Von Manfred Weghenkel
Zu den touristischen Hotspots Berlins gehört zweifellos der weltbekannte Friedrichstadt-Palast. „Vorhang auf!“ heißt es dort wieder am 24. September 2025, wenn die neue Grand Show mit dem Titel „Blinded by Delight“ (auf Deutsch: „Geblendet vor Freude“) feierliche Premiere hat. Touristen und Berlin-Besucher machen immerhin mehr als 60 Prozent der jährlich über 550.000 Gäste aus.
Ganz interessant, dass ein halbes Jahr vorher nun erstmalig zwar spät, aber dennoch wichtig und verdienstvoll ein repräsentatives Insider-Sachbuch mit Fokus auf die spannende Baugeschichte des 1984 neu eröffneten, für Glitzer und Glamour stehenden Musentempels im Herzen der Hauptstadt erschienen ist. Was leistet diese Publikation?
Wer beim Wort „Friedrichstadtpalast“ nur an glitzernde Beine und schillernde Revuen auf der größten Theaterbühne der Welt denkt, wird von Jürgen Ledderboges Buch „Friedrichstadtpalast – Vom Neubau zum Denkmal“ angenehm überrascht. Der aus Sachsen stammende damalige Oberbauleiter des DDR-Vorzeigeprojekts (inzwischen bald 89!) nimmt uns mit auf eine authentische Reise hinter die Kulissen des größten Revuetheaters Europas – nicht durch die Garderoben der Tänzer:innen, sondern durch die Baupläne, Betonmischungen und baulichen Improvisationen eines sozialistischen Großprojekts. Zwischen 1981 und 1984 entstanden, markiert es die größte Zäsur in der über 100-jährigen Geschichte des renommierten Palastes.

Der Neubau mit seinen 1895 Sitzplätzen präsentierte gleich mehrere bautechnische Attraktionen, so die größte Theaterbühne der Welt (über 60 Meter breit und rund 30 Meter tief), Eisflächen für Schlittschuhtänzer, versenkbares, transparentes Wasserbecken mit fünf Fontänen für Shows mit Wasser-Effekten, hydraulische Hubpodien, modernste Licht- und Tontechnik – alles per Knopfdruck steuerbar. Ein technisches Wunderwerk!

Baufachmann Dipl.-Ing. oec. Ledderboge, der das Haus von der Grundsteinlegung 1981 bis zur Eröffnung 1984 verantwortlich-leitend begleitete, erzählt mit trockenem Humor und technischer Präzision von den Herausforderungen des Bauens in der DDR. Statt der geplanten Stahl-Glas-Aluminium-Fassade mussten farbige Glasbausteine herhalten – nicht aus ästhetischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Innen wurden Glasröhren aus Rindermelkanlagen zu Lampen umfunktioniert, und Kalksandstein ersetzte teure Holzverkleidungen. Not macht eben erfinderisch – und manchmal auch ikonisch.
Das Buch ist reich bebildert mit Skizzen, Plänen und Fotografien, die nicht nur Architekturfans begeistern dürften. Doch es sind vor allem die Anekdoten und persönlichen Erinnerungen Ledderboges, die das Werk lebendig machen. Etwa wenn er erzählt, wie der ursprüngliche Entwurf des Palastes eigentlich für ein Kulturhaus in Bagdad gedacht war oder wie Besucher dem leicht exotisch anmutenden Gebäude den Spitznamen „Aserbaidschanischer Bahnhof“ verpassten.
„Friedrichstadtpalast – Vom Neubau zum Denkmal“ ist mehr als ein Sachbuch über Architektur; es ist ein Zeitdokument, das die Ambitionen, den Erfindungsreichtum und die Probleme des DDR-Bauwesens einfängt. Ledderboge gelingt es, technische Details mit menschlichen Geschichten zu verweben und so ein facettenreiches Porträt eines seit über vier Jahrzehnte existierenden Bauwerks zu zeichnen, das seit 2020 unter Denkmalschutz steht und weiterhin jährlich über 550.000 zumeist begeisterte Besucher aus aller Welt anzieht. Somit ist der Friedrichstadt-Palast nach wie vor das meistbesuchte Theater in der deutschen Metropole.

Für alle, die sich für Architektur, DDR-Geschichte oder einfach für gute Geschichten interessieren, ist dieses Buch eine klare Empfehlung. Es zeigt, dass hinter jeder Fassade – sei sie aus Glasbausteinen oder Beton – Geschichten stecken, die es wert sind, erzählt zu werden.

Das im Passage-Verlag Leipzig im März 2025 erschienene Buch präsentiert sich als beeindruckendes Werk, das sowohl inhaltlich als auch gestalterisch überzeugt. Mit seinen großzügigen Maßen von 28,6 x 21,5 Zentimetern und einem Gewicht von über einem Kilogramm liegt das Buch schwer in der Hand und vermittelt bereits beim ersten Anfassen den Eindruck eines hochwertigen Text-Bild-Bandes. Der feste Einband und die sorgfältige Verarbeitung unterstreichen den Anspruch, ein langlebiges und wertiges Nachschlagewerk zu sein. Die 200 Seiten sind reich bebildert mit historischen Aufnahmen, Bauplänen und Skizzen, die den Text nicht nur ergänzen, sondern ihn visuell lebendig machen. Die klare Typografie und das durchdachte Layout sorgen für eine angenehme Lesbarkeit und führen den Leser strukturiert durch die komplexe Baugeschichte des neuen Friedrichstadtpalastes, dessen Errichtung in den frühen 1980er Jahren notwendig geworden war, weil der alte Palast am Zirkus Nr. 1 baulich ausgedient hatte.

Besonders bemerkenswert ist, dass Ledderboge selbst erheblich in die Gestaltung des Buches investiert hat. Nachdem er zunächst Schwierigkeiten hatte, einen Verlag zu finden, steckte er rund 13.000 Euro in das Layout des Buches. Diese persönliche Investition spiegelt sich in der hohen Qualität der Aufmachung wider. Wir haben hier nicht nur ein informatives Sachbuch über ein bedeutendes Bauwerk der DDR-Geschichte, sondern auch ein ästhetisch ansprechendes Objekt. Die Kombination aus fundiertem Inhalt und hochwertiger Gestaltung macht es zu einem empfehlenswerten Werk für Architekturinteressierte und Kulturliebhaber gleichermaßen.

In seinem Buch „Friedrichstadtpalast – Vom Neubau zum Denkmal“ äußert Jürgen Ledderboge auch den Wunsch, nach 1990 verbreitete Fehlinformationen über den Bau des Friedrichstadtpalastes zu korrigieren. Als Oberbauleiter des Projekts verfügt er über detaillierte Kenntnisse, die es ihm ermöglichen, bestimmte Missverständnisse aufzuklären. Ein zentrales Anliegen Ledderboges ist die Richtigstellung bezüglich Asbest im Neubau des Friedrichstadtpalastes. Entgegen späterer Spekulationen betont er, dass aufgrund von Gesundheitsbedenken bereits während der Bauphase auf Asbest verzichtet wurde. Stattdessen kamen alternative Materialien wie Gipskarton zum Einsatz. Diese Entscheidung wurde durch umfangreiche Probebohrungen nach der Wende bestätigt, die keine Asbestfunde ergaben
Ledderboge korrigiert auch die Annahme, dass der Bau des Palastes die geplanten Budgets überschritten habe. Er berichtet, dass der Bau in der vorgesehenen Zeit von 39 Monaten abgeschlossen wurde und die Kosten mit 214 Millionen DDR-Mark sogar unter dem ursprünglich kalkulierten Budget von 219 Millionen lagen.
Ein weiteres Beispiel für die Korrektur von Fehlinformationen betrifft die Materialbeschaffung. Aufgrund von Devisenmangel in der DDR mussten Ledderboge und sein Team kreative Lösungen finden. So wurden beispielsweise farbige Glasbausteine aus Weißwasser und Lauscha verwendet, um die Fassade zu gestalten, und Milchglasröhren aus der Melkproduktion dienten als Beleuchtungselemente im Foyer. Diese improvisierten Lösungen trugen maßgeblich zur einzigartigen Ästhetik des Gebäudes bei.
Ledderboges Buch bietet somit nicht nur eine

detaillierte Dokumentation des Bauprozesses, sondern auch eine Korrektur von Missverständnissen, die sich nach der Wende verbreitet haben. Seine persönlichen Erfahrungen und Einblicke tragen dazu bei, ein authentisches Bild des Bauprojekts und der Herausforderungen in der DDR-Bauwirtschaft zu vermitteln.
Übrigens, nach der Wendezeit 1989/90 gründete Jürgen Ledderboge in Berlin ein eigenes Ingenieurbüro, in dem er bis 2013 tätig war. Seine Verdienste um den Friedrichstadt-Palast sind hoch anerkannt und wirken bis heute nach. Die neue Grand Show „Blinded by Delight“ im traditionsreichen Musentempel an der Friedrichstraße 107 in Berlin-Mitte kann kommen. Sicher lassen sich die Besucher hier gern „blenden vor Freude“…
Jürgen Ledderboge
Friedrichstadtpalast – Vom Neubau zum Denkmal
ISBN 978-395415-158-5
1. Auflage März 2025
Preis 28,00 €
Fotos: Manfred Weghenkel
Titelbild: KI by Copilot