Reiseführer im deutschen Buchhandel Mangelware
Die erste Überraschung erlebt der Besucher aus Deutschland, der sich auf den Weg nach Belgrad machen will, zu Hause in seinen Buchläden. In den Regalen ist in Berlin wie sicher auch anderswo in deutschen Städten keine Reiseliteratur vertreten. Auch das deutschsprachige Angebot im online-Verkauf geht gegen Null. Schließlich ist im sehr großzügig bestückten Kulturkaufhaus Dussmann in der Berliner Friedrichstraße noch das Exemplar eines Serbienbuches aus dem Trescher-Verlag aufzutreiben (1). Es enthält immerhin auch 60 Seiten über die Hauptstadt Serbiens. Dieses kümmerliche Angebot spiegelt allerdings wenig die Reiselust der Deutschen in das Balkanland wider.
„Der positive Trend bei den Ankünften deutscher Touristen in Serbien hält an. Im Jahr 2011 kamen 13 Prozent mehr Gäste aus Deutschland nach Serbien als im Vorjahr, die Übernachtungen stiegen sogar um 15 Prozent“, sagt Hendrik Wintjen von der Tourismus Consulting Agentur Mascontour. „Fast 50.000 deutsche Urlauber entschieden sich für dieses Reiseziel Serbien, wobei noch weitere 30.000 deutsche Donau-Kreuzfahrer hinzukommen.“ Damit sei Deutschland weiterhin einer der wichtigsten Quellmärkte und Wirtschaftspartner des Landes. Seit dem Sommer 2010 können die Deutschen wie auch alle anderen EU-Bürger mit dem Personalausweis nach Serbien einreisen.
Serbien bei CTOUR und auf der ITB
Die Tourismus-Manager in Serbien starteten eine Charme-Offensive, um ihr Balkanland noch mehr in ein Reiseland für deutsche Urlauber zu verwandeln. Sie veranstalteten am 10. Januar 2011 einen Serbien-Abend im Club der Tourismusjournalisten Berlin/Brandenburg CTOUR. Managing Direktorin Gordana Plamenac und ihr Team informierten über Kulturreisen und neue Radtouren im Norden Serbiens. Auch auf der Internationen Tourismusbörse in Berlin war der Serbien-Tourismus verstärkt vertreten.
Es gibt auch mehrere Flugverbindungen ab Deutschland, ein neues Drehkreuz in Wien und die serbische Fluggesellschaft Jat Airways bietet ab Frühjahr Direktflüge von Berlin an. Die deutschsprachige Internetpräsenz Serbien wird stetig ausgebaut (2). Und auf der berühmten Einkaufs- und Bummelstraße Knez-Michailo in Belgrad, die sich zwischen Terezijani und Kalemegdan erstreckt, findet der Besucher die Möglichkeit, in beliebigen Buchläden verschiedene Reiseführer der Stadt kaufen – natürlich auch in deutscher Sprache. Mit seiner frisch erworbenen Literatur begibt sich der Tourist dann in eine Belgrader Kafana, einer Mischung aus Bar, Cafè und Restaurant und kann sich in die wechselvolle und spannende Geschichte der Stadt vertiefen.
Die Kirche des heiligen Save
Erreicht der Besucher eines der Wahrzeichen Belgrads, den Save-Tempel, braucht er den Stadtplan für eine Sightseeing-Tour nicht aus der Tasche ziehen. Denn der Weg zwischen dem Tempel und der Kalemegdan, der alten Festung, ist nicht zu verfehlen. Zu beiden Seiten dieses Weges liegen auch die wichtigsten Gebäude der Stadt. Die Save-Kirche kann durchaus auch als ein Sinnbild einer langen leidvollen Geschichte Serbiens angesehen werden. Nach der Befreiung von den Türken Mitte des 19. Jahrhunderts war bereits der Platz für diese größte serbische orthodoxe Kirche ausgewählt. Hier auf dem Vracar-Plateau hatte vor 300 Jahren ein Großwesir die Reliquien des größten serbischen Heiligen, des Heiligen Sava, verbrennen lassen. Gerade hier sollte die Kirche gebaut werden. Doch die Bauarbeiten verzögerten sich und begannen erst im Jahr 1936. Es folgten weitere Unterbrechungen durch den zweiten Weltkrieg, auch im Tito-Jugoslawien wurde nicht weiter gebaut. Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurde der Bau fortgesetzt und durch den aufkommenden Bürgerkrieg wieder gestoppt. Betritt der Besucher heute diesen größten Sakralbau des Balkans mit einer Höhe von 60 Metern und einer vergoldeten Spitze, findet er im riesigen Innenraum noch Baugerüste. Hier finden bereits Messen statt, bei denen etwa 15.500 Gläubige Platz finden, da es keine Sitzbänke gibt. Niemand kann sagen, wann der Innenausbau der Sava-Kirche vollendet wird.
Die Festung Kalemegdan
Das Wahrzeichen von Belgrad schlechthin liegt am Nordende der Altstadt auf einem großen Plateau direkt vor dem Zusammenfluss von Save und Donau – die Festung Kalemegdan. Der Name leitet sich von zwei türkischen Worten ab: Kale – das Feld -, und megdan, der Kampf.
Der weitläufige Hügel war schon seit Menschen gedenken besiedelt. Es fanden sich Spuren der keltischen Befestigung, des römischen Catrums und der byzantinischen Zitadelle. Seit der Vertreibung der Türken wird das Areal als eine riesige Grün- und Freizeitanlage genutzt. Es ist heute der größte und zugleich höchstgelegene Park der Stadt. Von hier erlebt der Besucher einen wunderbaren Ausblick auf die Flusslandschaft und die Stadt.
Sight Seeing im Untergrund
Die Tourismus-Manager beginnen seit dieser Saison, den Besuchern der Stadt eine Underground-Tour zu offerieren. Ein Einstieg ist die Stadtbücherei in Belgrad. Bei der Erweiterung der Kellerräume fand man bei Grabungen Überreste der römischen Festung, die mehr als 2000 Jahre alt sind. Ebenfalls wurden hier Teile einer alten römischen Wasserleitung entdeckt, die aus einem 15 Kilometer entfernten Dorf hierher geführt wurde und nahezu 1800 Jahre in Betrieb war. Das unterirdische Sight Seeing führt außerdem in Schutzkeller, die während des zweiten Weltkrieges genutzt wurden, in Weinkeller und in eine ehemalige Brauerei. Ein Resümee des Stadtführers zu seiner Stadt Belgrad lautet: Über die Jahrhunderte wurde die Stadt 80 Mal zerstört und wieder aufgebaut.
Dazu zählen nun auch die jüngsten Zerstörungen, die die NATO-Luftangriffe 1999 in Belgrad anrichteten. Der zerstörte 202 Meter hohe Fernsehturm auf dem Berg Avala wurde von 2006 bis 2010 wieder aufgebaut und für die zerstörten Brücken wurde im Januar 2012 eine neue Schrägseil-Brücke über die Save in Betrieb genommen. Die Stadtführer übergehen in ihren Texten die angerichteten Schäden dieses Bomben-Krieges vor zwölf Jahren. Dabei könnten sie deutschen Besuchergruppen erzählen, dass am Neubau der Schrägseilbrücke ein Joint Venture von Österreichern, Slowenen und Deutschen beteiligt war.
Museum für eine Legende
Die Stadt Belgrad ist mit seiner Festungsanlage Kalemegdan, mit Palästen und Kirchen, ist eine kunsthistorische Fundgrube für unterschiedliche Baustile. Aber es gibt auch Denkmale für frühere politische Strukturen in Jugoslawien. Dazu zählt das Grab von Josef Broz Tito, das so genannte Blumenhaus sowie andere Museumsgebäude, die an den erfolgreichen Partisanenführer im 2. Weltkrieg und langjährigen Staats-Chef erinnern. Unter seiner Führung wurde die Föderative Volksrepublik Jugoslawien ins Leben gerufen und das eigene Modell einer sozialistisch bestimmten Selbstverwaltung der Wirtschaft geschaffen. Als Sprecher der blockfreien Staaten errang er in Zeiten des kalten Krieges großes Ansehen in Ost und West. Große Teile des heutigen Museumskomplexes waren„verbotene Stadt“. Hier wohnte Tito zu seinen Lebzeiten, später auch der serbische Präsident Slobodan Milosevic.
Auch Omas gestrickte Socken ausgestellt
Als heutigem Besucher befremdet mich schon etwas der Personenkult, der damals um Generalsekretär Tito betrieben wurde. Schließlich stand er ohne Unterbrechung 35 Jahre bis zu seinem Tode 1980 in Jugoslawien an der Spitze der Macht. Jeweils zum Geburtstag des lebenslangen Präsidenten am 25. Mai wurde durch ganz Jugoslawien ein Staffelstab getragen und ihm feierlich übergeben, später wurde dieses Datum zum „Tag der Jugendlichen“ ausgerufen. Dutzende unterschiedlich geformte Stäbe sind für die Besucher an einer Wand des Museums präsentiert. Überraschend ist auch das Haus der Geschenke an Tito, wo ganz unterschiedliche Exponate angefangen beim Präsent von Diplomaten bis zu gestrickten Socken der Oma aus Bosnien ausgestellt sind. Der Fundus soll insgesamt 22.000 Exemplare (!) umfassen. Nicht allein neugierige Touristen, sondern auch ganze Busladungen auch aus den früheren Landesteilen Slowenien und Montenegro besuchen den Marschall im Park.
(1) Birgitta G. Hannover moser, Serbien, Trescher Verlag Berlin, 2. Auflage 2009
(2) www.serbien.travel/multimedia-de/broschuren