DAS FERGHANATAL – DER GARTEN ZENTRALASIENS

Von Bodo Thöns

Das touristische Interesse an Usbekistan fokussiert sich nach wie vor stark auf die Spuren der alten Seidenstraße von Taschkent über Samarkand und Buchara bis nach Chiva. Doch auch bislang außerhalb des Brennglases verbleibende „Randlagen“ des Landes, wie das Ferghanatal im Osten, die Region Surchondarya im Süden oder die Autonome Republik Karakalpakstan im Nordwesten haben einiges zu bieten. Neben den bislang häufig unterschätzten Sehenswürdigkeiten in diesen Regionen verbesserte sich in den letzten Jahren auch die touristische Infrastruktur.

Neue Hotels und Restaurants entstehen. Einen weiteren Schub liefert die neue, auf regionale Inlandsflüge spezialisierte Fluggesellschaft Silk Avia. Auch Turkish Airlines fliegt mittlerweile nicht mehr nur nach Taschkent, sondern mehrmals pro Woche in die Provinz, z.B. täglich außer montags nach Ferghana, die zentrale Metropole im Ferghanatal.

Silk Avia bietet mit seinen Turboprop-Maschinen täglich ab Taschkent mehr Flüge in die Provinz

Dieser im Vergleich zum Rest Usbekistans extrem dicht besiedelte Landstrich wird auch das Goldene Tal (Oltyn Vody) genannt. Es bildet in der durch Wüste, Steppe und Hochgebirge geprägten Landschaft Zentralasiens vor allem dank des Fluß- und Kanalnetzes rund um den Syrdarya eine riesige, grüne und somit goldene Oase. Das etwa 80.000 Quadratkilometer große Tal befindet sich seit Anfang der 1990er Jahre in einem Dreiländereck aus Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan, wobei der etwa 2/3 umfassende Löwenanteil auf Usbekistan entfällt.

Das Ferganatal hat in seinen drei Bezirken Ferghana, Namangan und Andijan einiges zu bieten: geschichtsträchtige Orte samt Karawansaraien und Khanspalast, bedeutende Wissenschaftler und Literaten, Moscheen und Pilgerorte, die Töpferhauptstadt Usbekistans, blühende Landschaften für Obst und Gemüse samt Blumenparade, textile Vielfalt zwischen Seide und Baumwolle sowie den wohl bekanntesten Hit der usbekischen Folklore – die Andijaner Polka.

Auf Youtube findet man viele Variationen. Hier das offizielle Video der Stadt Andijan

Alle kennen Samarkand als Hauptstadt Tamerlans. Später gab es drei Reiche auf dem Gebiet des heutigen Usbekistans, wobei Samarkand zum Emirat Buchara kam. Keine touristische Route führt an dessen gleichnamiger Hauptstadt vorbei.

Weiter westlich steht auch die kompaktere Hauptstadt des Khanats Khiva bei den meisten Touristen auf dem Programm. Der Bekanntheitsgrad das damals weit über die Grenzen des Ferghanatals in Kirgistan, Tadschikistan und das südliche Kasachstan hinaus reichenden dritten Khanates mit seiner Hauptstadt Kokand fällt aber bis heute deutlich geringer aus. Zu Unrecht.

Der Hudayar Khan Palast stammt mit einer Bauzeit von fast 50 Jahren aus dem 19. Jahrhundert

Kokand bzw. Qo´qon hat einen eindrucksvollen Herrscherpalast zu bieten. In der Altstadt findet man neben sehenswerten Moscheen und Medressen sowie dem Friedhof der Khane auch russische Kolonialarchitektur aus der Zarenzeit sowie aus der Sowjetzeit ein modernistischen Theater- und Museumskomplex. Daneben ist Kokand das Mekka der usbekischen Literaturszene, was auch in zwei Museen gewürdigt wird. Viele Poeten und Schriftsteller der letzten beiden Jahrhunderte, wie u.a. Muqimi, Hamza oder Gafur Gulom stammen von hier oder verbrachten viele Jahre ihres Lebens in Kokand.

Das neu gestylte Stadttor von Ferghana

Der geographisch zentrale Ort des Ferghanatals ist die Stadt Ferghana. Viele Besucher des Tals schlagen hier ihr „Basislager“ auf und schwärmen dann in Tagesausflügen in alle Richtungen zu den sie interessierenden Sehenswürdigkeiten aus.

Der Namenspatron für Tal, Stadt und Kanal ist der in der Gegend geborene Abu I-Abbas ibn Kathir al-Fergani. Der berühmte Astronom lebte im 9. Jahrhundert, wirkte u.a. in Bagdad und Kairo und bestätigte mit seinen Berechnungen zum Erdumfang die Richtigkeit des ptolemäischen Weltbildes.

In Europa kennt man den Astronomen als Alfraganus

Die Stadt ist relativ jung und sowjetisch geprägt. Ein riesiger Basar, eine nette Fußgängerzone samt Alfraganus-Park und einem gewaltigen Riesenrad mit Blick auf die Berge in Kirgistan prägen das Stadtzentrum. Der Ort entstand Ende des 19. Jahrhunderts als russische Neustadt namens Neu-Margilan neben der historischen Stadt Margilan und wurde erst 1925 in Ferghana umbenannt. Sie ist ein bedeutender Industriestandort und war das Zentrum für den spektakulären Bau des Großen Ferghanakanals. Bei diesem gigantischen Bewässerungsprojekt der Stalinzeit hoben 1939 etwa 160.000 Bauern in knapp zwei Monaten fast ohne Technik, nur mit Spitzhacke und Schubkarre, eine über 300 Kilometer langen Kanal aus und verdoppelten die Anbauflächen für Baumwolle sowie Obst und Gemüse.

Der neue Kulturpalast von Ferghana

Dank der günstigen klimatischen Bedingungen genießen Obst und Gemüse aus dem Ferghanatal einen hervorragenden Ruf. Weintrauben und Melonen, Erdbeeren und Kirschen, Himbeeren und Maulbeeren, Pfirsiche und Khaki-Früchte, Äpfel und Granatäpfel werden hier in großen Mengen geerntet und frisch oder verarbeitet ins In- und Ausland geliefert. Die lokale Baumwolle wird ebenfalls vor Ort verarbeitet. Das Unternehmen bietet neuerdings eine “Cotton Tour” an, wo auch ausländische Besucher im Herbst innerhalb eines Tagesausfluges alle Stufen der Verarbeitungskette von der Ernte der Baumwollblüte bis zum fertigen T-Shirt live erleben können.

Die Firma Global Textile bietet den vollen Einblick, wie ein T-Shirt entsteht

Wer bei Textilien mehr Exklusivität sucht, sollte unbedingt Margilan in seine Reiseroute aufnehmen. Hier futtern die Seidenraupen die Maulbeerblätter, um dann durch Aufkochen der Kokons die wertvollen Seidenfäden zu liefern. In der Seidenhauptstadt Usbekistans gibt es sowohl die industrielle Seidenproduktion als auch eine ganze Reihe privater Manufakturen, wo man den gesamten Herstellungsprozeß in Augenschein nehmen kann. Das Angebot reicht vom einfachen Tuch über Stoffbaren und Kleidung sowie von angesagten Designern kreierter Haute Couture bis zu den extrem aufwendig zu webenden Seidenteppichen. Alles ist traditionell sehr farbenprächtig und für den europäischen Geschmack zunehmend auch schon etwas dezenter. Mit Batik und der lokaltypischen Ikat-Technik entstehen vor allem, aber nicht nur, die landestypischen Muster.

Zielgruppenmarketing für Besucher aus Deutschland

Zwischen Ferghana/Margilan und Kokand befindet sich direkt an der Grenze zu Kirgistan Usbekistans „Töpferhauptstadt“ Rishtan.

Farbenprächtige Keramik mit ausgefeilten Ornamenten, zumeist in blauen und grünen Grundtönen gehalten, sind ein beliebtes Mitbringsel aus Usbekistan.

Das Angebot dazu in Taschkent stammt zumeist aus Rishtan. Die Stadt wurde sozusagen auf Lehm gebaut. Um 1900 gab es 80 Töpfer in der Stadt. Heute gibt es neben einer Keramik-Fabrik etwa ein Dutzend Meisterdynastien, die ihre Werkstätten öffnen und auch mehrtägige Kurse anbieten, die mit dem Lehmabbau beginnen und der Übergabe des verzierten Tellers oder Schälchens ihren Abschluß finden.

