Historisch und innovativ, romantisch und urban, fussläufig und weltlich
Von Fred Hafner
Es ist die wohl bekannteste Stadt Polens, geschichtsträchtig-mystisch, gleichzeitig modern-lebendig. Krakau ist historisch und innovativ. Mit mehr als 800.000 Einwohnern eine Großstadt – und doch fussläufig zu besuchen. Hier liegt alles ganz nah beieinander: der große und der kleine Markt, die Tuchhallen, die Marienkirche, die Königsgasse, die Burg Wawel mit dem Königsschloss und der Bischofskirche, das jüdische Viertel Kazimiercz. Krakau ist romantisch und urban. Stadt der Studenten heute, aber auch der Maler, Musiker, Schriftsteller, Dichter vergangener Generationen. Hier werden beste polnische Traditionen (und Speisen) gepflegt, aber die Einwohner sind genauso hip und stylisch gegenüber neuen Entwicklungen. Krakau entzieht sich einfachen Deutungen.

Um den Geist von Krakau zu entdecken, muss man durch seine Straßen streifen, einen Blick in die Hinterhöfe werfen, in die gotischen Kellergewölbe hinabsteigen, natürlich durch das alte jüdische Viertel Kazimierz ziehen, am besten zu verschiedenen Tageszeiten. Und natürlich muss man am Ufer der Weichsel spazieren.

Die Stadt ist gut auf eigene Faust zu erkunden. Selbst an den offensichtlichsten Orten gibt es immer Besonderes zu entdecken. Etwa die Halseisen an der Marienkirche oder die Mammutknochen an der Wawel-Kathedrale. Man kann auf den Spuren von Nikolaus Kopernikus, Stanislaw Wyspianski, Johannes Paul II., Tadeusz Kantor und anderen Berühmtheiten wandeln. Aber genauso lohnt es sich, Stadtviertel wie Nowa Huta oder Bronowice zu besuchen.

Krakau ist die zweitgrößte Stadt Polens. Und die alte Hauptstadt. Periodisch flammt der Streit immer mal wieder auf, aber die Krakauer selbst haben sich mit Warschau als Hauptstadt längst arrangiert. Sie wissen: Krakau ist geschichtsträchtiger – und wird es ewig bleiben. Die Stadtmauer war einmal vier Kilometer lang.
„Weil es andere Formen der Kriegsführung gab, wurde sie vor 200 Jahren abgerissen und durch einen breiten, grünen Gürtel, ersetzt“,

erzählt Monika. Sie ist gebürtige Krakauerin und führt mehrsprachig durch ihre Heimatstadt. Sie kennt jeden Winkel und vor allem fast jede geschichtliche Legende. Darauf kommen wir noch …
Krakau war immer eine reiche Stadt, lag sie doch an alten Handelswegen. Wir laufen zunächst über den kleinen Markt. Er war früher ein Fleisch- und Fischmarkt, dient heute Veranstaltungen und Volkskünsten.
Nur wenige Meter später stehen wir auf dem großen Markt. Wow: Ein Quadrat mit 4 Hektar Fläche und einer Seitenlänge von je 200 Metern! Damit ist er der größte mittelalterliche Marktplatz Europas! Vor allem besticht der Marktplatz durch seine berühmten Krakauer Tuchhallen. Sie stehen für die Opulenz vergangener Epochen. Sie waren das Einkaufszentrum Krakaus, wo mit Tuch und Stoff gehandelt wurde. Damals war nicht nur die Stadt sondern auch ihre Einwohner sehr reich. Heutzutage bekommt man in den Durchgängen alles, was Touristen kaufen möchten: Volkskunst, Schmuck, Souvenirs.

