Mit Lufthansa-Cargo-MD-11F in einer Woche um die halbe Welt
Zugegeben, von TEU verstehe ich mehr als von VIC. Aber immer, wenn ich mich auf der Seite www.flightradar24 getummelt habe, überkamen mich ein bisschen Neid und viel Neugier. Vor allem auf die Luftfrachter. Wofür ein Containerschiff Wochen durch die See stampfen muss, das packt ein Cargo-Flugzeug in einem Luftsprung von nur wenigen Stunden. Ich wollte deshalb die zuckenden kleinen gelben Flieger nicht nur sehnsüchtig auf der Bildschirmkarte verfolgen, sondern auch mal live dabei sein. Auf der Brücke, pardon: im Cockpit natürlich.
Das war mir auf dem Flug von Kanada in die USA allerdings noch nicht vergönnt. Ich wunderte mich jedoch, wieso zwei Uniformierte mit goldenen Streifen unter den Passagieren saßen. Aber man kann ja mal fragen, dachte ich mir, und steuerte einfach auf die beiden zu. Ob sie nicht eigentlich ins Cockpit gehörten, begann ich das Gespräch. Wie sich schnell herausstellte, waren es zwei Lufthansa-Cargo-Piloten. Die hatten gerade ihre Fracht in der kanadischen Metropole Toronto abgeliefert und waren auf dem Weg nach New York, wo sie nach einem Tag Pause die nächste Maschine nach Frankfurt übernehmen sollten. Spontan fragte ich, ob ich denn irgendwann mal mitfliegen könnte, um darüber zu berichten. Aus meiner wenig fachlich beleckten Sicht als Seemann und Schifffahrtsjournalist, der mit allen Wassern der Weltmeere gewaschen ist. Kapitän Jörg Degen gefällt die Idee und er bietet spontan an, das prüfen zu lassen: „Sie hören dann von mir“.
Networking the world
Jörg Degen hielt lufthanseatisch Wort. Schon nach wenigen Tagen kam Antwort: „Wir würden gern mal mit Ihnen darüber reden“. Also auf an den Main! Im LH-Airbus A 321 von Tegel nach Frankfurt hatte ich den Sitzplatz 11F – ein Fingerzeig?
Kapitän Jörg Degen nahm mich am Lufthansa-Cargo-Zentrum in Empfang. Mit dazu gesellte sich Tim Holderer, Communications-Referent und Senior First Officer MD-11F. Gemeinsam klärten wir die Modalitäten für meinen Mitflug als „Frachtbegleiter“. „Wir brauchen nur noch einen Termin“, erklärte Degen zuversichtlich, „dann kann´s losgehen“.
Von Tim Holderer erfahre ich beim Capuccino, dass die Frachttochter des Lufthansa-Konzerns zu den größten Cargo-Fluggesellschaften der Welt gehört und sich auf den sicheren und minutenpünktlichen Transport wertvoller Fracht spezialisiert hat wie Medikamente, Tiere, Obst, Blumen, Ersatzteile, Elektronik. Die Frachtgruppe Goldbarren, Kunstwerke oder Geld ewird von den Abfertigungsspezialisten nur kurz VIC genannt, Very Important Cargo. „Das alles muss schnell von einem Ende der Welt zum anderen geschafft werden“, erklärt er. Luftfracht werde eigentlich nur gebucht, wenn die Fracht entweder so extrem eilig, schnell verderblich oder wertvoll sei, dass Spediteure sie nicht in einen Container verladen können, der wochenlang auf See ist. Wie viel die Luftfracht prozentual in der Exportbilanz ausmache? Die Antwort erstaunt: nur ein Prozent, dafür rund 35 vom Wert her, bezogen auf das Volumen aller Verkehrsträger. Wobei zusätzlich die Frachtkapazitäten von über 300 Passagierflugzeugen des Konzerns vermarktet werden, was etwa der Hälfte der von Cargo transportierten Menge entspricht.
18 dreistrahlige Lufthansa-Cargo-Maschinen vom rund dreiundzwanzig Jahre alten, aber zuverlässigen Typ McDonnell-Douglas MD-11F – und seit 19. November einen sparsameren und leiseren Neuzugang vom Typ Boeing 777 F „Triple Seven“, der erste von fünf – bewältigen seit zwanzig Jahren ihr Fracht-Pensum von rund 1,8 Millionen Tonnen jährlich: in Umläufen mit einem Streckennetz von 300 Zielen auf vier Kontinenten. „Networking the world“, lautet denn auch konsequenterweise der Spruch auf dem Schlüsselanhänger, den Tim um den Hals hängen hat. Wobei auch die Vernetzung auf dem Land- und Seeweg gemeint ist. Kurios-elementare Beobachtung am Rande: Flugzeuge haben unter den Flügeln eine kilometerstarke Luft-, Schiffe unterm Kiel eine ebensolche Wassersäule. Sprachlich gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen: zum Beispiel Back- und Steuerbord, Laderaum, Trimm, (Flug-)Hafen, Kompasskurs. Und Strecken werden, nicht nur bei Wasserflugzeugen, in Nautical Miles, Seemeilen, gemessen. „Aber“, wendet Tim ein, „hier geht es nicht um Stunden oder Tage, sondern um Minuten“.
