Winter-Impressionen aus Portugals Hauptstadt
Selbst die Sonne des späten Nachmittags wärmt noch die Besucher des Parque Eduardo VII. Sie spazieren auf gepflegten Wegen, die Jacke über dem Arm oder sitzen auf der Terrasse eines Cafes, alle mit dem unverzichtbaren Utensil Sonnenbrille im Gesicht. Kinder spielen an einem Springbrunnen und ein milder Windhauch streicht über die durchgängig grüne Parklandschaft. Mitten im Winter herrscht in der Hauptstadt Lissabon fühlbar Frühling.
Am 30. Dezember wie auch in den nächsten Tagen scheint die Sonne und es werden 16 Grad Celsius Lufttemperatur gemessen. Viele Touristen kommen in die Stadt.
Sperrung der Avenida da Liberdade
Am Ende des lang gestreckten Parks thront mitten in einem überdimensionalen Kreisverkehr das Denkmal von Marques de Pomba. Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1755 hat er sich große Verdienste beim Wiederaufbau der Stadt erworben. Er sorgte dafür, dass in großen Teilen Lissabons breite Alleen entstanden und viel Platz für Licht und Luft geschaffen wurde, der Grundriss für eine moderne Stadtarchitektur in der gastfreundlichen Stadt.
Doch der riesige Platz mit mehreren Fahrspuren von der Prachtallee Avenida da Liberdade ist verwaist. Nur ein Polizeiauto mit Blaulicht steht einsam auf den Betonpisten und stört die eingekehrte friedliche Ruhe ohne Straßenverkehr. Demonstrieren die Portugiesen gegen die Lasten der Krise, die ihnen aufgebürdet werden? Ihr neuer Präsident Cacacio Silva schmälert im neuen Jahr das Budget ihres Einkommens weiter durch sehr hohe Steuern und niedrige Sozialleistungen (1).
Schon ein oberflächlicher Blick auf die Häuserfronten in Lissabons Straßen offenbart, dass eine ganze Reihe von Häusern nicht bewohnt, Türen und Fenster mit Brettern vernagelt sind. Hauseigentümer verweigern wegen historisch festgelegten Mietgrenzen die Vermietung. Der Erwerb teurer Eigentumswohnungen führte bei vielen Portugiesen dazu, dass sie durch Arbeitslosigkeit und fehlendes Einkommen die Raten nicht mehr bezahlen können. Es gibt viele Gründe für die Portugiesen, öffentlich Widerstand zu leisten. Demonstrationen zur Jahreswende in der Touristenstadt? Drei Läufer mit Startnummern auf ihren Trikots tauchen auf. An diesen Tag gilt die Absperrung einer Laufveranstaltung.
Steinerne Chronik der Weltkarte
Wie nach Mekka pilgern Massen von Touristen in den Stadtteil Belèm am Ufer des Tejo. Hier befand sich der frühere Hafen, von dem aus die portugiesischen Seefahrer bereits in der ersten Hälfte vom 15. Jahrhundert ihre weltberühmten Entdeckungsfahrten starteten. Hier erhebt sich majestätisch ein Wahrzeichen der Stadt, der Torre de Belèm. Den Wachturm kann man getrost als einen Triumph der Militär-Architektur bezeichnen, sozusagen ein Kunstwerk mit maurischen Einflüssen. Er gilt als Schauplatz historischer Ereignisse. So repräsentiert das Bauwerk den Aufstieg Portugals zur Weltmacht auf den Weltmeeren und steht zugleich für den Abstieg, als im Jahr 1580 die Eroberung des Turms die 60jährige spanische Herrschaft über Portugal einläutete.
Ganz in der Nähe ebenfalls direkt am Ufer befindet sich das berühmte 54 Meter hohe Entdecker-Denkmal, das mit viel Pathos in der Zeit der Herrschaft von Diktator Salazar errichtet wurde. Am Fuß des Denkmals ist auf dem Boden eine Windrose von 50 Metern Durchmesser aufgetragen, auf der die Kontinente der Erde mit Jahreszahlen und Namen bestückt sind. Es wimmelt nur so von portugiesischen Eroberern mit Heinrich dem Seefahrer und Vasco da Gama an der Spitze. Allerdings belegt auch die steinerne Weltkarten-Chronik, dass das portugiesische Königshaus zwei Mal patzte, die späteren berühmten Seefahrer Ferdinand Magellan und Christoph Kolumbus abwies und dadurch unfreiwillig Macht und Ruhm Spanien überließ. Zugleich wird auch historisch der Abstieg einer europäischen Kolonialmacht vorgeführt, die ihre letzten Kriege in Afrika Mitte der 70er Jahre in Angola, Mozambique und Guinea-Bissau führte und verlor.
Abschiedsgeschenk an die einstige Weltmacht
Lange Warteschlangen von Touristen bilden sich vor dem Prunkstück des Zeitalters der portugiesischen Entdeckungen – dem Hieronymus-Kloster. Der Klosterbau mit seinen prächtigen Kreuzgängen, finanziert aus Gewinnen der Pfeffersteuer und des Goldhandels präsentierte den Höhepunkt der damaligen Macht Portugals Anfang des 16. Jahrhunderts. Unglaubliches Gedränge auch in der benachbarten Bäckerei, wo Touristen in langen Warteschlagen die berühmte Spezialität Lissaboner Konditorkunst erstehen, die kleinen Pasteten „Pasteis de Bélem“.
Vor dem Besuchergetümmel flüchte ich in den nur ein paar hundert Meter entfernten wunderschönen tropischen Garten Jardim Tropical, den scheinbar gestresste Reiseführer wie Touristen meiden. In dem sieben Hektar großen Park sind besonders die hoch gewachsenen Palmenalleen eindrucksvoll. Sie erscheinen wie ein Abschiedsgeschenk an die ehemalige Weltmacht Portugal, die vor 500 Jahren in Afrika, Südamerika und Asien mit seinen Flotten unterwegs war und damals den Handel beherrschte.
Cristo Rei schaut auf Lissabon
Eine Aussicht besonderer Art bietet die Fahrt mit der ständig verkehrenden Fähre zum südlichen Ufer des Tejo. Hier steht weithin sichtbar das Monument Cristo Rei. Die 28 Meter hohe Christus-Figur, die beide Arme weit ausbreitet, blickt über den Fluss auf die Stadt und erinnert an die Christusstatue von Rio de Janeiro. Im Jahr 1949 begann man mit dem Bau, der zehn Jahre später abgeschlossen wurde. Ein Fahrstuhl führt zu einer Aussichtsplattform mit wunderschönem Panoramablick. Das Denkmal drückt die Dankbarkeit der Portugiesen aus, dass sie nicht am zweiten Weltkrieg teilnehmen mussten. Wie sehr kommt da der völlig unhistorische Wunsch auf, dass Deutschland anstelle von Heldengedenksteinen eine Nichtteilnahme an Kriegen mit Denkmalen feiern könnte.
Sightseeing per Straßenbahn
Für den Touristen bietet die Stadt Lissabon ausreichend Gelegenheit zum Schauen und Genießen. Da gibt es quasi eine Stadtrundfahrt mit einer alten Straßenbahn der regulären Linie 28, die auf zum Teil beängstigend engen Gassen durch die Alfama, die Unter- und die Oberstadt rumpelt und recht zentral am Platz Largo Martim Moniz startet. Zumeist bevölkern Touristen die alte Bahn, aber auch Einheimische nutzen die Linie. Die Räder quietschen, der Fahrer kurbelt an einem Rad und zieht an scheinbar unzähligen Hebeln, weil er oft an Verkehrsampeln halten muss. Es geht bergauf und dann wieder recht steil bergab. Die Straßenbahn holpert sich durch den dichten Verkehr der Stadt.
Im schönsten Park von Lissabon
Direkt an einer der Haltestellen der Linie 28 erhebt sich die imposante Basilika Estrela. Gleich daneben liegt der gleichnamige Park, für mich der schönste Park der Stadt. Der alte Baumbestand, Blumenrabatten und üppiges Buschwerk, dazwischen Rasenflächen und Teiche strahlen eine große Ruhe aus, eine Oase inmitten der Hektik der Innenstadt. Ein kunstvoll gestalteter Musikpavillon aus dem 19. Jahrhundert versetzt den Besucher in eine andere Zeit. Wer eine Pause beim Stadtbummel in einer von hunderten kleinen Bäckereien einlegt, zwei Kaffee trinkt und zwei kleine Stück Kuchen verzehrt, bezahlt insgesamt vier Euro. So lebt der Tourist in einem Krisenland. Ich trinke im Park einen Kaffee und genieße mit anderen Lissabonern den Frühling am Vormittag.
(1) Neue Züricher Zeitung 4. 1. 2013, Seite 4 „Portugals Budget vor Gericht“