Wo man morgens schon sieht, wer nachmittags zum Tee kommt
Viele kennen die lebendige Kreisstadt Leer in Nordseenähe aus Kreuzworträtseln: Stadt im Nordwesten mit vier Buchstaben. Die gut per Bahn und Autobahn zu erreichende 35 000-Einwohner-Stadt an der Leda und Ems hat für Touristen viel zu bieten. Schließlich ist sie das Tor zu Ostfriesland. Wer hier z. B. zum Tee eingeladen wird, der ist herzlich willkommen.
Wir haben das gleich nach unserer Ankunft im historischen Teehaus am Museumshafen erfahren. Inhaber Reiner Brinkmann, auch Geschäftsführer der Germania-Schifffahrt Leer, begrüßt uns in seiner anheimelnden, gemütlichen Teestube auf ostfriesisch: „Dree ist Oostfresenrecht!“ Wenn „Teetied“ ist, dann wird die Teeschale dreimal gefüllt. Schmunzelnd macht er uns mit der ostfriesischen Teerzeremonie bekannt: heißer Tee, der mindestens fünf Minuten gezogen hat, wird auf ein Kluntje (Kandiszucker) in der Schale gegossen und mit einem Speziallöffel etwas Sahne an den Tassenrand geträufelt. Erst wenn ein kleines Wölkchen aufgestiegen ist, kann getrunken werden. Ostfriesentee ist nicht nur für gestresste Großstädter eine ausgezeichnete Möglichkeit, etwas zur Ruhe zu kommen. Gelassenheit in gemütlicher Atmosphäre sind denn auch ein wichtiges Anliegen der Teezeremonie, die wir fortan auch in unserem Hotel „Frisia“ allmorgendlich zum leckeren Frühstück praktizieren und so erfolgreich in einen neuen Tag voller Entdeckungen rund um Leer starten.
Noch im Brinkmann‘schen Teehaus hatte uns Bürgermeister Wolfgang Kellner bei Tee und Kuchen begrüßt. „Wir sind nach Hamburg der zweitgrößte Reederei-Standort in Deutschland“, freut er sich. Und auch das gehört zur Erfolgsbilanz: gegenüber der reizvollen Altstadt mit der typischen Backsteinarchitektur ist auf der Nesse-Halbinsel ein neues attraktives Stadtquartier entstanden, das beispielhaft Leben, Arbeiten und Wohnen unmittelbar am Wasser kombiniert.
Maritimes Flair prägt die Seehafenstadt, das Tor zu Ostfriesland. Bei einem geführten Stadtrundgang oder bei einer Hafenrundfahrt kann man das eindrucksvoll erleben: Traditionsschiffe, Motor- und Fischerboote, Werften und Schleusen wechseln sich ab. Im Museumshafen an der historischen Waage (heute ein Gourmet-Restaurant) und dem weithin sichtbaren Rathaus im Zentrum startet Kapitän Jens-Eilert Brinkmann mit seiner „Warsteiner Admiral“ u. a. zu den beliebten Ems-Fahrten. Nachdem die Seeschleuse passiert ist, geht es über die Leda zur Ems, durch die Jann-Berghaus-Brücke und über die untertunnelte A 31 weiter zum 2002 eröffneten Ems-Sperrwerk. Das 476 m lange imposante Bauwerk dient dem Schutz vor Sturmfluten und sorgt bei der Überführung großer Kreuzfahrtschiffe für das kurzfristig notwendige Aufstauen der Ems. Wenig später legt das moderne Ems-Traumschiff im romantischen Fischerort Ditzum an. Nicht nur Gourmets kommen hier bei leckerem Fischessen in kleinen, urigen Gaststätten direkt hinterm Deich voll auf ihre Kosten. Favoriten sind goldgelb gebratene Schollen in der Pfanne serviert oder ein Krabbenteller mit Spiegelei und Bratkartoffeln.
Gut gestärkt kann man dann vom Hafen mit der Fähre nach Emden oder nach Delfzijl in den Niederlanden fahren. Unter dem Motto „Grenzenlos Radfahren“ führt die insgesamt 204 km lange Dollard-Route durch das ostfriesische Rheiderland und die angrenzende niederländische Provinz Groningen. Da Fahrräder mitgenommen werden können, ist die Fährverbindung ein besonderes maritimes Highlight auch für Pedalritter (www.dollard-route.de). Sowohl als Radwanderroute und als Autoroute ausgeschildert ist der interessante Rundkurs „Deutsche Fehnroute“. Die Tour macht mit ehemaligen Fehnkolonien, der Moorkultivierung, alten Torfkanälen, Klappbrücken, Windmühlen und gotischen Backsteinkirchen bekannt. Eine Station auf dem 173 km-Kurs ist die einstige Fehnkolonie Papenburg. Hier lohnt ein Abstecher in das Besucherzentrum der Meyer-Werft, wo derzeit bei Führungen u. a. die künftigen neuen Kreuzfahrtriesen AIDAmar und Disney Fantasy beim Bau in Riesendocks besichtigt werden können.
Das Feriengebiet „Südliches Ostfriesland“ wirbt seit geraumer Zeit mit einer lustigen, teetrinkenden Kuh und einem „Ostfriesen-Visum“, mit dem man als Begrüßungstrunk echten ostfriesischen Tee erhält, erfolgreich um Urlauber. So laden auch entlang der verschiedenen Radtouren gastfreundliche „Melkhuskes“ ein. Hier gibt’s u. a. Milch-Mix-Getränke, Buttermilch, Milchcafe, Tee, Eis und leckeren selbstgebackenen Kuchen. Besonders stolz ist Kurt Radtke von der Touristik GmbH „Südliches Ostfriesland“ auf das touristische Angebot mit Paddel & Pedal. An 21 Stationen können sich die Touristen Fahrräder oder Kanus mieten und damit auf Erlebnistour gehen. So kann man z. B. vom April bis Oktober eine dreitägige Ostfriesland-Trekkingtour per Fahrrad und/oder Kanu mit Grillessen am Lagerfeuer und Übernachtung in Trekkinghütten buchen (www.paddel-und-pedale.de).
Wenn auf dem knapp 50 km langen Wasserweg von der Meyer-Werft in Papenburg bis zur Ems-Mündung riesige Kreuzfahrtschiffe fotogen durch die prächtige weite Landschaft fahren, dann verwandelt sich Leer und seine Umgebung in ein Mekka der See(h)fahrer aus nah und fern. Reiner Brinkmann von der Germania-Schifffahrt denkt daher darüber nach, ab 2012 mit seinem Ems-Traumschiff „Warsteiner Admiral“ zum exklusiven Captain’s Dinner auf der Ems-Route der Megaliner u. a. mit der Fahrt durch das Ems-Sperrwerk einzuladen. Schon jetzt können Kreuzfahrtfans entlang des Kreuzfahrtwegs an zehn Stationen und drei Ems-Querungen Hinweise zu Sehenswürdigkeiten und touristischen Highlights finden. Die Lehrlings-Werkstatt der Meyer-Werft hatte alle bislang in Papenburg gebauten mehr als 30 Passagierschiffe als Umrisse im Maßstab 1 : 200 aus Schiffsstahlplatten hergestellt und mit den wichtigsten Daten versehen.
Kein leer(es) Versprechen soll auch die erstmals 2012 geplante einwöchige Schiffstour mit Touristen von Leer nach Berlin sein! Im traditionsreichen Weinhaus Wolff und im nahen Bünting-Teemuseum haben mir darauf angestoßen. Beim Abschied vom gastfreundlichen, unendlich weiten „Südlichen Ostfriesland“ kam uns wieder der oft gebrauchte Spruch in den Sinn: „Hier kann man morgens schon sehen, wer nachmittags zum Tee kommt!“ Moin in Leer.
Text und Fotos: Hans-Peter Gaul
Weitere Infos:
www.suedliches-ostfriesland.de