Abenteuer Kanada unterm Dach
Hotel-Museum der Huronen und 50.000 Wildgänse
Nordöstlich von der City Quèbecs liegt Wendake, das Dorf der Wendat-Huronen. Für die Ureinwohner gilt es hier in Kanada als abwertend, sie mit dem Begriff Indianer zu bezeichnen. Sie werden offiziell und auch richtigerweise Erste Nation genannt. Der Anblick ihrer Siedlung, einst vor 300 Jahren von den Franzosen als Reservat und Schutzraum vor anderen feindlichen Stämmen der Irokesen eingerichtet, ist für mich doch recht überraschend.
Zwar erwartete ich nun nicht eine Zeltstadt, an deren Feuerstellen die Bewohner im Federschmuck sitzen und Friedenspfeifen rauchen. Doch es ist unerwartet, in einen Ort mit vielen schmucken Einfamilienhäusern zu fahren. Die weißen Holzhäuser sind zwischen gepflegten Vorgärten und Wegen aufgereiht, die Straßen sind recht sauber, sogar ein Shoppingcenter und ein kleines Gewerbegebiet sind auf dem 2,4 Quadratkilometer großen Gelände zu finden. Ich erfahre, dass es nur Stammesangehörigen mit ihren Familien erlaubt ist, in der Gemeinde zu leben. Wie alle Ureinwohner brauchen sie in Quèbec keine Steuern zu bezahlen. Es existieren Wartelisten von vielen Jahren, um hier Bauland zu kaufen oder in Häuser einzuziehen. Welch Unterschied zu manchen anderen Reservaten in Nordamerika wie beispielsweise in Arizona.
Überleben in Indian Residential Schools
Der Mittelpunkt von Wendake besteht in dem einzigartigen Hotel, dessen Bestandteil ein Museum der Wendat-Huronen beherbergt. Hier treffe ich Jason Picard-Binet von der Tourismus-Organisation des Ortes. Jason, der Sohn einer Mutter vom Huronenstamm und eines weißen frankophonen Kanadiers, führt mich durch das liebevoll eingerichtete kleine Museum. Besonders stolz präsentiert er mir die legendären Kanus seines Stammes, die mit Bärenfett verfugt sehr lange Zeiträume nutzbar waren. Das Museum erzählt auch ein wenig über das Schicksal von Kindern der Eingeborenen, die oft ohne französische Sprachkenntnisse nur mit ihrer Muttersprache ausgerüstet und getrennt von ihren Familien gezwungen wurden, so genannte Indian Residential Schools zu besuchen. Seit 1870 bis weit in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts mussten 150.000 Kinder diesen Leidensweg mit vielen sozialen Problemen durchmachen. Erst vor vier Jahren entschuldigte sich offiziell Ministerpräsident Stephen Harper im Namen der kanadischen Regierung für das erlittene Unrecht bei den früheren Schülern.
Abenteuer Kanada unter dem Hoteldach
Das Hotel-Museum, das den Namen „Premières Nations“ (Erste Nation) trägt, wurde im März 2008 zum 400jährigen Jubiläum von Quèbec eröffnet. Der Museumsbereich geht fast nahtlos über in die großzügig gestaltete Lobby und in das Hotel mit insgesamt 55 Zimmern. Hier findet man Abenteuer Kanada unterm Dach. Alle Räume sind geprägt von durchgängig verbautem Holz und unzähligen Wolfs- und Biberpelzen, die die Sessel schmücken sowie Elch-Geweihen an den Wänden. In den Hotel-Suiten liegt mitten im Wohnraum sogar das Fell eines Schwarzbären. Überall, angefangen in der Hotelhalle, in den Treppenaufgängen, im Konferenzbereich und auch in den Zimmern trifft der Gast auf Kunstwerke, Bilder und Plastiken von Ureinwohnern.
