Sie war sein ganzer Stolz, die SOWJETFREUNDSCHAFT. Und Flaggschiff der DSF. „Gelernte“ DDR-Bürger kennen das Kürzel Deutsch Sowjetische Freundschaft noch sehr gut. Ein staatlicher Verein und für Viele ein bequemes und preiswertes Alibi der geforderten „gesellschaftspolitischen Arbeit“. Für zehn Pfennig monatlich war man dabei.
Junger Mann auf altem Schiff
Als der Schweriner Klaus Koppermann das Schiff 1971 mit 23 Jahren übernahm, war er der jüngste Schiffsführer des VEB Deutsche Binnenreederei. Nachdem er in Schönebeck an der Elbe die Schifferschule absolviert, als Matrose auf Kähnen, Schleppern, Motorschiffen und Schubboten sein abwechslungsreiches Handwerk erlernt und die DDR-Gewässer erfahren hatte, zog es ihn wieder in die Heimat seiner Familie. Wo seine Frau Rosemarie und er dann auch eine Wohnung auf dem Großen Dreesch zugewiesen bekamen. Fortan schipperte er mit dem Oldtimer als Fähre vom Anleger der Weißen Flotte Schwerin neben dem Schloss über den See zwischen Altem Garten, Zippendorf und Kaninchenwerder hin und her. Bis 1974, als er auf das neue sowjetische Gleitboot TALLINN überstieg.
„Aber“, gesteht der Nach-Wende-Neckar-Kapitäns-Rentner heute, noch aktiv im Fischhandel seines Sohnes bei Ludwigsburg, „wir wussten nicht viel über diese Schiffsrarität“. Bis ihm ein altes Büchlein in die Hände fiel, „denn im Internet gibt´s fast nix darüber“.
HINDENBURG überführt
So kam zum Vorschein, dass das 21,60 Meter lange, 4,42 Meter breite und 1,35 Meter tief gehende 34-Tonnen-Motorschiff mit 128 Sitz- und 50 Stehplätzen 1925 unter der Bau-Nummer 480 mit einem Leipziger DWM-Diesel von 50 PS für acht Knoten zu einem Preis von 20.000 Mark für Carl Schröder junior auf der Stralsunder Werft von Georg Schuldt gebaut wurde. Sie lag dort, wo die Königliche und spätere Staatswerft Stralsund, der VEB Schiffs- und Reparaturwerft und seit der Wende die Strahlwerft an der Ziegelstraße ihre Anlagen hatten. Heute im Schatten der Rügenbrücke ein beschäftigungsloses Dasein fristend.
In Stralsund wurde das Fahrgastschiff auf den Namen HINDENBURG getauft, musste dann aber nach Schwerin überführt werden. Das ging nur über die Ostsee. Am 8. Mai 1925 war die See so ruhig, dass man den Sprung – mit Zwischenstationen in Warnemünde und Travemünde – wagen konnte. Über die Trave und den Elbe-Lübeck-Kanal wurde elbaufwärts Dömitz angesteuert, auf der Müritz-Elde-Wasserstraße und dem Störkanal schließlich am 23. Mai der Schweriner See.
Ehrentitel Historisches Traditionsschiff
Während der Kriegszeit 1940 bis 1945 wurde das Schiff stillgelegt. 1946 passte der Name HINDENBURG – den trug der letzte Reichspräsident – nicht mehr in die politische Landschaft. Fortan hieß der Ausflugsdampfer SCHWERIN (III). Bis 1949 mit der Gründung der DDR neue Herren das Sagen hatten. Weil man dem „großen Bruder“ im Osten einen Gefallen tun wollte, wurde auch SCHWERIN am 9. September 1950 gekippt. SOWJETFREUNDSCHAFT prangte nun am Steven.
Bis zu Wende, dann war auch dieser ungeliebte Schiffsname obsolet geworden. MECKLENBURG sollte es dann sein. Passte ja auch zum neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern mit Regierungssitz im Schweriner Schloss in Sichtweite. Schon in den achtziger Jahren überlegte man beim VEB Weiße Flotte, das Schiff als technisches Denkmal zu erhalten.
Inzwischen hatte Klaus Koppermann während einer spektakulären einwöchigen Überführungsreise die neue TALLINN (heute HAMBURG) vom VEB Yachtwerft Berlin-Köpenick an den See geholt. Doch der Oldie blieb in Fahrt. Bis sich 2012 ein Käufer aus Baden-Württemberg für das kleine, solide Schiffchen interessierte. Natürlich war das wieder mit einem Namenswechsel verbunden: LIESELOTTE VON DER PFALZ hieß der alte HINDENBURG nun. Auf eigenem Kiel mit neuem 130 kW-Deutz-Diesel und Bugstrahlruder dampfte die badische Crew mit 12 bis 14 Km/h hunderte Kilometer quer durch Deutschland bis zum Neckar. Heidelberg stand als neuer Heimathafen am Heck.
Unter Schweizer Flagge
2016 schließlich entdeckte die Schweizer Reederei OLAGOMIO AG (www.olagomio.ch) den Oldtimer und kaufte ihn zum Einsatz auf Murten-, Neuenburger- und Bielersee, die zu den Jura-Seen nahe der Schweizer Hauptstadt Bern gehören. Diesmal wurde der Rhein bis zum Ende seiner Schiffbarkeit befahren, den Rest erledigte dann ein Tieflader.
Die LIESELOTTE wurde gründlich restauriert und fast wieder in ihren Originalzustand zurückversetzt. Nun hieß sie MURTEN, bekam damit auch den Ehrentitel „historisches Traditionsschiff“ und erfreut sich seitdem größter Beliebtheit beim Publikum. Der Salon bietet NUR NOCH 30 Gästen Platz, dafür aber sehr bequem. Unter dem Vordach achtern und vorn im Freien können jeweils 15 das faszinierende Gebirgspanorama vom Wasser aus genießen.
93 Jahre alt und noch voll im Saft – ein besseres Attest kann man dem unverwüstlichen Schiff dank bester Stahlqualität nicht ausstellen.
Fotos: Privatarchiv Klaus Koppermann