Charme und Nostalgie: mit dem Kolonial-Oldtimer
MS BOU EL MOGDAD unterwegs auf dem Senegal-Fluss
Sie ist das Reisemotiv, die senegalesische BOU EL MOGDAD. Eine weiße Schönheit aus genietetem Stahl – mitten in Schwarzafrika. Bei ihrem Anblick geraten nicht nur „Nietenzähler“ ins Schwärmen, sondern auch „Normalos“, die weit entfern davon sind, „Shiplover“ zu sein.
Nach sechs Stunden Busfahrt von Dakar durch die Savanne nach Norden ist irgendwann die Sitzfleisch-Schmerzgrenze überschritten. Kurze Mittags- und Erholungspause, dann geht´s weiter im Zuckeltrab: zwei Stunden per Ein-PS-Rüttel-Kutsche durch das quirlig-bunte Saint Louis, die ehemalige Hauptstadt von Französisch-Westafrika. Augen, Nasen, Ohren und Foto-Objektive scheinen überfordert zu sein angesichts der sich überschlagenden Reize auf der unter UNESCO-Schutz stehenden Altstadt-Insel am Atlantik. Mit der Stadtgründung 1659 setzte Frankreich hier seine Ansprüche durch, dokumentiert in zahlreichen, gepflegten Kolonialstil-Häusern.
Alle in einem Boot
Samba Cissé, das unschlagbare senegalesische Reiseleiter-Original, kurz Samba genannt, gibt sein Bestes. Bei manchen Fragen seiner wissbegierigen Gäste muss der beschlagene, perfekt Deutsch sprechende Mann allerdings passen und grinst übers ganze Gesicht: „Samba weiß nicht alles!“ Irgendwann ist die Aufnahmefähigkeit erschöpft, nicht nur wegen der mörderischen 38 Grad Celsius, die schlapp und letztlich müde machen.
Schlaffheit verfliegt, Schweißströme sind vergessen, als eine frische Brise vom Senegal-Fluss die Kutschen bestreicht und sich nach der letzten Ecke ein hoch aufragender Steven ins Blickfeld schiebt. „Da iss sie!“, kann Bernd nur begeistert ausrufen, während seine Frau Ilka schon längst ein paar Fotos geschossen hat. Tatsächlich: BOU EL MOGDAD steht da rot auf weiß – angekommen! Gleich hinter der siebenbogigen Brücke Pont Faidherbe, die, von Eiffel konstruiert, seit 1897 das Festland mit der Flussinsel verbindet und nach dem ersten französischen Senegal-Generalgouverneur benannt wurde.
Beinahe ehrfurchtsvoll tasten sich die neuen Gäste die steilen Niedergänge aufwärts zum Sonnendeck. Bis die mit Mango-Punsch und Eiswürfeln gefüllten Gläser klirren: „Willkommen an Bord“, strahlt Samba, „ab jetzt sitzen wir alle in einem Boot!“ Und er erklärt damit zugleich die Bedeutung des Wortes „Senegal“: „´Sene` gleich alle, ´gal` in einem Boot. Kann man sich gut merken. Wir werden eine schöne Reise haben! Inschallah, so Gott will!“
Kein Fluss-, sondern Seeschiff
Die BOU EL MOGDAD ist eine Überraschung: trotz ihres respektablen Alters von 67 Jahren gepflegt wie eine junge Schiffslady. Wenn man über ihre Beulen und Nieten hinweg sieht, die den 52 Meter langen Oldtimer zusammenhalten. Aber genau das zeigt unverkennbar: Das Mädel hat einen historischen Charakter. Spätestens in den Kabinen demonstriert sie auch ihren nostalgischen Charme: original dunkle Hölzer und Messing dominieren, dazu Schiebefenster mit Gurt wie in alten Eisenbahnwaggons. Für angenehme Kühlung sorgen indes Klimaanlage oder Ventilator. Die Kabinentüren öffnen sich nach außen auf neue Perspektiven. Dort, wo einst Ladeluken Fracht transportierten, gluckert hinter dem Vorschiff ein himmelblauer Swimmingpool und schließlich gruppieren sich Stühle samt Tischen auf dem Mitteldeck zu einer Sitzecke. Nur noch am Vormast ragen zwei rote fest gelaschte Ladebäume in den Himmel. BOU EL MOGDAD, benannt nach einem 1848 geborenen einheimischen Kaufmann mit großen Verdiensten, hatte andere Aufgaben.
Als sie von ihrer Geburtsstätte im holländischen Dordrecht über See den Weg nach Dakar antrat – sie ist also kein Fluss-, sondern ein echtes Seeschiff -, war sie als Versorger mit Passagiertransport nicht nur entlang der 500 Kilometer langen senegalesischen Küste vorgesehen, sondern sollte sogar bis Freetown in Sierra Leone dampfen. Statt heute nur noch 32 Passagiere, konnten damals 58 Passagiere mitgenommen werden. Entsprechend komfortabler ist die heutige Einrichtung, die auf Umbauten zwischen 2009 und 2014 zurück geht. Wobei der Gesamtcharakter als Kombi-Frachter vollständig erhalten geblieben ist.
Das Wort „Infrastruktur“ kannte man damals noch nicht, wohl aber die Möglichkeit, Güter und Menschen per Schiff zu transportieren. Heute indes übernehmen ganze Flotten von LKWs und Bussen den Transport von Menschen und landwirtschaftlichen Produkten und Baustoffen. Die Eisenbahn spielt kaum noch eine Rolle im Land, abgesehen von der Strecke Dakar – Mali.
Zweimal „Johann das Gespenst“
Lediglich zwei holländische Binnenfrachter sind auf dem insgesamt 1430 Kilometer langen Senegal-Fluss am Südrand der Sahel-Zone übrig geblieben, die aber seit Jahren still liegen. „Die haben es einmal mit Baustoffen bis nach Mali geschafft“, weiß Samba, „aber da gibt´s zu viele Untiefen. Deswegen können wir nur bis nach Podor fahren, rund 270 Kilometer“. Damit hat die legendäre BOU EL MOGDAD hier das Alleinstellungsmerkmal und dürfte weltweit das einzige Seeschiff dieses Alters sein, das einen Fluss so weit befährt. „Deshalb sind wir Senegalesen auch stolz auf dieses Symbol, unsere African Queen“, strahlt Samba, „die bis zu den 70er Jahren die einzige Verbindung ins Landesinnere war“. Heute seien mehr Schiff und Weg das Ziel dieser Reise für Touristen.
„Das Bullern hat uns geweckt“, erzählen Gisela und Peter beim Frühstück im stilvollen Restaurant leicht überrascht, „aber eine angenehme Art, wach zu werden!“ Tief unten im heißen Keller liegen die Quellen: zwei Original-Sulzer-Dieselmotoren, auch Baujahr 1950, die mit ihrer Gesamtleistung von 500 PS das Herz manches Sound-Liebhabers höher schlagen lassen, betreut von zwei Maschinisten, die beide in dem Film „Das Boot“ „Johann, das Gespenst“ spielen könnten. „Diese gemütlichen Sechszylinder-Langsamläufer haben´s doch absolut drauf“, begeistert sich Maschinen-Fachmann Otto, während Beate und Michael das ganz anders sehen, weil sie in ihrer am Heck gelegenen Panorama-Suite „eingedieselt“ werden.
Kreuzfahrt durch die Sahel-Zone
„Langsam“ aber ist das Stichwort für Samba: „Hier bei uns und in ganz West-Afrika sagt man dafür immer ´pole-pole`“. Das sei das oberste Prinzip bei Afrika-Reisen: „Zeige nie deine Ungeduld!“ MS BOU EL MOGDAD ist geduldig und bringt es denn auch gerade mal auf maximal sieben Kilometer pro Stunde zu Berg. Nur die schlanken Holz-Pirogen, typische Boote von Fischern und Händlern der Region, sind schneller. Manche sogar noch unter quadratischem Segel, um auf Talfahrt Sprit zu sparen.
Zeit genug, um sich von den Liegen, Hängematten und Sitzgruppen auf dem Sonnendeck die im Zeitlupentempo vorbei gleitende Landschaft zu Gemüte zu führen. Mit Gratis-Drinks von der Bar inklusive. Da haben wir sie wieder: die Freuden der Langsamkeit einer Flussreise mit ständiger Ufer-Aussicht. Schilfdickichte, manchmal lodern sie als Fackeln der Landgewinnung und treiben einen schwarzen Rauchpilz über den braunen Fluss, säumen das weitläufige Delta. Irgendwann abgelöst von immergrünen Galeriewäldern, bis schließlich karge Savanne die Vorherrschaft übernimmt, hinter deren hellen Sandböden man schon die Wüste der Sahel-Zone vermuten kann. Der Baobab, mystischer Baum Afrikas, überragt immer mal wieder das scheinbar menschenleere rostbraune Land. Motorpumpen fördern knatternd Flusswasser und pumpen es auf die Felder, damit Reis, Hirse, Gemüse, Melonen, Getreide und Zuckerrohr gedeihen können. Der Diama-Staudamm zwischen Senegal und Mauretanien, den wir am ersten Mittag durch eine Schleuse passieren, verhindert das Eindringen von anbauschädlichem Salzwasser aus dem Atlantik.
Die Staatsgrenze verläuft genau am linken Flussufer. Meint Samba: „Die Leute da drüben in der Islamischen Republik“, und er zieht seine Stirn kraus, „die glauben, weil sie hellere Haut haben, sind die was Besseres als wir Schwarzen“. Es gab auch schon bewaffnete Konflikte, erfährt man weiter von ihm, „und der eine oder andere senegalesische Fischer wurde gekidnappt und eingesperrt“. Heute sei alles ruhig und es gebe an der 700 Kilometer langen Grenze sogar eine Fähre und eine Brücke. „Aber auch viel Verwandtschaft diesseits und jenseits“, erklärt Samba, „die besuchen sich mit kleinen Booten und sprechen Wolof, unsere Umgangssprache“.
Pralles Leben am Fluss
Immer wieder locken spannende Ausflüge in die nahe Umgebung. Dazu rasselt erst der Anker in den Grund des bis zu acht Meter tiefen Stroms, dann steigen alle schwimmwestengesichert in die angehängte Piroge um. Mit kleineren Booten wird am ersten Flusstag das mit 16.000 Hektar drittgrößte Vogelschutzgebiet der Welt, Djoudi, angesteuert. Hier überwintern Zugvögel unserer nördlichen Hemisphäre. Adler, Reiher, Taucher und Stelzvögel begeistern die Hobby-Ornithologen Margit, Eva und Hermine. Die gewaltige Pelikan-Kolonie jedoch reißt alle von den Sitzbänken der kleinen Boote. Wieder an Land, läuft der Gruppe eine Horde Wasserschweine quer über den Weg. Erlebnisse, die sich vor und nach dem Drei-Gänge-Abendessen – liebevoll und sehr schmackhaft mit regionalen Zutaten frisch zubereitet – an Deck aufbereiten lassen: bei einem Apéritif, lauer Luft, Sonnenuntergang und schließlich unter funkelndem Sternenhimmel, der sich völlig lichtverschmutzungsfrei über einem wölbt. Während das Schiff allabendlich vor Anker geht und die Brücke – einzige nautische Hilfsmittel: GPS, Echolot und Funk – mit dem nostalgisch-riesigen Holzsteuerrad nur mit einem Wachmann besetzt ist.
Das äußerst ärmliche und doch überaus quirlig-farbenfrohe Leben am Fluss erschließt sich von Tag zu Tag mehr, vor allem dank Sambas unermüdlichen Erläuterungen: ob in kleinen Dörfern aus Lehmhütten, Städtchen mit restaurierten Kolonialbauten, als hier noch Gewürze, Gummi, Gold, Elfenbein und Sklaven gehandelt wurden; oder Nomadensiedlungen mit ihren scheuen Bewohnern und in Staub gehüllten Kuh- und Ziegenherden. Auch ein Schulbesuch mit Teilnahme am Unterricht gehört dazu sowie ein Grillabend, umdröhnt von ekstatisch-fröhlichen Trommeltänzen der Einheimischen; die Batik-Manufaktur, eine Zuckerrohr-Plantage und das afrikanisches Barbecue mit Lamm am Spieß und Tiep-Bou-Djen-Reispfanne unter Mangobäumen.
Samba, der Preuße
Immer wieder Kinderscharen, die einem Kugelschreiber und Bleistifte förmlich aus der Hand reißen oder sich auch Essensreste in Piranha-Tempo in die Münder stopfen. Anschließend wird man von ihnen an die Hand genommen und zum Boot begleitet. Wahre Müllberge säumen oft den Weg, während viele junge Männer herumsitzen und nichts tun. „Wir sind das Problem“, versucht Samba das kritisch zu erklären, „denn mit ´Inschallah, so Gott will`, kann man nichts zum Besseren verändern. Aber unsere Leute kapieren das nicht. Die kaufen lieber Reis und Zwiebeln im Ausland ein, als das selber anzubauen“. Es gebe sogar schon Gastarbeiter aus Ghana und Gambia, „weil sich viele Senegalesen zu schade für manche einfachen Arbeiten sind“. Frankreich gebe sogar für sein Ex-Kolonialland EU-Pässe aus, damit als „Gegenleistung“ Bodenschätze wie Öl, Gas und Gold ausgebeutet werden können.
Ein junger Mann spricht fließend Deutsch. Er habe, so berichtet er, in Deutschland Asyl erhalten und mache nun im Senegal den Winter über Urlaub bei seinen Eltern, „weil es mir zu kalt ist in Berlin“. Was er dort denn mache, möchte man wissen? Die Antwort kommt prompt und ist geradezu verblüffend: „Nichts, nur aufs Geld warten und einen Teil nach Hause schicken“. Samba hingegen sagt, dass es hier weder Krieg noch Verfolgung oder Hunger gebe und jeder frei seine Meinung sagen könne. So wie er es tagtäglich in seinen Vorträgen und Erklärungen sehr beredt und immer wieder kritisch vormacht.
Im geschichtsträchtigen Podor, einst Umschlagplatz von Sklaven, Elfenbein und Gold sowie Hauptstadt des alten Tekrur-Reiches, ist nach einer Woche Ende der Schiffsreise. Zum Abschluss noch eine Zeitreise vom Mittelalter in die Neuzeit zwischen Besichtigung von Kolonialstadt, französischem Fort des Generalgouverneurs Louis Léon César Faidherbe und Marktbesuch mit vielen pittoresken Einblicken.
Am letzten Morgen rollt ein kleiner Bus vor. Das Gepäck muss mühsam auf dem Dach verstaut werden. Dann vier Sitz-Stunden bis Saint Louis – mit einem Tag und einer Nacht Strand-Hotel- und Badepause – und noch mal sechs nach Dakar, die wie ein Film ablaufen.
„Nichts vergessen?“ mahnt Samba und gibt sich geradezu preußisch, „Papiere sind am wichtigsten, der Rest wird sich finden. Inschallah!“
Infos:
Schiffsdaten
Inbetriebnahme: 1950; Bauwerft: De Biesbosch, Dordrecht/Holland; Renovierung: 2009 – 2014; Länge: 52 m; Breite: 10 m; Tg.: 2,50 m; BRZ: 700, tdw: 1350; Maschine: 2 x Sulzer-France 6-Zylinder-Dieselmotoren à 250 PS, ges.: 500 PS; Geschw.: 12 km/h in stehendem Gewässer; Anzahl der Decks: 5; Passagiere: 32/58; Besatzung: 20; Sprachen an Bord: Deutsch, Englisch, Französisch; Bordwährung: EURO, senegalesischer CFA Franc; keine Kreditkarten.
Weitere Infos:
www.lernidee.de
Kabinenausstattungen
Alle 29 Kabinen sind durch die traditionelle Einrichtung mit viel Holz sehr gemütlich und mit Notlicht, Ventilator, Taschenlampe und Moskitoschutz an den Fenstern ausgestattet. Die traditionellen Schiebefenster mit Ledergurten sind im nostalgischen Stil gehalten, vieles erscheint wie zu früheren Kolonialzeiten.
Alle 5 Komfortkabinen verfügen zusätzlich über eine Klimaanlage und ein eigenes Bad mit Dusche/WC.
Eine Panorama-Kabine (Ca. 14 m² zzgl. Bad) befindet sich im hinteren Teil des 3. Decks. Zwei große Schiebefenster und ein privater Balkon sorgen für den privaten schönen Ausblick. Die zwei kleineren Komfortkabinen (ca. 9 m² zzgl. Bad) sind lediglich durch eine Pendeltür vom schmalen Bad getrennt. Geräumiger sind die beiden großen Komfortkabinen (10 – 11 m² zzgl. Bad), die eine feste verschließbare Tür zum Bad vorweisen.Etwas separiert im vorderen Teil des 3. Decks liegt die sehr großzügig in hellen schönen Farben gestaltete Suite ( ca. 16,5 m²). Sie verfügt über ein Doppelbett (180 x 190 cm), einem sehr geräumigen Bad mit Dusche/WC und zusätzlich einen Wohnbereich mit Couch und Sitzecke.
23 Standardkabinen mit Waschbecken (ca. 7 – 9 m²) ohne Dusche/WC sind geräumig und verfügen über 2 einzelne Betten (80 x 190 cm), teilweise hintereinander angeordnet oder ein Doppelbett (160 x 190 cm Länge) bzw. bei Einzelbelegung (140 x 190 cm, ca. 5 – 6 m²).
Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther