CTOUR on Tour: Rad und weg – Winter-Lichtblick

Am „goldenen Freitag“ unterwegs auf dem Ostseeküsten-Radweg
Das Sturm-Hochwasser ist gerade überstanden, da verspricht der Wetterbericht auch schon wieder Besserung: einen sonnig-frostigen Tag mit nur leichtem Wind. Der morgendliche Blick zum Himmel bestätigt es. Genau das richtige Wetter für eine Winter-Radtour.

Nichts wie los! Um 10.09 Uhr startet der UBB-Triebwagen vom Stralsunder Hauptbahnhof nach Barth. Der Vortag stand noch unter dem Motto: „Stralsund: Sturm flutet Straßen“. Alles scheinbar wie weggeblasen.
Pünktlich um 10.43 Uhr bremst der Zug in der Vineta-Stadt. Passend zum strahlenden Himmel zwei fröhliche Gesichter wie zur Begrüßung am Bahnsteig. Die Frage der Mädels, ob der angekommene Zug gleich nach Velgast abgehe, kann bejaht werden. „Wir haben einen Kurzurlaub in Zingst gemacht“, erfährt der Stralsunder Radler, „und fahren jetzt begeistert nach Hamburg zurück“.

Autor Dr. Peer Schmidt-Walther mit seiner Morgenlektüre auf dem Ostseeküsten-Radweg

Verkaufswagen-Schlange
Das steckt an. Auf in die Barther Altstadt, die dem Bahn-Rad-Fahrer zu Füßen liegt! Ihre lange und wechselvolle Geschichte reicht, so liest man an einer Info-Tafel, bis 1255 zurück. Damals wurde die Siedlung nach lübischem Stadtrecht gegründet.
Es geht beschaulich zu in den sauberen Straßen, deren wohlgefällig restaurierte Häuser von St. Marien überragt werden. Auf dem malerischen Alten Markt grüßt noch der kommunale Weihnachtsbaum, aber ein Fleischer lockt mit Wiener Würstchen, Kartoffelsalat und Salz-Dill-Gurken aus eigener Produktion. Die am Verkaufswagen Schlange stehenden Hausfrauen sprechen eine beredte Sprache: Hier kann man getrost gute Qualität erwarten – und für wenig Geld. Die Marschverpflegung ist gesichert.

Frühstück am Deich beim Sperrwerk Groß Kordshagen

Stralsunder Begegnung am Grabow
Der moderne Raddampfer BALTIC STAR im Hafen ist schon vom Eis eingeschlossen und wartet auf bessere Zeiten, von den Tauen hängen glitzernde Zapfen herab. Ansonsten herrscht winterliche Ruhe.
Der europäische Fernradweg E9 „Ostseeküsten-Radweg“ führt nach Osten aus der Stadt heraus. Dank guter Beschilderung kein Problem. Eine 50.000er-Wanderkarte sollte dennoch im Gepäck sein.
In Glöwitz passiert man den „Klönkaten“. Einst ein beliebter Treffpunkt für „Lebenskünstler“, wie man von einem Spaziergänger erfährt, heute nur noch eine traurige reetgedeckte Ruine. Den Glöwitzer Berg geht´s nur im ersten Gang hinauf, nach den Strampelmühen aber vom zwanzig Meter hohen Ützberg in Sausefahrt zu Tal. Mit einer Riesenbelohnung: dem weiten Blick über den still und glänzend da liegenden Grabow. Ruhendes Baggergerät am neu entstehenden Hafen Dabitz, aber ein einsamer PKW. Der gehört einem Stralsunder Ehepaar, das sich über den „goldenen Freitag“ freut und gerade von einem langen Sonnen-Spaziergang auf dem Deich zurück kommt. „Wunderschön, diese Landschaft, dazu das Traumwetter“, schwärmen die Beiden, „das muss man einfach ausnutzen! Drin sitzen können wir noch lange genug!“ Nach einem gegenseitigen Handy-Foto freundschaftliche Verabschiedung. In dieser winterlichen Einsamkeit rückt der Mensch wieder zusammen. Im Sommer dürfte hier schon mehr los sein.

Winterliche Boddenlandschaft am Grabow

Festmenü mit Weitblick
Auf der Brücke über die zugefrorene Uhlenbäk ein vermummter Angler, der auf die Eisdecke unter sich starrt. „Hüüt ward dat wohl nix mehr!“, schüttelt er den Pudelmützen-Kopf und überlegt, ob er ein Loch in den erstarrten Bach schlagen oder nach Hause gehen soll. „Gestern“, meint er hochdeutsch weiter, „da hättst du mal hier sein sollen, da war alles voll!“ Wie sich herausstellt Küstenwächter, die auf Deichbeschau unterwegs waren wegen des Hochwassers. Seine Reste sieht man noch als glänzende Eisflächen, die auch über den Radweg lecken. Da steigt man besser ab, um nicht mit dem Rad Schlittschuh zu fahren.
Mittagspause mit Bank und Tisch am Bodden-Wehr Groß-Kordshagen. Bei leckerem Festmenü aus Barth, 180-Grad-Wasser-Darss-Blick inklusive natürlich. Dazu das Himmels-Konzert von Tausenden Gänsen, die unter großem Geschnatter eine Wiese bei Zühlendorf ansteuern.

Marktplatz der Vineta-Stadt Barth mit Marienkirche

Parow von Abendsonne vergoldet
In Nisdorf fällt das restaurierte Herrenhaus auf, vor Kinnbackenhagen das strubbelige Große Holz, ein zersauster Wald am Schilfgürtel. Ferienhäuser kommen am Rand von Kinnbackenhagen in Sicht. „Zu viele“, meint ein Alt-Anwohner, „das bringt ganz schön Unruhe in unser bisher beschauliches Dorf“. Bisdorf ruht anscheinend in seinen Einfamilienhaus-Schlaf, während man in Hohendorf das ehemals gräfliche Schloß in neuem Glanz entstehen sieht. Weit schweift vom oberen Ortsteil auf dem Weg nach Klausdorf der Blick bis nach Hiddensee hinüber, das zum Greifen nahe scheint. Prohn wird gegen 16 Uhr von der Abendsonne vergoldet, bis hinter Parow vor der Fachhochschule endlich wieder die Türme von Stralsund in Sicht kommen. Der Tacho zeigt im heimatlichen Heilgeistkloster 45 Kilometer Fahrtstrecke an.
Fazit dieses aktiven siebenstündigen Traumtags: Warum in die Ferne schweifen…

Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther