CTOUR China Round Table: Chinas Tourismus im Wandel

Man muss den Globus mal drehen und von China nach Deutschland schauen…

In den letzten Jahrzehnten hat China mit einer beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung den Lebensstandard vieler Millionen Menschen steigern können. Der Wirtschaftsboom hat eine neue Mobilität in China mit sich gebracht, die große Herausforderungen in Transport, Logistik und Dienstleistungen mit sich bringt.


Der gestiegene Wohlstand hat mehr Ferientage nach sich gezogen und den Wunsch vieler, die Welt zu erkunden. Die Touristen Chinas werden demnächst das globale Tourismusgeschäft erobern. Vor kurzem haben sie bereits die Deutschen vom Thron des Reiseweltmeisters gestoßen.
Am 25. November 2016 sind im Crowne Plaza Berlin City Centre Reisejournalisten, darunter Mitglieder von CTOUR, dem Club der Tourismus-Journalisten Berlin, mit Vertretern der chinesischen Fluggesellschaft Hainan Airlines, des Tourismusportals visitBerlin, dem Reiseveranstalter China Tours, den Galeries Lafayette, die 2016 ihren 20. Geburtstag feierten, und dem legendären KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens, zusammengetroffen, um gemeinsam der Frage nachzugehen, wie die veränderten Reisebedürfnisse von chinesischen Touristen die europäische Tourismusbranche herausfordern und diese tagtäglich vor sehr flexible Lösungsansätze stellen wird.

Roberto Antonelli, Director of Sales & Marketing Crowne Plaza, eröffnet den Anlass und begrüßt die zahlreich erschienenen Gäste. Hans-Peter Gaul, Vorstandsvorsitzender von CTOUR, hebt in seiner Begrüßung die große Bedeutung hervor, die China als Reiseland hat. Dies ist bereits der 4. China Round Table, der von CTOUR initiiert wurde, bei dem sowohl die touristische, wie auch die wirtschaftspolitische Rolle Chinas gemeinsam mit den Journalisten und geladenen Fachleuten diskutiert wird.

Ralf Ostendorf, Direktor Berlin Tourismus Marketing GmbH, visitBerlin; Hans-Peter Gaul, Vorstandsvorsitzender CTOUR; Tim Hong, Sales Manager Asien, Crowne Plaza Berlin City (v.l.n.r.)
FOTAC Bild © Wolf-Georg Kirst

Nach der Begrüßung stellt Gastgeber Tim Hong, Sales Manager Asien, Crowne Plaza Berlin City Centre, in seinem Einführungsvortrag aktuelle Zahlen und Fakten über das Reiseverhalten chinesischer Touristen vor, beschreibt ihre Wünsche und Vorstellungen und welchen Service sie vor Ort erwarten.
Ein Blick auf die Statistik macht die Reiselust der Chinesen deutlich. 2002 waren es lediglich 16,6 Millionen Chinesen, die ins Ausland fuhren, 2015 waren es schon weit über 100 Millionen. Der chinesische Tourist gibt derzeit etwa 800 Euro pro Kopf in den sogenannten Tax-Free-Shops aus. Durch die hohen Steuern auf Luxusgüter in China sind diese derzeit bei den Touristen sehr beliebt. Chinesen gelten weltweit als die kauffreudigsten Touristen.
Doch in der Art und Weise, wie man reist, lässt sich der Wandel erkennen. Die Chinesen wollen nicht mehr nur mit Bussen von Hotspot zu Hotspot gekarrt werden, um möglichst viele Fotos zu schießen. Die Reisenden werden jünger, unabhängiger und wohlhabender. Individualreisen liegen voll im Trend. Man will Land und Leute erleben und den Puls der globalisierten Welt spüren.

Wie müssen sich Struktur und Logistik, Willkommenskultur und spezielle Angebote auf die veränderten Reisewünsche der chinesischen Touristen einstellen?
Schaut man ein wenig voraus, so werden 2023 97 Millionen Chinesen einen Langzeiturlaub buchen. 70% von ihnen steuern weiterhin die Großstädte der Welt an. Weitaus mehr Zeit und Geld wird für Entertainment ausgegeben und Touren in höchster Qualität vorausgesetzt werden. Auch soll die Urlaubszeit genussvoll mit gutem Essen und Trinken verbracht und mehr Zeit ins Sightseeing investiert werden. Das Eintauchen in den Alltag der Einheimischen gehört mit zum Reiseevent.
Waren es 2015 noch durchschnittlich 1,9 Tage Aufenthaltsdauer vor Ort, wurden 2016 schon 2,3 Tage eingeplant. Tendenz steigend. Ein weiterer eindeutiger Trend ist der Wechsel von Gruppenreisen zu Individualreisen. Während die älteren Touristen doch lieber in der Gruppe unterwegs sind, schauen sich die jüngeren Reisenden gerne nach alternativen Reiseprogrammen um, bei denen sie bestens vorbereitet, alleine Land und Leute erkunden können.

Es gibt drei Arten auf Reisen zu gehen:
Staatsreisen: Die offiziellen Treffen erfolgen nur auf vorhergehende Einladung von entsprechenden Organisationen oder Ämtern im Zielland.
Geschäftsreisen: Die finden zu Messe- und Inspektionsbesuchen oder zu Fachtagungen statt.
Freizeitreisen: Die richten sich vor allem auf Shopping- und Sightseeingtouren, aber zunehmend auch auf medizinische Behandlungen im Zielland und auf Lern- und Ausbildungsprogramme für Kinder.

Welche quantitativen und qualitativen Herausforderungen kommen auf die Tourismuswirtschaft zu?
Kurz zusammengefasst: Der chinesische Auslandsreisemarkt wächst in rasanter Geschwindigkeit. So werden in den nächsten 10 Jahren jährlich 25 Millionen Chinesen das erste Mal ins Ausland reisen. Die Nachfrage nach Freizeitreisen steigt. Nicht nur zu traditionellen Festen im Inland, wie zum Frühlingsfest oder Nationalfeiertag, will man unterwegs sein, sondern auch weiter entfernte Ziele in der Welt besuchen. Junge Berufstätige mit hohem Einkommen stellen das Hauptsegment der Reisebuchungen dar, was wiederum die Nachfrage antreibt. 80% der Reisenden informieren sich gründlich über Reisekonditionen im Internet und buchen dann auch bei Online-Agenturen. Noch dominieren die Reisebüros, aber hier wandelt sich das Reiseverhalten am schnellsten. Auch wird auf Reisen mehr ausgegeben, hier liegt das Wachstum im zweistelligen Prozentbereich, davon entfallen 32% auf Einkäufe. Grundsätzlich entscheiden sich chinesische Verbraucher zunehmend mehr für Empfehlungen von Produkten aus dem Internet und profitieren zugleich von den Erfahrungen anderer. Eine gute Mund-zu-Mund-Propaganda ersetzt jeden noch so verlockenden Billig-Preis. So ist das auch beim Reisen. Zuerst werden die Erfahrungsberichte studiert und dann gebucht.

Tim Hong erläutert, dass dieser hohe Anspruch an Serviceleistungen im Crowne Plaza bereits umgesetzt wird. In den Zimmern für chinesische Touristen gibt es einen Wasserkocher und free WiFi. Das Frühstücksbüffet bietet Dim Sum, Sojamilch und Reissuppen an. Selbstverständlich können die Gäste bargeldlos mit UnionPay oder Alipay zahlen. Und natürlich ist das Begrüßungskit auf Chinesisch, wie auch die Speisekarte und der Stadtplan. Auch auf die Tageszeitungen, Magazine und das Fernsehprogramm (CCTV) in chinesischer Sprache muss der Gast nicht verzichten. Das Servicepersonal des Hotels erhält ein kulturelles Training, damit sie die Wünsche der Gäste buchstäblich von den Augen ablesen können.

Die Tourismus & Kongress GmbH visitBerlin ist das offizielle Tourismusportal Berlins und wirbt seit 1993 weltweit für Anlässe in der Metropole. Ralf Ostendorf, Director Marktmanagement von visitBerlin und Marktleiter Asien, Australien, Nahost, Nordamerika, weiß, wie genau man das Produkt einer Stadt formulieren muss, um es auch international zu verkaufen.
Im Falle von China wäre das z.B. eine gute Flugverbindung von Peking nach Berlin. Hainan Airlines bietet das bereits erfolgreich an. Berlin könnte jedoch mit einem neuen Flughafen besser mit der asiatischen Welt vernetzt werden. 4 Prozent der Besucher kommen derzeit aus Asien nach Berlin. Das ist noch wenig.
Chinas Entwicklung passiert im Zeitraffer, daher sind schnelle Entscheidungen wichtig. Sonst ist China schon eine Runde weiter. Derzeit ist China mit der Wiederbelebung der alten Seidenstraße als Tourismus- und Handelsroute beschäftigt. Sie verbindet Asien mit Europa und führt durch die Länder Indien, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Iran, Irak, Pakistan sowie Afghanistan. In diesen Anrainerstaaten werden viele Investitionen getätigt. Und möglicherweise gelingt China durch eine wirtschaftliche Wiederbelebung dieser Route die beteiligten Länder an einen Tisch zu holen und durch das gemeinsame Interesse ein friedliches Miteinander zu schaffen. One belt – one route, heißt das Motto.

Natürlich wächst allein schon durch die zahlreichen Inlandsreisen der chinesische Tourismus. Die jungen Chinesen haben viel Geld und wollen es auch ausgeben. Doch auch da wandeln sich die Werte. Bewährte Luxusmarken sind nicht mehr gefragt, z.B. ist Louis Vuitton nur noch auf Rang 13 platziert. Dagegen sind Life Style Brands wichtiger geworden, die man in kleinen Boutiquen oder alternativ im Internet bekommen kann.
Versteht sich, dass bei der Technikverliebtheit der Chinesen möglichst alles elektronisch über WeChat abgewickelt wird. WeChat ist ein Messaging-Dienst, deren Nutzer Audionachrichten versenden, Videotelefonate durchführen, Fotos, Videos, Kontaktinformationen oder ihren Aufenthaltsort teilen, Taxis, Lebensmittel oder Essen bestellen, Restaurant- und Stromrechnungen bezahlen, Arzttermine buchen können etc.
Doch auch die Älteren reisen mehr. Ihre Lebenserwartung ist auf 76 Jahre gestiegen. Und da das Renteneintrittsalter in China bei 50 Jahren liegt, will man, jetzt wo es möglich ist, noch lange etwas von der Welt sehen. Wien, Prag, Budapest liegen derzeit als Städtetrip im Trend. Dort ist noch das alte glänzende Europa wie aus den Geschichtsbüchern zu besichtigen. Doch zunehmend locken exotischere Orte, wie Polarreisen nach Island und Finnland. Da sind nicht nur Abenteuer zu finden, sondern auch Aspekte der unberührten Natur.

Das Schengen Visa, mit dem man den gesamten Schengen-Raum von 26 Staaten bereisen kann, kommt der Entdeckerfreude sehr entgegen. Natürlich wäre Visafreiheit noch eine größere Option für den Tourismusmarkt. In Japan boomt der Tourismus genau aus diesem Grund, Chinesen können dorthin visafrei reisen.
„Man muss den Globus nur mal drehen und von China nach Deutschland gucken, da sind wir nur ein winziger Fleck auf dem Globus“, gibt Ostendorf bei allem berechtigten Optimismus der Tourismusbranche zu bedenken.

Annie Zhou vom Kundendienst der Galeries Lafayette Berlin berichtet über eine extrem wachsende Anzahl von chinesischen Käufern. Sie besuchen darüber hinaus auch gerne Einkaufszentren, wie die Outlet Center Tax free Sales, in denen ausschließlich Originalwaren, darunter auch französische und italienische Edelmarken, sowie Hersteller wie Lee, Nike, Reebok, Wrangler und Calvin Klein ohne Zwischenhändler veräußert werden. Dieser Fabrikdirektverkauf bietet Preise, die oft erheblich unter denen des Einzelhandels liegen.
Stefan Pampel, Account Manager der Fluggesellschaft Hainan Airlines, berichtet, dass heute schon 80 Prozent der Fluggäste Chinesen sind. Im Rahmen der Antikorruptionskampagne werden allerdings viele chinesischen Dienstreisen von den Chinesen wieder gecancelt. Grundsätzlich fliegen Chinesen nach Europa, nicht nur in eine einzelne europäische Stadt. Es wäre also an der Zeit, dass alle Schengenstaaten der Visafreiheit zustimmen.

Yi Li (Marktmanagement / Projektassistenz China / Berlin Tourismus & Kongress GmbH, visitBerlin) und Sonja Rösler, Marketing Executive Tourism / Designer Outlet Berlin, McArthurGlen Service GmbH (v.l.n.r.)
FOTAC Bild © Wolf-Georg Kirst

Helen Cheng, Marketing Direktorin für das Berliner Büro von China Tours, erzählt, dass derzeit thematische Reisen hoch im Kurs stehen. Eltern fahren mit ihren Kindern in Länder, wo die Kleinen was lernen können. Fußball, Kunst- und Musikworkshops sind hoch im Kurs. Aber man reist auch, um endlich mal viel Zeit zusammen mit der Familie zu verbringen. Das ist sonst im voll durchorganisierten chinesischen Alltag kaum mehr möglich. Gerne werden auch Reisen in kleine Dörfer gebucht, um dort noch Natur pur zu erleben. Durch die Umweltproblematik in Peking freut man sich über jeden Tag unter einem blauen Himmel. Golfspielen gehört weiterhin zum Wunschprogramm und wer hätte das gedacht, auch der „rote Tourismus“ ist stark im Kommen. Dafür will China z.B. Touristenrouten, die mit dem ehemaligen Revolutionskampf sowjetischer und chinesischer Kommunisten verbunden sind, ausarbeiten. Verschiedene Verträge mit Russland sind schon geschlossen, denn 2017 steht ein legendäres Jubiläum an: 100 Jahre russische Revolution. Dabei wird nicht nur das historische Ereignis im Mittelpunkt stehen, sondern die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts, sowie das grundlegende Verständnis von politischen Kategorien wie Sozialismus, Kommunismus, Reform, Revolution, Transformation, Geschichte, Staat, Partei und Demokratie. Und eben auch von Reisefreiheit, der wesentlichen Basis der Tourismusbranche.

Im Anschluss an die lebhafte Debatte waren alle Gäste im Hotel Crowne Plaza Berlin City Centre zu einem chinesischen Brunch eingeladen. In China gilt es als unhöflich, alle Hauptspeisen restlos aufzuessen. Das war beim ständig frischen und dampfenden Nachschub aus der Küche auch gar nicht möglich. Ebenfalls gilt in China, dass es bei gutem Essen laut und lebhaft zugeht. Die guten und temperamentvollen Gespräche miteinander waren Beweis genug.