Dem Erfinder des Saxophons sind 2014 ganzjährige Ausstellungen und Konzerte gewidmet
Victor Hugo nannte das belgische Städtchen Dinant „das schönste Mädchen“ der Maas. Die Stadt liegt wirklich malerisch an einem der schönsten Abschnitte des Flusslaufs. 120 Meter hoch über der Maas drückt sich eine mächtige Zitadelle auf den monumentalen Steinfelsen. Die im gotischen Stil rekonstruierte Stiftskirche Notre-Dame aus dem 12. Jahrhundert im Ortskern unterhalb der Zitadelle schmiegt sich förmlich vor die steinerne Steilwand. Wer den Aufstieg scheut, nutzt eine Panorama-Gondelbahn.
Das ist schon außergewöhnlich zu erleben, beschreibt aber längst nicht alles Sehenswerte. Denn Dinant mit ihren 13.000 Einwohnern ist aus anderen Gründen weltberühmt. Hier stand die Wiege von Adolphe Sax (geboren 6. November 1814 in Dinant; gestorben 7. Februar 1894 in Paris), dem Erfinder des Saxophons. Dinant begeht in diesem Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen den 200. Geburtstag des berühmtesten Sohnes der Stadt.
Unter dem Titel „Sax and the City“ widmet Dinant Adolphe Sax einen Parcours mit verschiedenen Stationen. Sie stehen mit seinem Leben und Wirken in Verbindung und sind für Musikliebhaber, Geschichtsbegeisterte oder Technikversessene gleichermaßen interessant (Flyer und Stadtplan bei der Tourist-Info der Stadt). Am markantesten ist sicher die Open-Air-Ausstellung „Art and Sax“. 28 Riesensaxophone, jedes über drei Meter hoch, säumen rechts und links Bürgersteig und Straße über der Maasbrücke. Jedes ist in anderen Farben ausgestellt und symbolisiert jeweils ein Mitgliedsstaat der EU. Weitere Stationen des Parcours sind eine Bank mit der Skulptur von Adolphe Sax vor dem Saxophon-Museum, eine Büste des Instrumentenbauers sowie ein Saxophon-Riese. Die örtlichen Geschäfte beteiligen sich mit einer Ausstellungsreihe zu Sax in ihren Schaufenstern bis Ende des Jahres. Und bis Ende August gibt es an jedem Wochenende Straßenkonzerte – natürlich von Saxophonisten, die mit Instrument und Notenhalter quer durch die Stadt laufen und dabei musizieren.
Das alles ist Teil der Feierlichkeiten, die noch bis zum Jahresende laufen. Ihren Höhepunkt finden sie in der ersten Novemberwoche. Vom 28. Oktober bis 8. November wird es einen großen internationalen Adolphe-Sax-Musikwettbewerb mit Abschlusskonzert in der Stiftskirche geben. Und am 6. November, dem Geburtstag Dinants vor 200 Jahren, findet eine große öffentliche Geburtstagsfeier in seinem Wohnhaus statt.
Dass Adolphe Sax einmal so erfolgreich werden würde, war nicht abzusehen. Er war das älteste von elf Kindern (sechs Jungen, fünf Mädchen), von denen nur vier überlebten. Seine Kindheit verlief tragisch. Kaum konnte er laufen, stürzte Antoine-Joseph (so sein exakter Vorname) drei Stockwerke tief und schlug schwer mit dem Kopf gegen einen Stein. Man hielt ihn für tot. Mit drei Jahren schluckte er eine Tasse von mit Schwefelsäure versetztem Wasser, und dann eine Sicherheitsnadel. Später verbrannte er sich bei einer Pulverexplosion schwer. Danach fiel er zu allem Unglück auf einen Gussofen und erlitt wieder schwere Verbrennungen. Dreimal entging er knapp Vergiftung und Erstickung in seinem Zimmer, in dem man immer wieder nachlackierte Gegenstände zum Trocknen abstellte. Ein anderes Mal bekam Sax als Kind einen Pflasterstein auf den Kopf. Schließlich stürzte er noch in einen Bach und konnte nur knapp gerettet werden. „Es ist ein zum Unglück verdammtes Kind, und es wird nicht lange leben“, befand sogar seine Mutter. In der Nachbarschaft nannte man ihn „den kleinen Sax, das Gespenst“.
Adolphe Sax begab sich 1842 nach Paris. Als einzige Empfehlung nahm er ein Exemplar eines von ihm entwickelten völlig neuen Instruments, des (Sopran)-Saxophons, mit. In der französischen Hauptstadt erregte er die Aufmerksamkeit verschiedener Persönlichkeiten des Pariser Musiklebens. In Hector Berlioz fand er einen tatkräftigen Helfer, dem sich auch bald Sponsoren anschlossen.
Sax baute nun das Saxophon in acht verschiedenen Größen (Sopranino, Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Bass, Kontrabass, Subkontrabass). Seine Erfahrungen, besonders die seines Vaters bezüglich der besten Resonanz der Röhren, übertrug er sodann auf die Konstruktion der Trompeten, Hörner, Tuben usw. Er gab ihnen in ihrer neuen Gestalt die Namen Saxtromba, Saxhorn, Saxtuba und bezeichnete sie als „Familie der Saxhörner“.
Am 21. März 1846 erhielt Sax in Frankreich ein Patent und gelangte so schnell zu großer Berühmtheit; seine Instrumente wurden besonders in der französischen Militärmusik eingeführt. Die Originalität seiner Verbesserungen wurden von neidischen Konkurrenten, denen er den Rang ablief, vielfach angefochten; doch fielen die gerichtlichen Entscheidungen immer zugunsten von Sax aus. Dennoch trieben ihn die Auseinandersetzungen in den Ruin, und dreimal musste Sax Konkurs anmelden: 1852, 1873 und 1877. Und dennoch entstanden in seiner Werkstatt mit rund 100 Arbeitern von 1843 bis 1860 etwa 20.000 Instrumente!
Eine der größten Leistungen des Genies aus Dinant war die Reform der Militärmusik. 1845 war sie in Frankreich aus der Mode gekommen. Kriegsminister Rumigny veranstaltete daraufhin auf Vorschlag von Sax einen Wettbewerb zwischen herkömmlichem System und dem Konzept von Sax. Am 22. April 1845 wurde auf dem Champ de Mars (wo sich heute der Eiffelturm befindet) eine Großveranstaltung durchgeführt. Das alte System verteidigten 45 Berufsmusiker. Sax verteidigte sein System mit 38 Musikern, die er unter großen Schwierigkeiten zusammen geholt hatte. Sieben hatten ihm in letzter Minute abgesagt. Sax selbst musste zwei Instrumente gleichzeitig spielen. Das Ergebnis war dennoch eindeutig: 20.000 Menschen applaudierten Sax und dem neuen System. Ein Riesentriumph für ihn und die „neue“ Militärmusik.
Sax wurde 1857 Saxophon-Lehrer am Pariser Konservatorium. Er gab außerdem Unterrichtsstunden für das Saxophon-Spiel und die von ihm erbauten Instrumente. Ab 1858 war Sax Direktor des Bühnenorchesters der Pariser Oper. Wer mehr wissen will, etwa wie das Saxophon seinen Siegeszug um die Welt antrat, welche Wechselwirkungen es vor allem mit dem Jazz gibt und was passiert wäre, hätten Mozart und Beethoven bereits auf das Instrument zurückgreifen können, der fahre nach Dinant. Wer lediglich Natur pur und wallonische Lebensart in einem romantischen belgischen Städtchen mit feiner Kulinarik erfahren möchte, auch für den lohnt sich die Anreise. Info: Flüge bis Köln oder Brüssel, danach Mietwagen nach Dinant. Bahnanreise über Lüttich, Namur. Ibis-Hotel vor Ort ab 70 Euro. www.belgien-tourismus.de