Vor den Tuchhallen steht das Denkmal des berühmten polnischen Dichters Adam Mickiewicz. Er ist für die polnische Sprache und Literatur sehr wichtig. Alle Schüler Polens kennen ihn und seine Werke.
Aber dieses Denkmal hat heute vor allem eine praktische Funktion: es ist DER Treffpunkt der Krakauer.
Wenn sich die Einheimischen verabreden, sagen sie einfach: „Wir treffen uns beim Adam, und jeder weiß Bescheid“, erzählt Monika.
rechts: Adam-Mickiewicz-Denkmal

Übrigens, was viele nicht wissen: Die Tuchhallen waren früher nur eine einfache Marktstraße zwischen Kramläden an beiden Seiten. So wie auf vielen Märkten Europas. Um 1300 wurde diese Marktstraße aber überdacht. Im 14. Jahrhundert ließ König Kasimir der Große anstelle der einzelnen Läden ein langes Gebäude mit 108 Metern errichten. Damit waren die ersten Tuchhallen fertig, brannten allerdings 1555 ab. Mit Hilfe des italienischen Baumeisters Gianmaria Mosca aus Padua wurden sie anschließend wiederaufgebaut. Die Laubengänge an beiden Seiten entstanden allerdings erst im 19. Jahrhundert. Wer genau hinschaut, dem offenbaren die Tuchhallen einige Details: So gibt es an den Eingängen markante Vertiefungen. Dabei handelt es sich um Fackellöcher. Denn im 19. Jahrhundert gab es noch keine Straßenbeleuchtung. Und die nächtlichen Passanten waren mit Fackeln unterwegs, die gelöscht werden mussten, wenn sie am Ziel ankamen. Dem dienten die Fackellöcher, die man an vielen Krakauer Häusern entdeckt, etwa in der Sw.-Jana-, der Kanonicza- und in der Slawkowska-Straße.
Hier in der historischen Altstadt Krakaus nimmt man die Großstadt mit ihren 800.000 Einwohnern nicht wahr. Hier empfindet man die mittelalterliche Stadt – mit allen Sinnen. Hört die Marktschreier, das Stimmengewirr auf den Straßen, die Flüche der Kutscher vergangener Zeiten. Hier wirkt Krakau wie ein wunderschönes, großes Dorf: ruhig, beschaulich, mit Kopfsteinpflaster und Fiakern.

Denn Krakau gehörte einst zu Österreich. Österreichische Einflüsse, zum Beispiel Pferdekutschen, gehören zum Stadtbild, haben ihrem Original in Wien aber längst den Rang abgelaufen. Die Fiaker in Krakau sind herausgeputzter, opulenter, nobler – und sie werden oft von Frauen geführt. Billig ist das Vergnügen, mit der Kutsche durch die Altstadt zu fahren, nicht (ab 15 Minuten, ab 50 Euro). Und wegen des Kopfsteinpflasters auch nicht unbedingt komfortabel. Aber klar, es ist etwas ganz Besonderes.

Der wirklich riesige Hauptmarkt ist wie eine Stadt in der Stadt: repräsentativ und urig, mit einem Meer an Straßencafes, Blumenfrauen, Pferdedroschken und Baudenkmälern mit Weltrang. Hier kreuzen sich die Wege von Einheimischen und Touristen, von hier zieht man aus auf der Suche nach geheimnisvollen Gassen, Hinterhöfen, Kellergewölben. Etwa in den Professorengarten: Wir erreichen ihn durch ein Tor in der Jagiellonska-Straße.

Denn Krakau ist mit 20 Hochschulen und mehr als 170.000 Studierenden auch eine sehr junge, eine Studentenstadt.
Alle Universitätsgebäude haben Innenhöfe. Hier gibt es Lehrräume, eine Bibliothek, Professorenräume und eben einen Professorengarten. In diesem stillen, fast anmutigen Winkel inmitten großstädtischen Treibens kann man neue Kraft und frische Luft unter schattenspendenden Bäumen und unter den Blicken der zu Denkmälern versteinerten Gelehrten schöpfen.
Zurück auf dem Marktplatz entdecken wir eine kleine Kirche, die Adelbert-Kirche. Was hat dieses kleine, unscheinbare Kirchlein auf dem prächtigen, stolzen Krakauer Hauptmarkt zu suchen? Noch dazu völlig falsch positioniert?
„Die Kirche ist ein Relikt aus uralten Zeiten, lange vor der Neugründung der Stadt.
In deren Zuge wurde der Hauptmarkt abgesteckt. Deshalb steht sie nach Osten gerichtet im Widerspruch zum Schachbrettmuster des Hauptmarkts. Dieser Ort an einer Kreuzung wichtiger Handelsstraßen war nicht zufällig gewählt. Der Überlieferung nach hat hier der heilige Adalbert von Prag gepredigt, der auf Einladung von Herzog Boleslaus dem Tapferen ins Land der Polanen gekommen war, um die heidnischen Pruzzen zu missionieren“, erklärt uns Monika. Die kleine, fast unscheinbare Adelbert-Kirche ist also sogar älter als der Krakauer Marktplatz. Sie stammt aus dem 11. Jahrhundert!

Imposant und unübersehbar hier am Großen Markt ist hingegen die Marienkirche. Sie ist nicht nur äußerlich markant, sondern auch im Inneren überreich mit Kunstschätzen gesegnet. Weltweit einmalig ist der gotische Hochaltar.

Dieser Höhepunkt der Schnitzkunst wurde 1477 bis 1489 vom Nürnberger Meister Veit Stoß aus Lindenholz geschaffen. Der klappbare Flügelaltar oder -wandelaltar, auch Pentaptychon genannt, hat riesige Ausmaße: 13 Meter hoch und elf Meter breit.
Die größte Figur misst 2,80 Meter. Der Altar ist fünfteilig und wird täglich 11.50 Uhr aufgeklappt.
Es lohnt sich also ein Besuch um diese Zeit, um ihn im geschlossenen und im geöffneten Zustand zu bewundern. Die Marienkirche hat natürlich auch ihre Legende, und Monika muss schon vorher schmunzeln: „Zwei Brüder bauten die zwei Türme. Der erste Bruder war neidisch auf den zweiten, weil dessen Turm höher war. Also brachte er ihn um. Dann aber bekam er Skrupel. Die Gewissensbisse ließen dem Mörder keine Ruhe.
Am Tag der Einweihung der Kirche stach er sich ein Messer ins Herz und stürzte sich anschließend von der Turmspitze hinunter“, erzählt sie.
Immerhin: Das Messer hängt heute noch unterhalb des Eingangs zu den Tuchhallen.

Keine Legende sind die Trompetenbläser der Marienkirche. Sie spielen immer live! Und zwar stündlich von 0-24 Uhr! Dafür wechseln sich insgesamt sieben Spieler ab. Jeder einzelne ist 24 Stunden im Dienst, mit Kühlschrank und Bett unterhalb der Kirchturmspitze. Das Spiel bricht übrigens jedes Mal unvermittelt ab. Das allerdings geht dann doch wieder auf eine Legende zurück: Einst soll der Turmwächter die herannahenden Tataren entdeckt haben. Also blies er das Signal als Alarm für die Krakauer Einwohner. Während des Spiels durchbohrte ein Tatarenpfeil seinen Kehlkopf und das Signal abrupt endete. So ist es bis heute …
Jetzt aber auf zum Königsweg. Er verbindet die Marienkirche und den Marktplatz mit der Burg Wawel. Wir nehmen die ulica kanonicza, die die älteste und schönste Straße Krakaus. Sie ist Teil des Königsweg, mit den schönsten Bauten aus Renaissance und Barock. In manchen wurde großartige Wandmalereien freigelegt. Die ul. kanonicza sollte man unbedingt am Abend nochmals laufen, wenn der Mond die prächtigen Häuser beleuchtet.


Der Königsweg verbindet Marktplatz und Marienkirche mit der Burg Wawel
Wir erreichen die Burg Wawel. „Wawel ist ein altes Wort, dass die Polen gar nicht mehr verstehen“, erklärt uns Monika.
„Es ist älter als die polnische Sprache und jetzt ein Eigenname.“
Früher war Wawel ein Hügel im Sumpf, eine natürliche Festung. Deshalb wurden oben die wichtigsten Gebäude gebaut: das Königsschloss und die Bischofskirche, auch Dom genannt.
Das Schloss der polnischen Könige als Teil der Burg Wawel ist mit einer imposanten Schatzkammer versehen. Hier residierten über vier Jahrhunderte die polnischen Könige. Neben dem Schloss erhebt sich die Erzkathedrale St. Stanislaus und Wenzel. Hier wurden die polnischen Könige gekrönt und später zur letzten Ruhe gebettet.


Krakau liegt an der Weichsel, dem größtem und längsten Fluss Polens. Von der Burg aus ist der Fluss sehr gut zu überblicken. Am Ufer flanieren Familien, Einwohner und Gäste, es wird gefeiert, geschwatzt, die Kinder toben. Lebensfreude pur.
Wir haben nicht so viel Zeit, machen uns deshalb auf nach Kazimierz. Das am besten erhaltene Jüdische Viertel Europas liegt fußläufig von Altstadt und Wawel. Es ist zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Besuch wert, am besten man kommt mehrfach. Hier findet man alles, was jüdisches Leben ausmacht: alte Synagogen, gotische Kirchen, Kunstgalerien, gemütliche Kneipen und Cafés, in denen häufig Livemusik gespielt wird, Filme vorgeführt oder alternative Theaterstücke dargeboten werden.


Warengeschäfte und Rotunde zum Verkauf von Obst und Gemüse
Das Leben in Kazimierz spielt sich vor allem in der Szeroka-Straße, dem Zentrum der ehemals jüdischen Stadt, ab. Heute treffen sich am Judah-Platz die Hipster, am Nowy-Platz die Alternativen. Die Häuser wurden so gebaut, dass oben Wohnungen und unten Geschäfte waren. „In den Innenhöfen hat sich das gesamte Leben abgespielt: waschen, kochen, schwatzen mit den Nachbarn, Kinderspielen“, erzählt Monika. „Es ging immer sehr turbulent zu, war immer sehr laut.“

Hier hat Steven Spielberg „Schindlers Liste“ gedreht, hier hat er während der Dreharbeiten auch gewohnt.
Kazimierz ist ein Schmelztiegel des traditionellen, urbanen und modernen Krakau: Morgens etwa werden in der charakteristischen Rotunde in der Mitte eines Platzes Obst, Gemüse, billiger Schmuck, Antiquitäten und Trödel gehandelt. Nachmittags öffnen die Stände mit Grillwürstchen, Schaschlik, geräuchertem Schafskäse. Abends und bis spät in die Nacht prägen die Kneipen, die die Plätze wie Kränze umgeben, das fröhliche Treiben.


„Krakau ist wie das kleine Rom“,
befindet Monika am Ende der Tour. Sie hat uns jederzeit detailreich und charmant durch ihre Stadt geführt. Und je mehr wir über ihr Fazit nachdenken, umso stimmiger finden wir es.

INFOS UND ANREISE
https://krakow.travel/de
Hotel direkt an der Altstadt:
https://www.hotel-wyspianski.pl/de
Restaurants
„Farina“ ul. św. Marka 16 (hochwertig)
„Pod Baranem“ ul. św. Gertudy 21 (beste polnische Küche)
„Bazaar Bistro“ plac Nowy 6 (stylisch, modern)
Anreise:
Bahn: EC ab Berlin bis Krakau (ab 50 Euro, Reisezeit planmäßig 7 Stunden, oft verspätet)
Auto: E40/A4 über Breslau nach Krakau (Mautgebühren), ab Berlin 600 km, ca. 6 Stunden
Flug: Airport Krakau direkt oder mit Umsteigen in Warschau
https://www.krakowairport.pl/en
Krakau in Videobildern – ein Film von Michael Wenkel