Ungewöhnliche Frühjahrskreuzfahrt ins winterliche Norwegen
Schauplatz Columbuskaje in Bremerhaven. An der traditionsreichen Pier eine Schiffslegende: die ehemalige STOCKHOLM ex ATHENA ex VÖLKERFREUNDSCHAFT. Die jetzige AZORES ist mit 66 Jahren der älteste noch in Fahrt befindliche Transatlantik-Liner der Welt und startete eine weitere viel beachtete Karriere als Kreuzfahrtschiff.
Mitte März 2014. Die vermummten Shiplover an Land frösteln und die Weser bäumt sich unter einem steifen Nordwest zu braunen Wellen auf. Ungewöhnlich die Jahreszeit für eine Premieren-Reise, die erste nach der Jungfernfahrt, in den hohen Norden. Ein Alleinstellungsmerkmal der AZORES, die zudem die Saison in Bremerhaven eröffnet. Alle anderen Kreuzfahrtschiffe tummeln sich derweil noch wochenlang in wohlig-warmen südlichen Gewässern. „Das kann man immer haben“, sagt ein Gast, „aber dieser Törn ist schon was Besonderes!“
Der AMBIENTE-Kreuzfahrten-Prospekt hat gezielt mit der „besten Reisezeit für Nordlichtbeobachtungen“ geworben. Rund 200 Fans aus ganz Europa sind dem Lockruf des Berliner Kreuzfahrt-Veranstalters zu dieser nächtlichen Himmelserscheinung gefolgt. Auch hat ihnen die Werbung nicht verheimlicht, dass es „nördlich des Polarkreises noch richtig winterlich ist“, während „in Deutschland schon der Frühling Einzug gehalten“ hat.
Ausgefülltes Bergen-Programm
Dem ist nicht ganz so, als der äußerst stabile 16.000-Tonner – immerhin „versenkte“ er 1956 die ANDREA DORIA – nach einem stürmischen Nordsee-Tag, den er in erstaunlicher Ruhelage „abgeritten“ hat, den ersten Hafen ansteuert: die alte Hansestadt Bergen. Abgesehen von dem fast schon sprichwörtlichen Nieselregen sind die umliegenden Bergkuppen noch schneebedeckt.
Neun Stunden Liegezeit reichen für ein ausgefülltes Programm: von einer Panorama-Stadtrundfahrt über Edvard Griegs Altersruhesitz Troldhaugen, Aktivwandern auf den Spuren der Hanse bis hin zum Alpin-Skifahren in Eikedalen ist alles drin. Wir entscheiden uns nach einem Rundgang durch Tyske Brygge, das mittelelterliche Hanse-Viertel, für die Fünf-Euro-Bahnfahrt hinauf zum Berg Flöien. Der Blick auf die 240.000-Einwohner-Stadt ist, auch unabhängig vom Wetter, lohnend. Hinter der Festung Bergenhus duckt sich modellschiffchenklein die AZORES.
Aus 700 Metern Höhe wandern wir durch dichten Bergwald an Wasserfällen vorbei wieder herab auf Höhe Null. Eine rot uniformierte Oldie-Band untermalt lautstark, aber gekonnt das Auslaufmanöver und erntet Beifall von den Relingsgästen.
Winterlich über den Polarkreis
Die staunen nicht schlecht, als sie am nächsten Morgen ihren Verdauungsrundgang ums Bootsdeck antreten wollen: Dichtes Schneetreiben hüllt sie ein und sorgt für kleine Verwehungen. Der Winter hat sie voll im Griff. „Den hatten wir in Deutschland ja dieses Jahr noch nicht“, zeigt sich ein rotgesichtiger Gast begeistert, „genau so hab ich mir das vorgestellt!“ Bei gefühlten minus zehn Grad stemmt er sich wieder gegen die vom Wind waagerecht heran geblasene weiße Pracht. An Back- und Steuerbord gleiten schemenhaft verschneite Berge und Inseln vorbei.
Frostbeulen dagegen können wählen zwischen diversen Vorträgen und Fitness-Aktivitäten. Ein absolutes Kontrastprogramm bietet die Sauna, in die sich einige verkriechen. Das Zerstreuungsangebot ist groß. Wer all das nicht möchte, hat viele Rückzugsmöglichkeiten zum ungestörten Lesen, Kartenspielen oder E-Mail-Schreiben. Bis ein horizontweiter blauer Himmel und verschneite Küstenberge alle wieder an Deck locken, das unter Gischtwolken langsam vereist.
