Das kräftige Gelb der seit Ende Januar blühenden Mimosen leuchtet und niemand ist verwundert über die allerorts in der Stadt wachsenden Palmen. Die Brasserien und Cafés stellen Tische und Stühle vor die Tür und sogar auf den steinigen Strand. Die Berge und Hügel rund um die Stadt am Mittelmeer schützen vor den Winden wie dem Mistral und sorgen für milde Wintertage um die 10 Grad Celsius. Das Empfangskomitee von Nizza ist für seine Besucher im Februar wie jedes Jahr perfekt aufgestellt. Die Hauptstadt der Blumen an der Côte d’Azur, mit knapp 400.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Frankreichs, ist schon immer etwas anders als der große Rest europäischer Regionen. Davon zeugt eines seiner unverwechselbaren Markenzeichen, eine Mischung aus Moderne und Tradition – der Karneval in Nizza.
Karneval mit einer Million Besuchern
Wenn es nicht die lange Tradition des Karnevals gäbe, die bis ins Mittelalter reicht, könnte man glauben, der Tourismusverband hat das fröhliche Treiben erfunden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand Nizza, besiegelt durch einen Volksentscheid, den Anschluss an Frankreich. Sie sollte unter Napoleon III. zur Hauptstadt der Blumen avancieren und die Idee des Karneval bekam vor 130 Jahren einen neuen Schub. „Mehr als eine Million Besucher aus aller Welt kommen jedes Jahr zu unserem Karneval“ resümiert stolz Olivia Zurcher vom Tourismus-Büro Nizza. „Es ist das wichtigste Ereignis hier an der Côte d’Azur und hat sich auch international einen Namen gemacht.“ Dazu tragen maßgeblich die phantasievollen und mitunter schrillen Festumzüge bei.
Jede Menge ernste Arbeit
In diesem Jahr startet der Karneval am 15. Februar. Am Vortag dieses ersten Blumenkorsos treffen sich die Hauptdarstellerinnen in einer extra eingerichteten großen Schneiderwerkstatt. Dort tritt die diesjährige Blumenkönigin, die 19jährige Jura-Studentin Angeline auf und in ihrem Gefolge 47 junge Mädchen, die auf den üppig mit Blumen geschmückten Wagen unterwegs sein werden. Sie alle passen ihre extra für diese Saison gefertigten opulenten Kostüme an. Das Zepter in der Werkstatt schwingt Schneidermeisterin Caroline Roux. Die Kostüme müssen sowohl den Mädchen passen und sollen auch eine Einheit mit den jeweiligen Blumenwagen bilden. Etwa eine Woche Zeit sei pro Kostüm zu veranschlagen, so erzählt Chef-Schneiderin Caroline, und allein für die Herstellung des Kostüms der Königin sind 200 Arbeitsstunden nötig gewesen. Caroline Roux, die auch in den Ateliers des Opernhauses der Stadt beschäftigt ist, sorgt sich auch um die Entwürfe der Kostüme und den Einkauf der Stoffe. Da steckt in der Karneval-Ausstattung jede Menge ernste Arbeit. Aber jetzt überwiegt bei ihr die Vorfreude auf den Umzug.
Wagen mit 30 Blumensorten geschmückt
Gleiches gilt für die Floristen, die einen Tag vor Beginn des Karnevals in einer großen Halle mit Blumenmesser und Wasserschlauch letzte Hand an die aufgereihten Blumenwagen legen. Hier sind insgesamt 18 Umzugswagen in einer faszinierenden Blumenpracht aufgereiht. In der Halle hängt schwerer, leicht betäubender Blütenduft. Gladiolen, Chrysanthemen, Orchideen, Sonnenblumen, Mimosen, Gerberas, Margeriten, Rosen, Nelken, etwa 3000 Blüten und 30 Blumensorten schmücken die Wagen. Sie ziehen traditionell am Nachmittag in die berühmte Blumenschlacht (Bataille de Fleurs). Seit vielen Jahren hat die Blumenhändlerin Nicole Merlino hier das Kommando. „Die Mehrzahl der Blumen stammt aus unserer Region. Die Blumen sind die Visitenkarte von Nizza, die allen große Freude bringen soll.“
Umzugskorso auf der Promenade des Anglais
An diesem ersten Karneval-Sonnabend des Jahres 2014 wird Nizza seinem unerschütterlichen Ruf, eine Stadt mit fast 300 Sonnentagen im Jahr und der wärmenden Februarsonne zu sein, nicht gerecht. Der Tag des Karnevalsumzugs beginnt mit Nieselregen und aufgeklappten Regenschirmen. Die Wegstrecke führt wie alle Jahre über das Wahrzeichen Nizzas, der Promenade des Anglais, entlang der Mittelmeerküste. Die kilometerlange Promenade wurde nach den Engländern benannt, die vor den kalten Wintermonaten von zu Hause hierher flohen. Mittlerweile wachsen neben dem breiten Fußgänger-Boulevard sechs Fahrspuren einer Küstenstraße – die ideale Rollbahn für die Umzugswagen. Als günstigste Orte für die Zuschauer erweisen sich zunächst die trockenen Logenplätze in den Hotelzimmern mit Meerblick. Doch es hört rechtzeitig auf zu regnen, die Straßenränder und Tribünen füllen sich mit Zuschauern und das Spektakel beginnt. Kostümträger zahlen keinen Eintritt, ansonsten muss der Besucher zwischen zehn Euro für den Stehplatz und 25 Euro für die Tribüne berappen.
Es prasselt fünf Tonnen Blumen
Die Blumenkönigin Angeline ist in ihr glitzerndes Kostüm geschlüpft und gibt sich auf ihrem Blumenwagen majestätisch die Ehre. Wie auch all die anderen Blumenmädchen auf den Wagen winkt und flirtet sie mit dem Publikum und wirft ständig Mimosen in die Menge. Der farbenfrohe Zug der Blumenwagen wird durch kostümierte Narren in phantasievollen Kostümen begleitet. Die Mehrzahl der Gruppen kommt aus dem Ausland. Unverkennbar die dunkelhäutigen Tänzerinnen, die ein Stück Karneval in Rio mitbringen oder ein wohl formierter Spielmannszug in mittelalterlicher Kleidung aus Friedrichshafen, der wie eine Kompanie von Soldaten daher marschiert. Bizarre Figuren auf Stelzen stolzieren über den Asphalt, eine Gruppe von Reiterinnen in historischen Kostümen trabt am Publikum vorbei und ein etwa zehn Meter langer Drache kriecht über die Straße und stößt immer wieder Rauchwolken aus seinem Rachen. Ständig sind einige Dutzend schwarz gekleidete und im Gesicht bunt geschminkte junge Leute rund um den Umzug unterwegs. Auf ihren T-Shirts steht in großen Buchstaben BAT, die Brigade für Animation. Sie sorgen für ein Gewitter an Konfetti und bunten Luftschlangen. Zum absoluten Höhepunkt der Blumenschlacht werden alle Blumenwagen entkleidet. Es prasselt Blumen über Blumen, insgesamt wohl fünf Tonnen, in das erwartungsvolle Publikum hinein. Und jeder bindet sich seinen Blumenstrauß.
Kanzlerin Merkel auf dem Karnevalwagen
Der erste Tag des Karnevals gestattet nur eine kurze Pause. Denn am Abend nimmt der Karneval in der Altstadt auf der Placa Massèna weiter Fahrt auf. Auch hier sind Tribünen aufgebaut, zehntausende Glühbirnen und dutzende Scheinwerfer schaffen ein bizarres Bild. Überwältigend ist die riesige Figur auf dem Königswagen. In diesem Jahr hat der Monarch aus Pappmaschè entsprechend dem Motto des Umzugs ein halbes Dutzend überdimensionale goldene Gabeln an seiner Krone. Auch sein Schicksal ist besiegelt. Nach altertümlichem Gesetz wird er am Abend vor dem letzten Umzug verbrannt. Mittendrin defilieren unter lauter Musik und teilweise ohrenbetäubenden Lärm wieder Tanzgruppen und Musiker sowie 18 thematisch gestaltete Wagen vorbei. Sie sind in diesem Jahr dem Thema Gastronomie gewidmet, suchen aber ähnlich dem Karneval im Rheinland kritische Sichten auf gesellschaftliche Themen. Da macht man sich aber nicht nur über die Vergabe von Michelin-Sternen lustig oder karikiert die Ernährung mit Fast Food, sondern setzt sich auch mit großer Politik auseinander. So sitzt die Pappfigur vom französischen Staatspräsident Hollande als Ausdruck seiner Politik auf einem Haufen von Käsestücken. Die überlebensgroße Figur von Bundeskanzlerin Merkel hat Messer und Gabel in der Hand und vor sich einen Topf mit Sauerkraut, in dem vier kleine südeuropäische Gestalten mit verzerrten Mienen herumstrampeln.
Das Lebensgefühl von Nizza
Insgesamt wird zum diesjährigen Karneval die Blumenschlacht fünf Mal stattfinden. Käme allerdings jemand auf die Idee zu fragen, ob es denn nicht schade wäre um die 100.000 Blumen, die der Karneval verbraucht, würde er bei den Machern nur ein mitleidiges Lächeln ernten. Die Blumen sind Glück und schönes Lebensgefühl in Nizza. Und in der Vase verwelken sie auch in ein paar Tagen. Noch bis zum 1., 2. und 4. März werden die Bataille de Fleurs im Wechsel mit Corso Carnavalesque die Urlaubs-Saison einläuten.