CTOUR-Luftfahrtexperte: Das Jahr der großen Abschiede
Das Jahr 2014 markiert in der Luftfahrt, von vielen kaum wahrgenommen, historisch einen ungewöhnlichen Meilenstein. Der große und stetige Fortschritt in der zivilen Luftfahrt, die Entwicklungssprünge, sind äußerlich oft erkennbar und werden gern gemessen an der Reduzierung des Treibstoffverbrauchs sowie der stetig sinkenden Lärmemission. Damit verbunden und bezweckt ist natürlich die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit neuester Flugzeugmuster gegenüber ihren Vorgängermodellen.
Und hier kommen wir zum Grund der Wehmut für altgediente Aviatiker und Luftfahrtenthusiasten: die Vorgängermodelle verschwinden nach und nach aus dem aktiven Flugbetrieb und damit vom Luftfahrthimmel. Das Jahr 2014 markiert hier mit der endgültigen Aussonderung von gleich drei Flugzeugmustern nicht nur einen statistischen Höhepunkt, sondern auch ein weiteres Kuriosum: neben der DC-10 verschwand auch gleich noch das Nachfolgemodell, die MD-11 aus dem aktiven Passagierverkehr! Doch der Reihe nach:
Ein Wochenende im Februar 2014, Birmingham Airport, UK Biman Bangladesh Airlines, letzter Betreiber einer McDonnell Douglas DC-10 kommt mit ihrer S2-ACR nach Birmingham, um Luftfahrtfans aus aller Welt die Chance zu bieten, mit Rundflügen Abschied zu nehmen von einem Flugzeugtyp, der 1970 seinen Erstflug hatte, 446 mal in mehreren Versionen gebaut wurde und dessen Aussonderung als Passagiermaschine unmittelbar nach den Rundflügen eine Ära beenden sollte. Fans aus 52 Ländern der Welt ließen sich nicht zweimal bitten und nutzten die angebotenen Rundflüge dankbar.
Biman Bangladesh Airlines, unter ihnen CEO Kevin Steele, verteilte Urkunden und Präsente zur Erinnerung, die Flughafenfeuerwehr grüßte mit einer Wasserfontäne und dann war es vorbei. Die DC-10, mit 35% höheren Streckenkosten als eine vergleichbare, moderne Boeing 777 verließ als Passagiermaschine die Bühne der aktiven Luftfahrt. Einige Maschinen fliegen noch als Frachtmaschine oder im militärischen Einsatz als Sondervariante.
Die Leistung der DC-10 für die Luftfahrt wird anschaulich verdeutlicht, betrachtet man das nächste „Event“. Als Nachfolgemuster der DC-10 wurde mit der MD-11 am 20. Dezember 1990 der erste Passagierflug im Linienverkehr durchgeführt, 20 Jahre nach der DC-10. Die MD-11 verfügte über eine größere Passagierkapazität, wesentlich modernere Triebwerke und eine zeitgemäße Avionik.
Good bye in Amsterdam
1.11.2014, Amsterdam Schiphol Airport. Ein halbes Jahr nur ist vergangen seit der Außerdienststellung der DC-10, da trifft es bereits ihr Nachfolgemuster! KLM, letzter Betreiber von MD-11 im Passagierverkehr, zieht die ökonomische Notbremse.
Wirtschaftlich konnte sich das Muster nie richtig durchsetzen, erreichte kaum die ursprünglich zugesagten Leistungswerte und war mit drei Triebwerken einfach immer noch zu teuer, sowohl in der Wartung als auch im Treibstoffverbrauch. Mehr und mehr dominieren heute die zweistrahligen Jets der Typen Airbus A 330 sowie vor allem die Boeing 777 den Langstreckenverkehr. Doch auch KLM ließ sich nicht lumpen, ihrem treuen Weggefährten die letzte Ehre zu erweisen. Die drei Rundflüge, jeweils zu Preisen ab 111 € (die Elf muss stehen, beim Datum, beim Preis und beim Flugzeugtyp) waren innerhalb weniger Minuten, auch mit Unterstützung des Veranstalters für Luftfahrtreisen, der Firma Air Events, ausverkauft. Speziell dekorierte Check-in Gates, eine Sonderbemalung der Rundflugmaschine (die die langjährige Tradition der KLM würdigte, Flugzeuge aus dem Hause McDonnell Douglas zu betreiben – KLM ist übrigens die einzige Airline weltweit, die alle Muster eingesetzt hatte!), spezielle Werbegeschenke sowie ein Sonderbildband über die Geschichte des Musters bei KLM waren Ausdruck der Verbundenheit.
CEO Pieter Elbers ließ es sich nicht nehmen, dem Letztflug beizuwohnen und nicht nur den Fluggästen Autogramme zu geben, sondern mit einer letzten Widmung im Inneren des Flugzeugrumpfes Lebewohl zu sagen.
Ein letztes Mal umrundete die Maschine, eskortiert von ihrem Urahnen, der DC-3, nach der Landung auf den Taxiways das Flughafenareal – zur Freude der unzähligen Flugzeugfotografen und Fernsehteams – dann sagte auch hier die Flughafenfeuerwehr Good bye und ein weiterer Flugzeugtyp verschwand vom Luftfahrthimmel. Mit einem „Wir sehen uns in Teheran“ (Warum? Sehen Sie unten!) entschwanden auch alle teilnehmenden Luftfahrtenthusiasten in ihre Heimatländer.
Die Flugzeuge aus dem Hause McDonnell Douglas standen immer im Schatten des großen und scheinbar übermächtigen Nachbarn, der Firma Boeing. Deren Erfolgsmodell, ein Klassiker der Luftfahrt und auf allen Erdteilen zu Hause, ist die Boeing 747, im Volksmund gern Jumbo Jet genannt. Der Jumbo, der 1969 seinen Erstflug hatte, dominierte über Jahrzehnte den Langstreckenverkehr und war seinerzeit das größte Passagierflugzeug der Welt (heute ist dies der Airbus A380). Er wurde regelmäßig weiterentwickelt und existierte in unterschiedlichen Varianten. Exot unter all den Mustern war die Boeing 747SP, unsere Überleitung zum nächsten Abschied.
„Wir sehen uns in Teheran!“
Teheran, Mehrabad International Airport, 23. November 2014. Die Boeing 747 in der Variante SP, die Abkürzung steht für Special Performance, gehörte nie zu den Top Sellern der Luftfahrt. Ganze 45 Exemplare verließen die Werkhallen der Boeing Airplane Company. Die legendäre Pan Am war 1976 Erstbetreiber dieses seltenen Musters. Die Boeing 747SP mit deutlich verkürztem Rumpf sollte auf aufkommensschwachen Langstreckenrouten mit ihrer Reichweite von bis zu 12.320 km zum Erfolgsschlager werden, erwies sich jedoch als Flop. Diverse Airlines versuchten sich mit diesem Muster, resignierten jedoch letztlich. Zu den Erstkunden gehörte auch Iran Air, die bis heute das Muster, vor allem auf der Strecke nach Kuala Lumpur betreibt. Wobei die Bezeichnung „bis heute“ nicht korrekt ist, denn dann gehörte dieser Text nicht hierher…
Die EP-IAC, 1977 gebaut und im selben Jahr an Iran Air ausgeliefert, flog unverändert ausschließlich dort bis zum Jahr 2014. Dies ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass es aufgrund der Embargopolitik für das Land kaum möglich ist, moderneres Fluggerät problemlos zu beschaffen um die alten Muster auszusondern. Doch auch hier diktiert irgendwann die Wirtschaftlichkeit. Anstehende große Wartungsereignisse mit unvertretbarem Aufwand zwangen die Geschäftsführung unter CEO Farhad Parvaresh zum Handeln. Doch sollte der Lady nach 37 Jahren treuer Dienste ein würdiger Abschied bereitet werden. Und so entschloss man sich zu einem für ein Land wie dem Iran einmaligen Schritt: man lud Luftfahrtenthusiasten aus aller Welt ein, an der Abschiedszeremonie und einem Abschiedsrundflug teilzunehmen. Die Firma Air Events erklärte sich auch hier zur unterstützenden Kommunikation bereit, ein lokaler Veranstalter übernahm die Abwicklung der Formalitäten und Iran Air die Gesamtorganisation inklusive aller Beantragungen.
Was schon in Europa kaum funktioniert: Rundflug in geringerer Höhe, Passagiere auf dem Vorfeld um das Flugzeug, Fotografieren im Sicherheitsbereich, in einem Land wie dem Iran bisher undenkbar. Und doch war es diesmal möglich! Die persische Gastfreundschaft ist einzigartig und begleitete uns von der Ankunft bis zum Heimflug (man kommt übrigens mit Pegasus Air für nur 300 € aus Deutschland bequem nach Teheran, mit Iran Air ab Frankfurt für knapp 400 € sogar nonstop). Als Europäer schnell erkannt, galten die Fragen und Sorgen stets der Wahrnehmung des Iran im Ausland, der Hoffnung auf friedliche Annäherung und auf touristisches Wachstum.
Unter reger Teilnahme der örtlichen Presse nahmen dann die Luftfahrtenthusiasten sowie geladene Gäste der Iran Air (sowie verdienstvolle Mitarbeiter des Unternehmens) Platz an Bord der 37-Jährigen, um bei einem gut einstündigen Rundflug das Flugzeug letztmalig auf sich wirken zu lassen sowie natürlich die Aussicht zu genießen. Trauer auch bei Flugkapitän A. Moghadam und First Officer A. Sany. Für Sie geht mit diesem Flug ein großes Stück Ihres beruflichen Lebens zu Ende.
Reichlich mit Gastgeschenken – und natürlich einem Zertifikat über den Flug – versehen, ging es für einen Teil der Fluggäste dann noch einige Tage quer durch das wunderschöne Land, andere traten, oft beruflich bedingt, noch in der Nacht die Heimreise an.
Drei Fluggesellschaften, drei Ländern, drei Erdteile, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: an der Spitze jeweils ein CEO geprägt von der Liebe zur Luftfahrt, der Begeisterung auch für die Begeisterten und damit die Möglichkeit, auf ganz individuelle Art Abschied zu nehmen von einem liebgewordenen Stück Luftfahrtradition. Ein erfülltes Luftfahrtjahr 2014 geht zu Ende.