RÜGEN ALS ETAPPENZIEL DER NEUEN SEIDENSTRASSE

CTOUR vor Ort bei Ankunft der ersten Container

Zu DDR-Zeiten hatte Sassnitz-Mukran auf Deutschlands größter Insel Rügen den einzigen Fährhafen Deutschlands mit 1520-Millimeter-Breitspuranschluss nach Russland. Damit war sogar eine Umspuranlage verbunden, so dass russische Waggons nach dem Umachsen ins Normalspur-Schienennetz rollen konnten.

Das ist längst Vergangenheit, könnte aber eines Tages durchaus wieder belebt werden. In den 80er Jahren wurde der Fährhafen im Norden der Insel gebaut, um den Transitweg durch das „unsichere“ Polen zu umgehen. Nach der Wende schließlich wurde ein Großteil der in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte über Mukran in die Heimat zurückgeführt.

Seit dem 12. November 2019 ist der Hafen zum Etappenziel der „Neuen Seidenstraße“ geworden, die China mit Europa verbindet.

Als Seidenstraße bezeichnet man ein altes Netz von Karawanenstraßen, dessen Hauptroute den Mittelmeerraum auf dem Landweg über Zentralasien mit Ostasien verband. Die Bezeichnung geht auf den deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen zurück, der den Begriff erstmals 1877 prägte.

10.000 Kilometer durch Eurasien

Den Ostseehafen steuerte jetzt der irische 3800-Tonnen-Frachter HUELIN DISPACH mit den ersten 41 Containern eines Testzuges an , der Anfang November im 10.000 Kilometer entfernten zentralchinesischen Xi’an gestartet war.
Ein zweiter „Pilot Train“ brachte 48 Container, die für China bestimmt sind.

Die 40-Fuß-Blechkisten werden im russischen Baltysk, dem früheren Pillau, das zum Gebiet Kaliningrad/Königsberg gehört, auf das Schiff verladen und bereits nach 24 Stunden in Mukran vom Schiff auf einen Spezial-Containerzug verladen, der dann weiter nach Hamburg rollt.

Die 10.000 PS-Zuglok des Eröffnungszuges

Ab Baltysk kann auch problemlos und kostengünstig im Short-Sea-Verkehr in die skandinavischen Länder weiterverteilt werden. Schon jetzt lassen sich hier bis zu acht Containerzüge pro Tag abfertigen.

Verlässlicher Knotenpunkt Mukran

Den Transportservice auf der Strecke hat das multinationale Unternehmen United Transport and Logistics Company (UTLC ERA) übernommen, das von Eisenbahngesellschaften Russlands, Weißrusslands und Kasachstans gegründet wurde und bereits 85 Prozent des Güterbahn-Transports zwischen China und Europa abwickelt.

Karte der Eisenbahnstrecke X´ian – Kaliningrad

In den vergangenen Jahren habe sich nach Angaben des Mukran-Geschäftsführers Harm Sievers der Transport auf dem Landweg stark entwickelt.

Der Hafen sei im transeurasischen Eisenbahnverkehr schon immer ein verlässlicher Knotenpunkt gewesen. Er verfüge über jahrzehntelange Erfahrung mit den Märkten in Russland und den GUS-Staaten.

Kostengünstige Luftfracht-Alternative

UTLC-Geschäftsführer Alexej Grom sagte, die Entscheidung für Mukran sei gefallen, weil die Genehmigung innerhalb von nur drei Monaten erteilt worden sei. Der Transport von hochwertigen Konsum- und Industriegütern auf der Schiene sei für viele Unternehmen preisgünstig und attraktiv.

Alexej Gom setzt auf Mukran

Von China nach Europa dauert der Schiffstransport via Suezkanal bis zu fünf Wochen, per Bahn im Tür-zu-Tür-Service hingegen nur 14 Tage.
Wie Alexey Grom weiter sagte, sei dies auch eine kostengünstige Alternative zur Luftfracht.

„Sobald der Transportpreis pro Container 1000 Euro übersteigt“, lohnt sich der Schienenweg“.

Für gekühlte Lebensmittel wie Fleisch im Transit durch Russland werde es bald eine Genehmigung geben.

Einheits-Frachtbrief ein Novum

Der Gesandte der chinesischen Botschaft in Berlin, ZHANG Junhui, trat Befürchtungen entgegen, der Handel könnte sich einseitig gestalten.
Er versicherte, dass „die Züge nicht leer nach China zurückfahren. Immer mehr deutsche Unternehmen haben Interesse daran, ihre Produkte nach China zu verkaufen“. China importiere vor allem Autozubehör, technische Geräte und Lebensmittel wie Milchpulver. Der neue multimodale eurasische Korridor – eine Ergänzung zu den bestehenden -, der auf eine chinesische Initiative zurückgeht, biete Geschwindigkeit, Sicherheit, Service und Stabilität. Die Transitzeit betrage 4,5 Tage, die Schadensrate null Prozent, einen – das ist ein Novum – trotz verschiedener Rechtssysteme vereinheitlichten Frachtbrief für Zug und Schiff, 1187 Kilometer Strecke pro Tag und eine Kapazität von 15 Container-Ganzzügen pro Tag.

Eine Diesellok mit Eröffnungsplakat schiebt den Zug in den Hafen

Das sei rekordverdächtig. „Davon müssen wir noch Leute überzeugen“, meint der CEO, „denn eine traditionelle Mentalität ist oft das größte Hindernis bei Neuentwicklungen“.

2018 betrug das UTLC-Transportvolumen noch 280.500 TEU, gegenüber 2017 eine Steigerungsrate um 60 Prozent.

„Wir peilen jetzt die erste Million an“, ist Grom zuversichtlich.

Touristische Nutzung angedacht

Mecklenburg-Vorpommerns Verkehrs- und Infrastrukturminister Christian Pegel (SPD) zufolge ist die Verbindung schneller als der Landweg durch Polen. Die polnische Infrastruktur sei mit dem wachsenden Handelsvolumen überfordert. „Die Züge stecken in Polen fest“, sagte er. Ziel sei es, einen Express-Linienverkehr zu schaffen, der die Strecke in  weniger als zwei Wochen bewältige. Auch sei die „Neue Seidenstraße“ ein Stück Völkerverständigung zwischen China, Russland und Deutschland.

„Solange wir miteinander handeln, führt uns das von Konflikten weg.“

Gleich wird das Eröffnungsband durchschnitten

Alexey Grom kann sich in dem Zusammenhang auch eine touristische Nutzung der vorerst nur für den Güterverkehr genutzten Strecken vorstellen. Was auch im Interesse Chinas wäre, das seine modernen Hochgeschwindigkeitszüge dann bis nach Europa schicken könnte. Eine südliche Ergänzung quasi zur nördlich verlaufenden Trasse der Transsibirischen Eisenbahn. 
Auch die mit 18 Fahrtagen auf 13.000 Kilometern längste Güterzugstrecke der Welt von Ywu, dem östlichsten Punkt Chinas,
nach Madrid könnte dann wie die nach London touristisch genutzt werden.

Fotos: Peer Schmidt-Walther