05.25 Uhr – der Sonnenaufgang vergoldet die Ostsee vor Rügens Fährhafen Sassnitz-Mukran. In die romantische Kulisse schiebt sich der Scherenschnitt des Kreuzfahrtschiffs ASTOR. Nur wenige der 540 Gäste sind um diese Zeit schon an Deck, als der 21.000-Tonner am 6. Mai 2016 überpünktlich zum Saisonstart festmacht.
Nach einer Traumreise bei Traumwetter von Bremerhaven rund Skagen nach Göteborg und Malmö mit Weiterfahrt bei Tage durch den Nord-Ostsee-Kanal zum Hafengeburtstag mit AIDAPRIMA-Taufe in Hamburg. Eine Kurzreise zum Schnuppern sowohl für Kreuzfahrt-Neulinge als auch für alte Hasen und Fans des überschaubaren, gemütlichen und sehr familiären Schiffes, „das auch noch wie ein Schiff aussieht“, bemerkt ein Passagier mit Kennerblick.
Was man an Gesprächsfetzen vor der Gangway aufschnappt, deutet auf eine große Erwartungshaltung hin: Alle sind gespannt, was sie auf Deutschlands größter Insel und in Stralsund erwartet. 50 haben sich fürs „Welterbe“ entschieden, die übrigen wollen den Königsstuhl, das Fischerdörfchen Vitt und Kap Arkona sehen.
Auf der Pier warten schon in Reih und Glied die Busse, überwiegend aus Stralsund, wie schon an ihren Flanken in Riesenlettern abzulesen ist. Nach Busnummern werden die Gäste – sie kommen aus ganz Europa – aufgerufen, so dass kein Gedrängel entsteht.
Für den Autor eine völlig neue Situation: Noch nie ist er von Bord eines großen Kreuzfahrtschiffes an Land gegangen, um für ein paar Stunden in seine Heimatstadt zu kommen, seine Frau im Heilgeistkloster zu besuchen und schließlich weiter zu fahren. Selbst der Stralsunder Busfahrer und die Rüganer Reiseleiterin sind überrascht, als sie das „Geständnis“ hören: „Das haben wir auch noch nicht gehabt!“ Viele Gäste indes sind immer nur an Stralsund vorbeigefahren und wollen „mal richtig ins Welterbe eintauchen“, getreu dem ASTOR-Tagesspruch von Goethe: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen“.
Nach 45 Minuten Inselfahrt, gespickt mit Informationen, durch leuchtend gelbe Rapswälder, Alleen und über die Rügenbrücke mit Blick auf Stralsunds „Schokalenden-Seite“ stoppt der Bus am ZOB. Bis 11.30 Uhr, also gerade mal drei Stunden, werden die Gäste durch die Altstadt geführt: von der Marienkirche durch Ossenreyer und Mönchstraße zum Alten Markt mit Rathaus und Nicolaikirche zum Hafen vor Ozeaneum und GORCH FOCK. Die Standardtour, denn mehr geht nicht.
Bleiben noch dreißig Minuten auf eigene Faust. Die werden unterschiedlich genutzt: für ein Eis oder einen Schnellrundgang über das maritime Wahrzeichen der Hansestadt, die GORCH FOCK. Die Begeisterung, getoppt durch das strahlende Stralsund-Wetter, schlägt hohe Wellen, als sich alle kurz vor Zwölf wieder am Bus treffen. „So schön hätten wir uns die Stadt nicht vorgestellt!“ schwärmen die einen, andere waren seit DDR-Zeiten nicht am Sund und staunen, was sich hier seit der Wende alles getan hat. Die meisten wollen „unbedingt wiederkommen, um die Eindrücke zu vertiefen“. „Kulturhistorisches Museum und Ozeaneum sparen wir uns dafür auf. Der Autor versorgt seine Mitpassagiere zu diesem Zweck auch mit Insider-Informationen.
Zum Mittagessen unter freiem Decks-Himmel sind alle wieder an Bord. „Die ASTOR könnte doch auch mal nach Stralsund fahren“, sinniert ein Neumünsteraner, „da wäre ich sofort wieder dabei!“ Von den Schiffsabmessungen her – 176 Meter Länge, 6,10 Meter Tiefgang und 22,60 Meter Breite – gäbe es keine Probleme, um im Südhafen anzulegen. Der Autor als Kreuzfahrtexperte hat deswegen schon Gespräche mit dem Veranstalter Transocean geführt. Man hat bereits verraten, dass der Erstanlauf der ASTOR für Mai 2018 vorgesehen ist, „denn kleinere deutsche Häfen wie Eckernförde, Flensburg, die nordfriesischen Inseln und Rügen´schen Seebäder sind sehr nachgefragt“, wie Transocean weiß. Stralsund, die „Perle der Hanse“, hätte es allemal verdient!
MS „Astor“ – Urlaubsparadies mit Unterwelt
Wer macht sich eigentlich schon mal ernsthaft Gedanken, was auf einem Kreuzfahrtschiff so „unter der Gürtellinie“, sprich „im Keller“ los ist? Sicher nicht, denn in erster Linie ist ja Urlaub angesagt.
Da kommt man zum Beispiel an Bord der „Astor“, ist froh gelaunt und erwartest natürlich, dass alles reibungslos klappt, oder?
Da Passagiere nur in Ausnahmefällen die Chance haben, in den „Keller“, also den Maschinenraum, zu steigen, möchten wir hier ein paar Hintergründe erhellen. Du wirst sehen, lieber Passagier, dass, s o informiert, manches an Bord in einem ganz anderen Licht erscheint.
Also, am Anfang sind da erst mal 850 Schiffsbewohner (530 Passagiere und 300 Besatzungsmitglieder). Die wollen rund um die Uhr bei jedem Wetter, auf See oder im Hafen, versorgt sein (steht ihnen ja auch zu, ohne Frage). Dass diese Versorgung, hier in erster Linie technisch betrachtet, auf 176 Metern Länge, 23 Metern Breite bei 6,10 Metern Tiefgang „etwas anders“ abläuft als an Land, ist wohl einzusehen, auch wenn man/frau von Technik keine Ahnung hat. Macht nichts, hier soll ‘s halbwegs plausibel erklärt werden.
Stell dir den Betrieb eines Stadtwerkes vor, von dem wir zunächst mal unseren Strom „aus der Steckdose“ beziehen. Auf der „Astor“ rotiert allein dafür ein 4.100-PS-Generator. Das würde glatt für 250 Einfamilienhäuser ausreichen – unglaublich!
Bei feucht-heißer Tropenluft verlangt ‘s dich natürlich auch nach äußerer Kühlung (für die Innere ist die Bar zuständig). D e r Job für einen 1.200-kW-Generator, der damit locker 5.000 große Kühlschränke erstarren lassen könnte.
Unterm Strich betrachtet, leisten die Generatoren – sie werden über Wellen durch die Hauptmaschine angetrieben, wie ein Dynamo also – 9.000 kW oder satte 12.350 PS. Das ist auf diesem Gebiet noch längst nicht alles.
Zwei Diesel versorgen alle elektrischen Verbraucher vom Fön bis zur Radaranlage, und ein Notstromaggregat steht für den „Fall der Fälle“ parat, falls mal nichts mehr geht (kaum anzunehmen).
Du kennst sicher den 60er-Jahre-Schlager „Wasser ist zum Waschen da …“ oder so ähnlich. Ein lebenswichtiges Thema. Wieviele Schiffbrüchige (daran denken wir erst gar nicht!) sind nicht schon auf See, umgeben von einem Meer aus Wasser, verdurstet?! Also muss Frischwasser her, Betonung auf „Frisch-“.
Sage und schreibe 200.000 bis 300.000 Liter täglich verkonsumieren die Zeit- und Dauerbewohner unserer „schwimmenden kleinen Stadt“, genannt MS „Astor“. Solche Mengen können nicht ständig frisch mitgeführt, gleichwohl hergestellt werden. Richtig gelesen: eine Seewasser-Verdampfungsanlage nimmt es daher, wo es reichlich vorhanden ist, klar, erhitzt es, trennt die salzigen Bestandteile heraus und verdampft das ganze. Nach Abkühlung ergibt es das beste Trinkwasser. So manche Landgemeinde würde die „Astor“-Wasserkünstler um Anlage und Qualität beneiden.
Auch das ist klar (hinterher): Wo Wasser verbraucht wird, fließt auch Abwasser durch „dunkle Kanäle“. Wehe, es wird ins Meer gepumpt! Umweltschutz wird auf der „Astor“ groß geschrieben. Das Modernste ist hier gerade gut: eine dreistufige (mechanische, biologische, chemische) Aufbereitungsanlage. Das Restprodukt Wasser kann bedenkenlos ins Meer geleitet werden. Die Feststoffe werden verbrannt.
Noch ein „schmutziges“ Thema: Müll. Wohin damit? Natürlich in eine Pyrolyse-Anlage, die den Abfall der 800-Seelen-Bordgemeinde problemlos und umweltfreundlich vergast. Am Ende der Reise wird jedenfalls kein stinkender Müllberg an Land gegeben.
Schmierig wird ‘s gar bei ölhaltigen Rückständen, die in Tanks gesammelt werden. Für den preiswerten Betrieb des Hafenkessels taugen sie noch allemal. Was tatsächlich nicht mehr aufbereitet werden kann, wird ordnungsgemäß, wie es sich gehört, im nächsten Hafen abgegeben.
Sicher meinst du auch, dass die heißen Dieselschwaden ungenutzt in die Luft gepustet werden. Bloß das nicht! Da geht ‘s immerhin um eine Wärmemenge, die 5.000 kW entspricht und von 370 Einfamilienhäusern genutzt werden könnte, um im Bild zu bleiben. Was machen die Experten an Bord? Sie führen diese Energie der Maschine wieder zu und erhöhen dadurch ihren Gesamtwirkungsgrad um ein sattes Drittel. Wenn das nichts ist!
Ein Teil wird auch zur Erwärmung des zähflüssigen Schweröl-Brennstoffs ausgenutzt, der erst über 45 Grad Celsius pumpfähig ist.
Von diesem schwarzen Stoff schlucken die vier Dieselmotoren der „Astor“ (Gesamtleistung: 21.000 PS) täglich 72.000 Liter. Das ist die Ladung von zwei Großtankwagen. Hochgerechnet auf ‘s Jahr sind das 11 Millionen Liter. Apropos rechnen und Häuser: 7.300 Einfamilienhäuser könnten damit ein Jahr geheizt werden. Nicht schlecht, was? Anders ausgedrückt, sofern du dir das überhaupt vorstellen kannst: ein Diesel-PKW könnte damit von der Erde zur Sonne düsen.
Was wäre dieses technische Leistungsspektrum ohne regelmäßige Überprüfung auf Funktionssicherheit, einschließlich aller Navigationsanlagen. Der Germanische Lloyd (GL), so etwas wie ein TÜV für Schiffe, sorgt regelmäßig dafür, und zwar mit peinlichster Genauigkeit und Strenge.
Sollte dein Wissensdurst noch immer nicht gestillt sein, frag bei deiner nächsten Reise einfach mal den Direktor der „Astor“-Stadtwerke, den Leitenden oder Chief-Ingenieur. Vielleicht hast du ja dann die Chance, als Interessierter einmal das „Herz“ des Liners zu inspizieren. Nur Mut, lieber Schiffstechnik-Freak!
Schiffsdaten MS ASTOR:
Bauwerft: Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW), Kiel
Kiellegung: 21.1.1986,
Stapellauf: 29.5.1986, Indienststellung: Januar 1987
Bau-Nr.: 218; Schiffstyp: Kreuzfahrtschiff
Heimathafen: Nassau/Bahamas; Flagge: Bahamas; Ex-Name: „Fedor Dostojewskiy“ (3.10.88 – 30.11.1995)
Eigner: Premicon Hochseekreuzfahrt GmbH & Co. KG MS „Astor“ Reederei: TransOcean Kreuzfahrten GmbH & Co. KG (von 1996 bis 2009 fuhr die „Astor“ in Charter für die Transocean Tours; nach der Insolvenz des Charterers und einem Umbau samt Komplettrenovierung im Winter 2009/10 fährt die „Astor“ seit 1. Juni 2010 für Transocean Kreuzfahrten, einem zur Eigentümergruppe Premicon AG gehörenden Veranstalter)
Länge: 176,25 m; Breite: 22,60 m; Tiefgang (max.): 6,10 m; Vermessung: 20.704 BRZ; Crew: 278; Passagiere: 578 auf 7 Decks; Rufzeichen: C6JR3; Klassifizierung: GL (Germanischer Lloyd); IMO-Registriernummer: IMO 8506373; Hauptmaschinen: 2 Dieselmotoren Wärtsilä-Sulzer 8ZAL40 je 4.400 kW, 2 Dieselmotoren Wärtsilä-Sulzer 6ZAL40 je 3.300 kW; Gesamtleistung: 15.400 kW (20.938 PS); Geschwindigkeit (max.): 20 kn (37 km/h); Propeller: 2 (verstellbar).