„Sardinien ist anders.
Es ist wie die Freiheit selbst.“
(D.H. Lawrence)
von Ronald Keusch
Schon seit jeher gilt die Hafenstadt Olbia als das Haupteingangstor für den Norden Sardiniens. Von hier führen auf der zweitgrößten italienischen Insel im Mittelmeer (270 Kilometer lang und 40 Kilometer breit) die Straßen bis in den Süden, vielfach auf Strecken aus der Römerzeit.
Die Stadt Olbia mit derzeit 50.000 Einwohnern verfügt auch über einen leistungsfähigen Flughafen mit Verbindungen zum italienischen Festland und allen größeren europäischen Städten und natürlich auch nach Berlin, Frankfurt und Hamburg. Fest vernetzt ist der Billigflieger easy Jet, der mit günstigen Preisen lockt. Der Flughafen – erst vor Kurzem renoviert – heißt Costa Smeralda und sein Name ist gewissermaßen schon Programm für die Touristen. Sardinien ist die Urlaubs-Insel der unendlich langen Strände, wild zerklüftet und einladend zum Baden, mit viel Platz. Aber es ist wahrlich nicht nötig, in die Ferne zu schweifen. Olbia, auch Olbius genannt, in der Übersetzung die Glückliche, hat auch selbst viel zu bieten.
La Dolce Vita – Leben genießen
Das hübsche Städtchen am Meer entwickelt mit seinen schmalen Gässchen, die von einem Fußgänger-Boulevard abgehen und sich weiter verzweigen, einen unverkennbaren Charme. In der noch warmen Herbstsonne sind die bunt leuchtenden Häuser schön anzusehen.
Tische und Stühle der Restaurants und Cafes sind einladend auf dem Boulevard platziert und kleine Läden suchen mit ihren Auslagen die Aufmerksamkeit der bummelnden Passanten. Einige von ihnen haben beim Schlendern eine kleine Waffel mit Gelato in der Hand. Überall herrschen gute Laune, bunte Farben und kaum Stress und Hektik.
Da fällt sicher manchem deutschen Besucher nur der Satz ein: La Dolce Vita – Leben genießen wie in Italien.
Hotel mit Panorama-Blick
Keine hundert Meter vom Boulevard entfernt liegt mitten in der historischen Altstadt in der Via Giuseppe Mazzini -einer eher schmalen Gasse – das kleine familiäre Hotel „Panorama“.
Es wurde im Jahr 2009 mit neuer raffinierter Architektur eingeweiht und macht seinem Namen alle Ehre.
links: Eingang des Hotels „Panorama“
Der Lift führt in die sechste Etage zu einem überraschend großen Dachgarten mit einem knappen Dutzend Sitzbänken und Tischen. Von hier oben ergibt sich eine wunderbare Sicht in alle Richtungen der Altstadt und auf die Bucht und den Hafen. Falls der Hotelgast bei seinem obligatorischen Besuch vom „Ausguck“ des Hotels kein sonniges Wetter hat – was durchaus in Sardinien auch manchmal vorkommen mag – ist über den beiden Innentüren des Liftes ein überdimensionales hellbuntes Foto angebracht – einfach genial.
Spaziergang in die Geschichte
Schon ein kleiner Spaziergang zeigt, wie nahe man in der Stadt der Geschichte von Olbia kommen kann. Man spürt den Herzschlag der Stadt beim Besuch von zwei der bedeutendsten historischen Gebäude.
Da steht ehrenvoll und schlicht die romanische Kirche San Simplicio auf der gleichnamigen Piazza.
Ihr Name geht auf den Märtyrer und Schutzpatron der Stadt zurück, der als Heiliger verehrt wird. Jedes Jahr findet ihm zu Ehren am 15 Mai eine mehrstündige Prozession statt, an der viele tausende teilnehmen.
Und da ist die Kirche Apostolo San Paolo, gewidmet dem Heiligen Apostel Paulus, mit ihrer imposanten mit bunten Majolika Kacheln verzierten Kuppel.
Sie wurde auf den Ruinen von alten punischen und römischen Tempeln errichtet, die vermutlich dem griechischen Halbgott Herakles gewidmet waren. Besonders interessant ist der Mix an unterschiedlichen Stilrichtungen, von romanischen bis zu barocken Elementen.
rechts: Kirche San Paolo
Im Kirchenschiff finden sich traditionelle sakrale Darstellungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu modernen Fresken aus dem 20. Jahrhundert.
Ganz zentral an der neu gestalteten Strandpromenade befindet sich das Archäologische Museum in Olbia. Hier kann der Besucher den roten Faden spannender jahrtausendalter Geschichte verfolgen mit der Besiedlung der Phönizier, der Griechen, als karthagische Kolonie bis zur Eroberung durch die Römer.
Ein Prunkstück der Ausstellung sind die Schiffsplanken einer römischen Galeere, die Wissenschaftler im Hafen von Olbia vom Meeresgrund geborgen haben.
Benvenuto Vermentino
Der Museumsbau fungiert mit seinem modernen Kongresssaal auch als ein traditioneller Platz der Begegnungen der Weinexperten von der Insel, aus Italien und aus der ganzen Welt. In der Zeit vom 17. bis 23. Oktober 2022 stand auf der Tagesordnung: „Benvenuto Vermentino“. Bereits zum achten Mal wurde von der italienischen Handelskammer für Deutschland ITKAM gemeinsam mit der Agentur Promocamera dieses Gipfeltreffen der Weinkenner organisiert und dazu auch eine kleine Gruppe von Journalisten eingeladen. Hier in Olbia traf sich die feine sardische Küche mit den ausgezeichneten Weinen aus dem Norden der Insel.
Die Landschaft im Norden Sardinien in der Umgebung von Olbia ist durch Granitstein geprägt, der nur wenig Platz für Kalkformationen lässt. Aus diesem Grunde ist hier vorrangig die edle Weißwein-Rebsorte Vermentino zu Hause. Hier im Archäologischen Museum wurden nun von vielen Dutzend Teilnehmern die beste Weine der Region, der Vermentino di Gallura, ausführlich getestet und entsprechend gefeiert. Leider kann man die wundervollen Aromen und Geschmackseindrücke der Weine nicht online ins Netz stellen.
Salute und Cin Cin im Weinmuseum
Beim Thema Wein führt kein Weg am Wein-Museum Sardiniens vorbei. Es befindet sich etwas abseits im Dorf Berschidda.
Auch hier ist der Hauptakteur die berühmte Weinsorte Gallura Vermentino. Diese Rebsorte ist in den Granitfelsen um Olbia auf 90 Prozent der Anbaufläche zu finden. Allerdings holt auf der gesamten Insel der rubinrote Wein Cannonau enorm auf und liegt jetzt bei 70 Prozent der Anbaufläche. Insgesamt, so die Bilanz, gibt es auf Sardinien 26.000 Weinberge und -felder. Im Museum sind auch die Arbeitsgeräte für den Weinanbau, die Verarbeitung der Trauben und die Abfüllung ausgestellt. Es sind Amphoren unserer Vorvorfahren zu beschauen und dann eine illustre Sammlung an hunderten von Weinflaschen. Gibt es auch hier im Museum eine Weinverkostung? Na klar! Und auf jeden Fall einen Vermentino. Salute und Cin Cin.
Die unverzichtbaren Korken
Eine weitere Ausstellung widmet sich dem Kork für die Flaschen. In Sardinien, auf der Insel der Weine, ist das eine kleine Industrie. Im Dorf von Calangianus befindet sich ein kleines Korkmuseum.
Von der Insel kommen mehr als drei Viertel aller Korken für die Weinflaschen in Bella Italia. Hier kann der Besucher die Entstehung der Korken vom Schälen der Eichen bis zum fertigen Korken verfolgen. Und wer hätte gedacht, dass das Material Kork ähnlich dem Leder auch für die Herstellung von Jacken, Taschen oder Hüten genutzt wird. Auch hier erhält der Besucher einen kleinen Abschieds Trunk, den weit verbreiteten Beeren Likör Mirto aus dem Heimat-Dorf Telti, in dem die Museumsmitarbeiterin zu Hause ist – Bella Italia.
Sehnsucht nach der Sonne im Vermentino
Schließlich führt der Spur des Weines noch zu einem kommerziellen Weinkontor. Es gehört der Winzergenossenschaft Cantina del Vermentino Monti. Sie bewirtschaftet insgesamt 500 Hektar der umliegenden Weinberge. Ein beeindruckender Anblick.
„In den Gewölben des Weinkontors lagern 40.000 Hektoliter weißer und roter Wein. Die Zeit der Lagerung beträgt zwischen 6 und 14 Monate“, erläutert Chef-Manager Franco Pirastru. Zu seinen erklärten Favoriten zählt der Vermentino di Gallura „Funtanaliras“. Er soll die Sehnsucht nach dem sommerlichen Duft von Pinienwäldern, Meer und Sonne wecken. Ein kräftiger Weißwein mit intensiver Würze und floralen Aromen. Und da ist der Vermentino di Gallura „Seleme“, knackig frisch und trocken. Hier meinen die Winzer und PR-Leute, dass man in diesem Wein förmlich die Meeres Brise und die schroffe Landschaft spürt – und das schon nach dem Genuss von einem Glas und nicht nach dem Trinken einer ganzen Flasche.
An der Costa Smeralda ist das Meer smaragdgrün
Ein Hauptanziehungspunkt in der Region Olbia wie auf ganz Sardinien sind die schier endlosen Strände und Buchten der Insel. Auch noch Mitte Oktober finden sich Touristen zum Sonne tanken an den Badestränden ein. Bevorzugt ist die Costa Smeralda.
Der Name Smaragdküste stammt von dem smaragdgrünen Meer, das an die perlweißen Strände reicht und dabei bizarre windgepeitschte Felsen umschließt. Unsere Reiseführerin Francesca Ruiu erzählt auch von dem extravaganten Millionär Aga Khan, der in alle Reisebücher über Sardinien Einzug gehalten hat. Der clevere Finanzmagnat erwarb in den 60er Jahren für einen Spottpreis etwa 40 Kilometer des schönsten Strandes der Insel, vielleicht sogar von ganz Italien. Hier haben sich später die Schönen und Reichen dieser Welt zu super extremen Preisen niedergelassen. Ein Beweis, dass man nicht allein mit Waffen oder Impfdosen gigantische Gewinne erzielen kann. Immerhin bleiben für den normalen Touristen hier auch noch hunderte einsame Buchten und Küstenstreifen für ungestörten Strandurlaub, aber auch die Partygänger kommen in Orten wie Porto Cervo auf ihre Kosten.
Giganten Gräber und Kultstätten
Schon ein Dutzend Kilometer landeinwärts eröffnet sich eine andere Schönheit der Insel: Hügel mit Weinstöcken, Korkeichenwälder und Granit-Felsengebirge. In den Bergen über den bewaldeten Hügelketten sind in weiter Ferne nur einige wenige Windräder auszumachen. Der Zeitgeist hat sie bis hierhergeschafft, aber sie stören nicht das Landschaftsbild. Hier im Landesinneren sind imposante Begegnungen mit der Frühgeschichte aus dem Mittelneolithikum aus der Zeit 4000 Jahr v. Chr. möglich. Der Besucher kann Monumente aus der Nuraghen Zeit (1600-900 v.Chr.) bestaunen, wie Giganten-Gräber und Kultstätten mit Heiligtümern.
Dazu zählen auch länglich hochkant in den Boden gerammte Steine, die für die prähistorische Bevölkerung einen sakralen Wert hatten.
Tausendjährige Olivenbäume
Inmitten von hügeligem Gelände mit Olivenhainen hat die Natur noch eine besondere Sehenswürdigkeit parat: Tausende Jahre alte Olivenbäume. Der Älteste ist sensationelle 4000 Jahre alt und erreicht eine Höhe von 14 Metern.
Dieser Baum hat ein sehr dichtes Dach von Zweigen und Blättern, diente als Schutz vor Sonne und Regen und wurde, wie Historiker herausfanden, vor 2.000 Jahren als Kult- und Versammlungsort der Menschen genutzt.
Zu den Wurzeln von Sardinien
Immer mehr Touristen, darunter viele aus Deutschland, wollen Sardinien in Ausflügen mit Wander- und Radtouren, mit dem Kajak oder dem Minivan entdecken.
Reiseveranstalter haben dazu Programme aufgelegt. In Olbia gibt es den Verein „Raikes“. Der Name geht zurück auf den alten sardischen Begriff für Wurzeln. Seine Mitglieder, vorwiegend junge Leute aus der Touristik Branche, wollen die Besucher zu den Wurzeln und dem Herzen ihrer Insel führen. Ihre Angebote in Halbtags- und Tages-Touren führen zum versteckten Tal des Mondes, zum Gipfel des Monte Limbara, dem höchsten Gipfel der Gallura sowie zu archäologischen Stätten von Palmavera und im Gebiet von Arzachena. https://raikes.it/
Bizarre Felslandschaften
Die Sehenswürdigkeiten der beeindruckenden Bergwelt können mit einem Restaurantbesuch verbunden werden.
Wer im Ristorante Tenuta Pilastru einkehrt, kann zwischen Vorspeise und Hauptgang noch einmal bei einer Besichtigung der bizarren Felsen der Gebirgswelt den Appetit anregen. Die Chefin Stefania Filigheddu unternimmt mit ihren Gästen gern eine kleine Führung. Diese Landschaft um das Restaurant erinnert an die Felsformationen im türkischen Kappadokien. Für Touristen ist in dem dazu gehörenden ausgedehnten Resort mit 42 Räumen viel Platz.
Die Gäste sind mit Liegewiesen und einem großen Schwimmbad versorgt, wenn sie von Wanderungen oder von einer Tour an die Strände im Mittelmeer zurückkommen.
www.tenutapilastru.it
Agriturismo im Aufwind
Immer attraktiver wird für die Sardinien Besucher der Agriturismo oder im Touristendeutsch Urlaub auf dem Bauernhof. Ein attraktives Angebot bietet der Bauernhof Chicchiritanos, nur drei Kilometer entfernt von dem kleinen Örtchen Monti und 27 Kilometer von Olbia.
Vor 25 Jahren hat sich die Familie entschieden, insgesamt sechs Zimmer für Touristen einzurichten. Markenzeichen des Bauernhofes ist die umfangeiche Tierhaltung. Auf dem 40 Hektar großen Gelände werden Schafe, Kühe, Schweine, Hühner gehalten und Pferde in freier Wildbahn gezüchtet. Der Familienbetrieb verfügt über einen Gemüsegarten, verarbeitet die Milch von Kühen und Schafen in der Familienkäserei und betreibt eine Landfleischerei. Auf der Restaurantkarte stehen nahezu ausschließlich Produkte des eigenen Hofes. Auch hier begegnen sich wieder die herausragende Kulinarik und die edlen Weißweine.
Wir haben Platz und viel Sonne
Es bietet sich zum Abschluss der Kurzvisite in Olbia die Gelegenheit, mit Luigi Chessa, dem Direktor von Promokamera zu sprechen. Die Insel Sardinien ist zwar nicht so klein, aber zur Hauptsaison in den Sommermonaten kommen viele Gäste. Haben die Sarden auch die Angst, die in einigen anderen attraktiven Ecken von Italien bereits vorherrscht, vom Massentourismus überrannt zu werden?
Direktor Chessa schüttelt den Kopf.
„Wir haben eine sehr große Insel mit so vielen Stränden. Da können noch viele kommen.“
Außerdem werden, so Luigi Chessa, das Frühjahr und der Herbst für Wandergruppen immer beliebter.
„Hinzu kommt noch, dass wir in der Nachsaison mindestens 20 Prozent geringere Preise anbieten können. Es ist klar, dass Sardinien im Sommer für seine Strände weltberühmt ist. Aber die Natur unserer Insel, deren Farben, die erst richtig in der Sonne strahlen, all das gibt es auch im Herbst bis zum November.“
Kochkunst hat immer Saison
Und dann serviert die Küchenchefin vom Bauernhof Chicchiritanos den zehn Monate gereiften selbst gemachten Schafskäse Pecorino und den Weichkäse Formagella, aus dem Ofen Spanferkel der hauseigenen Fleischerei, Pilze aus der Region. Dazu gibt es das bekannteste Brot Sardiniens, das Pane Carasau, dünn wie Papier und knusprig wie ein Cracker, und dann noch selbst produzierten Wein, und dann noch zum Dessert die Mandelplätzchen, die Amaretta, Mazza Frissa mit Honig und und und …
Das Treffen von feinstem vortrefflichem Essen und dazu auserlesenen Weinen findet in Sardinien durchgängig das ganze Jahr statt.
Sardinien ist anders.
Bezaubernde Räume und Entfernungen zu reisen, nichts ist fertig, nichts ist endgültig.
Es ist wie die Freiheit selbst.
Das schrieb der englische Schriftsteller David Herbert Lawrence vor über 100 Jahren in seinem Reisetagebuch „Das Meer und Sardinien“ – einem heute noch zu Recht empfohlenen Meisterwerk.
Fotos: Ronald Keusch
Die Reise wurde organisiert von der italienischen Handelskammer für Deutschland (ITKAM)