Im Sommer 2022
von Holger Kretzschmar
Dänemark und Schweden – woran denkt man da nicht alles: Lakritze, die Olsenbande, Wikinger, die kleine Meerjungfrau, Falster, Jütland, Kopenhagen, die Öresundbrücke und im Nachbarland an ABBA, IKEA, Zimtschnecken, Mitsommar, Pippi Langstrumpf, Blaubeeren, Elche, den Götakanal, Kommissar Walander in Ystad, Stockholm, blonde Schwedinnen, staatlich reglementierten Alkoholkonsum via Systembolaget, das Nordlicht und unendliche Weiten…
Im heißen Sommer 2022 sehnten sich viele eher nach Abkühlung. Skandinavien mit Dänemark und Schweden schien uns da die richtige Idee zu sein.
Da ich ja einen schwedischen Vornamen habe – Holger – ist meine Sehnsucht nach Schweden schon immer da gewesen und ab den 1990er Jahren war ich öfter dort, meist mit Fähre und Zug. Diesmal mit dem PKW.
Von Berlin ist es nicht weit nach Rostock, wo schon vor einigen Wochen CTOURisten die Fähre nach Gedser mit dem Rotorsegel beschrieben.
Da wir doch schneller als gedacht in Rostock waren, gab es noch einen Blick ins Kröpeliner Tor und einen Kaffee. Schnell ging es auf die Abendfähre von Scandlines nach Gedser . Wir sahen das neue große Rotorsegel, welches den CO2-Ausstoß reduziert. Auch ein Blick in den Duty Free Shop musste sein, mir fiel allerdings nichts besseres ein, als Lakritze und dänisches Dosenbier zu kaufen.
Land der „Olsen-banden“
In Gedser angekommen schob sich die Autokolonne Richtung Norden. Das ist ja so eng wie auf mancher brandenburgischen Dorfstraße dachte ich. Doch ein besonderer Blick ging nach rechts. Da steht das berühmte „Gule Palae“ – das Stellwerk der Olsenbande aus Kopenhagen. Darin wurden 1977 Teile des Films „Die Olsenbande stellt die Weichen“ gedreht. Olsenbanden-Fans brachten das Stellwerk in einer spektakulären Aktion von Kopenhagen nach Gedser.
Weiter ging es nach Marrebæk auf Falster, wo ein kleines B&B uns erwartete. Anne-Louise, die Besitzerin, sprach perfektes Englisch und früh servierte sie frische Hühnereier vom Hof. Abends noch ein Abstecher zum Strand von Marielyst, da ist viel mehr Platz an der Ostsee als bei uns, endlose Strände, viele Campingplätze. Es erinnerte mich an Lettland. Ein preiswertes Essen – Schnitzel – 33 Euro. Das ist also Dänemark.
Nykøbing und Middelaldercentret
In Nykøbing erwartete uns das bekannte Middelaldercentret am Stadtrand.
Hier befinden wir uns im Jahr 1410. Ein authentisches dänisches Dorf im späten Mittelalter. Mancher Mittelaltermensch blickt verstohlen auf sein Handy. Irgendwie finden sich immer „Volunteers“, auch aus Deutschland, die Mittelalter spielen wollen. So Sabine mit ihren beiden Kindern aus Hessen, die fleißig töpfern. Genau um 12 Uhr wird mit viel Getöse eine mittelalterliche Steinschleuder in Gang gesetzt. Der Stein fliegt bis 80 Meter weit und 50 Meter hoch in die Ostsee. Im Dorfkern schnattern Gänse, und zwei Frauen bereiten mittelalterliche Speisen zu.
Im Mittelalter-Restaurant gibt es Mönchsbier, Bohnen- und Holundersuppe. Aber keinen Kaffee, den ich wollte. Gut, das kannten sie im Mittelalter wirklich noch nicht. Stimmt.
Nykøbing ist eine typische dänische Provinzstadt mit 17.000 Einwohnern. Enge, grellbunte Gassen in der Innenstadt, schnöde Betonbauten rings ums Zentrum. Einige kleine Galerien, Geschäfte und ein nettes Café finden sich. Sogar ein Theater gibt es hier. Aber so richtig gemütlich will es nicht werden.
Kopenhagen – Hej Malmö
Gegenüber Nykøbing wirkt Kopenhagen weltstädtisch, mit herausragender Architektur und vielen Touristen. Die dänische Hauptstadt prunkt mit dem Königlichen Theater, der Oper, dem Schloss und der Kleinen Meerjungfrau.
Unseren ursprünglichen Plan, bei NORDISK Film vorbeizuschauen, wo die Olsenbande-Filme gedreht wurden, mussten wir leider aufgeben, da die Ausstellung gerade umgebaut wird und erst wieder 2023 öffnet.
Die schicken Restaurants am Nyhavn freuten sich über zahlungskräftige Klientel. Fischerboote, dänische Flaggen und Möwen schaffen Ostseeatmosphäre.
Aber viel Zeit blieb nicht, wir wollten noch weiter über die Öresundbrücke nach Malmö.
Diese gigantische Brücke ist 7.845 Meter lang und die längste Schrägseilbrücke der Welt mit kombinierten Eisenbahn- und Straßenverkehr.
Bei der Eröffnung im Jahr 2000 erlebte ich den Marathon über die Brücke und einmal fuhr ich schon mit dem Zug. Die Maut für die Strecke beträgt 2022 ca. 65 Euro. Dagegen kann man für nur 12 Euro mit dem Zug fahren.
Nun kommt endlich Malmö in Sicht. Je weiter es in die Innenstadt geht, desto mehr 40 km/h Zonen und Blitzer. Also aufpassen. Endlich erreichen wir das Tunneln Hotel in der City. Von nun ab bestimmt die Parkuhr unseren Tagesrhythmus. Alles natürlich digital, einen Parkscheinausdruck gibt es nicht.
Das Tunneln Hotel hat Geschichte geschrieben, schon ab 1307 wurden die Kellergewölbe genutzt. So mancher dänische und schwedische König logierte hier. Ab dem 19. Jahrhundert diente es als Herberge, und Stars wie Samantha Fox oder einzelne Beatles stiegen hier ab. Besonders beeindruckte mich die altehrwürdige Bibliothek. Diese hatte 24 Stunden geöffnet.
Früh besuchen wir das Museum Malmöhus. Die Burg- und Festungsanlage wirkt gewaltig.
Hier fanden u.a. Verhandlungen zu einer nordischen Union der Länder Dänemark, Norwegen und Schweden statt. Auch eine Gemäldesammlung skandinavischer Künstler findet sich hier, und der große Rittersaal hat Geschichte geschrieben.
Besonders beeindruckte mich die Ausstellung zu den „Weißen Bussen/De vita bussarna“. Damit hat das neutrale Schweden zum Ende des 2. Weltkrieges ca. 15.000 vorwiegend skandinavische Häftlinge gerettet.
Der Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes Graf Folke Bernadotte hatte diese Aktion in zähen Verhandlungen mit Nazigrößen im Frühjahr 1945 organisiert. Die „Weißen Busse“ mit schwedischer Flagge und rotem Kreuz holten so Häftlinge aus deutschen KZ´s nach Schweden. Vorläufiger Endpunkt mit dem Schiff war dann Malmö und das Malmöhus in Schweden. Ein solcher Bus steht vor dem Museum.
Kalmar und Oskarshamn
Kalmar ist unser nächstes Etappenziel. Diese Stadt mit 36.000 Einwohnern versprüht mehr Lebensfreude als die 100.000 Einwohnerstadt Cottbus. Finden wir. Das urige Kullzenska Caféet mit 11 Zimmern in einem alten Holzhaus lädt zu Kaffee und Kuchen ein. Dabei findet in Kalmar noch ein Marathon statt. Auch wir feuern die Läufer an. Das Vasa-Schloss Slottet, die Altstadtgassen sowie der schöne Bahnhof laden zum Besuch ein.
Weitere Ziele sind die Stadt Oskarshamn mit einer sehenswerten Altstadt und dem Hafen. Im staatlichen Systembolaget kaufen wir etwas Alkohol: schwedisches Bier und Wein aus Portugal. Südlich liegt der beschauliche Fischerort Paskallavik mit einem Hafencafé und dem Museum des Künstlers und Bildhauers Arvid Källström, dem Källströmsgarden.
Bei Oskarshamn steht ein Atomkraftwerk. In Schweden sind 2022 noch sechs Kernreaktoren an drei Standorten aktiv. Sie lieferten 2020 rund 29,8 Prozent der schwedischen Stromerzeugung. Im Land gibt es auch hunderte Wasserkraftwerke, also grüne Energie. Die meisten werden von Vattenfall betrieben.
Der Götakanal
Endlich den Götakanal sehen, das wollte ich schon lange. Berühmt wurde der Kanal – der Schweden von Ost nach West durchzieht – unter anderem durch den Krimi „Die Tote im Götakanal“ (1965) des Autorenehepaars Maj Sjöwall und Peer Wahlöö.
In Söderköping stoßen wir direkt auf den Götakanal. Aha, so eng ist dieser, hätte ich nicht gedacht. Auf der anderen Seite Felsen aus schwedischem Granit. Viele Jachten machen hier fest.
Die großen Ausflugsdampfer wie JUNO (1874) oder DIANA sehen wir an diesem Tag nicht. Man kann schön am Ufer spazieren; einige Restaurants und Läden laden zum Besuch ein.
Über 58.000 Arbeiter bauten ab 1810 diesen Kanal bis 1832. Meist waren dies abgeordnete Soldaten. Das Projekt wurde von dem deutschen Ingenieur Baltzar von Platen geleitet. Der Kanal selbst ist 190 km lang, da er jedoch fünf Seen miteinander verbindet und über 58 Schleusen verläuft, ist der Götakanal als Wasserstraße insgesamt 390 km lang.
Das schwedische Modell
Was ist aus dem schwedischen Modell geworden? Das fragte ich mich oft. Schon in den 1970/1990er Jahren geriet dieses System ins Wanken. Der sozialdemokratisch organisierte Wohlfahrtsstaat konnte nicht mehr alles finanzieren. So wurden immer wieder die Steuern erhöht. Astrid Lindgren sollte mal auf ihre Einnahmen 100,1 Prozent Einkommenssteuer zahlen. In Göteborg kommt die Migration an ihre Grenzen, soziale Probleme und Bandenkriminalität häufen sich. Wir sahen aber viele muslimische Frauen mit Kopftuch, die im Hotel oder in Restaurants arbeiteten. Man duzt sich in Schweden. Vieles erscheint auf den ersten Blick lockerer als hier. Andererseits gibt es ebenso den Trend zur Individualisierung. Die Wohnungsnot in den großen Städten wie Stockholm oder den Universitätsstädten wie Lund ist groß. Rechtspopulistische Parteien wie die „Schwedendemokraten“ erhalten leider viel Zuspruch, auch bei der neuesten Wahl im September 2022. Dazu die „Nyans“ – Die Neuen – eine Migrantenpartei. Und natürlich die Sozialdemokraten als starke Kraft. Während der Corona-Krise ging Schweden einen Sonderweg. Freiheit und Toleranz sind ein hohes Gut in Schweden.
Lange Jahre stand Schweden zu seiner Neutralität. Nun nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine stellte das Land im Mai 2022 unter seiner sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson den Antrag der NATO beitreten.
Skärgarden – die Schären bei Stockholm
Bald erreichten wir unser wichtigstes Ziel in Schweden: Skärgarden – die Schären- und Inselwelt bei Stockholm. Schon oft schaute ich sehnsuchtsvoll von den Fähren, die nach Stockholm fuhren, auf die Schärenwelt. Nun sollte es 2022 endlich klappen, einige der 28.000 Inseln individuell zu erkunden.
Die „Hauptstadt“ der Schärenwelt ist die Stadt Vaxholm, nordöstlich von Stockholm. Ab hier geht es mit meist kostenlosen gelben Fähren auf die Inseln. Wir wollen auf die Insel Rindö. Rote Holzhäuser in Schwedenrot grüßen uns. Aber eigentlich heißt diese bekannte Farbe „Falunrot“, benannt nach der schwedischen Stadt Falun.
Ein kleines Hotel bietet leckeres Frühstück mit „Kalles Kaviar“ – „En Svensk klassiker“, Knäckebrot und Blåbär. Ein Genuss. Wir erkunden die Insel Rindö, sehen direkt gegenüber das Kastell von Vaxholm und die Insel „Badholmen“. Über eine kleine Brücke geht es auf die beschauliche Insel Skarpö. Hier gibt es keine Hotels oder Läden, aber echt hübsche Sommerhäuser der Stockholmer, viel Wald und etwas Strand. Dafür gibt es auf der Insel Rindö einen kleinen Laden des schwedischen „Lanthandel“ mit regionalen Produkten und etwas höheren Preisen. Aber es gibt hier wenigstens einen Dorfladen, diesen vermissen wir oft in der brandenburgischen Provinz.
Die Insel ist rasch durchquert. Am östlichen Ende gibt es einen kleinen Strand und an der Marina ein schickes Restaurant mit schwedischer Küche. Wenn man abends gegen 19 Uhr Glück hat, kann man die großen Fähren beobachten, die von Stockholm aus durch die Schären fahren.
Am nächsten Tag geht es auf die große Insel Värmdö in den Schären. Auf dem Weg besichtigen wir die Värmdö Kyrka, die historische Steinkirche, deren Ursprünge auf das 15. Jahrhundert zurückgehen. Die Hauptstadt der Insel ist Gustavsberg. So heißt auch ein Schiff, welches im Sommer täglich von Stockholm auf die Insel fährt. Und Gustavsberg heißt ein Sanitärporzellan, was hier hergestellt wird. Auch hier auf Värmdö – romantische Buchten, Badestrände und ab und zu ein Stand mit frischen Blåbär, Erdbeeren, Gemüse.
Bezahlt werden soll in Schweden 98 Prozent mit Karte. Bargeld wird kaum noch angenommen.
Stockholm
Zum Abschluss der Reise besuchten wir noch Stockholm, die Gamla Stan, die Altstadt. Auf alle Fälle empfiehlt es sich mit dem ÖPNV die City zu besuchen. Tunnelbana und Busse fahren häufig in Stockholm. Das Vasa-, das ABBA- und das Fotografiska-Museum lohnen einen Besuch.
Auch hier wieder – wie andernorts in Schweden – ukrainische Flaggen als Zeichen der Solidarität. Nun müssen wir zu unserer TALLINK Fähre, die uns von Stockholm nach Tallinn in Estland bringt. Es geht wieder vorbei an den Schären mit dem großen Schiff. Diesmal sind uns die Schäreninseln wie Rindö oder Värmdö vertraut. In der Abendsonne setzen die kleinen gelben Fähren Passagiere und Autos über. Kinder winken uns zu und springen ins Wasser.
GOODBYE SWEDEN, SVERIGE, SCHWEDEN. Wir kommen gerne wieder. Hier gibt es viel touristisches Potenzial, und die skandinavische Ruhe, Weite und Gelassenheit haben uns begeistert.
Diese beiden Reiseführer aus dem Trescher Verlag waren mir ein kompetenter Begleiter:
OSTSEESTÄDTE
8. Aufl. 2022, 436 S.,
ISBN 978-389794-586-9
Trescher Verlag, Berlin
RIGA TALLINN VILNIUS
5. Auflage 2021, 460 S.
ISBN 978-3-89794-495-4
Trescher Verlag, Berlin
Benutzte Quellen: Eigene Recherchen, Trescher Reiseführer, Wikipedia
Der Autor Holger Kretzschmar studierte in den 1990er Jahren Buchhandel/Verlagswirtschaft in Leipzig. Ein Praktikum führte ihn schon 1995 zum Trescher Verlag. Nach verschiedenen Stationen im Buchhandel, vor allem in Berlin, arbeitet er seit 2017 im Trescher Verlag Berlin für Vertrieb und Kommunikation, Pressearbeit und Veranstaltungen. Er veröffentlichte dort Reiseführer zu Königsberg-Kaliningrad und Aserbaidschan.
Sein besonderes Interesse gilt Osteuropa. Er wohnt in Brandenburg. Neben Englisch spricht er Russisch, Polnisch, Tschechisch und Lettisch. Seit 2022 ist er CTOUR Mitglied. Von März bis Mai 2022 war er ehrenamtlicher Dolmetscher für ukrainische Flüchtlinge in Cottbus.