Am nächsten Morgen überquert MS AZORES noch völlig unspektakulär zur Schlafenszeit den Polarkreis. Das Taufzeremoniell mit Neptun und Thetis samt Gefolge wird vormittags im Vestfjord nachgeholt und per Urkunde bestätigt. Mit Traumblick auf die sonnenbestrahlten schneebedeckten Lofoten. „Fast wie Spitzbergen“, meint ein erfahrener Arktis-Reisender aus Erfurt.
Unter Hammer und Zirkel
Er kennt das Schiff noch als DDR-„Traumschiff“ des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Als „verdienter Werktätiger“ sei er auf der damaligen VÖLKERFREUNDSCHAFT mitgefahren, wobei der aus dem Fernsehen bekannte Rostocker Kapitän Gerd Peters das Kommando führte. Eine Dresdnerin hat sogar eine Getränkekarte von 1975 mitgebracht. „Da kostete ein Glas ´Hafenbräu` ganze 58 Pfennige oder eine Karaffe ´Goldtröpfchen` 2 Mark 46“, liest sie vor und schiebt in bestem Sächsisch gleich nach: „So schlecht ging´s uns ooch nu wieder nich in da DDR, mir hatten ja alles, was ma zum Läben brauchte“. Auf der Speisekarte finden sich „Rostocker Heidesuppe“, „Karlsbader Schnitte“ oder „Eiersalat mit Schinkenjulienne“. Wobei Kartoffeln und Gemüse als Beilage nachbestellt werden konnten. Und Schonkost gab es „nur auf ärztliche Anordnung: Heilbuttschnitte gedämpft mit Spargelspitzen und Risotto“. Auch der bekannte DDR-Filmschauspieler und Thälmann-Darsteller Günter Simon ließ sich 1962 so an Bord des Ein-Klassenschiffs verwöhnen. Allerdings ohne Landgang in Norwegen.
In einem jedoch sind sich die „Ehemaligen“ alle einig: „Ihr“ Schiff von einst ist heute nicht mehr wiederzuerkennen, „aber wir halten ihm die Treue, in guten wie in schlechten Zeiten“.
Klassisch-modern und maritim-persönlich
Gute Zeiten hingegen verspricht das klassisch-moderne Konzept von AMBIENTE-Kreuzfahrten. Unter dem Motto „maritim & persönlich“ werden maßgeschneiderte Kreuzfahrten jenseits des Massentourismus angeboten: ein überschaubares, persönliches Schiff für maximal 550 Gäste, dank seiner Transatlantik-Liner-Qualitäten und des großen Tiefgangs sehr seegangsstabil und daher seekrankheitsfeindlich, mit abwechslungsreichen Routen auch zu kleineren Häfen, moderaten Nebenkosten, wobei Trinkgelder und eine Getränkeauswahl inklusive sind.
Während unserer Fahrt, der zweiten der AZORES, haben wir erlebt, dass an Vielem noch mit großem Einsatz gearbeitet und gefeilt wird. „Ein Schiffsbetrieb“, so Kreuzfahrtleiter Florian Herzfeld, „ist wie ein menschliches Räderwerk, das sich aufeinander einstellen muss“.
MS AZORES, so ist an Bord die einhellige Meinung, hat eine große maritime Geschichte, bietet zahlreiche moderne Ansätze, ein angenehmes Ambiente, viele Wahlmöglichkeiten und eine legere, familiäre, schiffige Atmosphäre. Daraus resultiert sein Charme. „Das Gewohnte“, so AMBIENTE-Prokurist Axel Schmidt, „ist vorhanden, aber es gibt eine ganze Reihe von Variationen und Alternativen“. Das alles zu einem überaus günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis: zwischen 180 und 200 Euro pro Tag und Person im Segment der gehobenen Mittelklasse. Das AZORES-Gesamtpaket ist am deutschen Markt nahezu konkurrenzlos.
Auf der Suche nach dem Polarlicht
Nach 760 Seemeilen und zwei Seetagen mit Fjord- und Schärenpassagen sowie Orca-Shows wird der nördlichste Punkt der Reise erreicht: Alta in der Provinz Finnmark. Im Zweiten Weltkrieg versteckte sich im Fjord das deutsche Schlachtschiff TIRPITZ, dem hier sogar ein Museum gewidmet ist, und Kriegsmarine-Zerstörer suchten Schutz vor britischen Bombern und U-Booten.
Das Nordkap ist noch 245 Kilometer entfernt, das moderne, gesichtslose Zentrum des Universitäts-Städtchens mit 18.000 Einwohnern liegt gleich um die Hafen-Ecke. Es lohnt eigentlich nicht, dafür umso mehr Ziele in der Umgebung: ein Winterlager der Lappen, das Eishotel, Rentier- und Husky- Schlittenfahrten oder eine Schneemobil-Tour. Nicht gerade preiswerte Ausflüge. Eine einsame Schneewanderung bei minus sechs Grad bei Frühlingsanfang: durch den borealen Nadelwald auf den Hausberg Komsa, dessen Gipfel bereits über der Baumgrenze in der Tundra liegt, mit weitem Fjord-Ausblick. Das tut´s auch.
Für die meisten Gäste ist der 102-Euro teure Ausflug „Auf der Suche nach dem Polarlicht“ allerdings d a s Reise-Highlight. Die Erwartungen sind entsprechend hoch. Aber auch das Risiko, denn wer weiß schon lange vorher, ob der Himmel genau dort, wohin die Licht-Freaks fahren wollen, gnädig, sprich wolkenfrei ist. Tagsüber jedenfalls gibt er sich strahlend – fast während der gesamten Reise.
Schwaches grünliches Wabern
MS AZORES ist das einzige Schiff, das dieses Schauspiel aus Sternenstaub und Sonnensturm von einem deutschen Hafen aus anbietet. Hurtigruten läuft das Nordlicht-Zentrum nicht an, weil es zu weit ab von der offenen See liegt, wie ein paar Norweger unterwegs berichten. Sie wissen auch, dass das arktische Lichtspektakel in den letzten Tagen heftig gewesen sei. „Die klare Frostluft“, schwärmen sie, „und der weitgehend wolkenfreie Himmel sind die besten Zutaten“. Daher bleibt AZORES bis zum frühen nächsten Morgen im Hafen liegen.
Eine Tischnachbarin an Bord ist voller Vorfreude: „Wenn ich das sehe, falle ich bestimmt in Ohnmacht“. Ob sie dann noch etwas davon hat? Zu ihrem „Trost“ sei angemerkt, dass nur wenige Beobachter ein „schwaches grünliches Wabern in einer Schneewolken-Lücke“ entdeckt haben wollen. In Tromsö, „Paris des Nordens“ oder auch „Pforte zum Eismeer“ genannt, soll deshalb ein zweiter Versuch gestartet werden. Wie ein Omen machen nacheinander die Hurtigruten-Schiffe POLARLYS und NORDLYS hinter der AZORES fest. „Dann sucht mal schön!“, meint einer, der schon resigniert hat.
Doch dann startet sie doch noch, die ersehnte Lichter-Show: bei klarem Nachthimmel einige Seemeilen südlich des Polarkreises. Dafür aber gleich stundenlang und intensiv grün. Alle sind, trotz Schlafenszeit, begeistert und vollauf zufrieden. „Jetzt fehlt nur noch die Mitternachtssonne in unserer Sammlung“, bemerkt ein Gast. In Gestalt des Hurtigruten-Schiffes MIDNATSOL rauscht sie vorbei. „Dieses Sommerschauspiel haben wir schon gebucht“, wirft jemand ein, „aber wir träumen schon jetzt davon“.
Nachsatz:
Norwegen muss man verstehen, sonst erschließt sich einem das einzigartige „Land der Trolle“ und Gegensätze nicht. Die Natur und ihre Bewältigung durch den Menschen übertreffen in mancher Weise alle Vorstellungen. Die Gestalt seiner Küste findet in Europa nicht ihres gleichen. Sie wird von ungezählten Buchten und Fjorden gegliedert und von Tausenden von Inseln und Schären geschützt. Während der grobe Umriss der Küste etwa 2650 km lang ist, schätzt man die volle Länge der festländischen Uferlinie auf ca. 20.000 km. Das Fjordland gilt bei Vielen als die „Seele Norwegens“. Keine Küste Europas kann da mithalten, so stark gegliedert ist sie. Ihr Prädikat „einmalig“ hat sie wohlverdient. Was kann schöner sein als eine Kreuzfahrt unter fünf Sternen durch diese Traumlandschaft der Trolle.
Unsere Nordlicht-Route:
Bremerhaven (Abfahrt 16.30); Seetag; Bergen (08.00-19.00); Seetag; Seetag mit Polarkreisüberquerung nachts ((Innenpassage je nach Wetterlage); Alta (08.30-03.00); Tromsö (13.00-00.01.00); Narvik (14.30-00.30); Seetag mit Polarkreisüberquerung, „Taufe“, Innenpassage); Andalsnes (12.00-23.30); Alesund (08.30-17.00); Flam (08.00-16.30); Seetag; Bremerhaven (Ankunft 09.00).
Seemeilen gesamt: 2744 sm (= 5082 km)
Fotos: CTOUR/Dr. Peer Schmidt-Walther (4), Wolfgang Irmer, Ambiente-Kreuzfahrten