von Margrit Manz
Für Kopien gibt es in China sogar einen eigenen Begriff: Shanzhai 山寨. Daraus hat sich eine ganze Kultur der Fakes oder „unlizensierten Produkte“ herausgebildet. Der Shanzhaiismus oder Shanzhai-Geist hat inzwischen alle Lebensbereiche erfasst, von Uhren bis zur Markenkleidung, gefälscht werden darf alles. Hauptsache es sieht echt aus und bringt Geld ein. Jetzt gilt Shanzhai sogar für eine ganze Region: Im chinesischen Kreis Xiapu in der Provinz Fujian wurde ein Fake weiterentwickelt und clever vermarktet.
Heraufbeschworen werden Emotionen eines idyllischen Landlebens, die mithilfe von Schauspielerinnen und Schauspielern vor ländlichen Kulissen von malerischer Schönheit in Szene gesetzt werden. Und das alles, damit Touristen an ein perfektes Urlaubsfoto kommen.
Mit Spezialeffekten und Requisiten zum Traumfoto
Ausgedacht und organisiert werden diese Trips für gestresste chinesische Großstädter, die sich nach einem Landleben sehnen, dass es so in der Realität schon lange nicht mehr gibt. Auch Influencer sind hier anzutreffen, immer auf der Jagd nach dem schönsten Selfie.
Entzückt schauen die Fototouristen auf einen Bauern, der seine Wasserbüffel über eine kleine Anhöhe treibt und auf eine Bäuerin, die durch den Morgendunst ihren Gänsen hinterherläuft. Bevor die Kameras in Stellung gebracht werden, ertönt vom Regisseur übers Megafon die Ansage an seine Darsteller. Denn in der bäuerlichen Kulisse stehen Schauspieler bereit, die Wasserbüffel sind geliehen und der Dunst, der das Feld umwabert, wird durch verbrannte Strohbüschel erzeugt. Die Touristen erhalten 100 Prozent Idylle, aber auch 100 Prozent Fake. Selbstverständlich können sie auch selbst in ein Bauernkostüm schlüpfen und sich neben dem Wasserbüffel ablichten. Hier wird alles für das Gefühl einer ländlichen Romantik getan. Auch an der Küste von Fujian, vor der sich das größte Wattenmeer Chinas ausbreitet, haben sich Fischer beziehungsweise Schauspieler postiert und warten in der Dämmerung auf den nächsten Touristenstrom. Die Anweisungen für ihren Einsatz erhalten sie per Walkie-Talkie und holen fototechnisch gekonnt ihre Netze ein. Dafür erhalten sie ungefähr 13 Euro. Diese Inszenierungen kommen gut an, sind aber vom wirklichen Leben der Dorfbewohner weit entfernt. So glamourös geht es auf dem Lande garantiert nicht zu, wie es diese Fotos suggerieren sollen.
Fake im Namen der Tourismusbehörden
Die Tourismusbranche hat sich die Sehnsucht der Städterinnen und Städter nach einem intakten Landleben zu Nutze gemacht und damit auch eine Möglichkeit gefunden, zur ländlichen Armutsbekämpfung beizutragen. So hat sich von 2008 bis 2019 die Zahl der Besuchergruppen im Kreis Xiapu verzehnfacht. Der Tourismus bringt jetzt Geld in die regionalen Kassen. Die städtischen Besucherinnen und Besucher zeigen sich gerne großzügig, um die besten Schnappschüsse auf das ländliche Treiben zu ergattern oder die Darsteller mit von ihnen ausgewählten Requisiten auszustatten und zu fotografieren.
Kritik am gefälschten Paradies
Kritik kam auf, als einige Touristen erst im Nachhinein begriffen, dass diese Idylle ein Shanzhai, also ein Fake war. Sie fühlten sich um ihre ländliche Auszeit betrogen und schrieben enttäuscht auf Weibo: „Dieser Ort könnte nicht falscher sein. Falsche Fischer, die ihre Netze auswerfen, und falsche Bauern mit traurigen Büffeln, die für Fotos posieren“. Noch deutlicher war dieser Kommentar: „In Wirklichkeit ist der Ort ziemlich gewöhnlich, der Strand ist dreckig und die Fischrestaurants zocken die Leute ab.“ Doch eine Influencerin brachte die Situation auf den Punkt: „Wen interessiert es in dieser Welt, ob es Fake ist oder nicht, solange es auf den Bildern gut aussieht?!“
Fotos: Gilles Sabrié
Margrit Manz ist Journalistin und Redakteurin mit Themenschwerpunkt China. Seit über 20 Jahren bereist sie beruflich wie privat das Land und berichtet über Wirtschaftsbeziehungen und Kulturaustausch, informiert über Tourismus und regionale Küche, rezensiert neue Bücher. Ihre Texte werden regelmäßig in Print- und Online-Magazinen in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, u.a. im Magazin RUIZHONG der Gesellschaft Schweiz-China und dem Magazin Konfuzius Institut Leipzig/Shanghai. https://manz-chinareport.com/