„Ankommen und Anker werfen auf Deutschlands Sonnendeck – Heimathafen schon gefunden?“ Unter diesem zugkräftigen Motto stand ein Workshop „Zur Entwicklung des Flusskreuzfahrttourismus in Vorpommern“. Auf Einladung von Rolf Kammann, dem Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Vorpommern mbH kamen am 20. März im Maritimen Jugenddorf in Greifswald-Wieck 40 Tourismuswirtschaft-Experten aus der stark nachgefragten Region zwischen Stettin und Rostock zusammen, um sich über das Thema auszutauschen und eine gemeinsame Marschroute zu erarbeiten. In symbolträchtiger Sichtweite das historische Segelschulschiff „Greif“.
Projekt JOHANN
Vorausgegangen war Im Juni 2017 eine ganz besondere Kreuzfahrt der unter EU-Schirmherrschaft stehenden Vereinigung „Small Cruise Ships in South Baltic Destination“. Dabei besuchte das polnische Forschungsschiff HORYZONT II aus Gdynia sieben Häfen in der südlichen Ostsee: Wismar, Rostock, Sassnitz, Stralsund, Stettin, Karlskrona und Kalmar. Der Hintergrund: das deutsch-polnisch-schwedische Projekt JOHANN. Worum geht es dabei?
Immer mehr große Kreuzfahrtschiffe steuern die bekannten Ostsee-Häfen an, ohne dass für die kleineren Destinationen etwas abfällt. An Bord wurden Wokshops mit Touristikern und Wirtschaftsförderern der jeweiligen Destinationen in der südlichen Ostsee abgehalten, um die Situation vor Ort und in der Gesamtschau auf ihre Realisierbarkeit und Wirtschaftlichkeit zu analysieren. Der Greifswalder Workshop knüpfte daran an.
Schlüsselfragen waren dementsprechend: Welche Herausforderungen haben Destinationen für Flusskreuzfahrt- und kleinere Hochseekreuzfahrtschiffe derzeit und zukünftig zu meistern und wie sie davon profitieren können. Ziel des Workshops: Erlangung von Marktkenntnissen, aktuelle Trends und Entwicklungen, Diskussion der Potenziale, Zielgruppenerwartungen und Buchungsverhalten.
Richtungweisender Schritt
Im dritten Schritt schließlich soll eine weitere Reise unternommen werden unter realen Bedingungen einer Kreuzfahrt. Bis schließlich ein von den Dimensionen her passendes Schiff gefunden ist, das mit 100 bis 150 Passagieren die Häfen anlaufen kann.
Der norddeutsche Fähr-Reeder Sven Paulsen aus Westerland/Sylt hat bereits vorab Interesse an dem Pilot-Projekt gezeigt, „wenn es sich denn letztlich für mich rechnet“, so sein Statement. „Auf jeden Fall“, meinte er optimistisch, „ist das ein Schritt in die richtige Richtung“. Und dies vor allem auf dem Hintergrund weiter steigender Zahlen im Kreuzfahrt-Geschäft. Wobei die großen Häfen einen Teil ihrer Attraktivität irgendwann an die kleinen abgeben müssen, die noch nicht so touristisiert, überlaufen und familiärer sind.
Pionier MS KÖNIGSTEIN
Doch schon im Frühjahr 1995 begann die Entwicklung mit dem Anlauf des ersten Flusskreuzfahrtschiffes in Vorpommern. Damals steuerte Kapitän Johann Magner, der einzige Schiffspraktiker in der Runde, die KÖNIGSTEIN von Potsdam an die Ostseeküste. Mit 68,5 Metern Länge und 8,1 Metern Breite und Platz für maximal 68 Passagiere ein relativ kleines Schiff. Johann Magner aus dem Schifferdorf Bittkau an der Elbe brachte jedoch neben dem Schiff noch mehr in die Region: ein gerüttelt Maß an Kenntnissen und Erfahrung nach über 20 Schiffsführer-Jahren bei der Deutschen Binnenreederei.
Er kenne, wie er in Greifswald vortrug, „jeden noch so kleinen Hafen des nordostdeutschen Fahrtgebietes“. Er war es auch, der im Juli/August 1997 erstmals ein Flusskreuzfahrtschiff über die Peene, den „Amazonas des Nordens“, bis zum Kummerower See steuerte. Das war quasi eine Pionierleistung. „Allerdings“, so Magner, „bin ich schon mit 80-Meter-Frachtschiffen und noch längeren Schubverbänden den Peene-Kanal bis nach Malchin raufgefahren“. Nach vielen Jahren als angestellter Kapitän zwischen Donau, Rhein, Elbe und Oder führt er jetzt zusammen mit seinem Sohn Thomas als Eigner die nur 38 Meter langen LIBERTÉ quer durch Europa. Mit jeweils nur zwölf Passagieren. Das sei sehr entspannt, lächelt er.
Rahmenbedingungen schaffen
Heute verkehren insgesamt 14 Flusskreuzer mit bis zu 83 Metern Länge und 11,50 Metern Breite zwischen Berlin, Vorpommern, Darß, Rügen und Hiddensee mit jährlichen Hafenanläufen zwischen 80 und zeitweilig über 150. „Wird erst das neue Schiffshebewerk Niederfinow eröffnet, kommen Schiffe mit bis zu 110 Meter Länge und 120 Passagieren“, informierte Kapitän Magner die erstaunte Runde.
Zwar eine beachtliche touristische Entwicklung, die aber nicht jeder nur mit lachenden Augen sieht. So berichtete ein Hafenmeister von Lärm- und Abgasbelästigungen, wenn ein Schiff in der Nähe von Wohngebieten, Hotels oder Gaststätten anlege. Eine Negativ-Entwicklung wie in dem völlig überlaufenen Venedig oder den norwegischen Fjorden wolle man vermeiden. Dem hielt Magner entgegen, dass es an genügend powerstarken Landstromanschlüssen fehle, für die anscheinend kein Geld da sei. Eine solche Grund-Investition müssten Gemeinden allerdings leisten und weitere qualitative Rahmenbedingungen schaffen, bevor sie ihre Häfen öffnen. „Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“, weiß Magner aus leidvoller Erfahrung, „ist das Gejammer immer groß“.
Potenziale genügend vorhanden
Auch die aufgeworfene Frage, was denn die Schiffstouristen den Gemeinden bringen, erregte die Gemüter. Rolf Kammann indes nannte als Durchschnittswert 50 Euro pro Passagiers-Kopf, die durch Ortsführungen, Landausflüge und Besichtigungen in die Gemeindekassen flössen.
Kammann war sich mit seinen Zuhörern darin einig, dass das regionale Potenzial vorhanden sei, jedoch die inhaltliche Kooperation verstärkt, Netzwerke gebildet und Impulse gegeben werden müssen. Hiddensees Bürgermeister Thomas Gens nannte als einen besonders wichtigen Punkt die noch unterentwickelte Kommunikation.
Eine vordringliche Aufgabe sei es auch, den Reiseveranstaltern und Reedereien Signale zu geben, zum Beispiel attraktive Paketlösungen zu offerieren, die das typische einer Destination herausstellen. „Die Niederlande praktizieren das bereits erfolgreich“, meinte Magner.
Ideen müssten aber auch an den Mann gebracht werden mit „einer Art Willkommenskultur“, wie das Prokurist Klaus-Dieter Götz von der Bergen Touristik Service UG formulierte. „Es gibt noch viel zu tun“, zog er sein Fazit, „bis unsere Ziele erreicht sind“.
Infos:
Im Jahres 2000 wurde MS „Horyzont II“ in Danzig in Dienst gestellt, ist nur 56 Meter lang, 11,36 Meter breit, hat aber ungewöhnliche 5,80 Meter Tiefgang – ursprünglich wurde es als Segler geplant -, ist mit 1321 BRZ vermessen; eine 1280-kW-Hauptmaschine sorgt für zwölf Knoten Geschwindigkeit. 16 Besatzungsmitglieder gehören zur Stammcrew. Daneben ist Platz für bis zu 43 Wissenschaftler und Studierende.
Die „Horyzont II“ gehört der Maritimen Universität von Gdynia. Wenn der schnittige Dampfer nicht in der Arktis und Antarktis zu polnischen Wissenschafts-Stationen unterwegs ist, dient er der Ausbildung des nautisch-technischen Nachwuchses. Der Studiengang ist in Polen besonders bei Abiturientinnen gefragt. Die Lehrer reisen gleich mit und garantieren an Bord absolute Praxisnähe. Auf der Brücke, an Deck und im Maschinenraum sah man die jungen Frauen beim Lernen.
Fotos:
Dr. Peer Schmidt-Walther