Bei Anbruch des Winters in Deutschland machen sich immer mehr Touristen auf den Weg in den Süden von Afrika bis nach Kapstadt. Hier rückt für die Besucher eine kleine unscheinbare Insel immer in ihr Blickfeld. Ob der Standort der berühmte Tafelberg ist, flankiert von Lion´s Head und dem Signal Hill, ob die Bantry Bay an der Atlantikküste mit den teuersten Immobilien der Stadt oder das zur Fußball-WM aufgemöbelte Werft- und Hafenviertel Victoria & Alfred Waterfront. Robben Island liegt elf Kilometer vor Kapstadt, eine Heimat für Seevögel und Antilopen. Hier lebt eine Pinguin-Kolonie und tummeln sich auch Pelzrobben, die dem Eiland seinen Namen gaben. Doch weltberühmt ist die Insel nur wegen einem Häftling, der hier 18 Jahre in einem Hochsicherheits-Gefängnis eingesperrt war – Nelson Mandela.
Anziehungskraft eines alten Gefängnisses
Ein Sonntag Mittag in Kapstadt im Oktober. Großes Gedränge am Nelson Mandela Gateway, an der Anlegestelle der Fähre. Touristen mit ihren umgehängten Kameras und auch schwarze südafrikanische Familien mit ihren Kindern gehen an Bord. Stimmung eines Sonntagsausfluges. Die Touristen stürmen auf das sonnige Vordeck, die meisten Südafrikaner platzieren sich an den großen Scheiben unter Deck im Schatten. Die Plätze auf den mehrmals täglich verkehrenden Fähren müssen mindestens zwei Tage im voraus bestellt werden. Sie sind die einzige Möglichkeit für Besucher, die Insel zu erreichen. Nach einer halben Stunde Fahrt ist der Inselhafen Murrays Bay erreicht. Hier erwarten Busse die Besucher, um sie auf der 3,5 mal 1,5 Kilometer großen Insel zum früheren Gefängnisgebäude zu bringen, das seit 1997 als Gedenkmuseum besichtigt werden kann. Im Bus gibt ein farbiger Guide erste Informationen über die Insel im lockeren und souveränen Tonfall. So verweist er auf die Pinguin-Kolonie und meint lakonisch, das sei ein positives Beispiel und Symbol des Zusammenlebens von Schwarz und Weiß.
Authentische Berichte früherer Häftlinge
Robben Island hat eine grausame Tradition. Bereits im 16. Jahrhundert errichteten die Holländer eine Strafkolonie, später wurden Lepra-Kranke und Kriminelle hierher abgeschoben. Die Regierung von Südafrika baute schließlich vor 50 Jahren das berüchtigte Apartheid-Gefängnis, um hier ihre politischen Gegner einzukerkern, sie mundtot zu machen, physisch und psychisch zu brechen.
Am Tor vom Sicherheitstrakt steht ein unscheinbarer dunkelhäutiger Mann. Er trägt Jeans, ein helles Hemd, Sandaletten und hat ein Basecap auf dem Kopf. Der 47jährige Kgotso Dede Ntsoelengoe gehört zu einer ganzen Reihe früherer Häftlinge, die seit dem Jahr 2003 die Besucher durch das Gefängnis führen und ihre Fragen beantworten. Er erzählt von den unmenschlichen Haftbedingungen. Anfangs mussten die Gefangenen auf dünnen Strohmatten schlafen, die auf einem kalten Steinfußboden lagen. Den Gefangenen gehörte auf der Insel nur die Zahnbürste, ein Löffel, ihre Kleidung und ein Stück Seife. Mandela und andere ANC-Führer wurden auf einer Isolierstation untergebracht, mussten in winzigen Zellen hausen, durften weder Zeitungen lesen noch Radio hören. Auch Unterhaltungen untereinander waren verboten. Die anderen Häftlingen wurden in großen Zellen bis zu 70 Mann zusammen gepfercht. Kgotso gehörte zu ihnen und musste diese Kerkerzeit fast sieben Jahre ertragen. Nicht wenige seiner Kameraden haben diese Haftbedingungen nicht überlebt.
Sport und Bildung hinter Gefängnismauern
Aber er erzählt auch über den Kampf, den Mandela und seine Mitgefangenen für die Rechte aller Häftlinge führte. Über die Jahre konnten Schritt für Schritt einige Verbesserungen erzielt werden. Den ANC-Aktivisten gelang es, sich trotz aller Verbote hinter den Gefängnismauern in mehreren Komitees zu organisieren, das Recht auf Sport und Bildung wurde erstritten. Ein Schlüssel, um ein menschenwürdigeres Leben durchzusetzen, war auch der respektvolle Umgang der Häftlinge mit ihren Wärtern. Eine große Hilfe brachte die wachsende internationale Solidarität. Die Zeit im Steinbruch wurde zunehmend genutzt, um jüngere Häftlinge zu unterrichten, über Politik und Geschichte. Einige Gefangene durften später sogar legal ein Fernstudium aufnehmen. Einen großen Anteil daran hatte Mandela. Deshalb wurde, so beschreibt es Kgotso, der schreckliche Ort in den 70er Jahren auch Mandela University genannt. Als erster schwarzer Präsident nahm Nelson Mandela im Jahr 1994 elf seiner ehemaligen Mithäftlinge von Robben Island in die Regierung auf.
Niemals die Hoffnung verloren
Doch nun wollen die Besucher den Ort sehen, an dem der berühmteste Häftling Nelson Mandela eingesperrt war. Als sie sich dann in dem schmalen Gefängnisgang an der Zelle vorbei schlängeln – es bleibt nur wenige Sekunden Zeit für ein Foto – sind viele Besucher genauso fassungslos wie ich auch. Die winzige Zelle hat die Maße von 1,80 x 2,1 Meter. Mandela verbrachte hier 18 Jahre seiner Haft. Mit seinen Krankheiten (TBC und Krebs) wurde er dann in andere Gefängnisse verlegt und kurz vor dem Ende der Apartheid war er in Hausarrest. Insgesamt war er 27 Jahre inhaftiert. Unendlich lange Jahre ein Leben auf knapp vier Quadratmetern. Es ist unglaublich. Hierher kam Mandela nach der harten Arbeit im Steinbruch, hier löffelte er die ersten Jahre seinen Maisbrei, Brot gab es nur für inhaftierte Inder und Weiße. Hier plante er seine Strategie, um im Auftrag der Gefangenen der Isolierstation über die Senkung der Akkordquoten zu verhandeln. Mandela ließ sich nicht unterkriegen. Gemeinsam mit seinen Kampfgenossen brachte er die Disziplin auf, in den langen Jahren die Hoffnung nicht zu verlieren und selbst in dieser Zelle den Kampf gegen die Apartheid fortzusetzen. Heute ist die Zahl 466/64 nunmehr überall in Südafrika und bei vielen Touristen aus aller Welt bekannt. Es ist die Häftlingsnummer 446 von Mandela und das Jahr 1964 seiner Inhaftierung. Sie schmückt mittlerweile unzählige T-Shirts.
Triumph über Rassismus-Staat
Kgotso kann sich noch gut an den Triumph über den rassistischen Unterdrücker-Staat Südafrika erinnern, obwohl er nun schon fast 25 Jahre zurück liegt. Ein großes Foto am Hafen von Robben Island zeigt die lachenden und ihres Sieges bewussten Häftlinge an Bord einer Fähre in die Freiheit.
Doch ein bisschen Wehmut liegt in seiner Stimme, dass er nach seiner Befreiung einige Jahre später freiwillig wieder auf die Gefängnisinsel zurückkehrte – allerdings als ein kompetenter Reise-Führer auf der Insel für die Besucher aus seinem Land und aus aller Welt. Und er legt wert darauf, dass er in Kapstadt wohnt und ein gutes Gefühl hat, täglich wieder die Insel zu verlassen.
Ironie des Schicksals
Kgotso hat auch eine Geschichte erzählt, die mit Ironie des Schicksals oder Wendungen im Leben überschrieben werden könnte. Auf der Insel wurde es durch die Massen von Touristen nötig, ein kleines Selbstbedienungs-Restaurant zu eröffnen. Wenn der Pächter jeden Abend seine Abrechnung macht und das eingenommene Geld zählt, lächelt ihm auf den südafrikanischen 10, 50 und 100 Rand-Geldscheinen Nelson Mandela entgegen. Dieser weiße Pächter von dem Imbiss war mehrere Jahre der Gefängniswärter von Mandela und sieht dessen Abbild nun Schein auf Schein täglich hunderte Mal. Und er freut sich heute, wie viele Menschen besonders wegen seinem früheren Gefangenen auf die Insel kommen.
Unsere Freiheit zurückerlangt
Nelson Mandela erhielt zusammen mit dem letzten weißen Präsidenten Südafrikas, Frederik de Klerk, im Jahr 1993 den Friedensnobelpreis. Den Lohn für seinen lebenslangen Kampf erlebte Mandela 1994: Angesichts des triumphalen Sieges seines ANC bei den ersten demokratischen Wahlen sagte Mandela:„Wir haben unsere Freiheit zurückerlangt.” Im selben Jahr wurde er zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gewählt. Nationalheld war er da schon und steht in einer Reihe mit solchen Führern des 20. Jahrhundert wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King.
Die vier Friedensnobel-Preisträger
Wenn die Fähre mit den Touristen Robben Island verlässt, offenbart sich bei sonnigem Wetter eine bezaubernde Sicht auf die Bucht und den Tafelberg von Kapstadt. Ganz in der Nähe der Anlagestelle der Fähre wurden vor zehn Jahren die Skulpturen von den vier Friedensnobelpreisträgern des Landes eingeweiht. Es sind Albert John Luthuli, Stammesführer der Zulu und Vorkämpfer des ANC im Afrikanischen Nationalkongress, Desmond Tutu, ehemaliger anglikanischer Erzbischof in Südafrika und Apartheid-Gegner, sowie Frederik de Klerk und Nelson Mandela als Wegbereiter des friedlichen Übergangs von der Apartheid zum demokratischen Staat Südafrika. Die Skulpturen sind im Halbkreis angeordnet. In ihrem Rücken ist der Tafelberg sichtbar. Und es stört heute im toleranten Kapstadt niemanden, wenn sich zahllose Besucher mit Rucksäcken und Handtaschen zu den etwa lebensgroßen Bronze-Figuren stellen. Und manche von ihnen legen auch den Arm um ihre Schulter.
Fotos: CTOUR/Ronald Keusch