Keramikwerkstatt

Wasser und Wald sind ein seltenes Gut im Wüstenland Usbekistan und in dieser Kombination selbst im grünen Ferghanatal eher die Ausnahme. Um so interessanter ist der kleine Ort Chimyon. Man könnte auch „Bad Chimyon“ sagen, wenn man diese Klassifizierung in Usbekistan kennen würde. Hier wirkt noch, dank vieler, mittlerweile allerdings in die Jahre gekommenen, Sanatorien die Kategorie „Kurort mit Allunionsbedeutung“ aus der Zeit der Sowjetunion nach. Dank des Waldreichtums in der Umgebung und der schwefel- und natriumreichen Mineralquellen könnte der Ort eine Perle werden.

Im Norden des Ferghanatals befindet sich Namangan. Mit ca. 660.000 Einwohnern ist es die bevölkerungsreichste Stadt des Ferghanatals und nach Taschkent in Usbekistan die Nr. 2.

Zugleich ist es auch die wohl religiöseste Stadt im ganzen Land. Usbekistan lebt bekanntlich einen weltlichen Islam, wobei der Glaube im Ferghanatal generell einen höheren Stellenwert als im Rest des Landes innehat.

Namangan bietet ein weniger touristisches, aber doch sehr authentisches Bild Usbekistans.

Gleiches gilt auch für die unweit gelegene Kreisstadt Chust. Man kennt das örtliche Kunstgewerbe für Messer und Kopfbedeckungen. Während die Männer kunstvoll Messer in allen Variationen schmieden, besticken die Frauen die Tjubitejka oder Do´ppi genannten typisch usbekischen Kopfbedeckungen. Die im Land traditionellen „Volksbelustigungen“ wie Seiltanz oder Gewichtheben kann man hier noch nicht als Showeinlage für ausländische Touristen, sondern als Spektakel für die Einheimischen erleben.

Einige lassen sich durch den Fotografen vom Seiltänzer ablenken

Andijan ist die östlichste Großstadt Usbekistans. Die gleichnamige Provinz umfaßt nur 1% des Landes, beherbergt aber 10% der Bevölkerung des Landes. Die Altstadt der modernen Metropole ist überschaubar. Während landesweit Tamerlan bzw. Amir Temur als der große Identitätsstifter gilt, so heißt der Held in Andijon Bobur (1483 – 1530). Nachdem sein Feldzug gegen die Nachkommen Tamerlan scheiterte, richtete er seinen Eroberungsdrang gen Süden, eroberte Afghanistan und Nordindien, wo er die Mogulen-Dynastie begründete.

Selbstporträt mit Ahnen: links Tamerlan, rechts Bobur.

Besondere Beachtung verdienen zwei spannende Exklaven in wunderschöner Gebirgslage im Süden des Tals: Sokh und Shakhimardon. Sie gehören zu Usbekistan, befinden sich aber in einer Insellage auf dem Territoriums Kirgistans. Sie sind natürlich auf dem Landwege erreichbar, aber für ausländische Touristen leider noch nicht, da die Grenzübergänge bislang nur für Bürger der beiden Nachbarländer passierbar sind. Es fehlt der vollwertige Status, der auch Bürgern aus Drittländern den Grenzübertritt ermöglicht.

Blick aus der AN2 auf den Flughafen Sokh.

Für Sokh gibt es einen abenteuerlichen Lichtblick für Hartgesottene. Diese Exklave hat einen kleinen Flughafen. Derzeit 4 x pro Woche fliegt eine Antonov 2 ab Ferghana ca. 40 Minuten gen Süden. Die AN2 war vor allem als Agrarflieger im Einsatz, aber es gab auch eine Variante für Passagiere. Dieses hier zum Einsatz kommende Fluggerät für 12 Passagiere weist als Baujahr 1988 aus, wurde aber 2021 generalüberholt und garantiert einen schönen Adrenalinschub. Paradox ist, dass in Sokh unter usbekischer Verwaltung, umgeben von Kirgistan, fast ausschließlich ethnische Tadschiken leben. Alle Schriftsätze sind zweisprachig. Im Tal liegen mehrere Dörfer, die kleinen Berge am Horizont sind noch Usbekistan, die großen dahinter bereits Kirgistan.