Cargo fliegen – etwas ganz Besonderes
Mitte November ist es schließlich soweit: Mein Traum soll tatsächlich in Erfüllung gehen – unfassbar, weil normalerweise so gut wie unmöglich. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt, aber ich habe nach gründlicher Hintergrund-Überprüfung offenbar problemlos alle Hürden nehmen können.
„Wollen Sie nur nach Frankfurt oder noch weiter?“ Als die Tegeler LH-Check-in-Kollegin Sharjah hört, fragt sie erstaunt zurück: „Ohne Boarding pass?“ Ja, ohne den – zum ersten Mal in meinem Leben.
Unter Seeleuten und Piloten ist es üblich, sich zu duzen. Jörg bietet das beim Briefing spontan an, und man fühlt sich sofort in den Kreis der sympathischen Lufthanseaten aufgenommen. Auch als zwei junge Frauen in legerem Zivil hinzustoßen. „Die einzige Cargo-Kapitänin Inge Kelderman und Christina Gaebel, eine von zwanzig Co-Pilotinnen“, stellt Tim sie vor. Wenig später starten sie per LH-Jumbo Boeing 747 als Passagiere nach Bangkok, um dort ihre MD-11F zu übernehmen. Wir erfahren nicht, ob sie vielleicht die erste Lufthansa-Cargo-Hilfslieferung in das philippinische Taifun-Katastrophengebiet transportieren. Aber das: „Cargo zu fliegen“, lächelt Inge Kelderman, „ist stressfreier als mit Passagieren“. Für Small talk reicht es noch, aber dann haben Kapitän und First Officer (FO) nur noch Augen für ihre Bildschirme: Flugstrecke, Wetter, Besonderheiten. „Anfangs noch leichter Tail Wind, Wind von achtern“, erklärt Jörg die Lage, „sieht insgesamt gut aus“. Sie wählen den kürzesten Weg – „um Sprit zu sparen und weil es um Minuten geht, sonst kommt der Umlaufplan durcheinander“, so Tim – aber die beiden machen sich auch Gedanken über Ausweichhäfen aufgrund möglicher Wetteränderungen. Inzwischen hat sich auch Dr. Jens Unger hinzugesellt. Der Psychologe und ehemalige Flugbegleiter ist Change Manager bei Lufthansa Cargo. Die Chance, „mal Frachter zu fliegen“, möchte auch er sich nicht entgehen lassen: „Um mir einen Eindruck zu verschaffen von den Arbeitsbedingungen der Piloten.
Millionenschwere 9 PS-VIC an Bord
Nach dem schnellen Studium des 15 Seiten umfassenden „Selbstbriefing“-Papiers für Fracht-/Tierbegleiter zum „Verhalten an Bord im Normal- und Notfall“, dem Ticket-Empfang und weiteren peniblen Pass- und Gepäckkontrollen, auch für die Besatzung, klettern wir Vier in den Crew-Bus. Dann stehen wir vor „unserem“ mächtigen Großraumflugzeug-Frachter von 115 Tonnen Leergewicht, 61,2 Meter Länge, 51,7 Meter Spannweite und 18 Meter Höhe. Beeindruckend! Seine Kennung D-ALCO. „Wobei, klar, D für Deutschland steht“, erklärt Jörg, „A heißt schwerer als 20 Tonnen, LC bedeutet Lufthansa Cargo und die Buchstaben A bis S sind die individuellen Kennzeichen der einzelnen Maschinen“. Alle 18 MD-11F-Haudegen sind – bis auf ihre Kennung – noch namenlos, was sich aber ändern soll. Nach der werksneuen „Triple-Seven“, die auf „Good Day USA!“ getauft wurde, sollen auch alle anderen Frachter einen Gruß-Namen bekommen. Vielleicht „Servus Bayern!“ oder „Moin, Moin Hamburg!“, wird im Cockpit scherzhaft spekuliert. Überragendes Charakteristikum: das dritte Triebwerk im Seitenleitwerk.
Die riesige Klappe des Frachtraums reckt sich in den Abendhimmel, den Scheinwerfer taghell erscheinen lassen. Es herrscht Hochbetrieb. Dick verschnürte Paletten werden auf einen Hublader gerollt und vom Verladepersonal im MD-11F-Bauch verstaut. Drei Container bleiben bis zum Schluss draußen. Nur durch ihr Schnauben – anders als die übrige anonyme Ladung – macht sich der Inhalt bemerkbar: Pferde. Ihre Begleiter, zwei holländische Pferdewirte von einem Gestüt, verraten mehr: „Das sind Renn- und Reitpferde des Scheichs von Sharjah. Wert zwischen einem und fünf Millionen Euro“. Also Quasi-VIC. Sie seien Vielflieger, höre ich, weil sie vom brütend heißen Golf-Sommer auf die grünen Wiesen von Europa gebracht werden. Zusätzlich seien sie jetzt vor dem Flug beruhigt worden. Ihre Boxen stehen ganz vorn im Frachtraum, damit sie von den Begleitern zum Tränken und Füttern jederzeit erreicht werden können. „Beim Start“, erklärt einer der beiden Holländer, „gehen sie hinten in die Knie und federn das ab. Hinlegen? Nee, die schlafen im Stehen“. Später dürfen wir die lebende königliche Millionenfracht von His Royal Highness sogar streicheln.
Gebetsmühle Check list
Zum Schluss werden in Kühlboxen noch Verpflegung und Getränke gebracht, die Jens und ich in den Kühlfächern verstauen. Die Kaffeemaschine verbreitet einen gemütlichen Duft in der kleinen Crew-Kabine. Dann heißt es: Klappe zu, Ladearbeiter samt Techniker von Bord und Ground Check. Kapitän Jörg Degen streift die Sicherheitsweste über und verlässt über die Gangway sein „268,8-Tonnen-Luftschiff“ – inklusive 93,8 Tonnen Maximal-Ladung und 60 Tonnen Kerosin -, um die Maschine von außen zu kontrollieren. Ich darf dabei sein. Er leuchtet per Taschenlampe den Rumpf ab, lässt den Lichtstrahl durch die 2,33 Meter hohen Triebwerkseinlässe über die Turbinenschaufeln gleiten, richtet ihn in die Schächte des Fahrwerks, überprüft Positionslaternen und Reifen. „Die sind nicht etwa abgenutzt“, lächelt Jörg, „wie manche Passagiere zu wissen glauben, sondern sie haben kein Profil, weil sich das nur ruck-zuck abradieren würde“. In Längsrichtung sind lediglich Rillen eingekerbt, um den Abnutzungszustand der Reifen besser beurteilen zu können. „Alles einwandfrei“, befindet Jörg und klettert wieder ins Cockpit. Hier wartet Tim schon mit der „Checklist“, die nahezu gebetsmühlenartig abgearbeitet werden muss. „Wir können das auch aus dem Kopf“, geht Tim auf meinen fragenden Blick ein, „aber hier darf kein einziger Punkt durch Vergessen unterschlagen werden. Sicherheit hat nun mal oberste Priorität“. Die einzelnen Punkte umfassen „Cockpit“, „Before Start“, „After Start“, „Parking“ und „Leaving Airplane“. Jörg hakt im englischen Okay-Dialog mit Tim alles ab: „Dann können wir…“ Über Funk meldet sich der Fahrer des PS-starken Pushback Trucks unter der Bugnase, der die MD-11 von der Parkposition wegziehen soll: „Kleinen Moment noch…“
Mal auf einem Frachter mitfahren
Eigentlich sollte es früher losgehen, um für unterwegs über dem Schwarzen Meer angesagten Gegenwind, head wind, auszugleichen. Wie gesagt, es geht um Minuten. Zum Zeichen, dass keine Hindernisse mehr rund um die Maschine stehen, reckt ein Techniker seinen rechten Daumen, Jörg quittiert mit seinem: „Alles klar!“, und Tim meldet das dem Tower. Der Truck zieht an und bringt seinen Riesenanhang in Rollposition, wo der Fahrer abkoppelt und das letzte Klarzeichen gibt. D-ALCG, Flugnummer LH 8458, rollt, angetrieben durch die eigene Kraft der Triebwerke, auf einem der zahlreichen Taxiways zur Startposition. Jörg steuert das Bugrad per Hand und muss in jeder Kurve weit ausholen, da die Haupt-Fahrwerksräder starr sind. Wie bei einem Fernlaster mit Sattelauflieger. Geschwindigkeit: etwa 15 Knoten – was der Geschwindigkeit so manch eines Frachtschiffs in voller Fahrt entspricht. „Wir sehen die immer nur unter uns dahin schleichen“, meint Jörg, der seinerseits einen Traum hat: „Mal auf einem Frachtschiff mitfahren, wenn´s Dienstplan und Familie erlauben“.
Angekommen und Stopp. Tim wickelt in „standardisierten Sprachgruppen“ – für mich typisches Fliegerkauderwelsch und kaum verständlich – den Funkverkehr mit dem Fluglotsen im Tower ab. „Lufthansa 8458 cleared for takeoff“, glaube ich über den Kopfhörer zu vernehmen. Angeschnallt mit Oberkörper- und Beingurten, warte ich angespannt in meinem erhöhten Sitz zwischen Kapitän und FO auf das Kommando-Prozedere. Vor mir leuchtet in bunten Farben die Instrumententafel und beleuchtet die Gesichter schemenhaft. Durch die großen Fenster – von Insidern wird das Cockpit daher auch liebevoll „Wintergarten der Lüfte“ genannt – schweift der 180-Grad-Blick vom strahlenden Flughafengebäude über die voraus blinkende Startbahn, deren gelbe Lichter sich nach hinten perspektivisch zu einem Punkt verengen.
Kommando-Prozedere vor Flug-Physik
„Take off!“, gibt Kapitän Jörg auf Lotsen-Anweisung an seinen FO das Kommando, der die Maschine steuert. Die drei General-Electric-Turbinen heulen auf: Beginn des Startlaufs. „Go!“ heißt der nächste Schritt, wenn der Start nicht mehr abgebrochen werden kann. Die Lichter an Back- und Steuerbord flitzen immer schneller vorbei, verwandeln sich zu einer durchgehenden Leuchtspur. Dann um 22.20 Uhr, 40 Minuten vor dem Beginn des Nachtflugverbots, das Finale: „Rotate!“ Abheben bei 330 km/h oder 178 Knoten mit 57.160 Pounds Maximal-Schub. Tim zieht die Maschine hoch, steil reckt sie ihre Nase in den Himmel. Die Bodenlichter verquirlen in den Wolken, als D-ALCG sich in die Kurve legt und eine Schleife zieht. Auf 22.000 Fuß lässt Tim die MD-11F klettern, trimmt sie waagerecht und steuert die Automatik auf 135 Grad ein. „Die MD-11F“, erklärt Jörg, „ist eines der anspruchsvollsten Großflugzeuge und dem Piloten bleibt weniger Zeit zu reagieren. Warum? Sie hat die gleiche Bauweise wie die Passagierversion, ist aber, um Fracht fliegen zu können, für höhere Start- und Landegewichte zugelassen“. Das Nachfolgemodell der ursprünglichen DC 10 sei einfach verlängert worden, wobei man die Steuerflächen nicht angepasst habe. „Aber“, so Jörg in seinem Kurzreferat weiter, „bei relativ kleineren Steuerflächen muss man 40 bis 50 km/h schneller anfliegen und braucht längere Landedistanzen als zum Beispiel der A 380 oder Jumbo. Dafür hat sie allerdings längere Landeklappen. Alles zusammen genommen werden Flügelfläche und –krümmung vergrößert und der Auftrieb erhöht“.
Die Lichtpünktchen von Würzburg und Nürnberg verabschieden sich durch Wolkenlücken. Weiter führt der Kurs, wie das Navigationsdisplay zeigt, über die Alpen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Ukraine, Türkei, Irak, Kuwait bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten am Persischen Golf. Immer wieder avisiert Jörg als „Pilot Not Flying“ LH 8458 über Funk bei den diversen Bodenstationen. „Jeder Überflug muss schon lange im Voraus angemeldet werden“, erklärt er, „was natürlich auch mit Kosten verbunden ist“.
Romantik im Mondschein mit Elmsfeuer
Dinner time: Der Kapitän höchstpersönlich erwärmt in der Galley das Business-Class-Abendessen: ob Lachs, Steak, Huhn oder Lasagne – wir haben die Auswahl. Dazu werden selbstverständlich nur alkoholfreie Getränke serviert. Das übernehmen Jens und ich, die Frachtbegleiter, als „Saftschubser“ ehrenhalber. Gegessen wird mit Tablett auf den Knien im Cockpit. Regelrecht romantisch wird es, als der Vollmond ins Cockpit blinzelt und die wolkenfreie türkische Schwarzmeerküste mit dem tief verschneiten Pontischen Gebirge in ein magisches Licht taucht. Eine Sicht, wie man sie nur aus dem Cockpit haben kann! Noch nie war ich den Sternen so nahe. Tim empfindet das immer wieder genauso.
Wenig später: Über dem Irak tobt ein Gewitter, die Maschine wird gerüttelt und geschüttelt, grüne Elmsfeuer zucken beängstigend über die Frontscheiben. Ich erinnere mich an den Film „Moby Dick“, in dem elektrische Entladungen vom Mast abgeleitet wurden. Ich hielt das bisher für einen filmischen Dramaturgie-Trick. Unsere königlichen 9 PS ficht das nicht an. Sie schlafen wie ihre Betreuer, die sich allerdings in den bequemen, zu Liegen umfunktionierten First-Class-Sesseln ausgestreckt haben. Für Kapitän und FO gibt es das nicht, im Gegensatz zur Seefahrt. Dort steht vier bis sechs Stunden lang immer nur ein Mann auf der Brücke. Jörg begründet knapp und Tim ergänzt: „Toilette natürlich ja, aber ein Nickerchen nein!“ „Eine Wachablösung ist aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Plötzlicher Druckabfall oder Sauerstoffverlust kann zur Ohnmacht führen. Folglich müssen immer zwei Mann vorn sein“.
Hoch konzentriert geht der FO den Landeanflug auf Sharjah an. Bis an Backbord die 828 Meter aufragende Beton- und Glasnadel des Burj Khalifa, höchstes Gebäude der Erde, im Wüsten-Morgendunst auftaucht. Salzhaltige Luft verklebt die Frontscheiben, so dass Tim die Scheibenwischer einschalten muss. Nach sechs Stunden Flugzeit und 2707 Nautischen Meilen setzt der Frachter watteweich auf und wir werden in die Gurte gepresst. Frankfurter Zeit: 04.15, Ortszeit: 07.05. Rumpelnd rollt D-ALCG zu ihrer Position vor einer Frachthalle. „Nur 50 Tonnen Spritverbrauch dank Jet stream“, ist Senior-FO Tim zufrieden, „bleiben noch knapp acht in den Tanks, die für eine Reserve-Flugstunde reichen“.
Nebenan parkt die Schwestermaschine D-ALCB, die zurück nach Frankfurt fliegen soll.
City-Blick an der Luxus-Lagune
Die Tür öffnet sich. „Zabaach Alchär! Guten Morgen!“ werden wir vom arabischen Lademeister auf der Gangway begrüßt. Sommerlich warme Luft – 18 Grad mehr als in Frankfurt – schlägt uns entgegen. „Zuerst müssen die Pferde raus“, melden sich die Tierpfleger zu Wort, als die Ladepforte ausschwenkt. Tatsächlich, nur Minuten später stehen die drei Boxen neben der Maschine. Neugierig strecken die Edelblüter ihre Köpfe heraus und lassen sich streicheln. Als ob nichts gewesen wäre.
Die Passkontrolle zieht sich. Schwarz gewandete Frauen blättern gelangweilt in den Papieren, halten mit der Nachbarin ein Schwätzchen oder telefonieren, und die Crew ist hundemüde. „Wir brauchen unsere acht Stunden Schlaf“, rollt Jörg mit den Augen, lässt sich, diplomatisch, wie er ist, aber nichts anmerken und lächelt. Dann knallen endlich die Stempel in die Dokumente.
Der Crew-Bus steht schon vor dem Terminal bereit. Über die beidseitig 16-spurige Autobahn schleichen wir im morgendlichen Stop-and-Go ins zehn Kilometer entfernte Dubai, barrierefrei. Grenzen gibt es in den VAE nicht.
Frühstückspause im bombastischen Intercontinental, denn die Zimmer sind noch nicht frei.
Endlich können wir uns verziehen, nicht ohne uns zu 17 Uhr in der goldglänzenden Lobby verabredet zu haben. Auf dem Programm: nur noch Klamotten runter, duschen und schlafen. Bis Presslufthammerschläge aus der Tiefe mich gegen Mittag aufschrecken, trotz Ohropax. Aber: Wer schläft hier noch um diese Zeit? Baumaßnahmen, sorry, man bittet um Entschuldigung, lese ich auf einem Papier. Also früher aufstehen und die Gegend ums Hotel erkunden, das in eine künstlich angelegte Lagune mit Luxusyacht-Hafen, Heliport und Vergnügungspark eingebettet ist – mit Blick hinüber zu den Wolkenkratzern von Dubai City. Schnell noch einen Capuccino auf der Terrasse, bevor wir uns treffen. Gut geschlafen, möchte ich wissen? Der hammerharte Krach ist Jörg und Tim erspart geblieben, da sie j.h.o. untergebracht sind, „janz hoch oben“ im 39. Stock. Und der Biorhythmus kombiniert mit Jet-lag? „Ich mach das“, erklärt Jörg, „was mein Körper will“.
Piraten und Gourmetfreuden
„Reiseleiter“ Jörg, wie Tim statt Uniform in legerem Freizeitlook, schlägt vor, per Taxi in die Altstadt zu fahren. Die Eingangs- und Wagentüren werden von einem gutmütigen Pakistani-Riesen aufgehalten, der mit seinen 2,25 Metern alle überragt. Endstation die Baniyas Road am Dubai Creek. Wir gönnen uns einen frisch gepressten Maracuja-Saft und bummeln am Kai entlang, an denen hoch beladene hölzerne Dhaus festgemacht haben. Kartons mit Fernsehern, Waschmaschinen und Computern stapeln sich unbewacht auf der Pier. Seeleute, Piraten aus 1001er Nacht nicht unähnlich, turnen auf den Warenstapeln herum.
In den Basaren des Alten Souk schnuppern wir Orient pur, lesen aber auch selbst gemalte Lock-Schilder wie „ALDI Süd, alles billiger“, lassen uns mit einer traditionellen Abra-Fähre – ein Muss in Dubai – tuckernd über den Creek setzen und tauchen ab in das „Al Shindaga Historical Heritage Village“ der komplett in altarabischem Lehmbau-Stil restaurierten Altstadt. Die Frau eines spanischen Flugkapitäns führt über das Gelände, lässt uns vor Holzschiffen im Modell und Original staunen, an exotischen Gewürzen schnuppern, ein rustikales Beduinen-Zeltlager durchstreifen mit Wüstensand-Dünen und handzahmen Kamelen – Jens würde am liebsten „seins“ mitnehmen -, auch Handwerkern auf die geschickten Finger schauen. „Das ist Bildung pur“, freuen sich die Piloten über den gelungenen Landgang, „die immer wieder den Horizont weitet“. Gourmetfreuden krönen den Abend, denn die Luftfracht-Schiffer können diese Nacht durchschlafen. Wir speisen fürstlich unter Palmen bei Mondschein im weichen Nachtwind. Seeleuten im Container-Zeitalter sind derartige Freuden eher selten vergönnt. Ich kann nur auf früher verweisen, als es manchmal noch wochenlange Liegezeiten gab, sogar mit Familien-Landanschluss. Das waren noch Zeiten…
Gnadenlos klingelt um 05.15 Uhr das Kapitäns-Wecktelefon. „Guten Morgen!“, meldet sich Jörg gut gelaunt, „na, schon munter? In einer Stunde treffen wir uns unten“. Punkt 06.15 Uhr geht´s in einer halben Stunde zurück zum Airport, auch auf der Gegenseite nur in achtspurigem Schleichtempo.
Luftbild-Geographie aus erster Hand
Wieder die obligatorischen Kontrollen, bis wir endlich vor unserem nächsten Frachter stehen. Diesmal ist es D-ALCA, die erste MD-11F, die an Lufthansa ausgeliefert wurde. In der Lufthansa-Cargo-Flotte fliegt auch die letzte der Baureihe, von der insgesamt 200 die Werkshallen in Seattle verließen. Die vorherige D-LCG ist schon längst weiter geflogen mit einer anderen Wechsel-Crew. „Jede Maschine“, informiert Jörg, „ist rund 14 Stunden pro Tag in der Luft, die durchschnittliche Flugzeit beträgt sechs Stunden bis zur nächsten Übernachtung“.
Diesmal sind nur 7,7 Tonnen Fracht im Laderaum. „Leichtgewicht, für unseren Flug und sparsamen Verbrauch nur von Vorteil“, freut sich der Kapitän, „auch wenn wir natürlich viel lieber voll beladen fliegen“. Pünktlich um acht Uhr meldet die Flugnummer LH 8470 „klar zum Abflug“. Nachdem der Pushback Truck rückwärts gezogen und abgekoppelt hat, rollt die Maschine zügig zur Startposition und hebt voll im Plan um 08.15 Uhr ab.
Die Luft ist klar – aus dem Cockpit ein filmreifer Seh-Genuss: Luftbild-Geographie hautnah. Unter uns gleitet mit knapper Schallgeschwindigkeit die Wüsten-Gebirgslandschaft von Oman hindurch. Zeit zum Schauen bleibt bei der Höhe allemal. Nach der Halbinsel Mussandam queren wir die schmale Straße von Hormuz, durch die spielzeugklein gewaltige Supertanker im Schneckentempo schäumen.
Entlang der siedlungsleeren iranischen Küste mit endlosen weißen Sandstränden schießt LH 8470 nach Südosten: über Pakistan mit dem mächtigen Indus hinweg und hinein nach Indien, bis an Backbord eine schneebedeckte Gebirgskette auftaucht: der nepalesische Himalaya, mit über 8000 Metern höchstes Gebirge der Welt. Es scheint, als würden wir unterhalb der vereisten Gipfelflur fliegen, tatsächlich aber, weil wir mit dem Startgewicht von weniger als 160 Tonnen relativ leicht sind, in 41.000 Fuß, also rund 4500 Meter höher. Dann zeigt er sich in unfassbaren rund 200 Meilen Abstand fast zum Greifen nahe: der Mount Everest, König aller Berge. Jens reicht gekonnt – denn seine Stewardqualitäten hat er nicht verlernt – das Lunch für den Verzehr auf Knien. „Alltag für uns“, kommentiert das der Kapitän und lässt sich´s mit Gebirgsblick schmecken.
Kontrastprogramm Bangladesh mit dem ausschweifend pendelnden Ganges-Bramaputra-Delta. Myanmar, das ehemalige Birma, zeigt tropisch-üppiges Grün. Krass: Außentemperatur: winterlich-hocharktische minus 60 Grad, Backofen am Boden bei über plus 30 Grad Celsius. „Da unten am rechten Flussufer“, zeigt Jörg auf die PC-Karte, „verläuft die chinesische Grenze“, die ich mit eigenen Augen sehe. Wir schweben über das Reich der Mitte und landen nach einer großen Schleife über das Lichtermeer und die Südchinesische See auf der Insel Lantau mit dem weitläufigen Flughafen von Hong Kong. Wieder butterweich und minutengenau: um 19.00 Uhr, fernöstliche sieben Stunden voraus gegenüber Frankfurt und 16 Grad wärmer. 3417 Meilen oder sieben Flugstunden von Sharjah entfernt. „Langstrecke ist Reisen, immer was Neues“, grinst Tim, „aber Kurzstrecke, das bedeutet Fliegen pur“.
Avenue of Stars mit Bauernnacht
Unkompliziert die Immigration, schnell der Crewbus-Transfer nach downtown Hong Kong Island, dem früheren Victoria: auf einem gut ausgebauten Highway am Hafen entlang mit unzähligen Containerfrachtern, die Wochen bis hierher gebraucht haben, und Wohnmaschinen aus tausenden von erleuchteten Waben. Im pompösen „Renaissance-Hong Kong Harbour-View-Hotel“ sind wir angemeldet. Unsere Lufthansa-Cargo-Residenz bis zum nächsten Abend. Der City-Hafen-Blick aus dem 39. und höchsten Stock auf die in allen Farben schillernde Metropole ist geradezu atemberaubend. Nur aus der MD-11F ist er natürlich besser, anders eben.
Munter, wie wir noch sind, hält uns nichts im Hotel. An der nahe gelegenen Wan Chai Ferry Pier gehen wir an Bord. Stampfend und rollend im Schwell der vielen Boote schippern wir mit einer der grün-weißen legendären Star-Line-Fähren über den Victoria Harbour nach Kowloon auf dem chinesischen Festland. Vom Heck aus bestaunen wir die grell illuminierte Skyline von Hong Kong Island. Vom angestrahlten Clock Tower, Big Ben in London nachempfunden, lassen wir uns im Menschenstrom über die berühmte Avenue of Stars treiben. Hin und wieder wandert der Blick auch zur Sternkulisse, vor der Flugzeuge wie zum Abschied blinkend über die Stadt düsen. „Grüßt ihr euch eigentlich bei Begegnungen unterwegs?“, möchte ich nebenbei wissen. Unter Kollegen mit Scheinwerfer-Signalen hin und wieder schon, erfahre ich, ähnlich wie bei Fernlastern auf der Straße.
Gegenüber vom HK Space und Museum of Art tauchen wir ab in die koloniale Glitzerwelt des „Peninsula“, dem bekanntesten und wohl ältesten Hotel von Hong Kong. In der Sky Bar mit Harbour-Blick gönnen wir uns zwei Bier und lauschen den Klängen einer Jazz-Band. Jens empfiehlt einen Gang zum Rest Room, „ihr werdet staunen!“ Ich halte die Säulen für Handwaschbecken, frage aber beim Wärter vorsichtshalber mal nach, wo denn die Toiletten seien. Stumme Geste, und er zeigt auf die Säulen, die direkt am Fenster stehen, das bis zum Boden reicht. Hier, vor aller Augen aus den gegenüberliegenden Häusern, das Geschäft verrichten…?? Da muss man sich schon überwinden und mehr die innenarchitektonische Idee dahinter sehen. Nur welche? Solche und andere Tipps geben Piloten gern an ihre rund 400 Cargo-Kollegen weiter.
Zurück geht es per Taxi durch den Cross Harbour Tunnel ins Hotel. „Wir können ausschlafen“, freuen sich Jörg und Tim auf die „Bauernnacht“, „bis morgen um zehn Uhr!“
Subtropisch-sibirisches Temperaturgefälle
Nach gemütlichem Frühstück ist noch ein Spaziergang auf der Uferpromenade der Expo Drive drin mit Segeldschunken-Vorbeifahrt, Hubschrauber-Landungen und jungen Chinesinnen, die mit der „Langnase“ unbedingt fotografiert werden wollen; ein indischer Wahrsager liest mir ein langes Leben aus der Hand und Angler ziehen exotische Fische an Land. Begegnungen der dritten Art.
13 Uhr: Treffen mit der Crew und auf zu neuen Ufern. Die doppelstöckige Uralt-Straßenbahn rumpelt mit uns durch die Gloucester Road. Zu Fuß geht es bei plus 23 Grad weiter durch fernöstliches Getümmel zur Talstation der „The Peak Tram Station“. Die Standseilbahn aus schweizerischer Produktion zieht uns hinauf zum 550 Meter hohen Gipfel, dem die schillernde Stadt zu Füßen liegt. Zurück nehmen wir staunend den Weg durch subtropische Vegetation, in der unter Brettwurzel-Baumriesen auch eine riesige Vogelvoliere versteckt ist. Exotische Arten aus der Region flattern uns elegant um die Köpfe, während unter den Laufstegen ein Wildbach hindurch gurgelt. Bis uns die Sieben-Millionen-Metropole wieder hat. Ein schneller Imbiss „beim Chinesen“ und dann ruft schon wieder das Bett. „Vielleicht“, orakelt Jörg, „wird´s nachher etwas später, weil es auf unserer Strecke Probleme mit der Satellitenkommunikation gab. Mal horchen, was die Kollegen sagen“. Ansonsten müssen Alternativrouten überlegt werden, für die auch mehr Sprit gebraucht werde. Zwei Stunden bleiben zum Packen, Ausstrecken und Duschen, bis uns der Bus um 19.45 Uhr wieder abholt.
Fast schon routinemäßig läuft bei Jens und mir das Programm ab – frotzelt Jörg: „Jens und du, ihr könntet bald das Kommando übernehmen“ – bis zum Start. Unser neues Zuhause für gut sechs Stunden: D-ALCO mit der Flugnummer LH 8453. Die beiden Piloten absolvieren ihre Außen- und Innenchecks, Jens nimmt die Verpflegungsboxen entgegen und wir räumen sie ein. Klappen dicht, Taxiway und ab geht´s – mit letzten Blicken herab auf die Glühwürmchen der Weltmetropole, bis wir wieder über den Wolken schweben. Spontan muss ich den bekannten Song von Reinhard May summen. Unsere Route führt über chinesisches Tief- und Hochland mit der seit Karl May und Sven Hedin bekannten Wüste Takla Makan sowie über den fast 7000 Meter hohen Tienschan-Rücken, das Himmelsgebirge. Seine Spitzen, mystisch vom Mondlicht bestrahlt – scheinen am Rumpf zu kratzen, „aber wir sind noch 2000 Meter drüber“, beruhigt Jörg. Kein Licht flackert zu uns nach oben, alles menschenleer und minus 30 Grad am Boden kalt. Auch in der Luft sind wir allein, kein Kollege weit und breit.
Frostiger Empfang und „Wassermusik“
„Guten Morgen!“, weckt Jörg über Bordlautsprecher Ex-Flugbegleiter Jens, der sich im Liegesessel lang gemacht hat, „noch eine halbe Stunde bis zur Landung“. Um 02 Uhr kommt an Backbord voraus Almaty in Sicht. Das Prädikat „größte Meeresferne“ konnte die Ex-Hauptstadt von Kasachstan für sich beanspruchen.
Nach 2453 Meilen und einem Spritverbrauch von 55 Tonnen wegen heftigem Headwind setzt unser Frachter mit einem Landegewicht von 222 Tonnen sanft auf. Geparkt wird in der Nähe von zwei Museumsflugzeugen: einer dreistrahligen TU-154 und einer viermotorigen IL-18, beide schneeverpackt.
Temperaturschock beim Öffnen der Tür: minus 14 Grad, so dass sich Jens gleich seine Tschapka-Fellmütze aufsetzt. Solche Kopfbedeckungen tragen auch die Kasachen, die uns begrüßen. Braunkohle-Geruch wie zu DDR-Zeiten ätzt die Nasenschleimhäute. „Jeder Flughafen“, schnuppert Jörg, „hat seinen spezifischen Geruch“.
Wir müssen das Gepäck ins Wageninnere wuchten, weil die Bus-Heckklappe eingefroren ist. Schleppende muffig-gelangweilt-penible Kontrollen ohne eine Miene zu verziehen, trotz freundlichem „Dobre utro! Guten Morgen!“ von uns. Ein kostenloses Lächeln macht offenbar zu viel Mühe. Schließlich erledigen die nach sowjetischem Muster uniformierten Damen ihren Job nicht zum Vergnügen.
Durch die tief verschneite Vorstadt mit windschiefen Holzhäuschen rollen wir über autofreie mehrspurige Boulevards ins hypermoderne Zentrum mit seinen angestrahlten Protzbauten, zum Teil noch in stalinistischem Stil. Erdöl und –gas haben diese Monumental-Show möglich gemacht.
Stop vor dem scheunentorgroßen Empfangsbereich des „Intercontinental Almaty“. Eine zehn Meter hohe, mit bunten Kugeln behängte Tanne suggeriert Weihnachtsstimmung, sanfte Klänge umwehen uns: Händels „Wassermusik“. Künstliche Palmen recken sich im Atrium in die Höhe. Ein gastfreundliches Ambiente und endlich auch freundlich lächelnde Gesichter. Die Damen an der Rezeption strahlen über das frühmorgendliche Kompliment. Noch ein schnelles Frühstück, dann ab in die Falle. Ab vier Uhr heißt es nur noch Ausschlafen bis zum Aufwachen. Und Tschüss bis 14 Uhr!
Mit dem Kapitän Schlitten gefahren
Sonnenschein und knackiger Frost. Dick vermummt machen wir uns auf einen kilometerlangen Sightseeing-Marsch durch die schachbrettartig angelegten Straßen von Almaty, „Herkunftsstadt der Apfelbäume“, architektonisches Kontrastprogramm inklusive. Nobelkarossen beherrschen den unablässig fließenden Verkehrsstrom.
Tim führt uns bis vor eine Seilbahnstation im Stadtteil Satpaeva. In fünf Minuten landen wir – nach tiefen Einblicken in kasachische Hinterhöfe – auf 1100 Meter Höhe des Kok-Tobe. Der Blick nach Osten zum überpuderten Tienschan ist atemberaubend. Mehr noch das anschließende Rodelvergnügen, wobei wir mit dem Kapitän Schlitten fahren dürfen. Auf einer schienenfesten Umlaufbahn am Berghang über der Stadt. In jedem von uns wird das „Kind im Manne“ wach und man möchte nicht aufhören mit dem Spiel. Danach sind wir hungrig und steuern das Restaurant an, vor dem wärmende Holzfeuer brennen.
„Heute ist Captains Dinner!“, lädt Jörg uns zu kasachischen Spezialitäten ein: Fleisch vom Pferd wird serviert, aber auch Lamm und Ziege. Zum ersten Mal trinken wir säuerliche Kamelmilch und sind angenehm überrascht. Bei Sonnenuntergang machen wir uns zu Fuß auf den Rückweg, denn sitzen müssen wir noch lange genug.
Erbarmungslos werden wir um ein Uhr früh geweckt. Abfahrt zwei Uhr. Wieder ein Kontrollmarathon, diesmal durch den Passagierbereich.
D-ALCI steht mit 90 Tonnen vollbeladen vor uns. Unter der neuen Flugnummer LH 8575 rollen wir an, um 03.45 Uhr über den Taxiway und heben um vier Uhr ab mit Heimatkurs. Vorbei am Balchaschsee, queren voller Verpflegungsration die Hungersteppe, den Aralsee, das Kaspische Meer, die Ukraine und schließlich Polen, über dem wir sogar meinen Geburtsort im Wartheland streifen.
Punkt 05.30 Uhr, das Nachtflugverbot gilt jetzt nicht mehr, setzt Tim den Riesenvogel nach sieben Stunden, 2965 Meilen und 55 Tonnen Spritverbrauch routiniert-gekonnt auf die Frankfurter Landebahn. Es gibt Beifall von vier Händen und Daumen hoch fürs Erinnerungsfoto: „Gut gemacht!“ Auf dem „Tacho“ stehen jetzt rund 22.000 eindrucksreiche Kilometer, einmal halb um die Welt – und das in nur einer Woche: mit Be- und Entladen hochwertiger Fracht, Technik-Checks, Ruhepausen, Klimawechsel. „Da sag´ noch einer“, lächelt Tim, „Cargo sei langweilig“. Jörg greift das auf: „Tja, mit Cargo kann man was erleben!“
Beim Einchecken zurück nach Berlin-Tegel verirre ich mich vor den First-Class-Counter. „Erste Klasse hatte ich gerade reichlich“, bekommt die Dame zur Antwort, die mich auf meinen Irrtum hingewiesen hat, „denn ich bin Lufthansa Cargo geflogen!“
Eine Woche später dampfe ich bereits auf Höhe Null mit 1100 Containern durchs Mittelmeer nach Nahost und halte meine Cargo-Erlebnisse fast schon wieder für einen Traum.
Fotos: CTOUR/Dr. Peer Schmidt-Walther, privat