Ctour on tour: „HERTHA, wir kommen!“

Drei rote Punkte am Stralsunder Querkanal sind einziger Hingucker und Lichtblick an diesem frostigen und grauen Novembermorgen. Beim Näherkommen entpuppen sie sich als Rettungsmänner der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in ihren roten Overalls.Kein Alarm hat sie vor ihr Stationsgebäude gescheucht, „aber wir kommen“, so Udo Wölms, der sich als Bootsführer vorstellt, „nämlich zu unserer Hertha“. Mit dem Slogan der Rettungsgesellschaft, gleichzeitig auch Titel dieses Beitrages, ist nichts Anzügliches gemeint, sondern diesmal die Fahrt zu ihrem Zehn-Meter-Rettungsboot HERTHA JEEP, das so nach der Frau eines Großspenders benannt wurde.

Die Hornwerft wird nach zweieinhalb Wochen verlassen.

Helfen wollen
Ihr Einsatz-Weg ist heute viel länger als sonst: rund 70 Kilometer bis nach Wolgast. Dort nämlich liegt die 19-jährige zehn Tonnen schwere HERTHA seit zweieinhalb Wochen in der Schiffswerft Horn, die übrigens auf eine lange Tradition zurückblicken kann und schon 1875 als Pommernwerft gegründet wurde. Zu beheben war ein Schaden an der Ruderanlage.
Eine Stunde Zeit, um mehr über die drei Freiwilligen zu erfahren. Udo Wölms ist maritim vorbelastet, denn er ist Tanker-Kapitän und schon 13 Jahre bei der DGzRS; der Dresdner Mathias Lang outet sich als Bankangestellter und Sigfried Ruppin, 21 Jahre dabei, war Maler, bevor er in Rente ging. Sie verbindet ein gemeinsames Motiv: helfen zu wollen. 2018 hieß es rund 60 mal „Wir kommen!“, wenn ein Notruf bei der Seenot-Leitstelle (MRCC) in Bremen einging. „Wir müssen dann für alles gerüstet sein“, so Lang, „ob nun bei Grundberührung, Kenterung, Maschinenausfall, Verletzten oder Vermissten“. Ruppin: „Das bedeutet nicht nur medizinische, sondern auch technische Hilfe“. Und Wölms betont, dass eine solide, umfassende Ausbildung dafür notwendig sei. Interessenten können direkt den Vormann kontaktieren: stralsund@seenotretter.de

Die Drei von der HERTHA JEEP vor dem Auslaufen in Wolgast.

Freiwilligen-Arbeit
Die Laufbahn eines freiwilligen Rettungsmanns – unter den 25 von der Station Stralsund sind vier Frauen, die aber auch „Männer“ sind, weil es sprachlich keine „Rettungsfrau“ gibt – fängt mit einem Schnupperkus an, bis man Anwärter wird und schließlich Trainee mit abschließender Prüfung. Wie lange das so dauert, möchte man wissen. „Je nachdem, wie sich jemand anstellt“, grinst Udo Wölms. Ob man seemännisch vorgebildet sein müsse? Muss nicht, „denn bei uns“, so Mathias Lang, „wird alles von der Pike auf gelernt – sozusagen vom einfachen Knoten bis zur Navigation“. „Schwimmen muss man nicht können“, wirft Ruppin ein, „dafür haben wir Überlebensanzüge und tragen an Bord Rettungswesten. Aber ganz gut wär´s schon!“. Voraussetzung sind allerdings Seediensttauglichkeit, die von einem Arbeitsmediziner festgestellt wird, und ein Sicherheitslehrgang in Neustadt/Holstein. „Ohne diese Zertifikate läuft gar nichts“, so Wölms, „wer aber Interesse an unserer freiwilligen Arbeit hat, sollte ruhig mal schnuppern kommen. Kost ja nix“. Man müsse dann aber auch 14-tägige Tag- und Nacht-Rufbereitschaften akzeptieren und innerhalb von 15 Minuten an Bord sein. Wölms nimmt das sogar in seiner kargen Landurlaubszeit in Kauf.

