VASCO DA GAMA – IMMER NOCH EIN ENTDECKER

Auf Heinrich Schliemanns Spuren in Troja und Umgebung

von Peer Schmidt-Walther

Ein eisiger Wind pfeift über die spärlich begrünten Hügel. „Von dem hat Troja profitiert“, meint Reiseleiter Ahmed und zeigt nach Nordwesten, wo hinter dem Ackerland die Dardanellen im Gegenlicht aufblitzen. „Stellen Sie sich vor,“ doziert der bezopfte Türke mit Stuttgart-Hintergrund dialektfrei weiter, „sie müssten von hier aus gegen Wind und starke Strömung nach Istanbul segeln.“ Ein Rostocker aus der Gruppe kann das nur bestätigen: „In Kanakkale haben wir vor zwei Jahren aufgegeben und sind mit unserem Chartersegelboot umgekehrt und nach Griechenland zurückgefahren.“
MS „Vasco da Gama“ hatte keine Probleme mit ihren 32.630 PS bis zum Hafen Kepez vorzudringen.

Bei zu viel Wind oder Strömung kann Kapitän Adran Firsov, Reserveoffizier der rumänischen Marine, auch einen oder zwei Schlepper zur Unterstützung anfordern.  

Reger Schiffsverkehr in den Dardanellen

Bucht wurde zu Ackerland

Für die stark motorisierte Großschifffahrt ist die Passage dieses 70 Kilometer langen Schlauchs zwischen den Halbinseln Gallipoli und Yaremadesi heute also kein Problem mehr.

Fähren verbinden die Inseln in der Ägäis

Vor rund 4000 Jahren sah das allerdings ganz anders aus, wenn schwer beladene Segler aus der Ägäis durchs Marmarameer Kurs auf den Bosporus nehmen wollten. Da half kein Kreuzen, sondern man lief einfach bis zum Abflauen den Nothafen von Troja an, der heute 15 Kilometer landeinwärts liegt. Warum? Weil die tektonisch bedingte Hebung des Landes die Bucht allmählich abschnürte. Sie füllte sich im Laufe der Zeit mit Erosionsmaterial und wurde schließlich zu Ackerland.

Die Schiffer der Vorzeit fackelten nicht lange und verkauften ihre Waren manchmal schon in Troja oder luden sie um zum Landtransport. Durch diesen sturm- und strömungsbedingten Handel wurde die Stadt immer reicher und wuchs stetig heran zu einem Handelszentrum der Bronze- und Eisenzeit (zwischen 3000 v. Chr. bis zur Spätantike 565 n. Chr.).

So soll die Keimzelle von Troja vor 4000 Jahren ausgesehen haben

Am stärksten gebuchter Ausflug

Der Name der Stadt weckt Assoziationen: an griechische und trojanische Helden, Helena und Paris, die unglücklich Liebenden, Verrat und Rache sowie  Homer, den blinden Begründer der griechischen Literatur, der 700 v. Chr. alles in zwei Epen verewigte: Ilias und Odyssee. Sie haben Welterbe-Rang.

Nicht nur animiert dadurch, kommen jedes Jahr Abertausende in diesen Ort, jetzt auch eine Gruppe von „Vasco da Gama“-Gästen aus Mecklenburg-Vorpommern. Insgesamt wollen die Passagiere von acht Schiffsbussen – „unser am stärksten gebuchter Ausflug“, wie ein Reiseleiter sagt – nicht nur das berühmte hölzerne Trojanische Pferd, Symbol für List und Tücke, sehen, sondern auch den Platz,

an dem der weltberühmte Archäologe Heinrich Schliemann Troja entdeckte und ausgrub. Schließlich war er, 1822 in Neubukow geboren, ein Landsmann von ihnen. In Ankershagen, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, verbrachte er acht Jahre seiner Kindheit.
Das Museum im ehemaligen Elternhaus erinnert heute an ihn.

Dort ist auch ein stattliches Trojanisches Pferd von sechs Metern Höhe und zehn Metern Länge aufgestellt.

Schatz geraubt und verschwunden

Die Besucher von Troja indes sind enttäuscht von dem „mickrigen Holzpferdchen“, das außerdem noch eingerüstet ist, weil sein Verfall droht. Historiker Dr. Ulrich Schrader aus Freiburg bezweifelt, dass es jemals existierte, „sondern nur eine homerische Metapher für die listenreiche Eroberung der Stadt war. Rein technisch hätten niemals 150 voll ausgerüstete griechische Krieger Platz darin gehabt“, meint er, „allenfalls fünf“. Die von dem Dichter Johann Heinrich Voß (1751-1826) zufällig auch in Ankershagen übersetzten Epen Homers, die keine historische Dokumentation darstellen, liefern keine Angaben über die tatsächlichen Größenverhältnisse. Wohl aber symbolisiert dieses „Kriegsgerät“ den Untergang Trojas, den auch die verbündeten Hethiter nicht verhindern konnten. Ein Verdienst von Odysseus, dem legendären, listenreichen Griechen.

Schliemann, der „seinen“ Homer immer bei sich trug, begann 1872 am Wall von Hisarlik, den er als Standort Trojas bezeichnete, zu graben. Den Einschnitt kann man heute noch sehen.

Grabungsstelle von Heinrich Schliemann mit den einzelnen Ebenen von Troja

Er war überzeugt, die homerische Stadt auf der untersten von neun Grabungsebenen zu finden.

Reste von Wasserleitungen aus Tonröhren

Dabei zerstörte er viel, entdeckte aber nicht nur Ruinen einer befestigten Stadt, sondern auch Juwelen, die er den „Schatz des Priamos“ nannte. Es waren tatsächlich viel ältere Stücke darunter als angenommen, denn sie entstammten nach genauer Datierung einer frühen bronzezeitlichen Zivilisation. Geraubt bei Kriegsende von sowjetischen Truppen und nach Moskau geschafft.

Geballte Kulturbetrachtung

Die Kavalkade, täglich sind es 4000 Besucher, pilgert an den Ausgrabungsstätten vorüber, tief bewegt, das alles sehen zu dürfen.

Die Gruppe an freigelegten Hauswänden und Fundamenten

„Ein großer Name, aber ein relativ kleines Ausgrabungsgebiet“, erklärt Ahmed.

Im Oktober 2018 eröffnete der türkische Präsident Erdogan das Troja Museum, dessen moderne Erscheinung als ein bewusst rostender Kubus im Cortenstahlkleid gewöhnungsbedürftig ist. Das Innere überrascht durch die anschauliche, nicht überladene Präsentation der bewegten Historie Trojas.

„Wann hat man schon mal die Möglichkeit, Geschichte und Kultur dieses facettenreichen Erdraumes so geballt zu betrachten“, meint Sigrid Lange aus Güstrow und hat genau aus diesem Grund die Reise gebucht. Das Schiff ist mit 900 Gästen so gut wie voll belegt, nicht nur, weil Ostern in die Reisezeit fällt. Wobei das Wetter keineswegs österliche Züge zeigt, so dass man froh ist, wieder an Bord zu sein, um sich in einem der geheizten Pools oder in der Sauna aufzuwärmen. Manch einer, dem dies zu nass, zu kühl oder zu heiß erscheint, lässt sich dann lieber an einer Bar nieder: zur „inneren Erwärmung“.

Träumen am Ende eines Ausflugstages

Bei einem oder zwei Apérol ziehen die übrigen klassischen Namen dieser entspannten zehntägigen 1228 Seemeilen-Reise bald ganz von allein an ihm vorüber: Athen, Mykonos/Delos, Kusadasi/Ephesus/Priene, Milet/Didyma, Dikili/Pergamon, Volos/Meteora/Olymp, Skiathos, Thessaloniki/Pella und Edessa/Vergina/Dion, Kavala/Drama/Xanthi, Kepez/Canakkale/Troja, Istanbul.

Eins der berühmten Meteora-Klöster

Ein Mitfahrer aus Berlin berichtet, dass er während seines Geschichtsstudiums Anfang der siebziger Jahre Wochen brauchte, bis er mit seiner 16 PS-Ente dieses Ziele abgeklappert hätte. Jetzt wollte er das alles noch einmal komprimiert sehen im Focus der vergangenen Zeit. Für Thomas Lutz aus Waren ist es das erste Mal, dass er sein „Wissen mit Praxis füttern kann“. Wobei MS „Vasco da Gama“ als schwimmendes Hotel die notwendige logistische Basisstation für alle und alles ist.

INFOS

MS VASCO DA GAMA
frühere Namen: STATENDAM (1993-2015), PACIFIC EDEN (2015-2019); Schiffstyp: Kreuzfahrtschiff;
Bauwerft: Fincantieri, Montfalcone;
Kiellegung: 30.7.1991, Stapellauf: 3.4.1992, Indienststellung: Januar 1993; Baunummer: 5881; Länge (ü. a.): 219,21 m, Breite: 30,80 m,
Tiefgang (max.): 7,72 m; Vermessung: 55.877 BRZ, Tragfähigkeit: 7637 tdw; Crew: 557;
Maschine: dieselelektrisch, Sulzer-Grandi, 34.560 kW, 2 Verstellpropeller, Geschwindigkeit (max.): 20,3 kn;
Passagierzahl (zugel.): 1613;
Rufzeichen: CQEP2; Klassifizierung: Lloyds Register; IMO-Nr.: 8919245; Eigner: Mystic Ocean SA; Charterer: nicko cruises;
Heimathafen: Madeira; Flagge: Portugal;

Buchung: www.nicko-cruises.de

Verbrauch während der Reise (10 Tage): 25.000 Eier, 4000 l Milch, 4000 kg Fisch, 3000 kg Geflügel, 3.300 kg Rindfleisch, 5500 kg Gemüse, 7000 kg Früchte, 70.000 Stck. Brot, 2000 kg Mehl, 10.000 l Bier, 5000 l Wein, 12.000 Rollen Toilettenpapier

Umweltaspekte: u.a. korrekte Mülltrennung/-entsorung, stromeffiziente Geräte, umweltfreundliche Chemikalien, Minimierung von Plastikartikeln, Abgasreinigung etc. Überwachung durch Umweltoffizier; gesundheitsbehördliche Vorschriften wesentlich schärfer als an Land, Dauerüberwachung durch medizinisches Personal.