MIT SCHÖNFELD IN SCHÖNEFELD

Flughafen schließt: Herr Schönfeld nimmt Abschied von Schönefeld

Ein Beitrag über unser CTOUR-Mitglied von Peter Neumann in der „Berliner Zeitung“

Jahrzehntelang hat Lutz Schönfeld auf dem Airport bei Berlin gearbeitet. Wegen Corona endet der Betrieb, wohl für immer. Ein letzter Rundgang durch SXF.

Ist da wirklich ein Fluggast mit einem Koffer unterwegs? Nein, doch nicht. War wohl nur eine optische Täuschung. Der Flughafen Schönefeld wirkt menschenleer. Niemand eilt durch den überdachten Gang zu den Abfertigungsgebäuden, niemand läuft zu den Parkplätzen oder zum Bahnhof. Laggners Almhütte wirbt unverdrossen für Bier und Leberkäse, doch die Terrasse des rustikalen Holzhauses ist verwaist. Krähen, die sich um ein Stück Brot zanken, sind die letzten sichtbaren Lebewesen, die sich hier noch aufhalten.

Der Flughafen wirkt wie ein Filmset, das nach dem letzten Dreh einfach stehen gelassen wurde. Wie die Kulisse eines Theaters, in dem vor kurzem der letzte Vorhang fiel. Dabei ist im Terminal 5 des BER, wie die Anlage seit vergangenem Oktober heißt, noch nicht Schluss. Das Finale steht erst für Montag auf dem Programm. Als letzter Start ist für 8.05 Uhr ein Wizzair-Flug nach Kiew geplant, als letzte Landung Ryanair um 11.50 Uhr aus Rom. Am 22. Februar endet 75 Jahre nach Aufnahme des Linienverkehrs der Betrieb – vorübergehend für ein Jahr, wie die Flughafengesellschaft FBB nicht müde wird zu betonen. Wenn der Luftverkehr wieder zunehme, werde Schönefeld wieder geöffnet, bekräftigt Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup. Wenn wieder mehr Menschen Flugreisen buchen. Wenn sich ein Ende der Krise abzeichnet. Wenn.

Die Krähen hüpfen mit ihrem Brot weiter. Sie fühlen sich von dem Mann gestört, der nun vor dem Abfertigungsgebäude mit dem großen L steht. Lutz Schönfeld ist aus dem benachbarten Bohnsdorf mit dem Auto gekommen, um wieder einmal nach dem Rechten zu sehen.

„Es tut weh, den Flughafen so zu sehen“,

sagt der 61-Jährige, der als selbständiger Dienstleister für Luftfahrt und Tourismus ebenfalls unter der Flaute leidet.

„Es ist jedes Mal deprimierend. Aber ich hänge an Schönefeld und versuche, möglichst häufig hier zu sein.“

So wie damals, als er noch für die DDR-Airline Interflug und später für die Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH, kurz FBS, gearbeitet hat.

„Dieser Flughafen war meine Heimat“: Lutz Schönefeld vor dem Abfertigungsgebäude – Foto: Markus Wächter

Zwar lag sein Büro rund einen Kilometer entfernt, im Verwaltungskomplex der früheren Henschel-Flugzeugwerke, der heute die FBB beherbergt. Doch in der Mittagspause nahm er den Weg in die 1976 eröffnete „Neue Passagierabfertigung“ gern auf sich. „Ich habe das gebraucht: die Atmosphäre, die Fluggäste, den Betrieb.“ Insgesamt 23 Jahre lang war er in Schönefeld tätig, bis Ende 2008.

„Dieser Flughafen war meine Heimat. Und er ist bis heute Teil meiner Lebensgeschichte.“

Die automatische Tür schwenkt auf, Lutz Schönfeld geht ins Gebäude. Außer dem monotonen Geräusch der Fahrtreppen ist nichts zu hören. Keine Rollkoffergeräusche, keine Durchsagen, keine Registrierkassentöne. Die Sandwich-Manufaktur: geschlossen. Der Informationstresen: verwaist. Der Geldsammelbehälter „Spende Deinen Pfand“: ohne einen Cent.

Zu Mauerzeiten der eigentliche internationale Flughafen von Berlin

In der Abflughalle nimmt er unter der großen Anzeigetafel Platz. Über ihm: 15 Zeilen Leere. Keine Destination, keine Flugnummer. Der Check-in für den einzigen Start an diesem Tag findet in einem anderen Gebäude statt. Schönfeld blättert in einem Flugplan von 1986. Zu DDR-Zeiten war SXF der eigentliche internationale Flughafen von Berlin, sagt er. Während Beschränkungen des Alliierten-Rechts dazu führten, dass bis nach dem Mauerfall nur wenige Airlines West-Berlin ansteuerten, war die Vielfalt in Schönefeld größer. Der Flughafen liegt außerhalb des Stadtgebiets.

Lutz Schönfeld in der Abflughalle. Auf der Anzeigetafel steht: nichts – keine Destination, keine Flugnummer – Foto: M. Wächter

Anders als in Tempelhof und Tegel standen hier zahlreiche ausländische Ziele auf den Anzeigetafeln. Natürlich Moskau, Leningrad, Sofia, Budapest sowie andere Städte des sozialistischen Europa. Aber auch Addis Abeba in Äthiopien, Karachi in Pakistan, Brazzaville im Kongo. Nicht zu vergessen Hanoi in Vietnam, Luanda in Angola und Maputo in Mosambik – von dort reisten angeworbene Arbeitskräfte in die DDR. „Vielfalt gab es auch, was die Airlines anbelangt“, erinnert sich Schönfeld. Die TAAG aus Angola, Iraqi Airways, Syrian Air und LAM Mosambik waren exotische Highlights für die Planespotter.

Der Flughafen südöstlich von Berlin, Hauptstadt der DDR, rief aber auch eine andere Art von Fernweh wach. Es gab diverse Ziele im Westen – zum Beispiel Amsterdam, Stockholm, Madrid, Kopenhagen, Helsinki, Wien, Malta, Istanbul, Athen, Kairo.

 „Für die DDR war Schönefeld das Tor zur Welt. Auch wenn längst nicht jeder DDR-Bürger hindurch durfte.“  

Nicht nur Interflug, auch Airlines aus dem Westen boten Direktverbindungen ins nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet an. Für viele West-Berliner waren das Alternativen zu Flügen ab Tempelhof oder Tegel, welche oft kostspieliger und mit Umsteigen verbunden waren. Studenten reisten preiswert ans Schwarze Meer, Türken, die in West-Berlin arbeiteten, nach Istanbul. „Interflug verkaufte Tickets für Westdevisen und kaufte Treibstoff für Ost-Valuta. Sehr lukrativ“, sagt Lutz Schönfeld.

Ort der Sehnsucht, Ort der Abneigung

Um die Anreise zu erleichtern, gab es sogar eine Busverbindung ohne Umsteigen vom Zentralen Omnibusbahnhof in West-Berlin nach SXF. An der Grenzübergangsstelle Rudow stiegen DDR-Grenzer zu. Vor dem Flughafen öffnete sich ein Tor, der Bus rollte in einen umzäunten Bereich. In einem separaten Gebäude fanden das Check-in und die grenzpolizeiliche Abfertigung statt. Waren die Reisenden aus dem Westen dort zunächst unter sich, vermischten sich die Menschenströme später vor den Gates. Auf der Besucherterrasse, die ein Café hatte, trafen Ost und West ebenfalls aufeinander.

„Da standen auch viele Planespotter aus West-Berlin“,

sagt Schönfeld. Selbstverständlich hatte die Staatssicherheit ein Auge auf das Treiben. Ihre Mitarbeiter nutzten im abseits gelegenen Agrarfluggebäude eine ganze Etage.

SXF war beides: ein Ort der Sehnsucht, ein Ort der Abneigung. Für Lutz Schönfeld wie für die meisten DDR-Bürger blieb das Tor zur Welt in Richtung Westen verschlossen. Das Interesse an dem ganzen Bild war aber früh da. 1959 in Halle (Saale) geboren, zog Schönfeld im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern nach Berlin. „Wir wohnten in Pankow. Ich bin in der Einflugschneise von Tegel groß geworden.“ West-Jets flogen über ihn hinweg. „Als kleiner Junge habe ich West-Airlines angeschrieben, ob sie mir Prospekte und Postkarten schicken könnten.“ Nicht alle Karten kamen an: „In meiner Stasiakte habe ich einige von ihnen gefunden.“

An der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden begann Schönfeld später ein ingenieurökonomisches Studium. Obwohl er eine Oma im Westen hatte und kein SED-Mitglied war, wurde er einer Studiengruppe zugeordnet, die sich mit Luftfahrt befasste. Der Glücksfall seines Lebens. Aus dem Luftfahrt-Fan, der gerne Flugzeuge anschaut, wurde ein Praktiker – und ein „Luftfahrt-Fanatiker“, wie er erzählt. Bei Interflug in Schönefeld absolvierte er sein erstes Praktikum. Koffer ein- und ausladen: Was anderen als anstrengende Arbeit galt, war „das Größte für mich. Weil ich ganz nah dran war: an den Flugzeugen, ihren Geräuschen, ihren Gerüchen.“

Interflug wurde sein erster Arbeitgeber. Dann kam der Mauerfall und auch er fand sich in einer anderen Welt wieder. 1991 wurde die Interflug „kaputtgemacht, liquidiert, wofür sich die Treuhand und das Bundeskartellamt gegenseitig die Schuld zuschoben“. Lutz Schönfeld hätte bei Opel Distriktleiter werden können. „Doch ich ging zur Flughafen Berlin Schönefeld GmbH, obwohl das Gehalt niedriger war.“

Lutz Schönfeld erlebte die Krise mit, in die SXF rutschte. Die Fluggastzahlen nahmen ab, Tegel festigte seine Position im Berliner Flughafensystem. Für viele West-Berliner lag Schönefeld jenseits ihres Vorstellungsbereichs, viel zu weit im Osten. Gefühle der Abneigung wirken heute noch nach, wenn es um den BER geht.

