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„ZEHN, NEUN, ACHT, SIEBEN, SECHS, FÜNF, VIER, DREI, ZWEI, EINS, NULL!“

Zu Besuch im Filmmuseum Potsdam

Ein Bericht von Margrit Manz

The Final Countdown! Was Stummfilme verraten

Zu besonderen Anlässen wie an Silvester oder bei Geburtstagen zählt man den Countdown, um die Spannung in die Höhe zu treiben. In der Raumfahrt ist der Countdown bereits fester Bestandteil, um das Abheben zu einer Weltraummission sekundengenau zu koordinieren. Was kaum einer weiß, Ursprung des Raumfahrt-Countdown war der Stummfilm: „Die Frau im Mond“ von Fritz Lang. In diesem Film, der aufwändig in den UFA-Studios in Potsdam gedreht wurde und am 15. Oktober 1929 Premiere hatte, wollte Lang den Start einer Mondrakete durch einen Countdown „sichtbar“ machen. Er erklärt seine Entscheidung so: „Als ich das Abheben der Rakete drehte, dachte ich: Wenn ich eins, zwei, drei, vier, zehn, fünfzig, hundert zähle, weiß das Publikum nicht, wann es losgeht. Aber wenn ich rückwärts zähle: Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, NULL! – dann verstehen sie.“ Diese Zählweise wurde von der NASA übernommen. Die letzten zehn Sekunden des Countdown werden auch heute noch laut heruntergezählt, auch bei Starts der europäischen Raumfahrtbehörde ESA. Während bei den US-amerikanischen Starts bei Null die Rakete abhebt, werden bei Starts der ESA bei Null die Triebwerke gezündet. Aber das nur nebenbei.

Fritz Lang mit dem Kameramann Curt Courant (Mitte) bei den Dreharbeiten zum Stummfilm „Frau im Mond“ (1929)

Als Fritz Lang 1964 von der NASA zum Space-Science-Seminar ins Raketenversuchszentrum von Huntsville (USA) eingeladen wurde, schrieb er 1968 an Lotte Eisner etwas enttäuscht von diesem Ereignis:

„Die dort in Huntsville versammelten Gelehrten, Ingenieure usw. erklärten mir, sie betrachten mich gewissermaßen als ‚the father of the rocket science‘. Ich war dort ein paar Tage, man zeigte mir alle hush-hush-secret Erfindungen. Das Wichtigste jedoch ist, darüber ist ja viel geschrieben worden, aber hier erst vor ein paar Wochen am TV erwähnt worden, dass ich den Countdown erfunden hatte.“

Und so kann man in aller Bescheidenheit sagen, dass das Studio Babelsberg in Potsdam-Babelsberg nicht nur das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt und das größte Filmstudio Europas ist, sondern dass in seinen Hallen Film- und Weltraumgeschichte geschrieben wurde.

„100 Facts about Babelsberg“

Als eine Gruppe CTOUR-Journalisten am 19. Mai 2022 das Filmmuseum Potsdam besuchten, hatten sie das Glück in einer Führung von Sebastian Stielke alles Wissenswerte aus der über 100-jährigen Filmgeschichte vermittelt zu bekommen.


Dazu gehörte auch eine wunderbare Mischung aus Legenden und Fakten, die gutes Kino ausmachen und den Filmen pure Magie verleihen.

Zu kaufen sind diese Facts von der Wiege des Films bis zur modernen Medienstadt in Buchform. „100 Facts about Babelsberg“ im be.bra Verlag.

Die Geschichte des Filmmuseums ist wechselhaft. Ab 1981 residierte in dem schönen Barockgebäude in der Breite Straße 1a das Filmmuseum der DDR, das sich auf die Sammlung der Film- und Kinotechnik aus dem Staatlichen Filmarchiv der DDR spezialisiert hatte. 1685 war das Gebäude als Orangerie erbaut worden und diente den Preußenkönigen als Reitpferdestall. Im 18. Jahrhundert verlieh ihm dann der Sanssouci-Baumeister Knobelsdorff das heutige Gesicht.

Das Filmmuseum Potsdam im schönsten Barock

Als 1990 die DEFA-Studios abgewickelt und viele Kinos im Osten Deutschlands geschlossen wurden, kamen unzählige Zeugnisse der Film- und Kinogeschichte der DDR in den Besitz des Museums. Jetzt wurde auch begonnen, gezielter zu allen Phasen der Babelsberger Filmgeschichte zu sammeln. Für diese einmalige Sammlung wurden 1995 zusätzliche Archive und Depots eingerichtet, sowie die museumseigene Restaurierungswerkstatt mit neuer Technik ausgestattet.

Heute steht das Museum unter der Obhut des Landes Brandenburg und ist seit Juli 2011 Teil der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, ehemals Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg.

Ausstellungen, Kino und Sammlungen

Das Filmmuseum zeigt zeitgleich drei Ausstellungsformate: die ständige Ausstellung „Traumfabrik – 100 Jahre Film in Babelsberg“, die von der Geschichte des ältesten Filmstudios der Welt erzählt, sowie von seinen verschiedenen Gewerken, die bei der Filmherstellung eine Rolle spielen.

Ausstellung 100 Jahre Traumfabrik

Seit der Gründung 1912 sind mehr als 3.000 TV- und Kinofilme in den Babelsberger Filmstudios entstanden. In Themenräumen ist die Filmproduktion von Filmen der Ufa, DEFA und dem Studio Babelsberg dokumentiert. Von der ersten Idee und Drehbuchfassung über Besetzung, Kostüm, Maske bis zum Marketing und Auszeichnungen kann der Besucher anhand wertvoller Originalexponate, Filmen und Geschichten zu den Filmemachern aus 100 Jahren, den mitunter harten, aber auch faszinierenden Prozess der Filmproduktion nachvollziehen.

Ausstellung 100 Jahre Traumfabrik

So richtig unter die Haut gehen dann die interaktiven Module, dort kann jeder selbst erleben wie es bei einem Casting zugeht, welch ein gutes Auge ein Cutter haben muss und ob die eigene Stimme ausreicht, um z. B. mit Zarah Leander im Duett zu singen. Außerdem sind Original-Requisiten, -Kostüme, -Bühnenbildmodelle, Filmtechnik und Exponate aus Nachlässen verschiedener Filmemacher zu bestaunen.

Als die Bilder laufen lernten

Im Foyer ist der legendäre Projektionsapparat „Bioscop“ der Brüder Skladanowsky zu sehen, der einen 54-mm-Film mit zwei Filmschleifen verwendete.

Bioskop, Projektionsapparat der Brüder Skladanowsky

Die erste Vorführung fand im Juli 1895 im Lokal „Feldschlößchen“ in Berlin-Pankow statt und zeigte Szenen, die zuvor im Garten des Lokals aufgenommen worden waren. Die Skladanowskys fotografierten Szenen mit ihrer „Kurbelkiste“ und montierten Positive vom Negativ abwechselnd auf Blankfilm. Diesen klebten sie zu Endlosschleifen zusammen.

Werbeplakat für Filmvorführungen der Gebrüder Skladanowsky

Warum die Erfindungen der Brüder den Ideen der französischen Gebrüder Lumière technisch unterlegen waren und sich deshalb nicht durchsetzen, erzählt der Regisseur Wim Wenders in seiner filmischen Hommage an die Skladanowskys. Darin kommt auch die 1904 geborene Tochter von Max Skladanowsky Lucie Hürtgen-Skladanowsky zu Wort. Um Authentizität bemüht, wurden Teile des Films mit einer klassischen Stummfilmkamera aufgenommen. 2010 wurde Skladanowsky mit einem Stern auf dem Boulevard der Stars in Berlin geehrt. Vor dem ehemaligen Gelände des Feldschlößchens befindet sich heute ein Mosaikstreifen mit der Aufschrift „1895 BIOSKOP 1995“.

Im Museum haben sich weitere wertvolle Nachlässe angesammelt und sind nach Möglichkeit mit Zeitzeugengesprächen ergänzt worden. Ein Videoarchiv und eine Bibliothek stehen dem Nutzer zur wissenschaftlichen Einsichtnahme zur Verfügung, eine Fundgrube nicht nur für Wissenschaftler, Kuratoren und Studierende, sondern für alle Filminteressierten.

Unbedingt erwähnenswert ist der Kinosaal, in dem sich eine historisch

Kinosaal im Filmmuseum Potsdam

wertvolle Kino-Orgel, gebaut von der Orgelbaufirma Michael Welte & Söhne aus den 1920er Jahren, befindet.

1979 wurde die Orgel (links im Bild) ans Filmmuseum Potsdam übergeben und Anfang der 1990er aufwendig von der Orgelbaufirma Jehmlich (Dresden) restauriert.
Das Instrument zählt 44 Register und drei Effektregister auf Multiplex-Kastenladen.

Doch die Orgel ist nicht nur für Technikfreaks ein Erlebnis.

An sechs Tagen in der Woche stehen täglich Kinder- und Jugendveranstaltungen, historische Retrospektiven, bis hin zu internationalen Werkschauen auf dem Programm. Und als Höhepunkt gibt es Stummfilmvorführungen, die an der Welte-Orgel begleitet werden. Die besondere Atmosphäre wird noch durch die blauen samtweichen Sessel unterstützt und lädt den Zuschauer ein, sich ganz der Kinomagie hinzugeben. Denn eins ist klar, Fernsehen kann man auch alleine, Kino nicht. Rasante Action, fesselnde Abenteuer und packender Nervenkitzel sind im Kino gemeinsam mit anderen einfach das schönere Erlebnis.

„Ton ab, Kamera ab und Action“ im Filmpark Babelsberg

CTOURisten am Eingang des Filmparks

Zum Image der Medienstadt Babelsberg gehört der Filmpark Babelsberg, der in dem Sinne kein klassischer Vergnügungspark ist. Eher irgendetwas zwischen Abenteuer- und Freizeitpark.
2020 und 2021 fiel wegen Corona die Reiselust der Besucher spärlich aus, dieses Jahr gibt’s wieder Hoffnung auf mehr.
Filmparkchef Friedhelm Schatz ist sich sicher, dass man sich als Themenpark deutlich von den Erlebniswelten der Europa-Parks abhebe und das Geschäft schon alleine durch die einzigartigen Attraktionen angekurbelt werden würde.

„Immerhin sind im Filmpark zum großen Teil Kulissen zu sehen, die auch in Filmen Verwendung fanden“, erklärt Schatz, „etwa die orientalische Kulisse nebst Pavillon und Wasserbassin, die 1953 für den DEFA-Märchenfilm ‚Der kleine Muck‘ gebaut wurde.
Eine Million Euro werden jährlich für die Instandhaltung der Attraktionen aufgewendet.
Eine perfekte Freizeitwelt zu sein wie Disneyworld oder auch Karls Erdbeerhof – das ist gar nicht unser Ziel.“

Orientalische Kulisse mit Pavillon und Wasserbassin aus dem DEFA-Märchenfilm „Der kleine Muck“, 1953

Lutz Strauch hat die Aufgabe übernommen, uns durch die Sehenswürdigkeiten zu führen und gewährt uns einen Blick hinter die Kulissen.

Er verrät uns, mit welchen Tricks die Film- und Fernsehprofis arbeiten, zeigt uns die Kinofilmausstellung „Das Sandmännchen – Abenteuer im Traumland“ und einen Blick auf das „Original GZSZ-Aussenset“.

