Außentemperatur brennend heiße 32 Grad. Voraus das „Tor zur Hölle“, auf arabisch Bab-el-Mandeb. Schiffe werden davon wie magisch angezogen. Ansonsten wüstenhafte, braun verbrannte Leere an der schmalen Pforte zum Roten Meer zwischen Jemen und Dschibouti.
Scheinbar friedlich die paradiesischen, menschenleeren Strände in türkisfarbenen Buchten, doch vor der Festung recken verrostete russische T-34-Panzer ihre Rohre bedrohlich in den Himmel.
Morgens um neun Uhr im Golf von Suez, zwischen den schroffen Bergen von Sinai und Ägypten: Sieben kurze und ein langer Ton schrecken die Crew auf. Bombenalarm! Systematisch wird jeder Winkel des Giganten durchsucht. „Das wird bis zu drei Mal im Jahr nach einer Checkliste exerziert“, erklärt der Kapitän, „da entgeht uns nichts, auch nicht Drogen oder Stowaways, also blinde Passagiere“.
Schleichfahrt mit Einblicken
MS CMA CGM BAUDELAIRE dampft in die Bucht von Suez im nautischen Slalom zwischen flammenspeienden Bohrinseln hindurch. Der kühle Wind heult in Sturmstärke. Die steilen Bergen der Wüstenhalbinsel Sinai und Ägyptens demonstrieren ihre Düsenwirkung.
Am frühen Nachmittag rasselt der Anker auf Suez-Reede in den Grund. Sechs Uhr, kurz vor Sonnenaufgang. Ungewohnt die nur 18 Grad „kühle“ Morgenluft. T-Shirt und Bermudas verschwinden im Schrank. Schwerfällig formiert sich unser Northbound-Konvoi zu einer kilometerlangen Frachter-Schlange mit Kurs auf das 165 Kilometer entfernte Port Said. Von hoher Brückenwarte bieten sich außerdem sichere Einblicke in den Alltag und die Natur des Landes: ob lautes, pulsierendes Stadtgewimmel oder mittelalterliche beschauliche Landwirtschaft, bittere Armut oder luxuriöser Lifestyle. Besonders am Großen Bittersee, wo Nobelvillen unter Palmen den Strand säumen.
Nach zehn Stunden Schleichfahrt – von ägyptischem Militär an Land gut bewacht – mit acht Knoten schiebt sich CMA CGM BAUDELAIRE ungeduldig ins Mittelmeer. 250.000 Dollar hat die Kurzreise gekostet. Es herrscht wieder Ruhe auf der Brücke, sind doch die arabischen Kehllaute endlich verstummt. An Backbord wird Port Said von der Sonne vergoldet. Hebel auf den Tisch und voll voraus! Noch schnelle 950 Seemeilen: an Kreta mit schneebedeckten Berggipfeln und dem Peloponnes vorbei Kurs Taranto an der süditalienischen „Stiefelspitze“.
Normaler Arbeitstag
Beim fünfstündigen Landgang unter Palmen und Olivenbäumen samt makellos blauem Himmel will einfach keine Weihnachtsstimmung aufkommen. „Auch weil wir auf See den ganzen Rummel vorher nicht mitbekommen. Wenn man bedenkt, dass morgen schon Heiligabend ist …“, sinniert der Kapitän beim Anblick der Kunststoffbäumchen in den Schaufenstern.
An Bord macht sich der Steward ans Schmücken der Plastiktannen in den beiden Messen: bunte Kerzen, Kugeln und Lametta. „Das geht hier alles stressfreier zu als an Land“, meint der Alte zufrieden.
Früher als gedacht ist CMA CGM BAUDELAIRE wieder seeklar. Ab 20 Uhr werden die letzten 2900 Seemeilen unter den Kiel genommen. Am Morgen des 24. Dezember vor der sizilianischen Küste: das Mittelmeer in Feiertagslaune, fast spiegelglatte See und strahlende Sonne. Heiligabend? Das Grillschwein harrt bereits seines Schicksals in der würzigen Marinade.
Feiertage sind an Bord normale Arbeitstage: Wache, Abrechnungen und Listen schreiben, damit zum Einlaufen in Hamburg alles vorbereitet ist. Der Bootsmann und seine Matrosen spülen das Schiff „feiertagsfein“. Schließlich soll an Deck gegrillt werden.
Unterm Weihnachtsbaum
„Frohes Fest!“, „Merry Christmas!“ und Frühstücksüberraschung: bunte Teller unterm Christbaum. Vom Weihnachtsmann, sprich: Kapitän höchstselbst arrangiert und spendiert.
Wie denn früher Weihnachten auf See gefeiert wurde, möchte der junge Zweite Offizier wissen. „Je nachdem“, beginnt Udo Wölms seine Erzählung, „das kam auf den Alten an, wie er feiern wollte. Mal mit, mal ohne Weihnachtsbaum, mal ein echter, mal einer aus Plaste“. Das Wetter habe auch immer eine Rolle gespielt. „Bei schwerer See fiel Weihnachten ins Wasser“, erinnert sich Wölms. Heute feiern die internationalen Crews nach Feierabend das Fest jeweils auf ihre Weise: bunt, laut, fröhlich, erfährt man weiter. Die europäischen Offiziere bleiben dann unter sich.
Die Wetterkarte kündigt für Deutschland einen Kälteeinbruch an. Schon im Englischen Kanal wird die bunte Containerlandschaft von Schneeschauern über Nacht in ein weißes Gebirge verzaubert. „Denn mal guten Rutsch und zieht Euch warm an!“, rät der Kapitän vorsorglich. Er freut sich nach vier Monaten Fahrtzeit auf Silvester mit seiner Familie in Stralsund.