Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsunder Schifffahrtsjournalist und CTOUR-Mitglied, ist am Unglückstag vom ZDF zu dem Unglück befragt worden.
1. Wie werden Mitarbeiter auf Kreuzfahrtschiffen geschult, um bei Unglücken die Krise zu managen und die Passagiere in Sicherheit zu bringen?
PSW: Alle Bordmitarbeiter sind regelmäßig zu Übungen verpflichtet. In Rostock zum Beispiel trainieren die Besatzungen einer großen deutschen Kreuzfahrt-Reederei. Dabei steht nicht nur Theorie auf dem Lehrplan. Wichtig sind vor allem auch praktische Übungen wie: Besteigen von Rettungsbooten, Anlegen von Überlebensanzügen und das Schwimmen damit. Feuerschutz und psychologische Schulung im Falle von Panik sind weitere wichtige Aspekte.
2. Werden Passagiere vor Beginn einer Kreuzfahrt (oder während?) in die Sicherheits- und Rettungsvorrichtungen eingewiesen?
PSW: Das Verhalten während der Evakuierungsmaßnahmen bei bestimmten Signaltönen sind erste Pflicht für jeden Passagier! Dabei wird von Bordmitarbeitern zunächst überprüft, ob alle Kabinen verlassen worden sind. Anschließend werden die Anwesenheit (mit noch nicht angelegter Rettungsweste) im Sammlungsraum überprüft, Sicherheitsmaßnahmen und –verhaltensweisen erläutert und das Anlegen der Rettungsweste demonstriert. Jeder Gast muss sich – unter Anleitung – selbst damit vertraut machen.
Leider erlebt man immer wieder, dass manche Gästen nicht zuhören und die Übung nicht ernst nehmen.
3. Die Passagiere des verunglückten Schiffes sagten, sie wußten gar nicht, was sie tun sollten: wenn’s nicht der Schock war, war es Versäumnis der „Crew“?
PSW: Zum einen spielt natürlich der Schock eine gewisse Rolle, zum anderen aber auch ein fehlendes Sicherheitsbewustsein nach dem Motto: „Auf so einem großen Schiff kann doch nichts passieren“.
Ein Versäumnis der Crew ist in Einzelfällen nicht auszuschließen. Genügend Mitarbeiter kümmern sich normalerweise darum, dass die Gäste in Ruhe den vorgeschriebenen Fluchtweg benutzen, um zu ihren Sammelstellen zu gelangen und dort weitere Anweisungen abwarten. Niemand muss dabei ungefragt über Bord springen.
Problematisch ist das Erreichen und Zuwasserlassen der Rettungsboote bei Schräglage. Dann ballen sich alle Passagiere nur auf einer Seite zusammen. Das führt sehr schnell zur Verwirrung und Panik, die die Crew nur schwer in den Griff bekommen kann.
4. Kennen Sie das havarierte Schiff COSTA CONCORDIA?
PSW: Nur vom Sehen, mit ähnlichen Schiffen dieser Größenordnung bin ich allerdings schon gefahren. Nach eigenen Seefahrtsjahren bei Marine und Handelsschifffahrt sowie über 220 Fluss- und Hochseekreuzfahrten kann ich mir ein klares Bild machen.
5. Gelten dieselben Sicherheitsbestimmungen in Deutschland, EU, Welt bei Kreuzfahrtschiffen?
PSW: Auf allen Kreuzfahrtschiffen gelten weltweit dieselben Regeln, die allerdings in der Bordanwendung unterschiedlich sein können. Was die Sicherheit nicht einschränkt.
6. Wer prüft, ob die Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden?
PSW: Oberster Sicherheitschef an Bord ist der Kapitän, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Dazu gibt es ein oder mehrere Sicherheitsoffiziere an Bord, die den Kapitän unterstützen. Ähnlich wie der TÜV überprüfen internationale Klassifikationsgesellschaften (für viele Schiffe das der Germanische Lloyd, Norske Veritas oder andere) regelmäßig alle Schiffe und legen es bei gravierenden Mängeln an die Kette, bis Abhilfe geschaffen wird.
7. Wie kann es sein, wenn das Wetter in Ordnung war, dass ein Ozeanriese gegen einen Fels fährt? Menschliches Versagen, Instrumente kaputt?
PSW: Das kann der Fall sein, wenn zum Beispiel die gesamte Bordelektronik ausfüllt, in der Fachsprache ein sogenannter Blackout. Besonders in engen Gewässern wie Hafenansteuerungen oder beim Anlegen ist das für die Schiffsführung prekär. Selbst wie im Fall der hochmodernen und erst sechs Jahre alten COSTA CONCORDIA kann es dann schnell zu einer Grundberührung kommen. Oder bei Manöverfahrt durch den Swath-Effekt, wenn der Schiffskörper bei Kursänderungen einseitig tiefer eintaucht.
Menschliches Versagen spielt zwar in manchen Fällen (Alkohol, Müdigkeit, Krankheit; dies mehr auf Frachtern, deren Brücke oft nur mit dem wachhabenden Steuermann besetzt ist) auch eine Rolle, ist aber bei einem 290 Meter langen 114.000-Tonner auszuschließen. Die Brücke nämlich ist bei Revierfahrt mit Lotsen, Kapitän, Steuerleuten, Ausguck und Rudergänger besetzt. Die Havarie-Zeit lag zwei Stunden vor Mitternacht, wo alle noch hellwach und hochkonzentriert sind.
Warum die COSTA CONCORDIA so dicht unter Land gefahren ist, ist nicht nachvollziehbar. Der Unterwasserfelsen ist in jeder Seekarte (Papier, elektronisch) eingezeichnet. Wenn das Hindernis missachtet worden sein soll, dann läge in der Tat menschliches Versagen vor.
8. Ist die Sicherheit der Gäste auf Kreuzfahrtschiffen garantiert?
PSW: Nach meiner Erfahrung ja! An Land lebt es sich nachgewiesenermaßen gefährlich (siehe allein die jährliche Zahl von Verkehrstoten).
Jeder Gast sollte sich allerdings an die wenigen Vorschriften halten, durch die sein Urlaubsvergnügen in keiner Weise eingeschränkt wird. Kreuzfahrten sind und bleiben eine der sichersten Urlaubsformen.