„THE NEW WAY WE SEE CHINA“

Neuer Tourismustrend der jungen
Generation

Ein Beitrag von Margrit Manz

Dass traditionelle touristische Attraktionen bei der jungen chinesischen Generation an Boden verlieren, wäre noch nicht so erstaunlich, doch es entwickeln sich Nischen-Sehenswürdigkeiten zu neuen Hotspots, die den vorher üblichen gar nicht unähnlich sind, sondern nur anders heißen, bzw. anders genutzt werden. Wenn z.B. Fotomotive auf WeChat (das chinesische Pendant zu WhatsApp) den Betrachtern genug Anreiz versprechen, machen sie sich eben mal schnell auf den Weg dorthin, um den vermeintlich neu entdeckten Tourismus-Hotspot abzulichten. Hochgeschwindigkeitszüge oder preisgünstige Inlandflüge in China machen es möglich. Und so ist es einfach, sich selbst und die Orte zu dokumentieren, sie dann in den sozialen Netzwerken zu posten und viele Likes, sprich Selbstbestätigung durch Gleichaltrige dafür zu bekommen. Das machen sich die social media Plattformen zu nutze. Der Tourismus erhält ein anderes Gesicht.

Xiaohongshu, auch als Little Red Book bekannt, ist eine Social-Media und E-Commerce-Plattform, die sich selbst als „Chinas Antwort auf Instagram“ bezeichnet. 2021 hatte Xiaohongshu über 300 Millionen registrierte Benutzer und die Zahl der monatlichen User liegt bei über 85 Millionen. Davon sind 86,1 % weiblich und 62,5 % leben in Großstädten. 83,7 % sind unter 35 Jahre alt. „Und sie werden sogar noch jünger“, freut sich Miranda Qu, die die Plattform 2013 zusammen mit Charlwin Mao als Online-Reiseführer-Portal gegründet hatte. Denn 70 % der neu registrierten Benutzer sind nach 1995 geboren. Jetzt ersetzen Online-Reisebüros wie Ctrip und Fliggy die herkömmlichen chinesischen Travel Agenturen. Die Generation Z, immer auf der Suche nach Reiseinspirationen, fühlt sich Online bestens beraten. Das hat Xiaohongshu motiviert eine Kampagne zu starten.

Little Red Book, die E-Commerce-Community-App

„The New Way We See China“ setzt voll auf die junge Generation und vertraut darauf, dass die schnelle Jagd nach Fotomotiven oder Places-to-be neue Tourismustrends setzen. Die Plattform ermöglicht ihren Benutzern, kurze Videos und Fotos über Mode, Schönheit, Essen, Reisen und vieles mehr zu teilen.

Mehr Charakter und einen Hauch Verrücktheit

Wenn man heute einige der traditionellen Tourismus-Hotspots Chinas besucht, sieht man kaum noch junge Chinesen vor Ort. Irgendwann fanden sie den obligatorischen Druck auf den Auslöser vor immer denselben Sehenswürdigkeiten nur noch eine altmodische touristische Tradition. Schaut man jedoch auf die Xiaohongshu-Plattform sieht man genau, wo sich die Generation Z gerne aufhält. Nischentourismus, Coldplay und spirituelle Erlebnisse sind die Stichworte fürs Reisen. Auf alle Fälle soll es „mehr Charakter und einen Hauch Verrücktheit“ haben. Ob beim Drachensteigenlassen in einem Han-Kostüm, beim Skateboardfahren vor einem traditionellen Palast in Zhejiang oder beim Sprung in den östlichen See von Hubei, um den Sommer zu verabschieden, die jungen Erlebnishungrigen definieren den Tourismus neu.

Der Guochao-Trend, wörtlich „nationaler Trend“, lässt Elemente aus der traditionellen chinesischen Kultur wie z.B. die Hanfu-Kleidung wieder aufleben.


(Bild rechts: In Hanfu, der traditionellen chinesischen Kleidung, geht’s quer durch Peking)

In Chinas offiziellen Medien heißt es dazu lobend, dass „Chinas Generation Z ihre kulturellen Wurzeln umarmen und gleichzeitig moderne Elemente in die Traditionen einfließen lassen möchte.“

In der Zwischenzeit scheint der Voluntourismus, die Kombination aus Reisen und Freiwilligenarbeit, auch im chinesischen Tourismusmarkt, einem der lukrativsten des Landes, Fuß zu fassen. Die jungen Chinesen haben ein großes Interesse an anlassbezogenen Erlebnissen, wie z. B. dem Müllsammeln auf der tibetischen Hochebene in der Provinz Qinghai, wo riesige Müllberge unter freiem Himmel das gedankenlose Verhalten von Normal-Touristen beweisen. Solche Aktionen im „freiwilligen“ Tourismus zeigen den Wandel, hin zu einem umfassenderen und multidimensionalen Engagement. Anstatt die Situation nur als Außenstehende zu betrachten, wollen die jungen Menschen Teil der Veränderung sein. Die Stärkung des Selbstwertgefühls hat das Sightseeing abgelöst. Aber die Kamera ist immer dabei.

Ziele entdecken, für die es zu reisen lohnt

Xiaohongshu hat diese Entwicklung aufgegriffen und bietet dem neuen Verständnis von Tourismus in China eine Plattform. Das zahlt sich voll aus, denn jetzt ist sie auch für 64 % der traditionell Reisenden zur ersten Anlaufstelle geworden. Sie wollen Ziele entdecken, so heißt es im Werbetext, für die es zu reisen lohnt. Die Online-Reisebüros Ctrip und Fliggy bieten jetzt auch Wüstensafaris, Surf- und Schlittschuhlauf-Erlebnisse als All-Inklusiv Reisen an.

Chinas erste Hängebrücke mit Glasboden bietet atem(be)raubende Aussichten.

Trotz der Einschränkungen, die die Corona-Pandemie für den Tourismus brachte, hat die chinesische Reisebranche genug Ausdauer und Kraft gehabt, sich zu erholen. Die Inlandreisen ziehen bereits wieder an. Doch Orte, die früher den traditionellen Massentourismus bedienten, sind jetzt nicht mehr unter den Top 10 der wichtigsten Suchanfragen bei Xiaohongshu. Im Trend liegen jetzt z.B. Camping in weniger bekannten ländlichen Gebieten, selbstgeführte Touren in kleinen Städten im Umland und wie schon erwähnt, der ehrenamtliche Tourismus. Die Suche nach Camping auf Xiaohongshu hatte sich im März 2022 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und die Posts zu diesem Thema stiegen um 80 %. Darüber hinaus entwickelt die Social-Media-Plattform auch Möglichkeiten für virtuelle Reisen im Internet.

Xiaohongshu hat mit diesem Verbrauchertrend der Tourismusbranche einen neuen Weg gewiesen. Tourismus-Hotspots definieren sich nicht mehr durch reine Besucherzahlen, sondern dadurch, welche Reichweite und Vertrauenswürdigkeit die dort gemachten Fotos haben und wie viele Follower und Fans sie damit neugierig machen.

Wahong-Spot in Peking – ein Must für Influencer

Die junge Touristen-Generation will ihre einzigartigen und partizipativen Erfahrungen gerne in alle Welt versenden.

Wohin es immer auch geht, Handykameras sorgen für gute Fotos

Da bleibt der Tourismus-Branche wohl nichts anderes übrig, als sich noch besser auf die neuen Reisekonzepte der jungen Verbraucher einzustellen, getreu dem Motto des chinesischen Philosophen Zhuangzi: „Ein Weg wird erst dann ein Weg, wenn einer ihn geht“. Das muss man der chinesischen Tourismusbranche nicht zweimal sagen.

Fotos: Agentur Bartsch

Margrit Manz ist Journalistin und Redakteurin mit Themenschwerpunkt China. Seit über 20 Jahren bereist sie beruflich wie privat das Land und berichtet über Wirtschaftsbeziehungen und Kulturaustausch, informiert über Tourismus und regionale Küche, rezensiert neue Bücher. Ihre Texte werden regelmäßig in Print- und Online-Magazinen in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, u.a. im Magazin RUIZHONG der Gesellschaft Schweiz-China und dem Magazin Konfuzius Institut Leipzig/Shanghai. https://manz-chinareport.com/