In wilder schöner Au entdeckten Landwirte ein zweites Standbein
Wir sind unterwegs in die Wildschönau – ein romantisches Hochtal in den Kitzbüheler Alpen. Von der Autobahnabfahrt Wörgl geht es etwa zehn Kilometer immer bergauf. Dann ist man in Niederau (828 m). Von hieraus zieht sich die wilde schöne Au über 24 Kilometer hin. 260 Bauernhöfe bewirtschaften das Tal und die 46 Almen, von denen die „Seefeld“ in Auffach mit 1979 m die höchste ist. Unser Ziel jedoch ist die Schönanger Alm, etwa auf 1200 m Höhe gelegen. Dort schwingt Käsekönig Johann Schönauer das Zepter.
Und das kam so: Vor etlichen Jahren gewannen gut zwei Dutzend Bauern die Einsicht, ihre Kräfte zusammen zu spannen. Ganz im Raiffeisenschen Sinne, „gemeinsam sind die Schwachen stark“, gründeten sie die Agrargemeinschaft Schönanger Alm. Fortan stehen ihre 260 Rinder – davon 135 Milchkühe – von Ende Mai bis Mitte September in einer Herde auf der 680 Hektar großen Alm. „Wenn unser Tun aber auch Wachstum sowohl für den Einzelnen als auch für den ländliche Raum bringen soll, dann müssen wir über bisher Gewohntes hinaus kommen“, hatte Andreas Weißbachers Vater, der seinerzeit den Hut für die genossenschaftliche Arbeit auf hatte, postuliert. Und es gelang ihm, Johann Schönauer, einen Molkereifachmann par excellence, auf die Alm zu holen.
Seither veredelt der Senner mit drei Melkern an seiner Seite Sommer für Sommer mit viel Fingerspitzengefühl bis zu 2500 Kilogramm Milch zu köstlichen Käsespezialitäten. Wildschönauer Bergkäse, Kräuter Tilsiter, Camembert und Emmentaler heißen sie. Wir probieren den zweijährigen Emmentaler. Er ist, wenn man so will, in Höchstform. Ganz einfach würzig, nussig, rund. Auf der Zunge spürt man, warum die Juroren bei der Galtürer Käseolympiade häufig zu Höchstnoten greifen. Allein im vergangenen Jahr holte Johann zwei Gold-, eine Silber- und eine Bronzemedaillen. Seit 2004 stehen immerhin 21 goldene Auszeichnungen sozusagen als Gütesiegel auf seinem Konto.
Gibt’s dafür ein Geheimrezept? „Sicher nicht,“ entgegnet der 51-Jährige, um dann etwas verschmitzt anzufügen: „Ich liebe eben den Käse und der Käse liebt mich.“ Trotzdem ist die Käserei wohl eine Wissenschaft für sich, bohren wir weiter? „Natürlich hat sie viel mit Gefühl zu tun. Und mit dem richtigen Zeitpunkt“, sagt er und schildert worauf er gewissermaßen mit Argusaugen achtet. „Es beginnt damit, dass ich die Milch, die ja lebt, bei warmen Wetter anders behandeln muss, als bei kaltem. Dann gilt es, die geronnene Milch genau im richtigen Moment zu zerschneiden. Schließlich soll der Käse nicht schwammig werden. Dazu gehört, genau die Temperatur zu erwischen, in der das Medium die richtige Reife hat.“
Aber mehr noch. „Käs’ putzen is a’ Kunst,“ sagt er scheinbar so nebenher. Was ist darunter zu verstehen, haken wir nach? „Pro Tag hebe ich etwa 30 Tonnen Käse“, erklärt er. Schwerstarbeit also. Wie das? „Die 30 bis 35 Kilogramm schweren Laibe aus den Regalen raus und wieder rein bugsieren. Denn der Käse muss anfangs alle zwei Tage, dann wöchentlich mit Salzwasser abgebürstet werden, damit sich die Rinde entwickelt“, erfahren wir.
Kommt denn bei so viel Aufwand unterm Strich noch etwas heraus? „Da fragen Sie am besten die Bauern“, meint Johann um gleich noch zu ergänzen, dass sie während der Saison auch noch rund 1500 Kilogramm Butter auf den Markt bringen und die Molke – ein Abfallprodukt aus der Käserei – für die Mast etlicher Schweine verwenden. Andreas Weißbacher, der übrigens im Haus Nr. 1 in Auffach wohnt, also im ältesten Anwesen des Dorfes aus dem Jahre 1624 und der 13 Milchkühe auf der Schönanger Alm hat, macht eine ganz simple Rechnung auf. „Von der Tirol-Milch bekämen wir pro Liter Milch etwa 30 Cent“, erklärt er. „Und auf der Alm realisieren wir je Liter etwa 48 bis 50 Cent.“ Die Wertschöpfung liegt also um mehr als ein Drittel höher. Konrad Thaler aus Oberau, dessen Milchrinder ebenfalls in den Bergen grasen, verweist auf einen weiteren Vorzug des gemeinsamen Wirtschaftens. „Den Sommer über haben wir mit der Milchwirtschaft kaum etwas zu tun. Da ist mehr Zeit für das Heumachen, denn der Winter ist lang bei uns.“ Von Simon Hörbiger, ein Nachkomme des Schauspielers Paul Hörbiger und ebenfalls in Auffach zu Hause, erfahren wir dann noch, dass die Schönanger Alm-Bauern nicht die einzigen sind, die ihre Kräfte zusammen spannen. „Auf der Holzalm sind wir 21 Kollegen, die die Milch gemeinsam weiter veredeln.“
Land- und Forstwirtschaft, die in der Wildschönau über Jahrhunderte die bestimmenden Erwerbszweige waren, gingen aber längst auch eine Symbiose mit anderen Schaffensfeldern ein. „So um die 50 Landwirte bieten inzwischen Urlaub auf dem Bauernhof an“, erfahren wir von Thomas Lerch, Geschäftsführer des Tourismusverbandes des Hochtales. Auf den Genussrouten, die sich kreuz und quer durch diese einzigartige Region ziehen, wird der Gast in zahlreiche Almhütten bestens bedient. Birgit Haas, die den Hintersalcher Hof vor Jahresfrist vom Vater übernahm, erzählt: „Als ich mich entschloss, die elterliche Tradition fortzuführen, sollte es etwas werden, was über herkömmliche Landwirtschaft hinaus ging.“ Ein Kräutergarten wurde es, angelegt direkt hinter dem Haus und von dem man in der Gegend sagt, er sei der Spiegel der Seele. Zahlreiche Pflanzen, von A wie Anisminze bis Z wie Zitronen-Melisse, gedeihen hier. Sie werden zu Tee, Tinkturen und Cremes gemixt. „Der Absatz kann sich wirklich sehen lassen,“ verrät die 41-Jährige stolz.
Wer indes bis in die tiefsten Tiefen der Wildschönauer Chronik vordringen möchte, kommt am Krautinger nicht vorbei. Kaiserin Maria Theresia (1717 – 1780) war es, die den armselig lebenden Bauern des Hochtals das Recht verlieh, aus der weißen Stoppelrübe Hochprozentiges zu brennen. Und bis heute ist das so geblieben. Der Krautinger darf nur hier aus der Taufe gehoben werden. Wenngleich nicht mehr aus dem Grunde, ihr dürftiges Dasein mit dem Getränk etwas zu vernebeln.
Einer von 15 Bauern, die heute noch das Brennrecht in Anspruch nehmen, ist Josef Thaler vom 480 Jahre alten Steinerhof. Sein Unternehmen freilich ist technologisch auf modernsten Stand. Aber nach wie vor werden die Rüben geputzt, gewaschen, geraspelt und gepresst, aber nicht mehr wie zu Urgroßvaters Zeiten per Hand. Auf jeden Fall werden dem mehr oder weniger nach Sauerkraut riechenden und hier abgöttisch geliebten Getränk heilende Kräfte zugeschrieben. Nach dem Rundgang über den verwandelten Bauernhof zu einer Schnapsbrennerei serviert Josef Thaler seinen Gästen die Krautingersuppe. „Damit die Leute spüren und schmecken, dass die Rübe nicht nur für den Alkohol gut ist“, kommentiert der gelernte Koch.
Allerdings entsteht in der Wildschönau nicht nur köstlich schmeckender Käse, gedeihen nicht nur aromatische Kräuter oder wachsen nur die weißen Stoppelrüben für Suppe oder Hochprozentiges, nein hier wachsen auch lange Bärte. Und das geht auf einen sehr alten Brauch zurück. „Beim Almauftrieb lassen wir das Haupthaar wachsen. Abgeschnitten wird’s erst im Herbst nach dem Abtrieb, wenn der letzte Bauer für die Arbeit gelöhnt hat“, erzählt Johann. Zuweilen kam es früher vor, dass der Bart des Senners noch zu Weihnachten stand. Heut aber ist Johann gleich nach der Rückkehr ins Tal glatt rasiert. Die Zahlungsmoral der Wildschönauer stimmt also.
Fotos: CTOUR/Jochen Fischer