Längst aus der effizienten Zeit gekommen, hat China jedoch das touristische Potenzial der Schmalspurbahnen erkannt und ein besonderes Schmuckstück, die Jiayang Dampfeisenbahn in der südchinesischen Provinz Sichuan unter Denkmalschutz gestellt.
Dampfloks üben im Allgemeinen eine große Faszination auf Jung und Alt aus. Nach den Berufswünschen gefragt, gaben die Kleinen früher einhellig zur Antwort, Lokführer oder Feuerwehrmann werden zu wollen. Vielleicht liegt der Reiz am hohen Fahrersitz mit einmaligem Panoramablick oder am beruhigenden rhythmischen Rädergeräusch beim Fahren. Oder an den Dampfwolken, die wie ein Drachenschweif ihre Spur hinterlassen. Ganz sicher aber begeistert die imposante Technik. Heute stehen die Großen mit glänzenden Augen und gezückter Kamera vor den eisernen Maschinen und schießen Fotos was das Zeug hält. Halt eine Freundschaft fürs Leben!
Gebaut wurde die 600-mm-Schmalspurbahn 1938 für den Kohletransport aus der Mine in Huangcunjing und als Mitfahrgelegenheit für die Minenarbeiter. 1959 wurde eine neue Strecke von Huangcunjing nach Shixi eröffnet und wenig später von 600 mm auf 762 mm umgespurt. Die Einwohner profitierten dann später von den angehängten Personenwaggons. Erst Mitte der 70er Jahre wurde ein regulärer Fahrplan zwischen Shixi und Huangcunjing für den Personenverkehr eingerichtet. Seit 2010 stehen sowohl die Jiayang Schmalspurbahn als auch die Mine in Huangcunjing unter nationalem Denkmalschutz. Über diese historische, wie auch landschaftlich pittoreske Bahnstrecke verkehren heute täglich Touristen-Sonderzüge.
Auf der 19,84 km langen Strecke von Shixi nach Huangcunjing gibt es 8 Stationen, 4 Besichtigungspunkte, 6 Tunnel und 109 Bögen. Der minimale Wenderadius dabei ist 70 Meter. Die Strecke hat eine maximale Steigung von 36,14 % und eine Kletterhöhe von 238 Metern. Die Hin- und Rückfahrt des Sonderzugs dauert 2,5 Stunden. Der Zug macht 30 Minuten Pause für eine Besichtigung an der Zielstation Huangcunjing. Gefahren wird mit 20 km pro Stunde. Gelegenheit fürs Fotografieren gibt’s aus den Fenstern, wenn nicht die Dampfschwaden die Sicht vernebeln.
Die Strecke ist bei in- und ausländischen Touristen sehr beliebt. Auch bei unserer Fahrt ist jeder der 20 Sitzplätze ausverkauft. Das Publikum zu früher hat natürlich gewechselt. Keine Minenarbeiter klemmen mehr auf den Holzbänken, sondern abenteuerlustige junge Leute aus den großen Städten, die das alte Feeling des langsamen Fahrens geniessen und die Ahnung einer vergangenen Zeit heraufbeschwören, die sie zum Glück nicht mehr leben müssen. Die Fenster haben zwar Scheiben, werden aber ständig hoch- und runtergekurbelt. Man will sich heldenhaft den Verbrennungsrückständen von Kohleasche und Wasserdampf stellen, die ausgestossen von der Lok, ungeschützt in den Wagen gelangen. Es wird gehustet und geschneuzt und spätestens am Zielbahnhof sehen wir aus wie nach der der letzten Schicht aus der Kohlegrube. Einige haben ihren Mundschutz mitgebracht, andere spülen ihre Kehlen mit Bier.
Es ist nicht nur ein Stück alter Geschichte Chinas und ihrer ersten industriellen Revolution, die wir während der Zugfahrt mit der Dampflok auf der Schmalspurbahnstrecke erleben, sondern auch ein einmaliges Naturerlebnis von üppigen Pflanzenwiesen und dschungelartig überwucherten Wegrändern, die an uns vorbeigleiten.
In der Nähe der Station Caiziba erlebt man insbesondere im Frühjahr eine romantische Wegstrecke. Dann durchquert die Bahn die gelbfarbigen Felder und Terrassen während der Rapsblüte. Während des Blumenfestes im März und April können Besucher hier einen Besichtigungsstopp einlegen. Bei unserem Besuch im September ist die Rapsblüte längst vorbei.
In Liang Shui Tuo können die Fahrgäste kurz aussteigen und von einer speziellen Plattform den Zug fotografieren. Die Lokomotive kehrt aus diesem Grund noch einmal um und fährt langsam fürs Fotoshooting an der Haltestelle vor. An sonnigen Tagen sollen sich schöne Regenbögen zeigen, die künstlich aus dem Wasserdampf entstehen, den die Lok ausstößt. Wir haben Pech, trotz Sonne ist kein Regenbogen am Himmel auszumachen.
Endstation der Schmalspurbahn ist der Huangcun Bahnhof. Hier befindet sich die Grube No. 1 des Jiayang Kohlebergwerks, das 1952 gebaut und 1986 stillgelegt wurde. Die Mine in Huangcunjing wurde danach in ein Museum umgewandelt, in dem man viel über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bergleute erfahren kann. Das dazugehörige Dorf leert sich allmählich, die Jungen ziehen weg, nur noch die Alten leben ihre Zeit dort ab. Sicher wird auch das Dorf eines Tages zu einem Museum werden.
Rund um das Museum werden derzeit Hotels hochgezogen. Man richtet sich schon mal vorsorglich auf Erlebnistouristen ein. Diejenigen, die früher in der Mine gearbeitet haben, verstehen die rußgeschwärzte, rumpelnde Eisenbahn-Nostalgie, die besonders die jungen Besucher packt, nicht ganz. Ja, sagen die Alten, wer nicht in den Schächten malochen musste, kann das als abenteuerliche Zeitreise in die Vergangenheit betrachten. Eine Vergangenheit, für die sich eine Generation abstrampelte, damit die nächste es einmal besser haben würde.