Touristisch noch größeres Interesse weckt Shokhimardon. Territorial kleiner, aber deutlich höher über dem Meeresspiegel gelegen ist das im Tal am Zusammenfluss zweier Gebirgsbäche gelegene Dorf eine Augenweide. Hinzu kommt das dem Heiligen Ali gewidmete Mausoleum in der Ortsmitte. Er war zugleich Vetter und Schwiegersohn des Propheten Muhamed und soll das Tal mehrmals besucht haben. Heute beanspruchen sechs Orte auf der Welt das Grab Alis, aber allein der Anspruch zieht überall viele Glaubensbrüder an.

Das Mausoleum für den Heiligen Ali (Abu Hasan Ali ibn Abi Talib) könnte ein bedeutender Pilgerort für die islamische Welt werden.

Das Dreiländereck aus Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan bietet noch viel Potential für grenzüberschreitende Touren. Reisende, die Usbekistan und Kirgistan kombinieren, durchqueren das Tal bislang meist im Galopp und passieren hinter Andijan die Grenze in Richtung Osch, der Hauptstadt des Südens Kirgistans. Mitten im Zentrum der Stadt ist das Felsmassiv Sulajman Too nicht zu verfehlen. Der Fels samt Grotte, Mausoleen, Museum und Kletterwegen ist seit 2009 UNESCO-Weltkulturerbe und bislang der einzige Ort im Ferghanatal, der sich mit diesem Titel schmücken kann. Neben der Besichtigung der quirligen Metropole mit riesigem Basar gibt es Möglichkeiten für aktive Wanderrouten mit Jurtenübernachtungen in den Bergen. Angebote, die man im usbekischen Teil der Ferghanatals nicht findet.

Blick zur Spitze des Sulajman Too Masives

In Tadschikistan befindet sich mit Chudjand die Hauptstadt der Nordprovinz Sogd im Ferghanatal. Sie liegt am Syrdarya. Man kennt sie auch als Eskhata. Die Siedlung hat eine lange Geschichte und wurde von Alexander, dem Großen als Alexandria Eskhata zur Festung ausgebaut. Die mehr nachgebaute als rekonstruierte Festung beherbergt heute das Heimatkundemuseum. Tadschikistan gehört zum persischen Kulturkreis. Das Museum überrascht manch deutsche Besucher mit seiner Ausstellung zu arischen Traditionen. Östlich der Stadt erinnert der riesige Kulturpalast Arbob an die goldenen Zeiten einer Baumwollkolchose. Unweit davon kann man am „tadschikischen Meer“, einem etwa 50 km langen Stausee, etwas Strandurlaub einschieben. Hier entstand der Film „Luna Papa“, u.a. mit Moritz Bleibtreu.

Das Heimatkundemuseum in Chudjand

Einige Reiseveranstalter haben 2-3-tägige Ausflüge ins Ferganatal als Reisebaustein im Angebot.
Die Kooperation zwischen Usbekistan und Kirgistan funktioniert bereits gut. Mit Tadschikistan gibt es erste Ansätze. Die große Rundreise durchs Ferghanatal als „Kleiner Ring“ innerhalb Usbekistans bzw. als „Großer Ring“ durch alle drei Länder sind heute noch Zukunftsmusik. Angesichts des weiter wachsenden touristischen Interesse für Usbekistan und seine Nachbarländer wären sie auch als Angebot für Gruppenreisen eine viel versprechende Erweiterung der aktuellen Reisepalette.

Wer sich für mehr Ferghanatal interessiert, ist am besten bei Dilrabo Travel direkt aus Ferghana aufgehoben. Der Inhaber Sadafbek Husanbayev spricht dank eines Studienaufenthaltes in Köln gut Deutsch und hilft gern weiter.
Tel. +998 97 3370087
www.dilrabotravel.uz

Fotos: Bodo Thöns, Irina Thöns

ÜBER DEN AUTOR
Autor Bodo Thöns lebt seit 2015 in Taschkent. Als promovierter Volkswirt arbeitet er heute dort als Berater in den Bereichen Banken, Textilwirtschaft und Tourismus.

Seit über 20 Jahren veröffentlicht er im Trescherverlag Berlin Reiseführer (Litauen, Sibirien, Baikalsee, Transsibirische Eisenbahn). Die aktualisierte Neuauflage seines Usbekistan-Reiseführers (ISBN 978-3-89794-669-9) kommt dieser Tage in den Buchhandel.

https://www.trescher-verlag.de/reisefuehrer/zentralasien/usbekistan/



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert