CAMEMBERT, CALVADOS, CIDRE

Von Fred Hafner

Das Bett reist mit: DIe Normandie entdeckt man am besten auf einer Kreuzfahrt.
Eine Woche mit der „Seine Comtesse“ von Paris nach Le Havre und wieder zurück.

Natürlich kann man die Normandie mit dem Auto bereisen. Oder auch mit der Bahn. Sportliche Naturen nehmen gleich das Fahrrad. Aber ich behaupte: Nur während einer Kreuzfahrt auf der Seine taucht man als Besucher mit allen Sinnen in diese einzigartige, geschichtsträchtige und kulturvolle Region im Nordwesten Frankreichs ein. An Deck sitzend, gleitet Stunde um Stunde, Tag für Tag eine Woche lang eine einzigartige, hügelige  Landschaft vorbei: erst die Villen der Pariser Reichen und Schönen, dann bodenständige Dörfer am Fluss, später Schlösser und Herrenhäuser in allen Größen und Formen, noch später schroffe Kreidefelsen und Dutzende bizarre Flussschleifen von mehrfach 180 Grad, schließlich kurz vor der Atlantikküste wieder mehr Industrie – und dann in Havre der zweitgrößte Hafen Frankreichs. Wer ein Buch dabei hat, nimmt es meist ungelesen wieder mit nach Hause. Zu interessant ist es in fast jeder Minute, die Normandie vom Oberdeck unseres Schiffes oder aus der geräumigen Kabine mit weit zu öffnendem Fenster zu erleben, ja zu besichtigen.

Die Normandie besichtigen: von der Kabine mit großen zu öffnenden Panoramafenstern …

Es gibt eine Handvoll Anbieter für die einwöchige Kreuzfahrt von Paris nach Le Havre und zurück. Wir haben uns für nicko cruises entschieden. Und lagen mit unserer Wahl richtig: Mit maximal 150 Passagieren und 40 Besatzungsmitgliedern besitzt die „Seine Comtesse“ genau die richtige Größe. Wo auf manchen Kreuzfahrten heutzutage „kühler Charme und Business-Abläufe“ beklagt werden, ist nicko cruises voraus:

Denn Professionalität und Herzlichkeit an Bord sind hier einzigartig. Beispiele schon ab zweitem Bordtag:
Wenn der Tischkellner einem bereits beim Frühstück den Lieblingstee serviert, ohne viel Nachfragen. Einfach weil er die Wünsche seiner Gäste vom ersten Tag an verinnerlicht hat.
Wenn die Kabine nicht nur täglich gereinigt, sondern auch mit einer Überraschung versehen ist.
Wenn der Kapitän in ruhigem Fahrwasser gern Antworten auf nautische Fragen gibt.
Wenn das Mittagessen auf Wunsch auch als „Light Lunch“ serviert wird, um mehr Zeit für Beobachtungen vom Oberdeck zu haben. Und natürlich ebenso, wenn zum Abendessen der Kellner ohne große Nachfrage und Erklärungen genau weiss, wer Fleisch genießt, wer nur Fisch isst oder wer Vegetarier oder Veganer ist.
Schließlich, wenn der Barkeeper zum Schlummertrunk wieder die Getränkevorlieben seiner Gäste kennt. Diese individuelle Gästebetreuung macht nicko cruises fast einzigartig. 

Aber der Reihe nach: Die Seine Comtesse ist ein 4-Sterne-Schiff unter maltesischer Flagge, Baujahr 2001, renoviert 2009. Das Schiff ist 114,3 Meter lang, 11,4 Meter breit und hat 1,50 Meter Tiefgang. Die Seine Komtesse gleitet mit 22 bis 27 km/h durchs Wasser. Es erstaunt anfangs, dass sie die 329 Flusskilometer von Paris nach Le Havre in nur zwei Tagen zurücklegt, für die Rückfahrt auf vier benötigt. Das liegt nur zum Teil an der Strömung und den insgesamt 16 Schleusen. Auch die Ausflugsziele sind so platziert, dass die Rückfahrt mehr Zeit benötigt. 

Die Route der Seine Comtesse: Eine Woche von Paris nach Le Havre und wieder zurück

​Nach der Abfahrt in Paris folgt schon am zweiten Tag der erste große Höhepunkt der Tour: Rouen. Die Hauptstadt der Normandie vermittelt durch zahlreiche gotische Bauwerke den Eindruck, man befände sich in einem Freilichtmuseum. Rouen lebt von Kontrasten: altes Fachwerk und Kirchen im Zentrum – am Ufer der Seine hohe Hafenkräne neben banalen Nachkriegsbauten. Victor Hugo hat Rouen einmal als Stadt der hundert Kirchtürme bezeichnet.

Weiter gehts nach Le Havre, direkt am Ärmelkanal gelegen. Le Havre ist vor allem wegen seiner außergewöhnlichen Architektur bekannt. Seit 2002 ist die von Architekt Auguste Perret gestaltete Innenstadt Teil des UNESCO Weltkulturerbes.

Wegen der fast kompletten Zerstörung durch englische Bomber wurde Le Havre nach dem 2. Weltkrieg unter Zeitdruck mit viel Beton wiederaufgebaut.
Das muss man mögen, wird aber interessant, wenn selbst eine Kirche aus Beton entsteht.

Der Kontrast gleich nebenan: Malerisch an hohen Kreidefelsen gelegen, zählt Étretat zu den schönsten Orten an der sogenannten Alabasterküste. Zahlreiche Künstler wie Monet, Courbet und Isabey fanden hier ihre Inspiration und brachten die Landschaft um das französische Seebad auf die Leinwand.

Gleich neben Le Havre liegt an der Mündung der Seine zum Ärmelkanal das malerische Honfleur. Der 7.000 Einwohner zählende Ort blickt auf eine lange Vergangenheit zurück und präsentiert sich zugleich als zukunftsorientierte Hafenstadt. Das historische Hafenbecken, die pittoresken Gassen und die traditionellen Fachwerkhäuser machen den kleinen Seefahrer- und Künstlerort zu einem Schmuckstück der Normandie.

Im Herzen des alten Seemannsviertels befindet sich ein einzigartiges Bauwerk: die Kirche Sainte-Catherine (15.-16. Jahrhundert) ist die größte Holzkirche Frankreichs mit einem separaten Glockenturm.

Zurück auf dem Schiff begrüßt Kreuzfahrtleiter Wolfgang Koch seine Gäste täglich mit einem Willkommensgetränk. Danach wird das Essen im Restaurant serviert und es bleibt genügend Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Viele machen es sich dafür in den zahlreich zur Verfügung stehenden Liegestühlen am Oberdeck gemütlich, wo es auch ein überdimensionales Schachspiel gibt. Andere ziehen sich in den Salon oder in ihre komfortable Kabine zurück.  

Am Tag 4 hält die Seine Comtesse in Caudebec-en-Caux. Auf dem Plan steht ein Ausflug zu den Klöstern Boscherville und Jumieges. Die ehemalige Dominikanerabtei St. Martin de Boscherville stammt aus dem 12. Jahrhundert. Ihre spätromanische Kirche besticht durch den Gegensatz von schlichter Architektur, während der angrenzende Kapitelsaal üppig mit Skulpturen ausgestattet ist.

Bereits Victor Hugo hat die Abtei von Jumièges als „schönste Ruine Frankreichs“ bezeichnet. Sie zieht noch heute Besucher in ihren Bann und ist ein Zeugnis romanischer Baukunst. 

Zurück an Bord ein Gespräch mit Kapitän Arnaud Kieffer. Der 41-Jährige ist seit 2016 auf der „Comtesse“, hat zuvor Tankschiffe auf dem Rhein gefahren. 

„Tankschiffe steuert man von hinten, unser Schiff von vorn“ sagt er verschmitzt auf die Frage, was denn den Unterschied ausmache.
Aber Kieffer reizt auch der Kontakt mit Passagieren.

„Von März bis Oktober machen wir unsere Gäste glücklich“, sagt er.

Der Dienstplan sieht zwei Fahrwochen, danach zwei Wochen Freizeit vor. Von November bis Februar bleibt Kiefer angestellt. Dann wird das Schiff unterhalten und gepflegt. Die Seine sei wegen der vielen Schleusen und Kehren sowie dem Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser anspruchsvoll zu befahren. Es gäbe auch hin und wieder kleinere Unfälle, berichtet Kieffer. Er ist bisher verschont geblieben …

Abends beim Bier in der Lounge hören wir von Crewmitgliedern aus Ungarn, Rumänien, Kroatien, Bulgarien, dass sie seit Jahren ein eingeschworenes Team sind. Der eine oder andere habe schon einmal bei der (amerikanischen) Konkurrenz angeheuert (wegen vermeintlich besserer Bezahlung), sei aber wegen des Teamspirits an Bord von nicko cruises rasch wieder zurückgekehrt.

Der Höhepunkt der gesamten Tour ist für viele Gäste der Tag 5, als die „Comtesse“ in Vernon festmacht:

„Wir sind vor ein paar Jahren schon einmal mit nicko cruises gefahren und wiederholen die Tour jetzt, extra wegen Monet“,

sind Karsten und Petra aus Potsdam heute besonders erwartungsvoll. Denn Vernon ist Ausgangspunkt für den Ausflug in das nahegelegene Giverny. Berühmt wurde das Dorf als einstiger Wohnsitz des weltberühmten Impressionisten Claude Monet. Von 1883 bis zu seinem Tod 1926 lebte und malte der Künstler hier in seinem paradiesischen Idyll. Das waren 43 seiner 86 Lebensjahre. Details aus dem riesigen Garten seines Anwesens findet man in zahlreichen seiner Bilder wieder, u.a. diente der im Garten angelegte Teich als Vorlage für seine berühmten Seerosenbilder. Wir sehen auch das Wohnhaus des Künstlers, in dem Replikate einiger bekannter Gemälde zu sehen sind.

Das Wohnhaus von Claude Monet in Giverny ist Pilgerstätte seiner Fans. 43 seiner 86 Lebensjahre verbrachte er hier

Auch wenn Ausflüge fakultativ sind, diesen sollte keiner verpassen! Es ist ohne Übertreibung das Highlight jeder Kreuzfahrtreise in die Normandie.

Der berühmte Seerosenteich in Monets Garten in Giverny. Er diente ihm als Vorlage für viele Seerosen-bilder und Gartendetails

Kurz vor Paris steht am Tag 6 noch eine mittelalterliche Burg auf dem Programm: das Château Chantilly wurde im 16. Jahrhundert zu einem Renaissance-Schloss erweitert und umgebaut und im 18. Jahrhundert dann zu einer barocken Schlossanlage umgestaltet. Dieses prächtige Märchenschloss gilt aufgrund seiner Geschichte als besonderes „Juwel“ des Kulturerbes in Frankreich. Auch Hollywood hat den Charme erkannt und nutzte das Anwesen als Kulisse im James-Bond-Film „Im Angesicht des Todes“.

Übrigens: 45.000 Schlösser gibt es in Frankreich! „Aktuell 3.000 stehen für kleines Geld zum Verkauf. Also, wenn Sie mögen …“, sagt unsere charmante Reiseleiterin Magalie.

Zurück in Paris soll es noch eine Stadtrundfahrt und einen Ausflug ins Künstlerviertel Montmartre geben. Beide werden wegen Olympia abgesagt (siehe Nachbemerkung unten)

nicko cruises reagiert prompt: Als Ausgleich wird ein Ausflug ins Schloss Versailles angeboten. 

Schloss Versailles bei Paris, Orangerie: Der Veranstalter bot rasch Ersatz für die nicht mögliche Stadtrundfahrt in Paris an

Während die Gäste ihre Schiffsreise und die zahlreichen optionalen Ausflüge (ein preislich attraktives Auflugspaket gibt es auch) genießen, hält die Crew das Schiff am Laufen. Kreuzfahrtleiter Koch ist Vollprofi: in seiner betont ruhigen Art trägt er mehrfach täglich nur die wichtigen Informationen vor. Kein Informationsterror, vielleicht noch mehrsprachig, wie oft auf anderen Schiffen zu erleben. Am Vorabend liegt das gedruckte Programm für den nächsten Tag in der Kabine, zum Frühstück werden die Menüwünsche für mittags und abends erfragt, abends wird täglich Programm und Musik in der Lounge geboten. In den Häfen wird Müll ent- und Proviant neu verladen. Allein in unserer Juliwoche bereitet Küchenchef Bence Nemeth und seine Crew 980 Liter Suppe, 1.440 Eier, 108 Kilo Fisch, 210 Kilo Hühnchen, 120 Kilo Schweinefleisch, 130 Kilo Rindfleisch zu. 3.150 Teller werden serviert, 490 Pfannen und Töpfe sowie 8.952 Teller und Tassen gewaschen. Natürlich gibt es französische Speisen und Getränke, etwa Camembert, Cidre, Calvados. Auf der Reise werden 733 Flaschen Wein und 340 Liter Bier konsumiert; außerdem 1.120 Cocktails zubereitet. Am beliebtesten ist der Aperol Spritz mit 390 Stück. Hotelmanager Stefan Onofrei und seine Crew beziehen 500 Betten während der Reise frisch und waschen 1.200 Handtücher. Der Bordmusiker spielt 1.118 Songs während der Kreuzfahrt. Und an der Rezeption werden 1.221 Fragen gestellt. Was die häufigste ist? Ganz einfach: Darf ich Sie was fragen?

Es gibt natürlich an Bord alles, was eine Kreuzfahrt ausmacht: Willkommensempfang, Eiscremeparty, Chanson-Abend, Crew-Sketche in der Lounge, jeden Abend Bordmusik und Tanz, Galaabend. Wer mag, nimmt alles mit. Wer viel Zeit an Deck verbringt und die Normandie wie im Film an sich vorbeiziehen lässt, geniesst nicht weniger. Im Gegenteil: Denn die Woche ist viel zu schnell vorbei. (Juli 2024)

Fotos: Fred Hafner, nicko cruises

Infos und Buchung:
https://www.nicko-cruises.de

Nachbemerkung: Die Kreuzfahrt startete am 20. Juli, sechs Tage vor Eröffnung der Olympischen Spiele 2024 in Paris. Schon an diesem Tag musste die „Seine Comtesse“ auf behördliche Anordnung weit außerhalb der City festmachen. Eine bereits zugesagte Abendfahrt entlang der Seine zum Eiffelturm wurde kurzfristig nicht gestattet. Bei der Rückkehr am 25. Juli, einen Tag vor Olympia, glich Paris dann einer Festung: Zehntausende Polizisten, Soldaten und Sicherheitskräfte riegelten die Stadt ab. Straßenzüge entlang der Seine waren komplett und weiträumig mit Gittern abgesperrt, zahlreiche U-Bahn-Stationen geschlossen. Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte liefen durch die Straßen, große Maschinengewehre im Anschlag betraten sie Geschäfte. Anwohner kamen nur mit QR-Code in ihre Wohnungen. Viele Einheimische dürften ohnehin vor Olympia geflüchtet sein. Wer in Paris blieb sowie die zahlreichen Besucher mussten weite und zeitraubende Umwege nehmen. Viele erreichten ihre Ziele dennoch nicht. Daher wurden auch unsere Stadtrundfahrt und der Ausflug Montmartre abgesagt.

Die gesamte Stadt in Geiselhaft zu nehmen, ist kein Sicherheitskonzept. Die Attraktionen entlang der Seine waren nur für geladene Gäste zugänglich, das Volk kam praktisch nicht mehr an den Fluss. Was für ein Signal an die Pariser. Aber auch an Menschen weltweit, die sich auf Olympia gefreut hatten und für viel Geld angereist waren, um auch den Eiffelturm, Arc de Triumphe und Louvre zu sehen. „Olympia 2024“ waren für sie jedenfalls keine „Spiele fürs Volk“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert