Verbotene Stadt - Halle der höchsten Harmonie

CTOUR on Tour: Chinas Uhren gehen schneller (1)

Wer eine Reise in das für ihn noch fremde Land China unternimmt, informiert sich vorher in der Reiseliteratur. Der US-amerikanische Reiseschriftsteller Paul Theroux warnt in dem Buch „China fürs Handgepäck“ eines Schweizer Verlages (1) in einer launig humoristischen Weise vor Inlandflügen in China.

In einem klapprigen russischen Jet, dessen Metallhülle so zerknittert und rissig war wie das Silberpapier in einer gebrauchten Zigarettenpackung, brachten Passagiere große Bündel in die Ablage, die immer herauspurzelten, die Sitze waren so dicht gestellt, dass dem Reiseautor die Knie wehtaten und schließlich übergaben sich einige chinesische Passagiere schon, bevor das Flugzeug überhaupt abhob. Der geschilderte Flug fand zwar weit im Norden Chinas von Ürümqi nach Lanzhou statt, aber immerhin erschien das Buch in zweiter Auflage vor sechs Monaten. Muss man da Angst bekommen?

Verbotene Stadt - Halle der höchsten Harmonie
Verbotene Stadt – Halle der höchsten Harmonie

Während meines dreieinhalb Wochen Aufenthaltes in China flog ich insgesamt vier Inland-Strecken. Ich saß je zwei Mal in einem Airbus A 320 und in einer Boing 737. An Bord der meist gut gefüllten Maschinen, deren Sitze nicht kleiner ausfielen, befanden sich nahezu ausschließlich chinesische Passagiere, von denen schätzungsweise während des Fluges jeder zehnte ein i-Pad und jeder fünfte ein i-phone vor der Nase hatte. Erbrochen hat sich keiner auf den Flügen, obwohl bei der South China Line aus meiner europäischen Sicht durchaus nach dem Essen ein Anlass gewesen wäre. Dafür hat diese größte Fluggesellschaft Chinas fast 200 Airbusse fliegen, darunter seit Herbst letzten Jahres das Modernste, drei Airbusse A 380 und hat als Flugziel auch Ürümqi in ihrem Programm.
Bei intensiverem Blättern in dem Schweizer Reisebuch fand ich die Auflösung für die Warnung. Der US-Amerikaner hatte diese aktuell übernommene Geschichte in seinem Buch aus dem Jahr 1989 veröffentlicht. Es zeigt sich, dass sich in mehr als 20 Jahren in China vieles veränderte. In China scheinen die Uhren schneller als anderswo zu gehen.

Beijing – Hauptstadt kaiserlicher Kultur
Nur wenige Tage Aufenthalt in Beijing zeigen dem Besucher, dass er sich in der politischen Hauptstadt und zugleich in der Stadt alter Hochkultur Chinas befindet. Dies wird schon räumlich ganz augenscheinlich im Zentrum der Stadt. Hier erstreckt sich der berühmte Kaiserpalast, an den sich unmittelbar auf seiner südlichen Seite der Tian`anmen, der Platz des Himmlischen Friedens anschließt. Es steht das Symbol kaiserlichen Glanzes, die verbotene Stadt sozusagen neben einer riesigen Betonfläche mit dem Mao-Mausoleum und dem Haus des Nationalen Volkskongresses, dem Sitz der Legislative Chinas.

Besucher überschwemmen Verbotene Stadt
Die verbotene Stadt, Anfang des 15 Jahrhunderts vollendet, beherbergte 24 Kaiser mit ihrem Hofstaat sowie Beamte und Würdenträger. Mittlerweile wird sie täglich mit Heerscharen von Touristen überschwemmt. Dennoch kann dieser in einer Linie aufgebaute Komplex mit dem elegant geschwungenen Dach der Halle der Höchsten Harmonie, mit seinen verzierten Torbögen und den chinesischen Löwen, die alles bewachen, seine Pracht bis heute bewahren. Für mich ein kleines Wunder.

Mit der Rikscha in den Hutong
Mit der Rikscha in den Hutong

An allen Bauten stehen auf dem Gelände überdimensionale große Töpfe, insgesamt 308, in denen früher Wasser für die Feuerbekämpfung aufbewahrt wurde. Insgesamt 16 Töpfe, die am nächsten zum Sitz des Kaisers standen, waren vergoldet. Das Gold wurde vor mehr als hundert Jahren bei Plünderungen durch französische und englische Soldaten abgekratzt. Nun stehen die Gefäße abgeschürft zur Ansicht. Die Besucher können einen Zivilisations-Schaden betrachten.

Betonpiste beliebtes Fotomotiv
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens existiert keinerlei Erinnerung an einen anderen Zivilisations-Schaden, die blutigen Ereignisse im Juni 1989. Es sei denn, man rechnet dazu, dass an einigen Ecken des riesigen Platzes wie auf einem Flughafen Taschen und Rucksäcke durchleuchtet werden. Ein paar Polizisten in Uniform und ihr Polizeiauto verlieren sich in tausenden von Touristen auf dem gigantischen Beton-Platz. Die Besucher haben scheinbar alle nur eines im Sinn: Fotografieren. Und einige wenige ohne Fotoapparat werden von auf dem Platz stationierten professionellen Fotografen zu Fotos für Daheim animiert. Der größte Platz der Welt ist zu einem von klickenden Fotoapparaten und Handys besetzten Fotomotiv geworden.

Hofhaus in der goldenen Seidenstraße
Ein Kontrastprogramm zu kaiserlichem Glanz und Gloria stellt nahe der verbotenen Stadt der Hutong Qianjing dar, eines der alten Viertel Beijings mit den charakteristischen Hofhäusern. Viele Hutongs mussten dem Stadtneubau weichen. Einige wurden restauriert und werden den Touristen präsentiert, die standesgemäß per Rikscha in flottem Tempo durch die schmalen Gassen geradelt werden.
Ich besuche ein 390 Jahre altes Hofhaus in der Goldenen Seidenstraße, in der in früheren Jahrhunderten Manufakturen auch für den Kaiserplast arbeiteten. Wie alle anderen ist auch dieses Hofhaus mit Mauern umgeben, die vor bösen Geistern schützen sollen. Der Hausherr erzählt von seinem Großvater, der angeblich noch für den letzten Kaiser als Tischler gearbeitet hat und von seinem Vater, einem Zimmermann. Er selbst hatte studiert, wurde Buchhalter und ging vor zwei Jahren mit 60 Jahren in Rente, um jetzt im Stundentakt Touristen mit Tee zu empfangen. Ehe die nächste Busladung Touristen kommt, lädt er zum Fototermin in einem Hochzeitszimmer ein. Über dem Sofa, auf dem sich die Paare platzieren, ist groß an die Rückwand ein chinesisches Schriftzeichen gemalt. Es lautet schlicht: Glück.

Zentrum der Welt auf dem Himmelsaltar
Der Himmelstempel in einem Park von 270 Hektar Größe gelegen, gilt als ein Wahrzeichen von Beijing. Hier sind die Touristen nicht nur unter sich. Viele chinesische Rentner sind hier im Grünen unterwegs, spielen Karten oder praktizieren Tai Chi, eine Mischung aus Meditation und Kampfkunst. Für alle chinesischen Kaiser war es ein Regierungsritual, hier in der nur aus Holz gebauten Halle des Gebetes für Gute Ernten ihren Auftritt zu zelebrieren. Im Zentrum der Halle stehen vier gewaltige, die vier Jahreszeiten repräsentierende und mit goldenen Drachen verzierte Säulen. Sie werden umringt von zwölf Säulen, die für die einzelnen Monate stehen.

Der Kunmingsee im Sommerpalast
Der Kunmingsee im Sommerpalast

Besonders attraktiv ist der Himmelsaltar, eine Rondell, das aus drei ansteigenden großen Terrassen besteht. Bestimmt wird die Architektur des Altars von der kaiserlichen Zahl neun. So sind neun Steine im ersten Ring zu zählen, 18 Steine im zweiten Ring bis zu 81 Steine im neunten Ring, die neun Himmel symbolisieren. Eine runde Steinplatte im Zentrum des Altars gilt seit alters her für die meist chinesischen Besucher als Zentrum der Welt. Jeder chinesische Besucher will auf diesem Platz fotografiert werden und geduldig wird in der Warteschlange Fotomotiv gewartet.

Mit Planwirtschaft aus dem Stau
Um zum Sommerpalast im Nordwesten der Stadt zu gelangen, der berühmten Anlage für klassische Gartengestaltung, ist eine längere Autofahrt bis zum 4. Ring der Stadt zu absolvieren und im Stau zu stehen. Ein günstiger Zeitpunkt, um mit der seit 15 Jahren in Peking lebenden Reiseleiterin Ye Wang über den Autoverkehr in China zu sprechen, mit dem es nahezu jeder Tourist zu tun bekommt. Die in Teilen noch existierende Planwirtschaft in China will auch den PKW-Verkehr regeln: über die Zahl der Zulassungen. Zum Beispiel darf in Peking pro Monat nur eine exakt festgelegte Zahl von einigen tausend Zulassungen erfolgen. Sie werden aus den Anträgen der Bewohner ausgelost. Die Glücklichen zahlen 10.000 Yuan (Renminbi), müssen ihre Zulassung allerdings innerhalb von sechs Monaten in Anspruch nehmen, ansonsten verfällt sie. Seit zwei Jahren gibt es dieses Zulassungs-Lotto, dass nur für die Pekinger Bewohner gilt, die mindestens fünf Jahre in der Stadt wohnen.

Der Beihai-Park mit weißer Pagode
Der Beihai-Park mit weißer Pagode

Außerdem gibt es in Beijing die Regelung, einmal in der Woche das Auto stehen zu lassen. Die Lösung für eine Reihe von Vielfahrern ist einfach: ein zweites Auto anschaffen. Diese Strategie gilt auch für andere Regelungen, die in Vorbereitung sind. Wird der Autofahrer an seinem nicht genehmigten Fahrtag mit automatischen Kameras auf der Straße entdeckt, erhält er einen Strafzettel über 200 Yuan. Er darf dann noch drei Stunden fahren. Wird er danach an diesem Tag wieder erwischt, zahlt er erneut. Der Wettlauf zwischen Hase und Igel, Lehrer und Schüler, zwischen der Planwirtschaft und den Autofahrern. Übrigens dürfen Chinesen von außerhalb bei dem Spiel nicht mitspielen. Ihnen ist es generell gestattet, nur zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens privat mit PKW nach Peking hinein zu fahren. Wer keine Sonderregelung hat und erwischt wird, muss wieder zahlen.
Ohne Kameras und moderne Informationstechnologien scheint der PKW-Verkehr in Peking überhaupt nicht mehr möglich, alle würden nur im Stau stehen, so glaubt die Planwirtschaft und auch Frau Wang. Es wird deutlich, in Peking fehlt eine Auto-Lobby, die solche Einschränkungen im Autoverkehr verhindert. Es herrscht deshalb kein ungebremstes Auto-Wachstum. Mit Auto-Lobby wie in Deutschland gäbe es wohl zwar mehr Autos, aber keinen Verkehr mehr. Doch auch mit den rigorosen Einschnitten, um das Wachstum der Zahl der Autos zu verringern, gibt es den täglichen Stau. Peking spielt auch auf diesem Gebiet in der Liga der Weltstädte. Dennoch fahren die Pekinger und die Besucher der Stadt jeden Tag in den Stau – trotz der Regelungen.
Vor zehn bis fünfzehn Jahren gehörte das Fahrrad auch in Beijing für jeden vierten Bewohner zu einem wichtigen Mittel der Fortbewegung. Im Sommer 2012 sind nur noch wenige Fahrradfahrer im Straßenbild zu entdecken.

Die Botschaft des Marmorschiffs
Irgendwann ist der Stau „durchgestanden“ und der Sommerpalast erreicht. Ursprünglich das Geschenk eines chinesischen Kaisers für seine Mutter diente er später dem Kaiserhof als Sommerresidenz. Heute ist das riesige Areal von 240 Hektar eine Zuflucht für viele tausende Pekinger Rentner und zugleich ein Wallfahrtsort für die Touristen aus dem ganzen Land und aus aller Welt. Entsprechend den Regeln der chinesischen Gärten vereinigt er alle wichtigen Elemente der chinesischen Garten-Architektur mit Wasser, Felsen, Pflanzen und Brücken.
Es gibt eine Vielzahl von kaiserlichen Gebäuden wie die Hallen des Wohlwollens und der Langlebigkeit mit dem Thron des Kaisers. Obwohl zwei Mal durch anglofranzösische Truppen um 1860 und durch englische Soldaten um 1900 zerstört, ist er in vollendeter Schönheit wieder erstanden. Sehr eindrucksvoll sind in Nähe des Kunming-Sees lange Wandelgänge mit vielen Verzierungen und Deckenmalereien. Am Ende des Wandelganges liegt ein Marmorschiff am Ufer. Aus dem Material Marmor besteht allerdings nur der einer Welle nachgebildete Sockel, alles andere ist aus Holz gefertigt. Das Schiff, am Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, sollte die Stabilität der Qing-Dynastie symbolisieren. Der Bau sollte nachfolgenden Kaisern die Botschaft übermitteln, dass das steinerne Boot, darstellend die Macht des Kaisers, ständig vom Wasser, darstellend die gesamte Bevölkerung, getragen werden muss. Missbraucht der Kaiser seine Macht, wird sein Boot nicht mehr vom Wasser getragen und geht unter. Doch die Botschaft wurde bereits in der herrschenden Qing-Dynastie nicht beherzigt. Der letzte Kaiser musste im Jahr 1911 abdanken.

Rauchverbot in den Parks
Das Rauchen ist auf dem gesamten riesigen Gelände verboten. Stell dir vor, es gibt ein Rauchverbot und alle halten sich daran, hier im klassischen Garten, im Sommerpalast schon. Es sind nirgends Kippen oder Zivilisations-Müll auf den Wegen zu entdecken. Auch die Stadtteile Pekings wirken recht sauber. Sind denn die vielen europäischen Reiseberichte über Schmutz und Dreck im weiten China falsch? Es soll drei Kategorien für saubere Städte geben. In der ersten Kategorie ist neben Shanghai und Hongkong auch Peking vertreten. Übrigens rauchen in China nur ganz wenige Frauen, hauptsächlich deshalb, weil chinesische Männer das Rauchen bei Frauen nicht mögen. Dafür raucht der Mann umso mehr.

Peking+(5)+Tanzende+Paare+im+Pavillon+P1110938
Tanzende Paare im Beihai-Park

Auch der 69 Hektar große Beihai-Park im Nordwesten von Beijing hat eine fast tausendjährige Geschichte, an dessen Anfang ein mongolischer Großkhan einen kaiserlichen Garten anlegen ließ. Viele Jahrhunderte diente er den Herrschern als Sommerresidenz und ist ein klassisches Beispiel kaiserlicher Gärten mit Tempeln und Pavillons, mit Teichen und Seen, mit künstlich angelegten Landschaften. Eine malerisch gelegene Weiße Pagode auf der Jade-Insel inmitten eines kleinen Sees, dominiert den Park. Chinesische Familien mit Kindern und Liebespaare wandern um den See. Besonders die fünf Pavillons am See haben es mir angetan. Hier erklingt Musik, Paare drehen sich beim Tanz, junge und ältere Spaziergänger haben auf Stühlen in den Pavillons Platz genommen, hören der Musik zu und schauen auf das glitzernde Wasser des Sees. Alles strahlt eine entspannte Atmosphäre aus. Ein starker Kontrast zu den Pracht-Boulevards der Innenstadt und den Verkehrsströmen der sechsspurigen Stadtautobahnen.

(1) „China fürs Handgepäck“ Unionsverlag Zürich 2009, 2. Auflage Dezember 2011

Fotos: CTOUR/Ronald Keusch ; Juli 2012