 „Ich kann dazu nur sagen: Jeder hat seine Art, Vorurteile zu pflegen. Die Ost-Berliner hatten nach der Wende kein Problem mit Tegel.“

Schönfeld glaubt nicht, dass in Schönefeld je wieder geflogen wird

Als sich Easyjet 2004 ansiedelte und damit begann, Schönefeld zur zweitwichtigsten Basis nach London-Luton auszubauen, ging es wieder aufwärts. Andere Airlines, unter anderem Ryanair, engagierten sich ebenfalls. Der Positivtrend schien kein Ende zu nehmen. 2019, im letzten Jahr vor Corona, wurden in Schönefeld mehr als 11,4 Millionen Fluggäste abgefertigt. Dann kam das Virus, und im vergangenen Jahr sank die Zahl der Passagiere um fast drei Viertel. Hieß es zuletzt, dass Schönefeld als Terminal 5 des BER bis 2030 weiter betrieben werden soll, steht nun die Schließung an. Temporär, wie die Betreibergesellschaft bekräftigt. Sie will dadurch jährlich 25 Millionen Euro Betriebskosten sparen.

Doch wie viele andere glaubt auch Lutz Schönfeld nicht, dass in SXF jemals wieder Fluggäste abgefertigt werden.

„So wie früher wird der Luftverkehr nicht mehr sein“,

sagt er. Aber Hand aufs Herz: „So, wie er sich entwickelt hatte, war es auch nicht mehr gesund.“ Viele Menschen buchten Flugreisen nur deshalb, weil sie so billig waren. Der wachsende Preisdruck führt bis heute dazu, dass viele Beschäftigte mit immer schlechteren Bedingungen zurechtkommen müssen.

„Ich weiß nicht, ob die Corona-Krise 2022 vorbei sein wird. Klar ist: Danach wird sich die Luftfahrtbranche auf einem niedrigeren Niveau konsolidieren. Weniger Passagiere, weniger Flugzeuge.“

Und weniger Terminals.
Es wird die dritte Stilllegung einer Berliner Flughafenanlage sein, die Lutz Schönfeld miterlebt. „Am letzten Tag von Tempelhof im Oktober 2008 habe ich dort Kollegen weinen gesehen.“ Obwohl er aus dem Osten Berlins stammt, konnte Schönfeld den Schmerz nachvollziehen. „Tempelhof hat viel für die Stadt geleistet“ – zum Beispiel während der sowjetischen Blockade 1948/49, als Militärflugzeuge West-Berlin mit Hilfsgütern versorgten. Im vergangenen November endete der Betrieb in Tegel. Auch dieser Abschied sei vielen schwergefallen.

Kein öffentlicher Aufschrei wie in Tempelhof und Tegel

Wie wird es sein, wenn am Montag in Schönefeld die Lichter ausgehen? Schwer zu sagen, meint Lutz Schönfeld. Anders als bei Tempelhof und Tegel ist bislang kein öffentlicher Aufschrei zu vernehmen. Es zeichnet sich ab, dass SXF ohne größere Reaktionen aus dem Leben der Region verschwinden wird. Unbetrauert. Einfach so. Der Flughafenstandort bleibe ja erhalten, der BER in Betrieb, sagt Schönfeld.

Als im Oktober der alte Schriftzug demontiert wurde, sei ihm das schon nahegegangen, sagt er. Aber er wisse auch, dass Schönefeld bei vielen Fluggästen nicht beliebt war und schlechte Bewertungen bekam. Ungemütlich. Unfreundliches Personal, sagten einige. Zu wenige Sitzgelegenheiten, Passagiere mussten auf dem Boden sitzen.

Die Krähen haben sich verzogen. Lutz Schönfeld steht wieder vor dem Abfertigungsgebäude mit dem großen L. Die bedampften Scheiben der Glasfront schimmern rötlich.

„Vielleicht wird der Flughafen ja noch mal ein Fall für den Denkmalschutz.“

Von der Bundespolizei und als Impfzentrum wird der Gebäudekomplex weiterhin genutzt. Aber sonst? „Ich habe keine Ahnung, was man damit anfangen kann.“ Früher oder später werde der Flughafen wohl abgerissen. 

Lutz Schönfeld geht zurück zum Parkplatz, auf dem nur wenige Autos stehen. Ob er noch einmal wiederkommen wird? „Ich weiß es nicht. Vielleicht für ein letztes Selfie.“ Dann fährt er los. Er schaut nicht zurück.

Quelle: Berliner Zeitung, Peter Neumann
Fotos: Markus Wächter