Tiefhängende graue Dezember-Wolken jagen von Nordost über den Stralsunder Hafen. Schiffsführer Manfred Volz und Bootsmann Thomas Berger, beide aus Wolgast, ficht das nicht an. „Aber da draußen“, meint Volz und zeigt auf den Sund hinaus, „werden wir noch ganz hübsch einen auf die Mütze kriegen“.GMS „Aken“ fährt seit 2012 die Route nach Hiddensee, um Massengut auf die autofreie Insel zu bringen sowie Schrott, Schutt und Müll von dort abzuholen. Eine Drei-Stunden- oder 18 Seemeilen-Reise. „Bei 20 Fuhren pro Jahr rechnet sich das“, meint Nils Gottschalk von der Firma Hiddenseer Logistik GmbH. Gemeinsam mit Torsten Müller, dem Inhaber der Stralsunder Schiffsmaklerei TM-Shipping, betreibt er die betagte, aber bestens gepflegte Schiffsdame.
Für die Strandsaison rüsten
Seit 9. September hat der einzige am Sund registrierte Binnenfrachter noch einen ganz speziellen Job im Auftrag des Küstenschutzes: rund 10.500 neue Buhnen zur Insel hinüberzuschaffen und die alten vom Ende der sechziger Jahre abzufahren. „Schuld an allem ist teredo navalis“, erklärt Gottschalk, „ein Schiffsbohrwurm, der eigentlich eine Muschel ist“. Der habe den über Wasser ragenden Kopf der Pfähle zerfressen. Für die Baumaßnahme habe das Rostocker Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt (StALU) 4,4 Millionen Euro veranschlagt. Zwei mittelständische Spezialfirmen aus Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, zu einer „Arbeitsgemeinschaft Buhnenbau Hiddensee“ vereint, bekamen den Zuschlag. Mit zehn Mann, vier Baggern und zwei Radladern wollen sie den Auftrag bis März vor der Strandsaison erledigt haben, wenn das Wetter mitspielt. „Noch läuft alles bestens“, freut sich Nils Gottschalk, „wenn nicht, haben wir noch Zeit bis September“.
Nicht nur den Äquator überquert
Währen der bewegten Überfahrt zum Hafen Vitte – kein anderes Schiff kommt entgegen – kann Manfred Volz entspannt aus dem Nähkästchen plaudern. 7654 Buhnen aus Eukalypthus-Holz kamen per Containerfrachter aus Durban in Südafrika und haben dabei sowohl den Äquator als auch den Nullmeridian überquert. 2840 stammen aus einheimischen Wäldern. Ihr Einzelgewicht bei 30 Zentimetern Durchmesser: zwischen 100 und 400 Kilo. Ein Gesamtgewicht also von 2802 Tonnen. 850 Buhnen oder 240 Tonnen kann die „Aken“ pro Reise – drei pro Woche – wegschleppen und nimmt rund 150 Tonnen Altmaterial, das zum freien Verkauf steht, für die Rückfahrt mit. „Wir haben auch“, sagt Völz, vor ein paar Jahren Rasengittersteine gefahren, die gegen die Wildschweinwühlerei in den Deich vor Neuendorf eingebaut wurden“.
In Vitte steht ein von der Insellogistik gecharterter LKW mit Ladekran schon bereit. Das Anlegemanöver im kleinen Fischereihafen zieht Zuschauer an, als sich der Sound des bullernden Sechs-Zylinders an der Kaimauer bricht und reflektiert wird. Selbst auf youtube ist sie schon ein Star. Immer wenn Kapitän Manfred Volz den 300 PS-Diesel, ein Schwergewicht von 8,4 Tonnen, startet oder umsteuert, gibt es Fans, die den satten Buller-Sound per Handy aufnehmen. „Mega…!“ können sie dann nur noch stöhnen und die Augen verdrehen wie andere bei Dampflok-, Motorrad- oder Flugzeug-Geräuschen. Seit 1961 versieht die gepflegte SKL-Maschine aus Magdeburg weitgehend störungsfrei ihren Dienst und verbraucht gerade mal 35 Liter Diesel pro Stunde. „Etwa so viel wie ein Laster“, rechnet er vor, „wir sind zwar langsamer, aber können neunzehn mal so viel transportieren“.
Bewegt-bewegende Geschichte
Thomas Berger schiebt indes die Luke auf und bald packt der Greifer zu, bis der Laderaum leer und die Ladefläche voll ist. Am Weststrand werden fast pausenlos die morschen Zähne gezogen, Gräben senkrecht bis zum Deich ausgehoben – dabei kam sogar ein Bernsteinklumpen von 180 Gramm Gewicht zum Vorschein – und die neuen Buhnen per Vibrationsramme in den Sand gehämmert.
Manfred Völz hat derweil Zeit für die bewegte maritime „Aken“-Geschichte, die staunen lässt. 1928 wurde sie im niederländischen Amsterdam als „Josephina Speer“ gebaut, und zwar als solider Schleppkahn aus acht Millimeter dickem Stahlblech. Im Zweiten Weltkrieg wurde er beschlagnahmt und umgebaut. Das Vorschiff erhielt eine Klappe. Fünf Panzer sollten in dem Landungsprahm über den Ärmelkanal nach England gebracht werden. „Unternehmen Seelöwe“ wurde der Invasionsplan genannt, der zum Glück dank der Landung der Alliierten 1944 in der Normandie scheiterte. Das Kriegsende überstand das Schiff im Berliner Westhafen. Damit war das Leben des Kahns gerettet. „Josephina Speer“ wurde schließlich von der sowjetischen Besatzungszone übernommen, die sie in ihre neu entstandene Binnenschiffsflotte einreihte und „GD 413“ nannte. Mit Reparationsgut beladen steuerte sie mehrmals den Hafen Stettin an, von wo die Ladung per Seeschiff in die Sowjetunion ging.
Schiff mit „West-Stempel“
1947 übernahm Robert Loch aus Aken an der Elbe den Kahn als Schiffsführer. Unter seiner Regie wurde „GD 413“ in ein ziviles Frachtschiff zurückgebaut ohne Betonboden, Klappe und mit neuem Bug und Namen: „DSU 528“, dem Kürzel des neuen Eigentümers Deutsche Schiffsbetriebs- und Umschlaggesellschaft. „DSU 413“ erhielt fortan die höchste Klasse für Bodden, Haff und Flüsse. Heute darf GMS „Aken“ sogar die Zone 2 befahren, also bis zu einem Küstenabstand von zwei Seemeilen.
1960 wurde sie in Aken zum Motorschiff umgebaut, in die Flotte des VEB Deutsche Binnenreederei Berlin/DDR eingereiht und nach Fertigstellung 1961 in „Aken“ umbenannt mit Heimathafen Stralsund. Den Namen trug bis dahin der Seitenrad-Schleppdampfer „Aken“, der verschrottet wurde.
1981 richtete man auf der Elbe eine Stückgutlinie ein, die Sohn Rudolf Loch befuhr und dabei auch Lehrlinge ausbildete, was der „Aken“ den Titel „Lehrschiff“ einbrachte. Als schließlich Großkessel von Dresden nach Hennigsdorf befördert werden sollten, brauchte die Besatzung „West-Stempel“ für die Fahrt durch West-Berlin. Dann wurde allerdings die Stammbesatzung durch „linientreue“ Kollegen ersetzt.
Ablegen nach Hause
Mit dem Fall der Mauer standen auch der „Aken“ die europäischen Wasserstraßen offen. Doch 1991 war die Binnenreederei am Ende. „Aken“ wurde wie viele andere Schiffe im Baggerloch von Rogätz bei Magdeburg aufgelegt. Bis sie der Wolgaster Schiffer Horst Dudeck 1992 entdeckte und kaufte. Sein Schwiegersohn Manfred Volz übernahm dann die Schiffsführung über den nächsten Besitzerwechsel 2012 hinaus. Er wird unterstützt von Thomas Berger, der als Steuermann ohne Patent und Bootsmann angemustert hat. Der gelernte Maler und Lackierer ist er stolz auf den guten Pflegezustand „seines“ Schiffes, das erst wieder 2021 zur Revision, dem Schiffs-TÜV, muss. Manfred Volz sorgte vorher schon für ein neues Steuerhaus und moderne technische Ausrüstung samt Inneneinrichtung der Kabinen im Vor- und Achterschiff. „Nach Feierabend macht jeder seins“, erklärt Volz, „denn Thomas hat doch ganz andere Interessen als ich“.
Dann kann abgelegt werden zur Heimreise nach Stralsund, wo neue Holz-Ladung bereits wartet. „Stralsund traffic“ wünscht über Funk „gute Fahrt“, Manfred Volz im Gegenzug „gute Wache!“.
Infos: GMS (Gütermotorschiff) AKEN; Bauwerft: Amsterdam, Niederlande als Schleppkahn; Kriegseinsatz als umgebauter Landprahm für „Unternehmen Seelöwe“/Invasion Englands; Kriegsende im Westhafen Berlin; 1947 Rückbau zum Frachtkahn; 1960: Umbau zum Motorschiff; Länge: 50,55 m; Breite: 6,61 m; Tiefgang (max.): 2,15 m; Ladung: 466 t; Hauptmaschine: SKL 6 NVD 360; PS: 300; Geschwindigkeit (max.): 8 kn; Heimathafen: Stralsund, Registerhafen: Vitte; Eigner: Torsten Müller/TM-Shipping, Nils Gottschalk Hiddenseer Logistik GmbH; Flagge: Deutschland.
Fotos: Peer Schmidt-Walther