Jason begleitet mich dann zu einem der bekanntesten Pilgerorte von Quèbec, die 1730 erbaute Kirche „Notre-Dame-de-Lorette“ in Wendake. Sie ist ein Beispiel für die enge Verbindung der katholischen Kirche mit den Traditionen der Ureinwohner. Hier steht eine Krippe der Ersten Nation mit einer Maria, die wie eine Huronin aussieht in einer Holzhütte der Huronen und die drei Könige aus dem Morgenland sind ebenso ganz offensichtlich von einem Indianerstamm.
Typisches Gericht: gegrilltes Robbenfleisch
Zu der wirtschaftlich florierenden Gemeinde gehört, dass nicht zuletzt für die Touristen drei Restaurants vor Ort sind. Außerdem wird in Wendake die gut schmeckende süffige Biersorte „Kwe“ selbst gebraut. Berühmt ist das Hotel-Restaurant, das erst kürzlich wieder in einem Wettbewerb zum zweit besten Hotelrestaurant für regionale Küche gekürt wurde. Jason empfiehlt mir ein typisches Gericht aus der Region: gegrilltes Robben-Fleisch. Es sei auch preiswert, weil es davon jede Menge gibt. Derzeit ist noch 14 Tage Jagdsaison für Elche (Moose). Jason geht auch auf die Pirsch, er ist leidenschaftlicher Jäger und hat schon manchen Elch erlegt. Aber das Elch-Fleisch darf hier nicht auf der Speisekarte stehen, sondern ist nur für den privaten Verbrauch bestimmt.
Gibt es eigentlich auch Vegetarier bei der Ersten Nation? Natürlich gebe es die, meint Jason lakonisch, das seien einfach sehr schlechte Jäger.
Englische Krone als Großgrundbesitzer
Zum Abschied schenkt mir Jason ein kleines Buch mit dem Titel „Collection of life stories“(1), in dem 23 Lebensgeschichten von Kindern der Ersten Nation gesammelt sind, die schildern, wie sie ihre Zeit in Quèbecer Residential Schools überlebt haben. Auch wenn die Enteignung ihres Landes und die „Integration der Ureinwohner“ nicht so mörderisch verlaufen ist wie in anderen Teilen Nordamerikas und der Welt, bleibt beim Besucher viel traurige Nachdenklichkeit. In ganz Kanada hat sich die englische Krone jede Menge Grund und Boden angeeignet, erst recht, wenn dort Bodenschätze zu heben waren. Jason denkt melancholisch darüber nach, wie viel Kredit er heute bei den Banken hätte, wenn er Land seiner Vorväter als Sicherheit einbringen könnte.
Natürlich stelle ich die Frage nach dem Indian Summer. Die rote Färbung des Laubes erfolge nur dann, so Jason, wenn ab Mitte oder Ende September zwei Mal Frost und dann noch einmal am Tage warme Temperaturen bis 15 Grad herrschen.
Energietankstelle für Wildgänse
Das attraktive Ziel für die Touristen im Herbst befindet sich 45 Autominuten östlich von Quèbec – das Cap Tourmente. Im Ausstellungsgebäude steht am Eingang eine Tafel, auf der am Tag meines Besuches die Zahl 39.000 geschrieben steht. „Gestern stand dort noch 50.000 (!) Das ist die Anzahl der Wildgänse, die bei uns Station machen“, erzählt die Biologin Chantal, die am Cap Gäste betreut und PR-Arbeit macht. Im Jahr 1978 wurde hier das Schutzgebiet eingerichtet und mittlerweile hat sich die Zahl der Wildgänse vervielfacht und liegt jetzt sogar über eine Million. In dem Schlamm- und Schlickboden des Lorenzstroms hier am Cap fressen sich die Gänse fett und tanken Energie, um ihre Langflüge von rund 11.000 Kilometern durchzustehen. Im Oktober kommen sie aus arktischen Gefilden und machen bis zu zehn Tage ihren Futterstopp.
Insgesamt elf verschiedene Wegstrecken von insgesamt 20 Kilometer Länge sind im Schutzgebiet aufgebaut, meist aus Holz gezimmerte Wege, um trockenen Fußes zu den überdachten Beobachtungsstellen zu gelangen. Überall stehen fest verschraubte Ferngläser, die die Gänse ganz nah heranholen. Die Tiere scheinen pausenlos mit futtern oder schnattern beschäftigt und lassen sich von den neugierigen Zaungästen, die durch Holzwände etwas abgeschirmt sind, nicht stören.
Man erkennt im Fernglas, dass einige der Gänse sich ganz rote Köpfe beim Eintauchen in den Schlamm geholt haben. „Darin versuchen sie, sehr nahrhafte Wurzeln zu ergattern“, erklärt Chantal. Jetzt fliegen die Gänse weiter in die warmen Gefilde von North Carolina und Florida, was sicher auch die meisten Besucher bevorzugen würden, denn im Oktober ist es in Quèbec recht kalt, besonders wenn es etwas stürmt und der Schnee an einigen Stellen in den Wäldern liegen bleibt.
Jagd auf Wildgänse notwendig
Gerade fliegen sechs Gänse in Formation über uns. „Es könnte der Verband von ein oder zwei Familien sein“, erläutert Chantal. „Das erste Jahr des Langfluges in ihrem Leben unternehmen sie unter Aufsicht der Eltern. Dann müssen sie allein los und sich einer der vielen Gruppen anschließen“. Ein viel spannenderes Leben als einfach nur einmal als Weihnachtsbraten mit Rotkohl und Klößen auf dem Tisch zu stehen.
Allerdings haben sich die Wildgänse durch höheres Futterangebot und Schutzgebiete dermaßen vermehrt, dass ihre Anzahl reduziert werden muss. Dann treten die Jäger in Aktion, die die Gänse sehr wohl essen, aber nicht den Restaurants oder dem Supermarkt verkaufen dürfen. So landet dann doch auch in Kanada manche Gans in der Bratröhre.
Die Gänse sind zwar der Star am Cap Tourmente, aber in der Region werden von den Vogelschützern insgesamt 700 Vogelarten gezählt. Hier sind viele Nistplätze und Vogelhäuser aufgestellt, ein Vogelparadies, in dem auch zur Freude der Besucher noch im Oktober jede Menge Piepmätze unterwegs sind. www.ec.gc.ca
Indian Summer meist nur an drei Tagen
Die studierte Naturschutz-Expertin Chantal Lepire klärt mich nun endgültig über den „Indian Summer“ auf. Dieser Begriff, den jeder Tourist unbedingt erleben will, der im Herbst in der Region Quèbec und im Nordosten der Ostküste der USA unterwegs ist, umfasst zu allermeist nur eine Zeitspanne von drei Tagen. Wenn dann nach zweimaligem Frost oftmals erst im Oktober das einfallende Licht in den Zellen der Blätter bestimmte farbliche Prozesse auslöst, meist beim Ahorn-Baum, erst dann spricht der Fachmann vom Indian Summer. Ansonsten verwandelt der gesamte Herbst Kanadas Wälder und taucht sie in eine imposante Farbenpracht. Eben Herbst, aber das klingt für die Werbeexperten nicht so prickelnd.
Fotos: CTOUR/Ronald Keusch, Chantal Lepire (1), Collection of life stories, First Nations of Quebec and Labrador Health and Social Services Commission, 250 place, Michel Laveau , Wendake (Quebec), March 2010 (1)
Die Pressereise nach Quèbec wurde von der neu eröffneten Destination Québec der MEKS GmbH in Berlin, Leiterin Martina E. Klöckner-Scherfeld, organisiert. Ausgangspunkt war ein gemeinsam mit CTOUR veranstalteter Medienabend am Pariser Platz in Berlin am 19. April 2012.