Auf den Spuren der britischen Krimiserien: „Inspektor Morse“, „Lewis“ und „Der junge Inspektor Morse“
Von Bodo Thöns
Erfolgreiche Kinofilme und Fernsehserien wecken oft bei den Zuschauern Interesse für Orte und Landschaften, wo diese Bilder entstanden sind. Populäre Drehorte ziehen dank Filmreklame Fans an die Originalschauplätze. Das Prinzip funktioniert im Tourismus vielerorts im Großen wie im Kleinen. Man erinnere sich an den Neuseeland-Boom dank „Herr der Ringe“ oder die wahren Touristenströme, die es dank „Game of Thrones“ nach Malta und Dubrovnik zog.
Wie das Phänomen auch im Kleinen am Beispiel einer international populären Krimiserie funktionieren kann, erlebt man derzeit noch selten. Dem Krimi-Fan als Touristen fallen auch nur wenige weltweit so erfolgreiche Serien ein, die in der Kombination mit einem touristisch interessanten Handlungsort dieses Potential bieten.
Ein herausragendes Beispiel ist sicherlich Venedig, wo z.B. Führungen auf den Spuren von Dona Leons Komissar Brunetti durch die Lagunenstadt angeboten werden.
Wir besuchen heute die altehrwürdige englische Universitätsstadt Oxford, um auf den Spuren eines nicht weniger bekannten Kommissars zu wandeln: Chief Inspector Endeavour Morse von der örtlichen Mordkommission. Samt der Fortsetzung mit dem Assistenten als Nachfolger ( Neudeutsch: Spin off) und einer weiteren Serie zu seiner Vorgeschichte (Neudeutsch: Prequel) ist er heute unser Held.

In gut 35 Jahren entstanden hier von 1987 bis 2023 insgesamt 102 Folgen dieser drei miteinander verwobenen Krimiserien „Inspektor Morse, Mordkommission Oxford“, „Lewis – Der Oxford Krimi“ und „Der junge Inspektor Morse“. Das Trio avancierte zu einer der besten und international erfolgreichsten englischen Krimiserien der letzten Jahrzehnte mit einer weltweiten Fangemeinde.

In der Ausgangsserie gibt Morse in der örtlichen Mordkommission den Ton an. Der von John Thaw (1942 – 2002) gespielte Ermittler ist ein Eigenbrötler mit scharfem Verstand und einigen Macken. Der manchmal etwas hilflose Junggeselle hat in Cambridge (!) studiert, schätzt die anspruchsvollen Kreuzworträtsel der „Times“, hochgeistige Getränke und in seiner Leidenschaft für klassische Musik ist Richard Wagner sein Favorit. Sein ikonischer, bordeauxroter Jaguar (Modell Regency Mark 2) aus dem Baujahr 1960 unterstreicht seinen etwas altmodischen Charakter. Ihm zur Seite steht Sergeant Robert (Robby) Lewis. Der von Kevin Whately (*1951) gespielte Assistent kommt aus dem Norden Englands, fremdelt als etwas schlichteres Gemüt mit dem elitären Geist der Universitätsstadt und unterstützt seinen Chef nach bestem Wissen und Gewissen.
Zwischen 1987 und 2000 entstanden 33 Folgen der Serie. Mit dem sich verschlechternden Gesundheitszustand des Hauptdarstellers bekommt auch Morse gesundheitliche Probleme und stirbt in der letzten Folge „Ein reuevoller Tag“ an einem Herzinfarkt, zwei Jahre vor seinem Tod im Alter von nur 60 Jahren.
Einige Jahre nach dem Tod von John Thaw entstand die Idee, das sinnlose Morden und erfolgreiche Aufklären in Oxford nicht abreißen zu lassen und mit Lewis als neuem Inspektor eine weitere Serie zu kreieren. Der Plan ging mit „Lewis Der Oxford Krimi“ auf. Nicht zuletzt, weil man ihm mit dem von Laurence Fox (*1978) gespielten Assistenten James Hathaway einen wieder intellektuell überlegenen Assistenten zur Seite stellte. Das bewährte Spannungsverhältnis zwischen scharfem und manchmal etwas abgehobenen Verstand und eher bodenständiger Schlichtheit bei der Lösung der Mordfälle entstand damit wieder neu, nur diesmal in umgekehrter dienstrechtlicher Richtung. Zwischen 2006 und 2015 folgten weitere 33 Fälle.
Nach diesem Erfolg kam dann bereits parallel zu weiteren Lewis-Staffeln dem allgemeinen Trend für Retro und Prequels folgend auf die Idee, in einer dritten Serie die Vorgeschichte des „jungen Inspektor Morse“ auf den Bildschirm zu bringen. Zwischen 2012 und 2023 entstanden in neun Staffeln insgesamt 36 Folgen. Im englischen Original heißt die Reihe „Endeavour“. Dahinter verbirgt sich Morse ungewöhnlicher und ungeliebter Vorname, den er nur widerwillig ein einziges Mal in allen Folgen erwähnte. Dieser Name läßt sich mit dem „Bestreben, einer Sache auf den Grund zu gehen“ übersetzen, was man aber ganz gegen den Trend, Anglizismen wo nur irgend möglich, beizubehalten, dem deutschsprachigen Zuschauer nicht zumuten wollte. Die Hauptrolle in diesem ebenfalls sehr erfolgreichen Prequel übernahm Shaun Evans (*1980). Die Handlung der zu lösenden Fälle führt den jungen Polizisten in die Anfangsjahre seiner Polizeikarriere zwischen 1965 bis 1972 zurück.
Die Romanvorlagen von Colin Dexter
Die Figur des Inspektors Morse stammt aus der Feder von Colin Dexter (1930 – 2017). Er war sein Leben lang Lehrer und Dozent, sein Arbeitsschwerpunkt an einem Oxforder College waren die Erstellung von Prüfungsfragen und deren Kontrolle. Während eines total verregneten Familienurlaubs in Wales schrieb er aus langer Weile seinen ersten Morse-Roman, der 1975 erschien. Zwölf weitere Romane und ein Sammelband mit 11 Kurzkrimis sollten in den Jahren bis 1999 folgen. Als die Verfilmungen Fahrt aufnahmen, waren eine ganze Reihe weiterer Autoren dazu gekommen. Den letzten Roman für die letzte Folge der Serie, die mit dem Tod von Morse endet, verfaßte er aber wieder selbst. Nach eigener Aussage wurde es sein bester Roman in der ganzen Reihe. Die Drehbücher für die Lewis-Folgen stammen ebenfalls aus fast einem Dutzend verschiedener Federn. Beim jungen Morse war es dann umgekehrt. Alle 36 Drehbücher wurden von Russell Lewis (*1961) verfaßt.
Start am Märtyrerdenkmal
An einem sonnigen Frühlingsfreitag versammeln sich knapp 20 Morse-Fans zu einem zweistündigen Rundgang durch das Oxforder Stadtzentrum. Etwa die Hälfte der Teilnehmer stammt aus dem Vereinigten Königreich. Die andere Hälfte kommt aus den Niederlanden, Irland, Kanada und den Vereinigten Staaten.
Unser Guide Magnus ist ein lässiger Graukopf in den besten Jahren mit dickem Fotoordner mit verschiedenen Szenenfotos und typisch britischem Humor.


Morse ist zwar kein Märtyrer, aber das 1841 eröffnete Denkmal eignet sich als zentraler, nicht zu verfehlender Startpunkt, zumal die Einweihung des lange Jahre restaurierten Stele im Jahr 2002 unter dem Vorsitz von Morse-Autor Colin Dexter erfolgte. Man hat einen guten Blick auf drei Straßen, mehrere Kirchen
und Colleges, auf eines der ältesten Museen der Welt (Ashmoleum Museum) und das beste Hotel der Stadt.
Das Randolph Hotel

Das heute zur Hilton-Gruppe gehörende 5-Sterne-Hotel ist das erste Haus am Platz. Es diente nicht nur den Drehteams als bevorzugte Unterkunft. Es spielt in vier Morse-Filmen und sieben Lewis-Folgen selbst eine tragende Rolle und heißt in den Filmen immer das Rudolph Hotel. Viele Eigen- und Straßennamen wurde in den Filmen leicht abgewandelt. Nach der ersten Staffel mit Klarnamen schlugen Angaben gemäß die Universität und die örtlichen Immobilienmakler Alarm. Es schade dem Geschäft, wenn gefragte Adressen wegen der Krimis nun zuerst als Schauplätze des Verbrechens im Gedächtnis bleiben.
Das Hotel und insbesondere seine edle, holzgetäfelte Bar wurden zum Pilgerort für Morse-Fans. Die Bar trägt heute nicht nur den Namen des Fernsehhelden. Neben einer Fotogalerie gibt es auch ein Dutzend der Krimiserie gewidmete Cocktails. „Inspektor M“ enthält neben einem bestimmten Calvados Prosecco, Vanille und Zitrone. Für „Detective Lewis“ kommen ein bestimmter Vodka sowie erneut Prosecco und Martini samt Granatapfelsirup ins Glas.
In den berühmten Oxforder Colleges
Magnus nächster Stop in der Hauptstraße gilt dem Balial College, dass aber nur in 4 Folgen auftaucht.

Für Oxford als Zentrum der britischen Eliteausbildung sind die Colleges sprichwörtlich berühmt. Über das Stadtgebiet verteilt gibt es heute 43 Colleges, die die Universität bilden und ihren Studenten in historischen wie modernen, vierseitigen Gebäuden alles Notwendige für ein erfolgreiches Studium: Unterkunft, Schutz, Verpflegung, Möglichkeiten für Freizeit, Gebet und Gemeinschaft sowie natürlich auch Bibliotheken und Studienbegleitung durch Tutorials bieten.
Da viele der Verbrechen im universitären Umfeld geschehen, sind die Colleges zwangsläufig als häufige Drehorte prädestiniert. Insgesamt 31 Colleges kamen in den Jahren der Serien ins Bild. Spitzenreiter ist das Exeter College mit 17 Auftritten. Das benachbarte Trinity College taucht immerhin schon in 11 Filmen auf. In die Spitzengruppe mit je 12 Auftritten kommen aber noch das Oriel College, das Magdalen College und das Brasenose College. Zu letzterem gehört auch der heute als Lesesaal genutzte und als Radcliffe Camera bekannte Rundbau am gleichnamigen Platz. Dieses markante Bauwerk ist wohl als Rekordhalter in fast jeder dritten Folge (6 x Morse, 16 x Lewis, 9 x Endeavour) zu sehen.

Straßen und Plätze
Im eigentlichen Zentrum der Stadt zwischen Broad Street und High Street entstanden die meisten Straßenszenen. An der Südfront der Broad Street ragt auf einem Dach als moderne Kunst ein nackter Männertorso empor. Wenn hier Dreharbeiten anstanden, wurde er immer mit einem Pappschornstein verdeckt
Der Wellington Square neben der Universitätsverwaltung ist ebenfalls beliebt und kommt auf 12 Filme. In der Lewis-Serien befand sich hier das Polizeirevier. Der junge Morse fand hier eine Wohnung.
Ein häufig in den Filmen auftauchendes, markantes Bild mit hohem Wiedererkennungswert liefern die zwei Gebäude des Hertford Colleges verbindende Übergangsbrücke. Man nennt sie nach dem Vorbild aus Venedig auch in Oxford oft die Seufzerbrücke.

In der Gasse dahinter kommt man zur Redaktion der Zeitung „Oxford Mail“, die den jungen Inspektor Morse oft begleitet. Die Herausgeberin wird von Abigail Thaw (*1965), der Tochter des ursprünglichen Morse Darstellers gespielt.
Lieblingspubs
Ein besonderes Kapital sind für unseren Guide Magnus die von unseren Helden gern auf ein oder mehr Pinten Bier frequentierten Oxforder Pubs. Die traditionsreichste Kneipe darunter ist zweifelsfrei die „Turf Tavern“ mit ihren bis ins 12. Jahrhundert zurückreichenden Wurzeln. In den Hinterhöfen versteckt, lockte sie mit dem Spruch „Education in Intoxication“, also „Ausbildung in Rausch und Vergiftung“ Morse/ Lewis und Lewis/Hathaway jeweils 3 x an ihre Tresen.

Im ebenfalls zentral gelegenen „White Horse“ hielt man insgesamt 8 x Einkehr (1x Morse, 6 x Lewis, 1 x Endeavour). Weitere beliebte Gaststätten sind das Boat Inn am nahe gelegenen Themse-Nebenfluß Cherwell oder das „Old Bookbinders House“ im Ortsteil Jericho. Man trank aber nicht nur Alkohol. In „Browns Cafe“ in der überdachten städtischen Markthalle durfte es auch schon mal Kaffee sein. An der gerade ihr 250-jähriges Jubiläum feiernden Markthalle endete unsere Wanderung durch das Oxforder Stadtzentrum.
Colin Dexters Cameo-Auftritte
In fast allen Morse-Folgen taucht sein Erfinder Colin Dexter in bester Hitchcock-Tradition für einen kurzen Augenblick auf. In 30 der 33 Filmen ist er als Passant, Passagier, Hotelgast oder Ausstellungsbesucher zu erkennen. Auch bei Lewis gibt es mehrere solcher Kurzauftritte. Nach Dexters Tod entwickelten die Macher in den späteren Folgen einen großen Ehrgeiz, den Erfinder der Morse-Figur weiterhin kurz in jedem Film zu zeigen. Jetzt sind es aber schon Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen oder Fotos in Zeitungsartikeln, die der aufmerksame Zuschauer entdecken kann.
Das deutsche Mysterium der Oxford-Krimis zwischen DFF und ZDF
Im Sommer 1989 kam Inspektor Morse nach Deutschland. Ab August strahlte DFF2 die ersten beiden Staffeln mit sieben Folgen aus. Man folgte dabei aber nicht der Reihenfolge der britischen Ausstrahlung, sondern den Romanvorlagen. Während die Serie in Großbritannien mit „Die Toten von Jericho“ begann, startete man in Deutsch mit Folge 7 – „Der letzte Bus nach Woodstock“ – nach dem ersten Roman. Wer hier aber eine kleine Weltreise vermutet, liegt falsch: Jericho ist ein Stadtteil und Woodstock ist ein Nachbarort von Oxford.
Ungeachtet des riesigen weltweiten Erfolges der in den 1990er Jahren entstandenen, weiteren 5 Staffeln und 5 außerhalb von Oxford spielende Sonderfolgen der Serie tat sich in den deutschen Fernsehanstalten aber lange Jahre nichts. Ich sah in dieser Zeit Morse-Folgen auf Auslandsreisen in Tschechien und den Niederlanden, in Rußland und den USA, aber in Deutschland: Ignoranz und Fehlanzeige.
Ab Anfang 2009 begann dann das ZDF überraschenderweise mit der Ausstrahlung von „Lewis“. Die Serie gewann verdientermaßen schnell an Popularität. Aber die Vielzahl von Bezügen zum alten Chef, viele Anspielungen auf alte Fälle oder Morse denkwürdigen Jaguar-Oldtimer aus der Vorgängerserie erschlossen sich den meisten Zuschauern nicht. Die Ur-Serie über Morse blieb aber für die härtesten Lewis-Fans ein Geheimtipp, der auch leider bis heute im deutschsprachigen Raum nur im englischen Original zugänglich ist. Der einzige sehr bescheidene Lichtblick: 2014 brachte die Hamburger Firma „Edel Music & Entertainment GmbH“ die vier Folgen der ersten Staffel als DVDs mit deutschen Untertiteln auf den Markt. Im Herbst 2017 begann dann bei ZDF Neo die Ausstrahlung der Serie: „Der junge Inspektor Morse“, die ebenfalls schnell eine große Fangemeinde fand.

Fazit
Die Tour war ein rundum gelungenes Erlebnis und ein exzellentes Beispiel für perfektes Merchandising von den Filmen über die Bücher, weiteren Making of – Filmen, Touren zu den Drehorten, die es wiederum in ihre eigenen Marketing-Aktivitäten aufnehmen bis hin zur Bar mit den Cocktails.
Auf die nicht ganz ernst gemeinte Frage, wann denn nun das Musical „Morse“ in Kombination mit dem eindrucksvollen rund um das Morse-Alphabet gestrickten Soundtrack kommt, schmunzelte Magnus. Es gibt noch zwei bislang nur als Hörspiele produzierte Theaterstücke aus der Feder von Alma Cullen (1938-2021), die auch seinerzeit das Drehbuch für vier Morse-Folgen geschrieben hatte. Die Premiere des ersten Stücks mit dem Namen „Das Geisterhaus“ ist nun für Januar 2026 im New Theatre Oxford angekündigt. The show must go on. Oxford ist Morseland und reklamiert sich erfolgreich auch ohne das berühmte britische Understatement: Was wäre Stratford upon Avon ohne Shakespeare, was wäre Oxford ohne Morse?
Unter den Publikation zu Oxford, den drei Serien und ihren Drehorten sind dieses von John Mair herausgegebene Buch …
…und die von Chris Sullivan geführte


Webseite https://morseandlewisandendeavour.com meine Favoriten.
Fotos: Bodo Thöns