«Die Geschichte der Traumfabrik» geht in der Caligari Halle weiter.
Hier sind unter anderem Sets zu den Filmen «Die unendliche Geschichte», «Die drei Musketiere» und «Jim Knopf» untergebracht.

Der Glücksdrachen aus der „unendlichen Geschichte“, 1984

Große und kleine Schatzsucher können außerdem mit «Flimmys Goldrausch», in einer Gold- und Edelstein-Waschanlage in der Mittelalterstadt fündig werden. Auf der ,,Straße der Giganten“, die sich durch den Filmpark zieht, flanieren wir an großen Skulpturen, Zeugen der über 100-jährigen Geschichte der Filmstadt vorbei. Dazu gehören Marx und Engels wie auch der Steinbeißer aus der ,,Unendlichen Geschichte“.

Marx und Engels auf der Straße der Giganten

Wir stehen vor der Lokomotive aus „Jim Knopf & Lukas der Lokomotivführer“. Der Bestsellerautor Michael Ende hatte dazu die literarische Vorlage geliefert.

„Jim Knopf“ und seine Lokomotive, 2018

1999 wurde die 15 m hohe Vulkan-Arena für Stuntshows gebaut. 2.500 Besucher können auf überdachten Plätzen die tägliche Live-Stunt-Show bei fast jeden Wetterbedingungen erleben. Die auftretenden Stuntman und Stuntwoman sind alle Vollprofis und verdienen sich ihre Meriten sonst in actiongeladenen Kino- oder TV-Filmen. Aber auch die sonst eher im Hintergrund tätigen Soundmaster und Pyrotechniker zeigen, wie punktgenau ihre Arbeit passieren muss. Gut geschützt durch den Abstand zur Stuntshow gibt’s kleine und große Stichflammen, Feuerfontänen, Explosionen, Nebelwölkchen und dichten Qualm zu sehen.

Stunts in Feuerfontänen

Trotz der 10. Reihe, in der wir sitzen, ist die Hitze der Flammen noch zu spüren. 150 Kilogramm Schwarzpulver werden pro Saison für das Feuerspektakel verpulvert. Obwohl sich die Geschichte, die handlungsreich erzählt werden soll, nicht gänzlich erschließt, was tuts, schließlich werfen sich die Stuntman und –woman für uns von 20 Meter hohen Türmen, jagen mit Vollgas einen Sandweg hinauf und prügeln sich lautstark untereinander. „Ton ab, Kamera ab und Action“, ruft der Moderator, wir tun es ihm nach.

Kurz und gut, zu sehen gab es genug. Möge dem Filmpark ein erfolgreiches Jahr 2022 vergönnt sein. Vielleicht wäre noch etwas an den Eintrittspreisen zu machen. Mit 23 Euro Eintritt für Erwachsene an der Tageskasse und 16 Euro pro Kind von 4-16 Jahre oder mit einer Familienkarte von 69 Euro ist man schnell mal über dem Limit eines Ausfluges. Essen und Getränke, Parkplatz oder Anreise mit den Öffis kommen noch dazu.

Fotos: Frank Pfuhl, Hans-Peter Gaul, Filmmuseum Potsdam, Bundesarchiv, Filmpark Babelsberg

Margrit Manz ist Journalistin und Redakteurin mit Themenschwerpunkt China. Seit über 20 Jahren bereist sie beruflich wie privat das Land und berichtet über Wirtschaftsbeziehungen und Kulturaustausch, informiert über Tourismus und regionale Küche, rezensiert neue Bücher. Ihre Texte werden regelmäßig in Print- und Online-Magazinen in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, u.a. im Magazin RUIZHONG der Gesellschaft Schweiz-China und dem Magazin Konfuzius Institut Leipzig/Shanghai. https://manz-chinareport.com/ Sie ist Mitglied beim Club der Tourismus-Journalisten CTOUR