SCHAUT EUCH MOSKAU MIT EIGENEN AUGEN AN

Impressionen von der Weltmetropole an der Moskwa

Eine Reise nach Russland in diesen Corona-Zeiten ist eine Reise zurück in das normale Leben. Manche Besucher aus Deutschland empfinden es sogar als Reisen in eine andere, freiere Welt. Natürlich gibt es in der 12-Millionen-Einwohner-Stadt Moskau eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr, auch beim Besuch von Ausstellungen, Museen und Theatern.
Restaurants und Cafes sind geöffnet, man kann preiswert in ausgezeichneten und gut besuchten Restaurants wie dem georgischen Dshonsholi oder in einem russischen Pub einkehren.
Ganz offensichtlich haben die Russen gelernt, entspannt mit dem Virus umzugehen. Überall stehen kleine Apparate zur Desinfektion, es wird Fieber mit mobilen Thermometern gemessen. Und in Opern- und Konzerthäusern werden nur einige Plätze freigehalten, um Abstände zu wahren.

Lenin im Mausoleum darf noch bleiben

Erste Station ist für die meisten Moskau-Besucher der Rote Platz und der Kreml. Vor vier Jahren wurde hier von Landschaftsarchitekten der Sarjadje-Park entlang dem Kreml-Gelände neu angelegt samt einer naturnah gestalteten Aussichtsplattform mit wunderschönem Blick auf die Moskwa. An der Kreml-Mauer befindet sich das Mausoleum mit dem einbalsamierten Lenin. Im Jahr 2021 empfängt er nur noch an einigen Tagen ein paar Stunden die Besucher.

An der Kreml-Mauer

Zuallererst die spannende Frage: Wie lang ist die Warteschlange? Nur eine knappe halbe Stunde vergeht und an einem Kontrollpunkt für Taschen und Rucksäcke wird der Weg zu Lenin frei gegeben.

Lenin – Mausoleum

Der aufgebahrte Lenin präsentiert sich in einem Anzug mit einem Gesichtsausdruck, den man als friedlich schlummernd bezeichnen kann – ohne die oft unnatürliche Farbtönung, die man von Wachsfiguren-Kabinetten kennt. Vielleicht ein Grund dafür, dass er hier weiterhin bleiben darf.

Von der Kathedrale zur Schwimmhalle und zurück

Eine Fülle von Anziehungspunkten mit historischem Flair wartet auf die Moskau-Besucher. Da ist beispielsweise die glanzvolle Christ Erlöser Kathedrale, die mit einer besonderen Geschichte aufwarten kann.

Christ Erlöser Kathedrale

Nach der Oktoberrevolution stand der Kampf gegen die Religion („Opium des Volkes“) ganz oben auf der Agenda. Tausende Kirchen wurden zweckentfremdet, z. B. als Lagerhallen genutzt oder vielfach abgerissen, darunter auch diese berühmte Kathedrale. Um den Zorn eines Teils der Bevölkerung einzudämmen, wurde an diesem Platz eine große Schwimmhalle gebaut. Nachdem die Sowjetunion zerfallen und das Politbüro der Partei entmachtet war, gehörte es in Moskau zu einer der ersten politischen Entscheidungen, die Kathedrale detailgetreu wieder zu errichten. Der Zeitgeist reißt ab und baut wieder auf.

Die Parade der Impressionisten Europas

In Sichtweite der Christ Erlöser Kathedrale befindet sich eines der Gebäude des Puschkin Museums mit Malerei aus Europa und Amerika des 19./20. Jahrhunderts, mit vielen Bildern der Impressionisten und Expressionisten, bis hin zu Picasso. Hier ist eine Parade von Berühmtheiten versammelt, von Manet, Monet, Degas, Renoir, Gauguin, Cezanne, Sisley bis hin zu Chagall, Rousseau, Matisse und sehr viele Arbeiten des frühen Picasso, die dem Laien wenig bekannt sind und gerade deshalb sehr ansehenswert.

Puschkin-Museum zeigt Impressionisten

Das kleine Besucher-Cafe im Museum ist gleichzeitig Betriebskantine. Hier kann man auch als Besucher preiswert Pelmeni und Pasta essen. Alles sehr aufgeräumt, unaufgeregt, Essen schmackhaft und preiswert. Eine Form von russischem Alltag in Corona-Zeiten.

Romantik in Russland und Deutschland

Ganz in Nähe befindet sich an der Moskwa ein in den 80er Jahren neu errichtetes Gebäude, das zum Verbund der Tretjakow-Galerie gehört.

Der graue, schmucklose Beton-Bau beherbergt in diesen Monaten eine sehr interessante Ausstellung mit dem Titel „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“.

Hier wird herausragende Malerei aus beiden Ländern aus dem 19. Jahrhundert vor allem aus Beständen der Tretjakow-Galerie und des Albertinums Dresden vorgestellt, Meisterwerke unter anderem von Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Ludwig Richter, Karl Brjullow, Alexei Wenezianow, Alexander Iwanow. Für den Besucher überraschend sind die Gemeinsamkeiten der Maler und ihrer Werke. Sie zeigen eine der vielen Seiten von engen Beziehungen zwischen Russen und Deutschen, die in den heutigen Zeiten ein großes Publikum verdienen. Die Ausstellung soll ab Oktober 2021 in Dresden zu sehen sein, wenn die Coronaviren und ihre Mutanten nichts dagegen haben.

Die Metro mit ihren unterirdischen Palästen

Der Puls einer Weltmetropole wie Moskau ist auch an seinem Metrosystem ablesbar. Es umfasst insgesamt 241 Stationen, mit sehr tiefen Tunneln und Bahnhöfen, die aufgrund der teilweise anspruchsvollen Architektur als unterirdische Paläste bezeichnet werden. Die Metro befördert den Touristen schnell und bequem.

Aber es lohnt sich auch, eine Rundreise zu einzelnen Metrostationen zu unternehmen. Dazu kauft man an einem Automaten eine Troika-Karte, eine elektronische kontaktlose Smartcard. auf die dann einen Betrag aufgeladen wird, das gleiche System wie in London mit den Oyster-Cards. Mit „Troika“ bezahlt man pro Fahrt umgerechnet 42 Cent (!). Man braucht kein Ticket, um die Metro zu verlassen, d. h. es gibt für die Tickets weder eine zeitliche noch eine entfernungsmäßige Beschränkung. Die Züge fahren im Abstand von ca. 90 Sekunden.

Wenn man sich die besonders künstlerisch ausgeschmückten Metrostationen näher ansieht und bestaunt, fällt noch etwas für den Benutzer des Berliner Nahverkehrs besonders auf: wie sauber die Bahnhöfe auch von den Fahrgästen gehalten werden, überall gibt es Reiseinformationen auf den Stationen, auch in lateinischer Schrift, auch in den Metrozügen sind Informationen in Wortbändern in englischer Sprache zu lesen, überall kostenloses WiFi, Rolltreppen werden je nach Bedarf zu- und umgeschaltet. Rund die Hälfte der Fahrgäste trägt eine Maske und auch typisch: Jeder dritte Metro-Passagier hält ein Handy vor der Nase – das ist ja fast genauso so wie in Berlin.

Der Atombunker – Museum des Kalten Krieges

Der ultimative Geheimtipp für Moskau-Besucher: das Restaurant „Bunker 42“. Zunächst geht es mit einem kleinen Lift in die Tiefe. Denn das Restaurant befindet sich 65 Meter tief unter der Erde in einer früheren Kommandozentrale der Sowjetarmee in einem riesigen Atomschutzbunker. Das Markenzeichen des Restaurants sind die Lieblingsspeisen der Politprominenz des früheren sowjetischen Führungspersonals. Doch vorher sollte sich niemand den Besuch im Museum des Kalten Krieges entgehen lassen.

Frühere Kommandozentrale

Schon die Baugeschichte von Bunker GO 42 (государственный объект ГО-42) ist sehr spannend. Im Jahr 1950 auf Befehl von Stalin begonnen, wurden die Bauarbeiter in 24 Stunden Schichten mit der Metro unter großer Geheimhaltung von der Station Taganskaja zur Arbeitsstelle gefahren. Auch heute noch sind die Fahr-Geräusche der Metro-Linie 5 gut zu hören. Der Bunker wurde erst im Jahr 2006 als Museum eröffnet, das Restaurant folgte noch ein paar Jahre später. Der Bunker umfasst eine Fläche von rund 7.000 Quadratmeter. Für den einstündigen Rundgang zahlt der Besucher aus dem Ausland 2.200 Rubel, die Einheimischen zahlen die Hälfte. Die Wände des Atom-Bunkers sind 1,5 Meter dick, davon 8 mm ein Stahlmantel, ein Meter Beton und ein halber Meter Kalkstein. Der Rundgang durch lange Gänge führt dann in den Gefechtsstand und die Kommandozentrale, in der in der Krise im Oktober 1962 hochrangige russischen Militärs zehn Tage lang diskutierten, ob es mit den USA einen Atomkrieg geben wird. Ausgangspunkt waren Stationierungen von US-Raketen in der Türkei und Italien und im Gegenzug die Aufstellung von sowjetischen Raketen auf Kuba. Beim Rundgang werden auch sehr eindrucksvolle Videos gezeigt über die Simulation eines Nuklearangriffs mit den Auswirkungen von Atombomben, wenn sie bei nur kurzen Vorwarnzeiten auf Städte und Siedlungen fallen. Dazu heulen dann einige Momente Sirenen und das Licht wird gelöscht, bis auf einige flackernde Lämpchen. Nichts für furchtsame Gemüter. Ebenfalls nicht gerade beruhigend auch die Sache mit Juri Levitan (1914 – 1983). Er war Radiokommentator und die damals im Lande bekannteste Stimme, die mit eindringlicher Sprache die wichtigsten Ereignisse des zweiten Weltkrieges verkündete, immer beginnend mit „Achtung, hier spricht Moskau“. Er verkündete den Beginn des Krieges mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht und die Einnahme Berlins und den Sieg über Hitler. Aufgrund seiner großen Autorität in der sowjetischen Bevölkerung wurde er durch die Nazis als Staatsfeind Nr. 1 geführt, noch vor Stalin.

Der Text zum Atomkrieg war schon gesprochen

Und nun das heute dramatisch absurde Drehbuch. Von dem Sprecher Levitan gab es seit den 50er Jahren einen vorproduzierten Text, der die Bevölkerung auf den beginnenden Atomkrieg einstimmen sollte. Wie nah stand die Welt am Abgrund! In diesem Museum des Kalten Krieges bekommt man das Frösteln. Hierher sollten alle Scharfmacher, angefangen beim NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen und den Einflussagenten der USA in Deutschland, von Cem Özdemir bis Norbert Röttgen (Albrecht Müller, Nachdenkseiten) ausführlich herumgeführt werden. Es gibt hier sogar abschließbare kleine Bunkerräume. Anschließend im Restaurant Bunker 42 entdecke ich auf der Speisekarte das Lieblingsgericht von Boris Jelzin: Pelmeni.

Restaurant im Bunker 42

Bei dem Namen des ersten Präsidenten Russlands fällt mir gleich einer der weiteren Wallfahrtsorte für Moskau-Touristen ein.

Wer spendet Jelzin opulente Blumenkübel?

Auf dem Prominenten-Friedhof findet man ein großes modernes Grab in den Farben der russischen Nationalflagge. Es ist angelegt für Boris Jelzin (1931 – 2007), dem ersten russischen Präsidenten in der Ära nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Für ihn, vom Volk verachtet und zum Ende seiner Amtszeit als Witzfigur verkommen, fand sich kein Platz an der Kremlmauer. Er steht für den Zusammenbruch und den Ausverkauf Russlands, für eine Zeit, in der Oligarchen wie Michael Chordokowski im Ölgeschäft in weniger als einem Jahr zu Milliardären wurden. Zwei Blumenkübel stehen etwas abseits, ohne Absender.

Die Grabstelle von Boris Jelzin

Nur wenige hundert Meter von Jelzin entfernt befindet sich das Grab von Jegor Gaidar (1956 – 2009). Er wurde von Jelzin nach dem Augustputsch im Jahr 1991 als erster Wirtschaftsminister eingesetzt und organisierte die marktwirtschaftlichen Reformen, die das Land an den Abgrund führten. An seinem Grab ist nur noch Unkraut zu registrieren.

Lieblingsessen Gretschko vom Politbüro-Menü: Skobljanka

Zurück in 65 Meter Tiefe zum Restaurant im Bunker 42 und der Speisekarte mit den Lieblingsgerichten des Politbüros. Ich wähle das Favoriten-Essen von Andrei Gretschko Skobljanka, einen Kartoffel-Fleisch-Gemüseauflauf mit Käse überbacken, sehr schmackhaft. Dazu wird russische Musik serviert, ein Jazz-Saxofon eingestreut und alte sowjetische Mosfilme gezeigt. Ein bissel Sowjet-Nostalgie muss wohl sein. Nach Meinung des Museums-Mannes, der den Rundgang führte, besuchen den Bunker 42 vorrangig US-Amerikaner, Briten, Niederländer und Inder, dagegen nur wenige Touristen aus Deutschland. Was sagt uns das?

Seit langem schon setzen deutsche Politiker und nicht zuletzt Kanzlerin Merkel und ihre Regierung die Beziehungen zu Russland aufs Spiel. In den staatlichen Massenmedien greift immer mehr antirussische Meinungsmache um sich. In einem Reisebericht im August 2015 habe ich Maria Pushkarewa von Visit Russia mit den Worten an den Leser in Deutschland zitiert: „Kommt zu uns nach Russland, deutsche Urlauber, schaut Euch mit eigenen Augen unser Land an und informiert Euch vor Ort“. Diese Aufforderung gilt heute mehr denn je.

Fotos: Ronald Keusch
www.chexx.de