Umfangreiches Stralsund-Programm für die polnischen Gäste
Viele Seh-Leute auf der Steinernen Fischbrücke haben sich die Augen gerieben, als ein blau-weißes Schiff seinen Steven durch die Ziegelgrabenbrücke in den Nordhafen schob: Es war weder ein Frachter noch ein Passagierschiff.
Langsam drehte es und machte am Liegeplatz 13 hinter der Gipsverladestelle fest. Der Stralsunder Seelotse Jens Mauksch hatte auf Kapitänswunsch für vier Stunden die Beratung übernommen zwischen dem Landtief und der Ostansteuerung, obwohl das Schiff von seinen Abmessungen her nicht lotsenpflichtig ist.
Das Schiff entpuppte sich schließlich als ein ganz besonderer Gast, der erstmals im Stralsunder Nordhafen festgemacht hat: das polnische Forschungs- und Ausbildungsschiff MS HORYZONT II unter der Führung von Kapitän Marian Grzech (79). Der ehemalige Marineoffizier gilt mit seiner langjährigen Erfahrung in der Hochseefischerei als der Experte, besonders für Reisen in die kalten Regionen der Erde.
Im Jahres 2000 wurde es in Danzig in Dienst gestellt, ist nur 56 Meter lang, 11,36 Meter breit, hat aber ungewöhnliche 5,80 Meter Tiefgang – ursprünglich wurde es als Segler geplant -, ist mit 1321 BRZ vermessen; eine 1280-kW-Hauptmaschine sorgt für zwölf Knoten Geschwindigkeit. 16 Besatzungsmitglieder gehören zur Stammcrew. Daneben ist Platz für bis zu 43 Wissenschaftler und Studierende.
Die HORYZONT II gehört der Maritimen Universität von Gdynia. Wenn der schnittige Dampfer nicht in der Arktis und Antarktis zu polnischen Wissenschafts-Stationen unterwegs ist, dient er der Ausbildung des nautisch-technischen Nachwuchses. Der Studiengang ist in Polen besonders bei Abiturientinnen gefragt. Die Lehrer reisen gleich mit und garantieren an Bord absolute Praxisnähe. Auf der Brücke, an Deck und im Maschinenraum sah man die jungen Frauen beim Lernen.
Besonders erfreut hat es die junge Crew, dass nach dem Auslaufen aus Gdynia sieben weitere Häfen in der südlichen Ostsee besucht werden sollten: Wismar, Rostock, Sassnitz, Stralsund, Stettin, Karlskrona und Kalmar. Der Hintergrund:
Das deutsch-polnisch-schwedische Projekt JOHANN. Worum geht es dabei?
Immer mehr große Kreuzfahrtschiffe steuern die großen Ostsee-Häfen an, ohne dass für die kleineren Destinationen etwas abfällt. An Bord sind Workshops mit Touristikern und Wirtschaftsförderern der jeweiligen Destinationen in der südlichen Ostsee abgehalten worden, um Situation vor Ort und in der Gesamtschau auf ihre Realisierbarkeit und Wirtschaftlichkeit zu analysieren. Im zweiten Schritt soll eine weitere Reise unternommen werden unter realen Bedingungen einer Kreuzfahrt. Bis schließlich ein von den Dimensionen her passendes Schiff gefunden ist, das mit 100 bis 150 Passagieren die Häfen anlaufen kann. Ein norddeutscher Fährreeder, der noch nicht genannt sein möchte, hat bereits Interesse an dem Pilot-Projekt gezeigt, „wenn es sich denn letztlich für mich rechnet“, so sein Statement. „Auf jeden Fall“, meint er optimistisch, „ist das ein Schritt in die richtige Richtung“. Und dies vor allem auf dem Hintergrund weiter steigender Zahlen im Kreuzfahrt-Geschäft. Wobei die großen Häfen einen Teil ihrer Attraktivität irgendwann an die kleinen abgeben müssen, die noch nicht so touristisiert, überlaufen und familiärer sind.
Der Knüller – das ist Premiere an Bord gewesen – war die vom Kapitän „abgesegnete“ Hochzeit zwischen Rügen und Stralsund. Zwei junge Seeleute gaben sich das Ja-Wort. Ein Hochzeitsessen mit traditionellen polnischen Gerichten rundete das fröhliche Zeremoniell ab. „Natürlich muss die standesamtliche Trauung an Land nachgeholt werden“, lächelte der Kapitän, und posierte mit den Brautleuten und Trauzeugen.
Umfangreich ist das Besichtigungsprogramm in der Hansestadt gewesen – mit Rundgang zwischen Altstadt, Ozeaneum und GORCH FOCK (I). Am Abend saß die Crew, darunter einige uniformierte Studentinnen, im Braugasthaus „Fritz“ zusammen, um „Stralsunder Pannfisch“ und das heimische Bier zu probieren. Den polnischen Seeleuten hat die Hansestadt ausnehmend gut gefallen. Chief Ingenieur Andrzej Tadych, weltweit herumgekommen, meinte in bestem Deutsch nur: „Von Stettin ist eure schöne Stadt ja nur einen Katzensprung weg – umgekehrt natürlich auch“. Eine Einladung in die Oderstadt folgte umgehend.
Am nächsten Morgen hat das blau-weiße Spezialschiff HORYZONT II die Hansestadt wieder verlassen – mit Kurs auf die alte pommersche Hauptstadt Stettin.
Weitere Infos:
www.smallships.eu