Bootsführer und Kapitän Udo Wölms.

Werft-Gedanken
Auf der Schiffswerft Horn in Wolgast brummt es. In der neuen Halle liegen Boote der Wasserschutzpolizei, des Zolls, der Deutschen Marine und private. Geschäftsführer Daniel Guckenburg freut sich, dass seine Werft so gut gebucht sei, „aber immer in harter Konkurrenz zu anderen Anbietern, weil Behördenaufträge europaweit ausgeschrieben werden müssen“. Da könne es auch sein, dass ein deutsches Lotsenboot zur Inspektion nach Portugal transportiert werde. „Widersinnig“, schüttelt er den Kopf, „aber so sind nun mal die EU-Regeln“. Alle vier Jahre seien die Rettungsboote zur Inspektion da, was bisher gut für ein gefülltes Auftragsbuch gewesen sei. Zumal auch die Zusammenarbeit immer gut geklappt habe.
Man kommt auf die Situation der in Sichtweite liegenden Peene-Werft zu sprechen. „Wenn dort erst mal Stellen abgebaut werden“, gibt Guckenburg zu bedenken, „sind die Leute für immer weg von hier, entweder zu den M-V-Werften oder nach Papenburg“. Hier sei die Politik gefordert, um die Arbeitsplätze durch andere Aufträge zu sichern.
Genug der Politik, denn HERTHA JEEP liegt klar zum Auslaufen an der Pier. Bootsführer Udo Wölms, der schon mit einem Großcontainerschiff schiffbrüchige Fischer vor Peru aus Seenot gerettet hat, gibt das Kommando „Leinen los und ein!“, startet den 320-PS-Pielstick-Diesel und manövriert das rot-weiße Boot rückwärts aus dem engen Hafenbecken.

Wolgast, Peene- und Hornwerft im Kielwasserstrudel achteraus.

Schnippeln erlaubt
Mit Zehn Knoten – mehr sind nicht erlaubt – brummt HERTHA auf dem Peenestrom nach Norden Kurs Heimathafen. Als Peenemünde an Steuerbord vorübergleitet, erinnert sich der Kapitän noch gut an seine Volksmarinezeit im dortigen Stützpunkt.
In der Knaakrückenrinne kommt das Schwesterboot KURT HOFFMAN mit schäumender Bugsee entgegen. Winken hin- und herüber, von schrillen Typhonklängen untermalt.
Mathias Lang hat das Ruder übernommen und fährt den auf dem Kartenplotter vorgegebenen Kurs. „Ein bisschen schnippeln können wir bei unserem Tiefgang von knapp einem Meter schon, anders ausgedrückt: Wir kürzen ab“.

HERTHA JEEP an ihrem Stammliegeplatz bei der Stralsunder Alten Lotsenwache.

HERTHA JEEP dröhnt durch den Greifswalder Bodden, den Steven bei jetzt 16 Knoten aufgerichtet. Bis sich voraus nach rund 35 Seemeilen und zweieinhalb Stunden M-V-Werft-Halle, Rügen- samt Ziegelgrabenbrücke aus dem grauen Dunst schälen.

Erster Vormann der Station Stralsund Ulf Braum.

Von der Steinernen Fischbrücke winkt jemand: Ulf Braum, Erster Vormann und passionierter Segler, der die Station seit dem 1. Mai nach Günter Towara leitet und schon seit 2004 dabei ist. „Das hier ist mein Hobby“, strahlt er, „als Ausgleich für meinen Bürojob als Manager bei der BfA“.
300 Liter Kraftstoff werden noch gebunkert, das Boot an den angestammten Liegeplatz neben der Alten Lotsenwache verholt und Meldung an die Leitstelle in Bremen abgesetzt: „HERTHA JEEP wieder klar. Gute Wache!“

Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther