Die russische Landwirtschaft holt auf, trotz oder wegen des Krim-Embargos. Jetzt ist das Riesenreich zwischen Ostsee und Pazifik sogar eines der weltweit führenden Weizen- und Dünger-Exportländer geworden. Dieser Tage löschte MS TANJA 3000 Tonnen der wachstumsfördernden Chemikalie aus Sankt Petersburg.
Seit dem New Yorker Terroranschlag vom 11. September 2001 hat sich auch der Stralsunder Hafen verändert. Früher reihte sich hier ein Angler an den anderen wie einst auf der Rügenbrücke. „Und sie waren sauer“, erinnert sich ein Hafenarbeiter, „wenn an „ihrem“ Platz ein Schiff anlegen wollte. „Da mussten wir schon mal mit dem Typhon warnen“, schüttelt Seelotse Jens Mauksch den Kopf über so viel Sturheit, „damit die ihre Schnüre aus dem Wasser ziehen sollten“. Heute schützt ein hoher Zaun mit codegesicherten Toren das Betriebsgelände, weil es die internationalen Sicherheitsvorschriften ISPS seit „nine eleven“ so vorschreiben. „Wenn sich jetzt hier jemand ohne Erlaubnis rumtreibt“, erklärt der Arbeiter, „ und von einem Kontrolleur erwischt wird, dann kann der Hafen seine Zertifizierung verlieren, und das wird teuer!“
Kurz König genannt
Der Reporter wird also am Tor in Empfang genommen und zum Schiff begleitet, „auch natürlich aus Sicherheitsgründen“, so der Begleiter in signalfarbener Schutzjacke. Ein quietschend rangierender Gipszug und in einem Schrottberg scheppernde Greifbagger unterstreichen die nicht ungefährliche Situation. „Hinzu kommt“, so Sören Jurrat, Chef der SWS Seehafen Stralsund GmbH, „gibt es auch Verlader, die aus Wettbewerbsgründen keine Öffentlichkeit wollen“. Verständliche Gründe für eine Abschottung.
TANJAS stahlblauer Rumpf glänzt wie neu im Sonnenschein. Obwohl der Frachter schon 1989 gebaut wurde. Stepan Kurdyumov strahlt wie sein Schiff, das, so ist später zu erfahren, erst im letzten August bei einer Werft im litauischen Klaipeda aufpoliert wurde: „Welcome on board!“, schüttelt er einem die Hand und bittet Platz zu nehmen. Der russische Kapitän antwortet, befragt, woher er stamme: „Aus Königsberg, kurz König genannt! Sagen bei uns die meisten“. Politisch korrekt sei doch aber Kaliningrad. „Klar, aber: nein, nein, das ist kein guter Name, dieser Michail Kalinin hatte viele Menschen auf dem Gewissen und nie etwas mit unserer Stadt zu tun!“ Also dann Königsberg, die ostpreußische Heimat des deutschen Philosophen Immanuel Kant. „Sie ist wieder ganz schön geworden“, freut sich der Kapitän, „da lässt sich´s inzwischen gut leben“. Auch kämen ja infolge des erleichterten Visums immer mehr Touristen.
In der Hinsicht herrscht in Stralsund noch Winterruhe. Erst im Frühjahr füllt sich besonders das Hafengelände, meistens Besucher des Ozeaneums und der GORCH FOCK (I). Dazu stoßen noch rund 15.000 Kreuzfahrtgäste bei rund 145 Schiffsanläufen pro Jahr.
Bloß kein Regen!
A propos: Er habe sich Stralsund angesehen und gestaunt: „Vor 25 Jahren brachten wir mit Volgobalt-Frachtern Kohle hierher. Die Innenstadt erkennt man ja nicht wieder! Hat sich viel getan, alle Achtung!“
Zwischendurch schaut der 64-Jährige besorgt durch die Brückenfenster: „Wenn´s bloß nicht anfängt zu regnen! Laut Wetterbericht soll es ab 15 Uhr damit losgehen“. Denn der Dünger darf jetzt beim Verladen nicht feucht werden, es sei denn, nachdem er auf einen Acker ausgebracht worden ist. „Dann muss das sogar sein“, erklärt Stepan, wie er nur seemännisch kurz genannt werden möchte. Beunruhigt ist der Master, „weil dann die Ladeluken geschlossen und das Löschen unterbrochen werden muss, das kostet Zeit – und Geld natürlich“. Noch kurven schwere Schüttgut-LKW heran, in die der russische Phosphat-Dünger direkt per Greifer gefüllt wird. Jeweils 25 Tonnen. Tony Mann, der Schiffsmakler der Firma Ahlmann-Zerssen GmbH, weiß, wie es dann mit dem grauen Stoff weitergeht: „Per Laster direkt zu den landwirtschaftlichen Betrieben oder in eine Lagerhalle“.
Zwischen Saimaa und Bayonne
Der Himmel zieht zu, wie Stefan Kreibohm es im NDR-„Nordmagazin“ prophezeit hat, und die ersten Tropfen klatschen an Deck. Sofort beginnt die Hydraulik wie von Geisterhand zu arbeiten und lässt alle Luken schließen. „Da werden wir wohl morgen früh nicht wie geplant mit dem ersten Brückenzug um 05.20 Uhr wegkommen“, zweifelt der Kapitän, „aber ist ja nur eine kurze Reise von ein paar Stunden bis Saßnitz-Mukran“. Dort werde die TANJA wieder Dünger laden, diesmal für Bayonne in Frankreich an der spanischen Grenze, aber in großen offenen Kunststoffsäcken, big bags, das sei auch sauberer. Auf Rügen gebe es doch keine Fabrik, die Phosphat herstelle, wendet man ein. „Das ist Transitladung, die überall her kommen kann“, lächelt Stepan. Auch er weiß warum: „Weil Ladung sich ihren Weg sucht“. Die preiswerteste Variante bekomme immer den Vorzug.
Die Reise wird den Frachter durch die meist stürmische Biskaya den Fluss Adour aufwärts führen. „Dafür ist TANJA gut gerüstet“, so Stepan, „denn sie ist ein Fluss-See-Schiff, besonders niedrig und mit umlegbaren Masten“. Früher karrte er mit ihr preiswertes russisches Holz durch den Saimaa-Kanal zu den Papierfabriken am gleichnamigen größten See Finnlands: „Sie hat die zu den Schleusen passenden maximalen Abmessungen und wird daher als Typ auch ´Saimaa-Max` genannt“.
Der begleitende Hafenarbeiter schaut auf die Uhr: Zeit zum Gehen. „Paka!“ sagt Kapitän Stepan Kurdyumov, das russische Wort für „Tschüss!“ Dann bleibt nur noch, ihm „Gute Reise!“ zu wünschen.
Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther
MS TANJA: Baujahr: 1989; Bauwerft: Cassens, Emden; Typ: Stückgutfrachter; BRZ: 2190; tdw: 2700; Länge: 82,76 m; Breite: 12,6 m; Tiefgang (max.): 4,7 m; Seitenhöhe: 6,65 m; Hauptmaschine: Deutz 2040 PS; Bugstrahlruder: 272 PS; Crew: 8; Reederei: Marlen Shipping Company, Russland; Heimathafen: Limassol; Flagge: Zypern