DAS NATIONALMUSEUM DER ÄGYPTISCHEN ZIVILISATION

von Peter Kracht

Das neue Ägyptische Museum nahe den Pyramiden von Gizeh, das Grand Egyptian Museum (GEM), steht seit Jahren im Blickpunkt einer weltweiten Öffentlichkeit. Vor allem natürlich wegen seiner riesigen Dimensionen, die es mit den Außenflächen zum wohl größten Museum der Welt machen, zum anderen aber auch wegen der brennenden Frage, wann es den nun endlich eröffnet wird und die Welt teilhaben lässt an den wunderbaren Schätzen der ägyptischen Geschichte.
Im Sog des Grand-Museums-Projekts geriet ein weiteres, eindrucksvolles Projekt sozusagen völlig aus dem Blickwinkel.

Ein Projekt, das für sich auch das Prädikat „außergewöhnlich und sehenswert“ uneingeschränkt in Anspruch nehmen darf – das Nationalmuseum der Ägyptischen Zivilisation, international firmierend unter „National Museum of Egyptian Civilization”(NMEC). Museum und Außengelände kommen insgesamt auf eine Fläche von immerhin rund 130 000 Quadratmeter.     

Blick auf das NMEC. Im Hintergrund ist bereits ein erster Hinweis auf das Highlight des Museums zu sehen.

Mumien – „Prozession“ durch Kairo

Es war Anfang April 2021, als sich ein seltsamer Zug, man könnte eher sagen eine nie zuvor gesehene „Prozession“ durch Kairo bewegte, eine Prozession, die es in sich hatte: Die könglichen Mumien aus dem Tal der Könige zogen um – mit allem Pomp und einer weltweiten Berichterstattung, wie es sich für altägyptische Pharaonen gehörte. Es war gleichsam eine Parade, eine wundervolle Inszenierung. Ein ehrwürdiger Zug für die 22 königlichen Mumien, die bis dato im alten Ägyptischen Museum ausgestellt waren. Man musste allerdings Glück haben, sie zu sehen, denn des Öfteren war der Mumiensaal geschlossen.

Doch an diesem April-Tag machten sie sich auf die Reise zu ihrem neuen Domizil, darunter die Mumien von Thutmosis I., II., III. und IV., von Sethos I, Ramses II., III., IV., V., VI. und IX. sowie die der Hatschepsut – und viele Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernsehschirmen meinten, der Umzug erfolge in das neue GEM bei den Pyramiden. Doch weit gefehlt: Die königlichen Mumien fanden ihre letzte Ruhestätte im Kellergeschoss des Nationalmuseums der Ägyptischen Zivilisation. Die ältesten Mumien sind übrigens die von Pharao Seqenenre, der von 1558-1553 v. Chr. regierte, im Kampf gegen die Hyksos gefangengenommen und schließlich hingerichtet wurde, sowie seiner Tochter Ahmose Nefertari, die Mutter von Amenophis I. Die jüngste Mumie ist die von Ramses IX., der von 1128/1127-1109 v. Chr. das Land regierte.

Eine Treppe führt die Besucherinnen und Besucher in das Reich der Königsmumien.

Vom Ausstellungssaal aus erlaubt eine Lichtinstallation schon einen ersten Eindruck davon, was im Untergeschoss wartet: Königliche Mumien gleiten über ein Lichtband und verschiedene Grabausmalungen bedecken beim Blick nach unten den Boden.

Die Lichtband-lnstallation, die bereits dem hinab schauenden Zuschauer einen ersten Eindruck vermittelt.

Eine wahrlich imposant komponierte Einstimmung auf den Besuch bei den Königsmumien. Eine Treppe führt den Besucher gleichsam in die Unterwelt. Man durchschreitet in der dunklen Gruft viereinhalb Jahrhunderte ägyptischer Herrschergeschichte – und die mystische Atmosphäre in dem Gang, der die einzelnen königlichen Grabstellen verbindet, sorgt fürwahr für ein wahres Gänsehautgefühl: Man bekommt eine intensive Vorstellung von der altägyptischen Religion und den durch die Mumifizierung dokumentierten Jenseitsgedanken.

Die königlichen Mumien sind ohne Zweifel der grandiose Höhepunkt des Museums, das bereits im Februar 2017 teileröffnet wurde, das aber erst seit April 2021 mit dem Einzug seiner berühmten “Bewohner” seine besondere Bedeutung erfahren hat. Der großzügige Komplex aus Gebäuden und Außenanlagen entstand nahe der archäologischen Stätte der einstigen Hauptstadt Al Fustat, die Teil der Welterbestätte „Historisches Kairo” ist und im Jahr 643 vom arabischen Feldherrn Amr ibn al-ʿĀs gegründet worden war.

Ein ganzer Tag im Museum

Wie bis heute zu hören ist, sollen mit der endgültigen Fertigstellung der Ausstellung auf etwa 23.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche insgesamt rund 50.000 Exponate zu sehen sein – ausgehend von der Ur- und Frühgeschichte bis in die Gegenwart. Wann dies geschehen soll, ist allerdings noch nicht abzusehen. Ob diese unglaubliche Zahl an Exponaten überhaupt jemals zu sehen sein wird? Auch das ist mehr als fraglich, wie auch die Schätzung, dass jährlich 600.000 bis 700 000 Besucherinnen und Besucher, mehrheitlich Einheimische das Museum besuchen werden, aber nicht nur das: Hier sollen ägyptische Familien ganze Tage verbringen mit Museumsbesuch und Shoppen, mit Shows, Essen und Bootfahren. Dazu sollen auf dem Gelände auch etliche Läden entstehen. Ein wenig optimistische Zukunftsmusik spielt hier sicherlich mit.

Jedenfalls soll das Nationalmuseum der Ägyptischen Zivilisation künftig seinen festen Platz einnehmen als drittes museales „Highlight“ neben dem 1902 eröffneten alten Ägyptischen Museum am Tahir-Platz und dem neuen GEM nahe den Pyramiden von Gizeh. Die Frage ist und bleibt allerdings, ob sich „normale“ Ägypten-Touristen tatsächlich neben den Pyramiden von Gizeh und der Nekropole von Sakkara drei Museen in Kairo anschauen werden. Zweifel sind zumindest angebracht.

Fast 40 Jahre von der Planung bis zur Eröffnung

Erste Planungen für ein Museum der Ägyptischen Zivilisation gehen zurück auf das Jahr 1982. Der ägyptsche Architekt El Ghazzali Kosseiba setzte sich zwei Jahre später mt seinem Vorschlag beim ausgeschriebenen Wettbewerb durch – doch dann geriet das Projekt ins Stocken. Erst im Jahr 2000 wurde der genaue Standort festgelegt und das Baugelände ausgewählt. Die Bauarbeiten begannen 2004, im Jahr 2009 war das Haus fertig, Innenarbeiten wie auch die Aufstellung der Ausstellung zogen sich bis 2017 hin. Die Außenanlagen beziehen den See Ain Al Yahat höchst gelungen in die Blickbeziehungen ein. Die Gesamtkosten für das Museum belaufen sich auf gut 2 Milliarden ägyptische Pfund, was mehr als 110 Millionen Euro entspricht.

Ein Gang durch Jahrtausende

Die aus mehreren anderen Häusern zusammengetragenen, etwa 450 Exponate, werden in der aktuellen Dauerausstellung gezeigt, die sich – durch die Jahrtausende – mit den wichtigsten Errungenschaften der ägyptischen Zivilisation befasst. Das breit angelegte Themenspektrum umfasst Bereiche wie die Kultur und die Religion, die Staats- und Sozialstruktur, aber auch Exponate zum Themenkomplex „Nil“ wie auch zur Schrift und zum Schreiber. Die Exponate dokumentieren die Zivilisation Ägyptens von der prähistorischen Periode bis in die moderne Zeit. Ein Teilbereich befasst sich überdies mit der Tradition.

Der Rundgang beginnt mit dem prähistorischen Skelettfund von Nazlet Khater. Die Beisetzung des Verstorbenen erfolgte vor etwa 35000 Jahren. Aus der Pharaonenzeit wie aus der griechisch-römischen Epoche finden sich etliche höchst sehenswerte Exponate, so etwa ein dekorierter Stuhl aus dem Grab der Königin Hetepheres aus dem Alten Reich (4. Dynastie), Schmuck der Prinzessin Neferuptah (vom Ende der 12. Dynastie, ca. 1800 v. Chr.) und Beigaben aus dem Grab des Baumeisters Sennedjem aus der Zeit Sethos I. und Ramses II, das 1886 – noch versiegelt – entdeckt wurde. Detailgetreu sind mehrere Modelle von Schiffen mit Besatzung, von Bäckern und von Arbeitern, die mit dem Bau eines Hauses befasst sind. Hervorzuheben ist überdies der reich und filigran verzierte Sarg des Priesters Nedjemankh aus ptolemäischer Zeit.

Sphinx der Königin Hetepheres II. aus dem Alten Reich. Sie war eine Tochter von Pharao Cheops.

Ein Ausstellungsbereich widmet sich der koptischen Zeit, gefolgt von der islamischen Zeit. In der Ausstellung zu sehen sind ein Mahmal für die Pilgerfahrt nach Mekka sowie ein Mashrabiya, ein fensterähnliches Architektur-Detail insbesondere des 16. bis 19. Jahrhunderts, das die Privatsphäre der Bewohner sicherte, gleichzeitig aber Licht und Luft ins Haus gelangen ließ.

Statue des Echnaton – ein beliebtes Fotomotiv.

Das weitläufige Museum ist samt Außengelände nicht stark besucht. Kein Vergleich mit dem Gewusel vor dem und im alten Ägyptischen Museum am Tahir-Platz. Leben ist aber im Nationalmuseum der Ägyptischen Zivilisation, dafür sorgen zahlreiche Schulklassen, die mit sichtbarer Freude mit ihren Lehrerinnen und Lehrern das Haus erkunden – und Echnaton quasi zu neuem Leben erwecken: Der ist zwar wegen seines Aton-Kults aus der Geschichte des Neuen Reiches getilgt worden, erscheint auch nicht auf der berühmten Königsliste von Abydos – aber vor seiner Statue versammeln sich alle Schülerinnen und Schüler zum „offiziellen“ Klassenfoto…

Nationalmuseum der Ägyptischen Zivilisation (NMEC), El-Fustat Road, Ein Elsira, Cairo, Öffnungszeiten täglich 9.00-17.00 Uhr, www.nmec.gov.eg

Quelle: Antike Welt 1/2022.
Fotos: Peter Kracht