrt. Der böhmische Fotograf Josef Seidl und später sein Sohn Franz ließen keines der romantischen Postkartenmotive aus. Mit unwiederbringlichem Fleiß hinterließen sie der Nachwelt 120 000 Landschaftsfotografien. Über Jahrzehnte sichtete man die auf dem Dachboden des Ateliers sorgsam verwahrten Filme, und stellte das Archiv online für jedermann unter www.fotobanka.seidel.cz zur Verfügung.
Fotografie war in der Zeit von 1880 bis 1938 ein innovatives Geschäft. Kolorieren, retuschieren auf feinster Pappe mit Rahmen verewigen, schaffte für die Familie Seidl und ihre 19 Mitarbeiter beträchtlichen Wohlstand. Was heute als Hintergrundmotiv für „Selfi-Porträts“ in den sozialen Netzen um die Welt flirrt, zierte damals die feinen Bürgerstuben.

Egon Schiele, ein Sohn des böhmischen Krumlovs, nannte eines seiner wichtigsten Werke “die tote Stadt“. Erst als er in die Kunstgeschichte einging, wurde er geachtet. Seine Aktzeichnungen und sein Lebenswandel passten nicht in das prüde Bürgertum. Dabei besteht der reizvollste Teil der Stadtgeschichte aus unzähligen Episödchen. Eine Reihe davon erzählt von den Chorherren des Stifts und Moldau’s leichtbekleideten Wäschermädchen, die für ihre Schönheit und Dreistigkeit sprichwörtlich wurden.

Alma Mahler-Werfel, die große Femme fatale, die Gustav Mahler ehelichte und von Walter Gropius, Klimt, Kokoschka und einer Reihe großer Männer mehr verehrt wurde, hatte ihr Refugium im heutigen Hotel Bellevue. Ihre drei Salons spiegeln das einstige Flair wieder und für den, der es sich leisten kann, sind sie als Suite zu mieten.
Die Widersprüchlichkeit der Charaktere und die Lebensart der Südböhmen lassen sich in den literarischen Werken von Franz Kafka nachempfinden. Auch die trivialen Geschichten, das schlichte Gemüt des braven Soldaten Schweik, werden in den urigen Kneipen seiner Zeit wieder lebendig.

Bär im Burggraben
Bär im Burggraben

Nur auf den ersten Blick ist die Stadt überschaubar. Das 13 000 Einwohner Städtchen mit seinen letztjährlich gezählten 1,5 Millionen Besuchern, ist komplett autofrei. Alle Straßen und Gassen sind wie im Mittelalter mit Kopfsteinen gepflastert. Das Bild der Stadt dominiert die Schlossanlage mit seinen in verschieden Epochen erbauten fünf Höfen. Mit jedem Hof vergrößerte sich der Reichtum und die Bedeutung der Stadt stieg.
Ein bedeutendes Adelsgeschlecht Böhmens waren die Rosenberger. 1302 fielen ihnen die Burg und die Besitzungen zu. Sie waren stolz auf die Zugehörigkeit zum italienischen Adelsgeschlecht der Orsini, zu deutsch Bär. Ihr Wappen zierte ein Bär. Seit Beginn ihrer Herrschaft bis heute tappen tief im Burggraben die Braunbären auf und ab.

Wie zu Zeiten der Eggenberger
Wie zu Zeiten der Eggenberger

Die Adelsfamilie Eggenberg übernahm 1662 das Schloss. Sie waren als die besten Bierbrauer Böhmens bekannt. Die Brauerei wurde 1991 rekapitalisiert. Den Gerstensaft braut man von alters her, nach gleicher Rezeptur. Und heute fließt das Bier, dank der durstigen Touristen, reichlicher denn je zuvor.

Die geschäftstüchtigen Fürsten von Schwarzenberg residierten ab 1719 und blieben bis nach dem zweiten Weltkrieg in der Burg. Mit ihren Silbermienen verhalfen sie sich und der Stadt zu beachtlichen Reichtum. Sie hatten fünf Söhne. Ihr Wappen ist die fünfblättrige Rose, jedes Blatt steht für einen Sohn. Ein allen bekannter Nachfahre ist der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg.

Feuerwerk über Krumrau
Feuerwerk über Krumrau

Ein Český Krumlov-Besuch lässt sich Schritt für Schritt mit der goldenen Karte, die alle Highlights einschliesst, planen. Es gibt allerdings noch eine erlebnisreiche Variante. Man schlendert ziellos, lässt sich auf das mittelalterliche Flair ein und entdeckt, was kein Reiseführer empfiehlt. Erlaubt sich zu träumen, vergisst die Jahreszahlen und staunt kindlich. Steht früh auf und genießt die Stadt touristenfrei im Morgentau. Erlebt sie gähnend, wie eine verschlafene Geliebte, bevor sie die Fensterläden ihrer Souvenirgeschäfte öffnet. Reflektiert die Schönheit bei einem Mittags-Nickerchen. Verdaut die Würste, den Rostbraten und das Bier. Wandelt Nachmittags von einer weltberühmten Konditorei in die andere, bis man die 15 verschiedenen Strudelsorten durchprobiert hat.
Český Krumlov ist eine Stadt, die nicht lauthals mit „Magic“ zu locken braucht. Ihr vergilbter Charme berührt die Herzen der Feinfühligen ungewollt.

Fotos: Tourismusverband Český Krumlov