Leerfahrt mit unliebsamen Überraschungen zwischen Sund, Oder, Elbe und Saale
Auf der Rückfahrt von Stralsund über Stettin nach Berlin hat es sie kalt erwischt, die SANS SOUCI. Das 82 Meter lange Flusskreuzfahrtschiff aus dem sachsen-anhaltinischen Peißen an der Saale musste in Schwedt an der Oder zwangspausieren.
Eigner und Kapitän Peter Grunewald, sonst eher ein Gemütsmensch, geriet aus dem Häuschen,
als man ihn über die Sperrung der Schleuse Hohensaaten informierte. Das bedeutete für seine Gäste eine vorzeitige Ausschiffung und für ihn herbe finanzielle Verluste.
Lebensader Berlins
Fast drei Wochen lag das Motorschiff gemeinsam mit der KATHARINA VON BORA in der Oderstadt fest. Die Besatzung wurde bis auf eine Wachmannschaft in den Urlaub geschickt.
Dann konnten die Leinen wieder losgeworfen werden zur Weiterfahrt: durch das alte Schiffshebewerk Niederfinow – das nebenan neu gebaute wird voraussichtlich erst 2021 in Betrieb gehen – , weiter nach Westen über den Oder-Havel-Kanal.
Die Lebensader Berlins nach Stettin wird ab 11. November bei Kilometer 25 in der Nähe von Oranienburg vollkommen gesperrt. Auf einem Satellitenbild wurde eine Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg entdeckt. Um Vibrationen durch Schiffsschrauben zu vermeiden, wird Binnenschiffen die Passage untersagt. Aus vorangegangenen Entschärfungs-Aktionen von Blindgängern weiß man, dass das länger dauern kann als bei einer Bombenbeseitigung fernab vom Wasser.
Kapitän Grunewald ist schon froh, dass ihn dieses Ereignis nicht auch noch heimgesucht hat. In langsamer Fahrt wird die Fundstelle passiert und die Oberhavel im West-Berliner Stadtteil Heiligensee
angesteuert. Vorbei am ehemaligen VEB LEW Hennigsdorf, wo heute Züge und Lokomotiven der Firma Bombardier hergestellt werden.
Transportschädliches Theater
Kurz vor der Einfahrt in den Niederneuendorfer See dreht MS SANS SOUCI nach Steuerbord in den 35 Kilometer langen Havel-Kanal ein, der Anfang der 50er Jahre als „Kanal des Friedens“ von der DDR gebaut wurde, um West-Berlin und auch die damals zu kleine Schleuse Spandau zu umgehen, wie Peter Grunewald informiert.
Jetzt ist sie vergrößert, doch für über ein Jahr wegen Reparaturarbeiten gesperrt. Damit fällt das Bunkern von Treibstoff in West-Berlin aus. Davon abgesehen: So ein transportschädliches Theater gäbe es weder im binnenschifffahrtsfreundlichen Holland noch in Russland.
Rote Lampen voraus! An den Pfählen vor der Schleuse Schönwald, auf halber Strecke, wartet schon ein Binnenfrachter. Weiterfahrt heute nicht mehr möglich, weil es angeblich keinen Schleusenwärter für die Schicht ab 13 Uhr gibt. Grunewald sitzt vor seinem Laptop und kann nur noch den Kopf schütteln über diese lapidare Mitteilung. „Wir hätten heute noch mit Radar und Scheinwerfern ein ganzes Stück weiterfahren können“, meint er, muss sich aber zähneknirschend den Verhältnissen fügen. Da helfen erst mal nur ein Bier und Geduld. Aber er nutzt auch die Zeit für eine Mitarbeiterbesprechung, um die kommende Reise zu planen. Schließlich soll am übernächsten Tag an Bord auch eine Hochzeit stattfinden, zu der MS SANS SOUCI pünktlich in Magdeburg erwartet wird.
Feiern am Kreuz
Am nächsten Morgen deckelt pottendicker Nebel den Kanal, so dass nicht mal mehr das Vorschiff zu sehen ist. Zum Glück geht der Frachter als erster in den Schleusentrog, denn schon eine halbe Stunde später hebt sich der Schleier allmählich.
„So können wir die Brücken mit ihren störenden Mittelpfeilern, die mal wegen der Panzer gebaut wurden, besser anpeilen und passieren“, ist Grunewald zufrieden. Das dann folgende Überholmanöver mit dem langsamen Frachter gerät zu einer Zitterpartie, denn wie leicht können sich zwei große Schiffe dabei ansaugen und kollidieren. Alles geht gut, so dass MS SANS SOUCI seinen Steven bei Ketzin bald in die Havel stecken kann.
Am Nachmittag reicht die Zeit noch für die dreistündige Übernahme von 32 Kubikmetern Wasser im Stadthafen Brandenburg und für die Crew zum Ortsrundgang. Leider sind an diesem 31. Oktober, dem Reformationstag, alle Geschäfte geschlossen.
Die Schleuse wird problemlos passiert. Glutrot versinkt die Sonne voraus im Plauer See. Doch dann naht am Beginn des Elbe-Havel-Kanals die Schleuse Wusterwitz.
„Unglaublich!“, findet es Kapitän Peter Grunewald, „dass die neue Schleuse gleich nach der Eröffnung im letzten Jahr wieder geschlossen wurde – wegen Betonkrebs!“ Er fragt sich fassungslos, „ob man das nicht früher hätte feststellen können. 240 Millionen buchstäblich in den Sand gesetzt!“
Dafür werde im nächsten Jahr die alte Schleuse gesperrt, die repariert werden müsse. Dann sei Berlin vom Westen her über den Mittellandkanal abgeschnitten. Bei Elbeniedrigwasser total.
Nach 250 Fluss- und Kanalkilometern erreicht MS SANS SOUCI hinter der Mammutschleuse Hohenwarthe und der Fahrt über die dünn dahinplätschernde Elbe das Wasserstraßenkreuz Magdeburg.
Am Nachmittag werden dann die Hochzeitsgäste unbeschwert feiern können. Ein bisschen natürlich auch die Crew. Vor allem, wenn es dann ins Winterlager und in den Urlaub nach Mukrena geht.
Fotos: Peer Schmidt-Walther
www.ms-sanssouci.de
INFO
Wirtschaftliche Bedeutung der Scheusensperrungen
Flusskreuzfahrtschiffe, die von Potsdam oder Berlin aus nach Mecklenburg-Vorpommern ansteuern, müssen alle über die Spandauer Schleuse bzw. über die Schleusen Schönwalde am Havel-Kanal. Der Ausfall nur eines Wasserbauwerks würde rund 15.000 Passagiere pro Jahr betreffen. Ein beträchtlicher Schaden für den maritimen Tourismus im Lande und die betroffenen Reiseveranstalter. Darüber hinaus hat die Sperrung der Schleuse Zaaren in der Schorfheide in der Saison 2019/20 erheblich dem Boots- und Chartertourismus geschadet.
Nicht nur das: Die Hauptstadt Berlin liegt wie eine Spinne im Netz von bedeutenden Wasserstraßen, über die sie besonders mit Massengütern wie Bau- und Brennstoffen sowie Getreide versorgt wird. Ein Großteil von Gütern verlässt über die Wasserstraßen die Stadt. Eine Massenbilanz von rund 3,5 Mio. Tonnen jährlich. Wobei allein rund 6000 Schiffe mit 1,6 Mio. Tonnen Gütern jährlich den Knotenpunkt Schleuse Spandau an der Oder-Havel-Wasserstraße mit den weiteren Schleusen Brandenburg, Wusterwitz und Hohenwathe passieren.
Die Sperrung Spandaus bedeutet große Umwege und zeitliche wie finanzielle Verluste für Wirtschaft und Schifffahrt bedeuten bzw. die umweltschädliche Verlagerung der Transporte auf die Straße. Es stellt sich die Frage, ob bei den bundesweiten Sperr- und Baumaßnahmen – eine große Zahl von Wasserbauwerken in Deutschland ist marode – nicht erhebliche Planungs-, Koordinierungs- und Ausführungsfehler gemacht worden sind. Und es entsteht der Eindruck, dass staatliche Stellen wenig Interesse an funktionierenden Wasserstraßen haben – entgegen ihrem eigenen Wahlspruch von der Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs.