Flandern ist klein, aber auf vielen Gebieten ganz groß. Zahlreiche Genüsse für Augen und Gaumen verbinden viele Deutsche mit Flandern: Die Schönheit von Diamanten und Mode, die großartige Kunst, alte Städte mit prachtvollen Plätzen, Grachten und romantischen Winkeln, aber auch Biere – etwa 1.500 Arten sollen gebraut werden (dazu mehr im ITB-Video auf dieser Web-Seite von Hans-Peter Gaul) sowie ausgezeichnete Schokoladen und Pralinen, knackig-appetitliche Pommes, aber auch eine sehr kreative Gourmet-Gastronomie. Doch damit nicht genug – wie Journalisten auf der Pressekonferenz von Flandern während der ITB erfahren konnten. Es gibt 2015 einen mehrfach zusätzlichen Kunstgenuss in Flandern.
Zum ersten: Moderne provokante Kunst am Quell des Kapitalismus
Till Holger Borchert und Michel Dewilde wollen als Kuratoren in der alten europäischen Handelsstadt Brügge romantische, historische Plätze und Grachten, vor Bahnhof, Rathaus, Börse und Burg, befristet von 40 renommierten, aber auch von weniger bekannten Künstlern gestalten lassen. Einwohner und Gäste von Brügge sollen durch moderne Kunstideen zum Nachdenken angeregt werden. Vom 20. Mai bis 18. Oktober 2015 steht, hängt, schwimmt die ‚Triennale Brügge‘ zum Thema die ‚Zukunft der Mega-Stadt‘. Der Hintergrund ist, dass die Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern von drei auf 31 in den zurückliegenden 40 Jahren angewachsen sind. Die Probleme von Mega-Cities sollen durch provozierende moderne Kunst im öffentlichen Freiluft-Raum von Brügge hinterfragt werden. Nun hat die Hauptstadt West-Flanderns gerade mal knapp 118tausend Einwohner. Ja – aber jährlich kommen etwa 5,3 Millionen Besucher aus aller Welt. Damit nähert sie sich dem Level von Mega-Cities. Wenn kleine Städte wachsen…
Bereits mehrmals hielt moderne Kunst in der Unesco-Weltkulturerbe-Stadt Brügge Einzug: in den Jahren 1968 und 1974. Die Freiluft-Kunst-Ausstellung ‚Triennale 2015‘ sucht die Identität in und mit einer großen Stadt. Die Kuratoren fragen zunächst rhetorisch: „Kann eine mittelalterliche Stadt Antworten geben für eine moderne? Was geschieht, wenn sich 5,3 Millionen Touristen entscheiden würden, künftig in Brügge zu leben? Würde sich Brügge zu einer dieser gesichtslosen Mega-Cities wandeln oder wäre solch ein Ansturm Inspiration für neue städtische Lebensformen? So unwahrscheinlich dieses Szenario ist, so spannend wird es sein, an verschiedenen Orten im Stadtgebiet zu erleben, wie die zeitgenössische Kunst diese Fragestellungen beantwortet.“
Eine Schau-Probe: Die Künstler Sam Auinger und Bruce Odland wollen in der Altstadt zwischen Häusern einen kleinen Zeppelin schweben lassen. Aus seinem Körper beschallen Lautsprecher die alten Mauern, die die wundersamen Klänge zurück werfen werden. Die Klangkünstler wollen die Wahrnehmung verändern. Oder: Die japanische Künstlergruppe Bow-Wow bringt auf Pontons wieder Leben in die Grachten. Vor Jahren noch stanken die Grachten. Die historischen Gewässer wurden gereinigt. Heute kann seit dem Mittelalter wieder Leben auf der Gracht stattfinden. Oder: In einem typischen Beginenhof setzt ein japanischer Künstler Baumhäuser. Der Chinese Sing Dong baut große Skulpturen aus Abrissmaterial aus seiner Heimat – z. B. aus alten Fenstern. Der belgische Humor kommt nicht zu kurz: vor dem Bahnhof wird ein sogenanntes ‚Einbürgerungszentrum‘ auf Zeit entstehen und vor dem Haus zur Alten Börse (‚Huis ter Beurze‘, 13.Jahrh.), sozusagen vor einer Quelle des Früh- Kapitalismus, entsteht ein Monument zum ‚Über-Kapitalismus‘.
Frage: Das altehrwürdige Brügge, die Stadt der weltbekannten ‚flämischen Primitiven‘ des 15. Jahrhunderts, der Maler Jan van Eyck und Hans Memling u. a. einerseits und provozierende Moderne andererseits – wie verträgt sich das?
Die Kuratoren antworten mit flämischen Humor: „Die ‚Triennale‘ wird die Besucher und die Einwohner hoffentlich zum Nachdenken anregen, letztere vielleich schockieren. Das wäre typisch für die Einwohner von Brügge. Zunächst ist bei ihnen alles ‚schrecklich‘. Erst mit Abstand, wenn die nächste Veränderung zum Beispiel in Form von moderner Kunst kommt, wird die vorherige Ausstellung von den Einwohnern von Brügge als gut und besser als die neue empfunden.“
Zur ‚Triennale‘ gibt es zudem Kunst-Sonderausstellungen unter Museumsdächern wie zum Beispiel „Architekturzeichnungen des 18./19. Jahrhunderts“, die erstmals öffentlich gezeigt werden, sowie alte und berühmte Stadtpläne im Arentshuis. Das Thema ‚Aufbau und Abriss von Mega-Städten bzw. Geisterstädte‘ wird im Kulturzentrum De Bond und ‚Städte der Zukunft‘ werden im Rathaus präsentiert.
Zum Zweiten: mit der Küsten-Tram die Kunst abfahren
Die Küsten-Tram fährt an der belgischen Nordseeküste 67 km von der französischen bis zur holländischen Grenze. Die Strecke entlang der Küste gilt als die längste der Welt, die eine Tram zurücklegt. Leider sieht der Fahrgast vorrangig Ferienhäuser, Hotels und Wohnblocks. Nur ab und zu fängt der Blick etwas Natur vor dem Tram-Fenster. In diesem Jahr kommt zum fünften Mal moderne Kunst in den mit der Tram zu passierenden Küstenorten ins Blickfeld.
40 internationale Aktions- und Skulpturenkünstler bauen im Rahmen der Ausstellung ‚Beaufort 05‘, der ‚Triennale für zeitgenössische Kunst‘, in den Dünen und am Strand ihre Arbeiten auf. Die Küsten-Tram fährt zur Kunst zwischen Zwin und Knokke im Osten, Raversijde und Oostende in der Mitte sowie Koksijde und De Panne im Westen. Diese Freiluftgalerie ist täglich vom 21. Juni bis 21. September 2015 geöffnet.
Dieses internationale Kulturereignis wird alle drei Jahre an der Nordseeküste geboten. Das Thema bei ‚Beaufort 5‘ wird der 1. Weltkrieg sein. Die Künstler erhielten die Vorgabe, sich am Strand und in den Dünen mit Grenzlinien und -gebieten auseinanderzusetzen. Dabei sind auch 26 Exponate von früheren Ausstellungen, die dauerhaft die Küste markieren.
Zum Dritten: bewegte Moderne
‚Contour 7‘ wird der dritte Höhepunkt moderner Kunst in Flandern 2015 sein. Dieses sogenannte Bewegte-Bild-Festival in Mechelen unweit von Antwerpen läuft unter dem Titel ‚Monster, Märtyrer, Medien‘. Vom 29. August bis 08. November 2015 bewegen Filme Videos, Installationen und Performances internationaler Künstler an ungewöhnlichen Orten wie z. B. in einem Schutzkeller des 2. Weltkrieges oder dem Museumshof van Busleyden.
Zum Vierten: Familie Rubens zeigt sich
Lothar Peters, Deutschland-Direktor von Tourismus Flandern-Brüssel – allen Ctouristen seit langer Zeit wohl bekannt – verweist während der ITB-Pressekonferenz auf ein befristetes Highlight von flämischer Kunst des Alt- Meisters Peter Paul Rubens (1577-1640) in seinem Wohnhaus in Antwerpen vom 28. März bis 28. Juni 2015: ‚Rubens privat‘.
Der Meister porträtierte seine Familie. 50 Gemälde und Zeichnungen mit Leihgaben aus dem Britischen Museum London, der Eremitage St. Petersburg, dem Louvre Paris, aus den Privatsammlungen des britischen Königshauses und der Liechtensteiner Fürsten wurden für diese Exposition zusammengestellt. Neben Selbstporträts hat Rubens, der relativ wenig derartige Motive malte, auch seine zwei Frauen Isabella und Helena, seine Kinder, seine Schwestern und Brüder verewigt.
Nach so viel Kunst wird der Mund trocken. Lothar Peters verweist auf die vielen Bierfeste in Flandern. In Brüssel zum Beispiel findet das Bierfestival vom 4. bis 6. September statt. Im Zeitraum vom 23. April in Leuven bis 21. Dezember für das Weihnachtsbier findet irgendwann in fast jedem Ort in Flandern ein Bierfestival statt. Na dann, ein Prosit auf die Kunst!
Dazu unbedingt ansehen:
ITB-Video mit einem Bier-Interview mit Lothar Peters, Deutschlanddirektor von Tourismus Flandern-Brüssel.
Weitere Infos:
www.visitflanders.de