Wer träumt nicht davon, einmal frei wie ein Vogel durch die Luft zu schweben? Nun, das wird uns Menschen wohl nicht vergönnt sein und auch die Schwerelosigkeit und damit ein vergleichbares Gefühl ist nur einem sehr kleinen Kreis von Astronauten/Kosmonauten vorbehalten. Wirklich? Nein!
Denn auch Raumfahrer müssen auf ihre Mission vorbereitet werden und auch die vielen Experimente, die Bedingungen wie in der Schwerelosigkeit erfordern, können nicht alle im All erfolgen. Wie also das Dilemma lösen? Ganz einfach: mit Parabelflügen, sogenannten Zero G Flügen, lässt sich die Schwerelosigkeit zumindest temporär hervorragend simulieren. Nur sehr wenige Unternehmen können und dürfen dies durchführen, so z. B. in den USA mit einer Boeing 727, in Europa an Bord eines Airbus A 310 sowie in Russland. Manchmal dürfen auch „normale“ Touristen mit. Die Chance, einen Platz zu ergattern, ist speziell bei den erstgenannten beiden Anbietern minimal. Wie es funktioniert und wie es sich anfühlt, davon konnte sich der Autor bei Parabelflügen an Bord einer IL-76 Frachtmaschine von Roskosmos am Himmel über Moskau überzeugen.
Theorie und Vorbereitung
Das Sternenstädtchen Juri Gagarin am Rande von Moskau: hier befindet sich das Kosmonauten-Ausbildungszentrum und hier fanden sich alle Teilnehmer am Vortag des Fluges zum Briefing sowie zur Flugtauglichkeitsuntersuchung ein. Instruktoren erklärten zunächst den technischen Ablauf der Mission, die 10 Parabeln absolvieren sollte. Jede der Parabeln besteht aus einem 45 Grad Steigflug, bei dem in der Maschine die doppelte Erdbeschleunigung herrscht, man also sein zweifaches Körpergewicht spüre. In der anschließenden Phase folge das Flugzeug nach Reduzierung der Triebwerksleistung einer Wurfparabel, die Schwerkraft nehme ab, es herrsche für etwa 20 Sekunden Schwerelosigkeit. Das Flugzeug folge weiter der Parabel, was bedeutet, es gehe am Scheitelpunkt zunehmend in den Sink-, eigentlich mehr in den Sturzflug über. Dies alles würde quasi dem freien Fall entsprechen. In der Endphase würde die Maschine sanft abgefangen, die Schwerelosigkeit ende. Soviel zur Theorie, wie die Praxis sich anfühlte etwas später im Text. Eine Frage trieb die Teilnehmer noch um: solle man nun vorher etwas essen oder eben nicht? Unbedingt, der Magen benötige „Spielmaterial“, dies würde erträglicher sein für den Organismus als ein völlig leerer Magen.
Auf zur Flugtauglichkeitsuntersuchung mit ärztlichem Gespräch. Im Vorfeld bereits mussten alle Teilnehmer ein Attest ihres Hausarztes einreichen, welches die Tauglichkeit für ein derartiges Unternehmen bescheinigt. Und trotzdem, drei von vierzehn Teilnehmern hatten „Beanstandungen“. Zwei von ihnen konnten dies final lösen und das OK erhalten, ein Teilnehmer musste schweren Herzens auf seine Teilnahme verzichten. Sicherheit geht vor.
Der Tag der Tage
Nach entsprechend unruhigem Schlaf, die Aufregung war groß, und nach einem leichten Frühstück ging es also erneut zum Sternenstädtchen. Ausgestattet mit einem standesgemäßen Overall fühlten wir uns schon fast als Kosmonauten. Mit dem Shuttlebus fuhren wir zu unserer IL-76MDK. Und dieses „MDK“ ist wichtig, handelt es sich doch hierbei nicht um eine normale Frachtmaschine von Iljushin, sondern um eine der wenigen, speziell für Parabelflüge modifizierten Maschine. Umfangreiche Umbauten seien nötig, so wurde uns berichtet, um die hohen Belastungen bei Parabelflügen sicher zu bewerkstelligen. So müsse sowohl der Rumpf als auch die Triebwerksaufhängung und Tragflächenstruktur verstärkt werden, alle Flüssigkeitssysteme den Schwerelosphasen angepasst werden und auch die Treibwerksleistung wäre deutlich höher. Im Rumpf selbst erwartet uns ein ausgepolsterter, großzügiger Raum, der unserem „Flugabenteuer“ keine Grenzen setzen sollte.
Nach einer erneuten eingehenden Sicherheitseinweisung wurde uns dann doch etwas mulmig: wir müssen Fallschirme anlegen für die Startphase, dies sei eine russische Vorschrift. Diese würden einfach funktionieren, wären für Laien konstruiert und sollten, im Fall der Fälle, einfach an speziellen Seilen in der Maschine eingehängt werden. Alles Weitere erfolge automatisch. Aha. Nun, ich lebe noch und den Fallschirm habe ich nicht benötigt.
Es geht los
Wir setzen uns, mit Fallschirm bestückt, beidseitig längs des Rumpfes auf den gepolsterten Boden, die Triebwerke starten mit höllischem Lärm und los geht es. Nach dem Start können wir uns unserer schweren Last entledigen und nehmen erneut unsere Plätze ein. Uns wird ein spezieller Luftraum für die Manöver zugewiesen und bevor es losgeht, erfolgt eine weitere kurze Einweisung. Um uns an die Belastung zu gewöhnen, sollten wir bei der ersten Parabel inaktiv am Boden sitzen bleiben und uns über Kopf gut an der montierten Reling festhalten.
Warum das gut war, erfuhren wir umgehend. Der Countdown wurde heruntergezählt und statt langsam mit dem Schweben zu beginnen, riss es unseren Körper quasi gen Decke, die Beine nach oben, die Hände (zum Glück) fest an der Reling. Nach wenigen Sekunden ging dann der Körper in den Schwebezustand über, wir konnten loslassen und langsam lernen, wie es sich anfühlt zu schweben. Nach ca. 20 Sekunden, ein Countdown zählte auch hier herunter, endete die Schwerelosigkeit, die Maschine wurde abgefangen und unser Körpergewicht verdoppelte sich.
Die folgenden neun Parabeln dienten dann den unterschiedlichsten „Flugmanövern“ in der Maschine. Wir waren vierzehn Gäste und hatten ca. acht Betreuer. Diese waren auch zwingend notwendig, ließen doch kleinste Bewegungen unsere Körper in schnelle Rotationsbewegungen übergehen. Dank der freundlichen Crew (mein Betreuer wurde übrigens in Leipzig geboren, lebte dort sechs Jahre und konnte noch etwas Deutsch. Nachdem ich ihm meinen Geburtsort Halle sagte, war das Eis sofort gebrochen.) wurden wir jedoch schnell wieder eingefangen.
Dann ließ man uns die uns die unterschiedlichsten Fluglagen erproben: mal standen wir kopfüber an der Decke, mal schwebten wir wie ein Pfeil, „abgeschossen“ von einem Betreuer, längs durch den Rumpf, mal flogen wir im Schneidersitz wie ein Paket, welches sich die Betreuer zu warfen. Ein Highlight sicher auch der Versuch, in der Schwerelosigkeit zu trinken. Selbst kopfüber, es kommt ja nichts aus der Flasche. Also drücken. Die dann im Raum schwebenden Blubber galt es, mit dem Mund einzufangen.
Geschafft
Was alles wie ausschließlich Spaß klingt, ging irgendwann in harte Arbeit über. Die ersten mussten sich übergeben, eine Kettenreaktion setze ein und traf schließlich fast 50% der Teilnehmer. Für die anderen wurde es knapp und alle waren dann froh, als nach 1:20 Stunde die Landung erfolgte und vierzehn blasse Gestalten die IL-76 verließen, völlig erschöpft aber auch stolz und glücklich. Stellt man sich vor, wie Wissenschaftler hier ihre Experimente machen sollen bzw. das Kosmonauten-Training mit einer vielfachen Anzahl solcher Manöver absolviert wird, bekommt man eine Ahnung vom Alltag hier. Die Crew wirkte bei all dem tiefenentspannt und hatte maximalen Spaß.
Eine offizielle Zeremonie, bei der allen Teilnehmern ein Zertifikat überreicht wurde, beendete auf würdige Weise unsere Zero G Experience.
Abschließend zu den Kosten. Neben den Aufwendungen für individuellen An- und Abreise kosten die Zero G Flüge aktuell: in den USA ca. 5.000€ (in einer Boeing 727 mit kleinem Rumpfquerschnitt), in Europa ca. 6.000€ (in einem Airbus A310), in Russland ca. 4.500€ (IL-76MDK). In Europa sind die Mitflugmöglichkeiten minimal, in den USA oft lange im Voraus ausgebucht.
Fotos: Roskosmos/Lutz Schönfeld