In Toulouse-Lautrecs Geburtsort Albi begegnet man dem Maler nicht nur in einem eigens für ihn erschaffenen Museum. Er ist einfach überall gegenwärtig.
Die kleine Provinzstadt Albi im Département Tarn hat im Buch der französischen Geschichte einen unverwechselbaren Fingerabdruck hinterlassen. Hier wurde am 24. November 1864 der Maler Henri-Marie-Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa geboren. Der verkrüppelte, nur 1,52 Meter kleine große Graf, der letzte Spross eines uralten Adelsgeschlechts, litt Zeit seines Lebens unter der Tatsache, dass nicht er, sondern die Behinderung sein Leben bestimmten würde. Von der eigenen, aristokratischen Gesellschaftsschicht ins Abseits gedrängt, fühlte sich Toulouse-Lautrec immer mehr zur Pariser „Halbwelt“ hingezogen.
In den Tingeltangel-Bars des Montmartre, in den Nachtlokalen und Bordellen fand er seine Modelle und Sujets. Er machte die Huren und Tänzer, die Zirkusreiter und Clowns mit seiner Kunst unsterblich. Genutzt hat ihm das wenig. Toulouse-Lautrec‘s Genie wurde sein Leben lang missachtet. Es ist kurios, aber genau dieser Tatsache verdankt die Stadt Albi einen Schatz, um den sie heute die Museen der Welt beneiden.
Als der Künstler im September 1901 starb, bot seine Mutter, die Gräfin Marie-Marquette de Toulouse-Lautrec, die Werke ihres Sohnes dem Louvre und anderen bedeutenden Museen an. Pikiert lehnten die Direktoren ab. So fand das künstlerische Erbe, bestehend aus rund 600 Gemälden, Tausenden von Entwürfen und Zeichnungen, aus 350 Lithografien und den berühmten Plakaten, seinen endgültigen Platz in dem 1922 eigens dafür geschaffenen Musée Toulouse-Lautrec zu Albi. Ironischer weise befindet sich diese öffentliche Kunstaufbewahranstalt in den Räumen des ehemaligen bischöflichen Palais de la Berbie (13. Jh.). Seither „leben“ die frivolen „Kinder“ des Malers sozusagen zur Untermiete beim Bischof.
Auch außerhalb des Museums begegnet man dem Künstler auf Schritt und Tritt. In vielen Restaurants der Altstadt steht ein Toulouse-Lautrec-Menü auf der Speisekarte. In der Regel handelt es sich um Gerichte, die der begeisterte Hobbykoch selbst gern gegessen hat. Zum Beispiel Steinpilze in Weißwein. Oder Täubchen mit Oliven.
Dazu wird ein Wein aus dem Gaillac gereicht, einem der bekanntesten Weinlagen Südfrankreichs. Es macht einfach Spaß, durch die kleine Provinzstadt mit ihren romantischen, autofreien, renovierten mittelalterlichen Gassen zu schlendern. Reich geworden ist die Stadt links und rechts der Tarn durch den Handel mit Färberwaid, einer unscheinbaren, gelb blühenden Pflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse, die, von den Franzosen „pastel“ genannt, zum Blaufärben von Stoffen benutzt wurde. Erst mit der Herstellung von synthetischem Indigo im Jahre 1897 versiegte die ergiebige Geldquelle.
Das Gesicht Albis ist vom Backstein geprägt. Er ziert alle Häuser und gibt ihnen einen warmen, ockerfarbenen Ton, der sich mit dem Licht des Tages verändert. Man staunt über die schönen Häuser mit Holzfüllungen, bewundert den Kreuzgang der Kirche Saint-Salvi und das altehrwürdige Rathaus aus dem 17. Jahrhundert.
All das Schöne aber wird überstrahlt von der roten Kathedrale Sainte Cécile, die ihren Turm so hoch in den Himmel reckt, dass man glauben möchte, in ihm befindet sich der Eingang zum Reich Gottes. Der Bau des massigen, mehr als 40 m hohen, frommen Steinkörpers aus Ziegel wurde 1282 begonnen und 200 Jahre später vollendet. Die schnörkellose Außenhaut, in die Fenster wie Schießscharten eingelassen sind, erinnert an gute Industriearchitektur. Die mächtigen Mauern sind teilweise bis zu 7 m breit und sorgen dafür, dass die Basilika ohne einen einzigen Strebepfeiler auskommt. Kurt Tucholsky notierte im Angesicht der Kathedrale: „Ihr Anblick schlägt jeden Unglauben für die Zeit der Betrachtung knockout.“
Die Kathedrale Sainte Cécile ist der zu Stein geronnene Triumph der römisch-katholischen Kirche über die Albigenser oder Katharer (catharos [griech.]: rein), wie die Abtrünnigen auch genannt wurden. Die Katharer revoltierten (ähnlich wie Jahrhunderte später Martin Luther) gegen die Scheinheiligkeit der römischen Amtskirche, die in Saus und Braus lebte, Wasser predigte und Wein trank. Normalerweise tat Rom solche Leute als Spinner ab. Aber als die Lehre der Katharer immer mehr Gläubige anzog, wurde Papst Innozenz III. nervös. 1209 sandte er ein Heer gegen die Ketzer, das unter dem Motto „Tötet sie alle“ einen grausamen Feldzug begann, der mehr als 20 Jahre dauerte und unter dem Namen Albigenser-Krieg in die Geschichte einging. Der Bau der Kathedrale besiegelte die Niederlage der Ketzer.
Nur von außen ist Sainte Cécile martialisch, das Innere ist prachtvoll und raubt einem fast die Sinne. Da sind der Lettner aus weichem Kalk mit seinem filigranen Maßwerk, die pompöse Barockorgel, der Chor mit den Heiligen und die berühmte Darstellung des Jüngsten Gerichts. Die Bestrafung der 7 Todsünden ist ein riesiges Fresko aus Folter, bestialischen Qualen und bizarren Grausamkeiten. Die armen Sünder werden gesotten, ertränkt und zerrissen, keine Bestialität ist bestialisch genug, um den Gläubigen die Schrecken der Hölle vor Augen zu führen. Auf dass niemand den reinen Pfad der Tugend verlasse! Ein schrecklich-schönes Bild. – Wie groß ist dagegen die Wonne, vor der Kathedrale zu sitzen und sich die Sonne auf den „Pelz“ scheinen zu lassen. Und das ist ja wohl keine Sünde!?
Text und Fotos:Bernd Siegmund
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