Sie ist und bleibt das erstrangige Wahrzeichen von China – die Große Mauer. Das berühmte Bauwerk schlängelt sich nördlich von Beijing durch bergige dicht bewaldete Landschaft. Ich besuche den Abschnitt Mutianyu, etwa 90 Kilometer vom Zentrum Pekings entfernt, an dem die chinesische Regierung in den letzten Jahren viel Geld in die Restaurierung gesteckt hat.
Mauer war bis zu 20.000 Kilometer lang
Bei der 90 Minuten Autofahrt bleiben wir erstaunlicherweise innerhalb der Stadtgrenzen von Peking. Obwohl wir auf den gut ausgebauten Straßen viele kleine Dörfer und Felder mit vielfach gleich großen Parzellen passieren, auf denen Mais, Weizen und Hirse angebaut werden. Die ländliche Region wurde durch die Hauptstadt eingemeindet. Eine Erklärung dafür, dass das Verwaltungsgebiet Beijing heute offiziell etwa 20 Millionen Einwohner ausweist. Mit den nicht gemeldeten Einwohnern kommen noch ein paar Millionen dazu.
Ähnlich unscharf wird es, wenn exakt die Länge der Großen Mauer bestimmt wird. Niemand weiß genau, wie lang die Mauer wirklich ist. Bei den Chinesen heißt die Mauer auch „Wan li“ was soviel wie die Zahl 5000 bedeutet. Da sie zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten gebaut wurde, beginnend schon vor 2700 Jahren (!), teilweise nicht miteinander verbunden und zu großen Teilen zerstört, ist ihre wahre Ausdehnung nicht exakt geklärt. Fachleute schätzen mittlerweile ihre Länge auf mehr als 20.000 Kilometer. Die unterschiedlichen Angaben hängen damit zusammen, dass die Große Mauer ein System von Schutzbauwerken darstellt. Sie steht in China nicht wie damals zu DDR-Zeiten in Berlin auf Grenzlinien, sondern mitten im bergigen Land zur strategischen Abwehr von Feinden. Die Mauer hatte auch Wachtürme, auf denen per Feuer über lange Strecken Signale weiter gegeben wurden. Die Große Mauer fungierte also auch als Alarmanlage beim Anrücken der Feinde, zuallererst der Reitervölker aus dem Norden. Nur ein kleiner Teil der Mauer wurde restauriert, andere Teile sind verfallen. Auch wurden über lange Jahre von chinesischen Anwohnern Steine der Mauer als Baumaterial genutzt. Seit 2006 wird die Mauer geschützt.
Steinerne Schlange mit Bergpanorama
Die erste Überraschung: Die Große Mauer wurde auf einem Bergkamm gebaut, der in einem eineinhalb Stunden Fußmarsch mit Klettern zu erreichen ist. Mit der Kabinenbahn gleitet der Besucher sehr bequem in wenigen Minuten oben auf die Mauer.
Das Bauwerk ist einfach faszinierend, unerwartet groß und wuchtig. Die Mauer erhebt sich bis zu neun Meter hoch. Sie hat eine Breite bis zu acht Metern, führt auf und ab und wird nur durch Wachtürme unterbrochen. Da die Mauer sich dem Bergzug anpasst und ihr Verlauf nicht gerade und in beträchtlicher Höhe erfolgt, entstehen schon nach wenig Dutzenden Metern immer wieder neue Sichten auf das Bergpanorama. Der Besucher schaut entweder hinauf oder hinab und sieht die Mauer wie eine steinerne Schlange, die sich durch die grüne Bergwelt windet. An manchen Stellen geht es sehr stark bergan. Einige Kilometer von der Seilbahn entfernt ist der oberste Rand der Mauer an der einen und anderen Stelle abgebröckelt, auch fehlt manchmal ein Stein. Insgesamt sind für die Touristen, die in der Mehrzahl aus dem eigenen Land kommen, diese Mauerabschnitte alle gut in Schuss gebracht.
Restaurierung der Mauer für Touristen
Die Plattformen der Wachtürme sind durch fliegende Händler erobert. Sie haben einen bunten Sonnenschirm und meist auch die rote Nationalflagge Chinas aufgepflanzt. Da nur die Ecktürme und Wachhäuser ein wenig Schatten bieten, ist der Wanderer auf der Mauer total der Sonne ausgesetzt. Ich habe Glück, denn an diesem Tag ist der Himmel zeitweise wolkig.
Die gigantische Mauer, heute der Stolz der Chinesen, bot in den früheren Zeiten keinen wirklichen Schutz vor Mongolen und Mandschuren. Das Bauwerk war uneffektiv und hielt den Lauf der Zeit nicht auf. Das kennen wir auch von der Berliner Mauer. Allerdings entwickeln die Mauern in China und Berlin gerade in der Gegenwart eine ungeheure Anziehungskraft auf Touristen. Die Chinesen werden in den nächsten Jahren noch weitere Abschnitte kostenaufwendig restaurieren.
Zwei Bauern machten im Jahr 1974 beim Ausschachten eines Brunnens in ihrem Dorf den Sensationsfund. Sie entdeckten, 36 Kilometer nördlich von der Provinzhauptstadt Xi`an entfernt, einen der bedeutendsten Weltkultur-Schätze des 20. Jahrhunderts. Archäologen legten dann eine Armee von überlebensgroßen Kriegern aus Ton frei, die in mehreren Gräben in einer Schlachtordnung aufgezogen waren.
Auf einem Gelände von 20.000 Quadratmetern wurden insgesamt 8.000 Soldaten, 600 Tonpferde und mehrere Kriegswagen sowie Bronzewaffen entdeckt. Eindeutig wurde von den chinesischen Experten bestimmt, dass es sich bei dieser unterirdischen Armee von Tonsoldaten – deshalb die Bezeichnung Terrakotta-Armee – um eine Grabbeigabe für den ersten Kaiser Chinas Qin handelte. Er einigte vor mehr als 2200 Jahren das Riesenreich China, das dann nach seinem Namen China benannt wurde. Die Grabstelle der Terrakotta-Armee verkörperte seine unermessliche militärische Macht, die er mit ins Jenseits nehmen wollte.
Die beiden Bauern gaben mit ihren Fund nicht nur den Startschuss für unzählige Archäologen zum Ausgraben, sondern lieferten den Touristen aus dem eigenen Land wie auch aller Welt eines der attraktivsten Besucherziele.
Krieger stehen in der Schlachtordnung
Zum nunmehr errichteten Museumskomplex der Terrakotta-Armee werden alle Touristen gut organisiert vom Parkplatz mit offenen Minibussen gefahren. Insgesamt umfasst der Komplex vier Gebäude, die teilweise über den Fundstellen errichtet wurden. Im ersten Gebäude befinden sich insgesamt 6000 tönerne Krieger. Allerdings sind nur 2000 Figuren bisher ausgegraben. Ein großer Teil befindet sich noch unter der Erde. Bei den Ausgrabungen stellte sich heraus, dass die Farben an der Luft schnell verblassen und erst seit zwei Jahren eine Methode gefunden wurde, die Farben besser zu erhalten. Fachleute gehen davon aus, dass damals hier über 40 Jahre lang mehr als eine halbe Million Arbeiter gleichzeitig gebaut haben.
Die Menge der Tonfiguren ist unglaublich beeindruckend. In der Schlachtordnung sind jeweils an den Seiten Stellung und Blick der Soldaten nach links und recht gerichtet. Auch Pferde-Figuren sind zu sehen. Zwei Wagen aus Bronze mit jeweils vier Pferden sind in einer anderen Halle untergebracht. Besonders faszinierend sind die unterschiedlichen Gesichter der Ton-Soldaten. Angeblich haben dabei die Handwerker „Modell gestanden“ und sich so ein Denkmal gesetzt. Bei den Offizieren sind sogar Bauchansätze zu erkennen – Realismus pur.
Exportiert werden nur die Kopien
Im letzten Drittel der Halle 1 sind die Arbeitsstellen der Archäologen zu finden, die unter dem riesigen Museumsdach weitere Figuren ausgraben bzw. restaurieren. Ihre Arbeitsutensilien und zwei Ventilatoren liegen verstreut auf den Plätzen der Grabungen. Mittlerweile sind weitere Fundstellen entdeckt, andere noch nicht vollständig erschlossen.
Übrigens ist es bis heute bei vielen Chinesen überlieferter Brauch, zwei Mal im Jahr für ihre verstorbenen Angehörigen symbolisch Grabbeigaben zu machen, beispielsweise durch Verbrennung von mit Wünschen beschriebenen Papieren.
Mittlerweile ist die Terrakotta-Armee zu einem chinesischen Exportschlager geworden. Mitte der 90er Jahre hatten einige Dutzend Tonkrieger in Berlin in einer Ausstellung im entkernten Gebäude vom Palast der Republik ein Gastspiel. Der lakonische Kommentar von chinesischen Reisebegleiter: “Im Ausland werden nur Kopien ausgestellt!“
Niemand weiß, wie lange noch gegraben und restauriert wird. Auch wenn man ständig den Eindruck hat, dass die Uhren in China schneller gehen und in vielen Dingen ein rastloses Tempo vorherrscht, nehmen sich die Archäologen jede Menge Zeit. Bisher, so heißt es, ist erst ein Viertel der gesamten Grabanlage freigelegt – eine unendliche Geschichte.
Die unterirdische FKK-Armee
Die Geschichte der Grab-Beigaben hat noch eine aktuelle Fortsetzung. Anfang der 90er Jahre wurde beim Bau der Autobahn, die dann verlegt werden musste, 20 Kilometer nordöstlich von Xi`an in Xianyang, ein weiterer größerer Grabhügel mit Tonfiguren gefunden. Es handelt sich um das unterirdische Mausoleum des vierten Kaisers der Han-Dynastie im Han Jang Ling Museum. Die Fundstücke sind ebenfalls mehr als 2000 Jahre alt. Im Unterschied zu den Soldaten der Terrakotta-Armee haben hier die in Tunneln vergraben Figuren nur etwa ein Drittel der normalen menschlichen Größe.
Es gibt noch einen anderen etwas pikanten Unterschied, der schon in der saloppen Bezeichnung der chinesischen Reiseführer gelüftet wird. Sie nennen die vergrabenen Figuren kurz: die „FKK“-Armee. Soldaten und Offiziere, aber auch andere Figuren wie Diener, Beamte, männliche und weibliche Eunuchen (erstere mit Penis und einem fehlenden Teil der Geschlechtsorgane) trugen Kleidung, die sich in den Jahrhunderten auflöste. So blieben die nackten Ton-Körper übrig, an denen die Arme fehlen, die damals aus Holz gefertigt wurden, um sie bewegen zu können. Allerdings sind die Ton-Körper auch mit Details wie männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen ausgestattet. Auf die Frage nach den Gründen haben die Wissenschaftler noch keine plausiblen Antworten gefunden.
Die Nackten mit wenig Publikum
Dieses Museum wurde erst im März 2006 eröffnet. Auch hier sind unter den Museumsdächern die Archäologen bei der Arbeit. In den Grabstellen sind auch unzählige Tiere aus Ton geformt, Herden von Hunden, Pferden, Kühen und Schweinen stehen in den Schächten. An einer Stelle der Grube ist gerade ein Schwein halb ausgegraben. Die Ausstellung ist eine Ergänzung zur berühmten Terrakotta-Armee. Doch bisher finden nur wenige Touristen hierher. Die nackten Vorfahren finden kaum Aufmerksamkeit. Auch die Parkfläche bietet wenige Plätze. Es werden nicht viele Besucher erwartet.