Schienen-Kreuzfahrt mit dem „Ostpreußen-Express“

Wer 1945 zwischen Danzig und Stettin Ende 1944, Anfang 1945 auf die Flucht gehen musste, wird sich noch an die nicht enden wollende Fahrt erinnern. Glück bedeutete damals, einen Platz in einem der westwärts rollenden DR-Personenzüge zu ergattern, andere froren erbärmlich in offenen Güterwaggons, wobei viele den Kälte- und Hungertod starben. Heute hingegen rauschen bequeme mit E-Lok bespannte IC-Züge der polnischen PKP über die 334 Kilometer lange historische Strecke, die unbeschreiblich viel Leid gesehen hat.

In den letzten Jahren bin ich oft per Zug nach Ostpreußen gefahren, um dort Rad-, Hausboot- oder Schiffstouren mit der „Classic Lady“ zu unternehmen und im Raum Angerburg/Jäglack auf den Spuren von Arno Surminski zu wandeln, der zur Zeit an einem Lokführer-Roman arbeitet. Schauplätze während der Kriegszeit: zwischen Ostpreußen und Schleswig-Holstein.

D-Zug mit Dampflok der Baureihe 17 auf Strecke in Hinterpommern (Foto: Archiv)

Alle Züge ab Stralsund Richtung Berlin halten in Pasewalk. Hier heißt es umsteigen in die Regionalbahn. Sie kommt von Lübeck und fährt bis Stettin Hauptbahnhof. Dabei spürt man immer noch die alte deutsch-polnische Grenze, bis zu der die Schienen geschweißt sind. Dahinter fängt es in rhythmischem Takt an zu rattern. Aus Richtung Berlin steigt man in Angermünde um. Alle zwei Stunden gibt es Verbindungen in beide Richtungen.

Über die Oder nach Westpommern

Das Zuglaufschild Stettin – Bialystok.

Kurz nach zehn: Am Bahnsteig (peron) 2 wird auf Gleis (tor) 4 wird ein langer IC bereitgestellt. Das Zuglaufschild weist ihn aus als RYBAK, zu Deutsch „Fischer“. Endstation der PKP-Strecke 202 ist Bialystok an der weißrussischen Grenze mit weiteren Haltepunkten nach Danzig in Dirschau, Marienburg, Elbing, Mohrungen, Allenstein, Wormditt und Rastenburg. Eine Strecke, von der jeder Meter geschichtsbelastet ist. Meistens bin ich in Lötzen am Löwentinsee ausgestiegen, um dort an Bord zu gehen oder aufs Rad umzusteigen.

Der IC RYBAK oder „Fischer“ – abfahrbereit im Hauptbahnhof Stettin.

Um 10.40 rollt der RYBAK aus dem Bahnhof auf die Oder zu. Links sieht man noch die berühmte Stettiner Hakenterrasse, dann dröhnt die Brücke unter den Waggonrädern. Ein polnisches Schubboot drückt seine Bargen, die mit oberschlesischer Kohle für Berlin beladen sind, gegen den Strom nach Süden. Ab Alt-Damm nimmt die Lok, die zum Betriebswerk (Bw) meiner Geburtsstadt Ostrowo im Warthegau der Provinz Posen gehört, Fahrt auf: für die 22 Kilometer lange Steigung durch den dichten Wald der Buchheide, eine Stauchmoräne, die bis zu 149 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Wir sind in die polnischen Woiwodschaft Westpommern eingefahren, die überwiegend zum historischen Hinterpommern zählt. Um 11.16 quietschen zum ersten Mal die Bremsen in Stralsunds Patenstadt Stargard. Die Türme der Stadtkirchen grüßen herüber, während auf dem Nachbargleis Kinder das technische Denkmal einer grünen polnischen Schnellzug-Dampflok bestaunen.

Wieder an der Ostseeküste
Blick zurück. Die Reichsbahndirektion (RBD) Stettin war eine der ältesten Deutschlands, erstreckte sich über das Gebiet der Provinz Pommern und gehörte gebietsmäßig zur RBD Osten. Ihr Landschaftsbild besteht einheitlich aus einer eiszeitlichen Moränenlandschaft im Bereich des weithin bewaldeten, sanft gewellten Balten Höhenrückens, der im 256 Meter hohen Schimritzberg der Bütower Kuppen gipfelt. Darin eingebettet die idyllische Pommerschen Seenplatte.

Zwischen Freienwalde und Labes schmiegt sich die Strecke kurzzeitig an den Südzipfel des Wothschwien Sees. Hinter Labes wird das gewundene Flüsschen Rega gequert, das rechts bis zur 1296 gegründeten Kreisstadt Schivelbein unseren Weg begleitet. Bei Kanuten ein beliebtes Wassersportrevier. Naturlandschaft mit viel Wald dominiert bis zum 32 Kilometer entfernten Belgard, dessen Landkreis mit seinen vielen Rittergütern seit 1648 zu Brandenburg-Preußen gehörte. Durch den Ort fließt die bei Kolberg in die Ostsee mündende Persante.

Salzgeruch zieht man nach 24 Kilometern ein, wenn man das Fenster öffnet. Der RYBAK stoppt in Köslin, früher mit „C“ geschrieben, das nur einen Steinwurf weit vom Baltischen Meer liegt. An dieser Küste spielt Fremdenverkehr bis heute eine große Rolle, früher aus ganz Deutschland, heute überwiegend aus Polen. Wegen des noch günstigen Preis-Leistungsverhältnisses und der Küstenlandschaft mit ihren endlosen Stränden kommen zunehmend auch Gäste aus dem europäischen Ausland hierher.

Von Köslin, der nach Stettin zweiten Großstadt Westpommerns, zweigt eine acht Kilometer lange Kleinbahnstrecke nach Natzlaff zum Ostseestrand ab. Weiter geht es küstenparallel, doch mit weitem Abstand zur Ostsee, durch Agrarland über Schlawe an der Wipper, die bei Rügenwalde in die See mündet, nach Stolp, im Mittelalter eine Landvogtei. Die Stadt liegt an der Stolpe, der Stolpmünde an der Ostsee den Namen verdankt.

Kaschubien und Westpreußen
In flotter Fahrt – unterbrochen durch viele dampflokähnliche Pfiffe an unbeschrankten Bahnübergängen – läuft der IC nach rund 65 Kilometern ohne Halt in Lauenburg ein. Die bewaldeten Höhen südlich der Stadt sind Ausläufer der Kaschubischen Schweiz mit ihrem ausgedehnten Wald- und Seengebiet rund um Karthaus, ein bevorzugtes Naherholungsgebiet der Danziger.

32 Bahnkilometer weiter stoppt der RYBAK in Neustadt an der Reda. Hier beginnt Westpreußen. Durch den Versailler Vertrag fiel das Gebiet 1920 an Polen und wurde als Polnischer Korridor bezeichnet. Heute gehört es zur Woiwodschaft Pommern.
Bis hierher fährt auch die Danziger S-Bahn, zum Teil noch mit Wagenmaterial der Berliner Vorkriegs-S-Bahn. Eine idyllische Bahnstrecke führt von Neustadt über Grossendorf bis nach Hela am Südzipfel der Putziger Nehrung auf der gleichnamigen Halbinsel. Ein wahrhaft lohnenswerter Abstecher!

Wenig später schlängelt sich der IC RYBAK an den Hafenanlagen von Gdingen entlang. Die großen Schiffe sind zum Greifen nahe. Das mondäne Seebad Zoppot ist vorletzte Station, bis der Glockenturm des prachtvollen Danziger Hauptbahnhofs in Sicht kommt. Der Pommern-Westpreußen-Film spult seine letzten Meter ab. Pünktlich um 15.41 Uhr, nach fünf Stunden Fahrt für nur 19,79 Euro in der 1. Klasse, heißt einen die polnische Lautsprecherstimme: „Herzlich willkommen in Danzig!“

Angekommen in Danzig.

Infos:
Günstigste Buchung: online über: www.intercity.pl oder über Eisenbahn-Spezial-Reisebüros wie Kopfbahnhof in Berlin; alle IC-Züge sind platzkartenpflichtig.

Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther/Archiv(1)