CTOUR on Tour in Sachsen
In Leipzig war ich schon öfter. Gerade in Leipzig.
In früher Kickerjugend mit meiner Fußballmannschaft, vier Jahre als Student, dann als dienstreisender Reporter für die »Berliner Zeitung«, schließlich für das »Neue Deutschland«: bei Messen und Kongressen, bei den »Academixern«, im Schauspiel- sowie im Opernhaus; in zwei, drei Tagebauen (einmal bei zutiefst schlammigen Reparaturarbeiten nach der Havarie einer Abraumbrücke), im Herbst 1989 zum Auftakt der von Kurt Masur moderierten sonntäglichen »Dialoge im Gewandhaus« (ND-Schlagzeile vom 23.10.1989: »Knallharte Fragen an musischer Stätte«); Mitte der 90er Jahre mehrfach zu Recherchen über den »Sachsensumpf«, schließlich zu vielen Terminen zwischen dem Start des schillernden Ballons der Leipziger Olympiabewerbung 2001 bis zu seinem kläglichen Platzen 2004.
Mein bislang letzter Besuch datierte vom Sommer 2012, kurz bevor in London die Olympiade begann, die Leipzig einst hätte so gern haben wollen. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), von mir dann 2012 im Interview nach seinen persönlichen Lehren aus der Olympiapleite befragt, sagte:
»Man darf vor lauter Begeisterung nicht zu sehr über dem Boden schweben. Überschwang führt zu Leichtsinn.«
Das war und ist eine für einen Politiker etwas ungewöhnliche, weil selbstkritische Antwort. Zu hören ist sie in diesen Sphären selten, noch seltener wird sie auch autorisiert.
Weltoffenes Leipzig
Sie fiel mir wieder ein, als wir jüngst mit unserer CTOUR-Reisejournalisten-Vereinigung zu einer Tagestour nach Leipzig kamen.
Mein leiser Eindruck nach der Reise: Leipzig scheint, ähnlich seinem OB, einiges gelernt zu haben. Die heimliche Hauptstadt Sachsens zeigt sich funktionierend und fleißig bauend, wohnlich und weltoffen, freundlich und flanierend, weiter emsig dabei, die Auenlandschaft innerhalb ihrer Mauern deutlicher zur Geltung zu bringen und um sie herum immer erlebbarer zu machen.
Ob es mit dem in Goethes „Faust“ dem weinseligen Studenten Frosch in den Mund gelegten und oft zitierten Klein-Paris-Sprüchlein tatsächlich noch was wird, bleibt weiter spannend. Doch wieder mal nach Leipzig zu fahren lohnt allemal.
Mit dem Bus nach Leipzig
Beispielsweise mit dem »FlixBus«, genauer: der FlixBus GmbH, die 2012 in München gegründet wurde.
Sie hat inzwischen 2000 Busse und sieben Züge
sowie 8400 Beschäftigte (davon 7000 Fahrer) und
2000 Haltestellen in 30 Ländern. Tendenz weiter steigend.
Von Tom Buchhold, Referent Politik, erfahren wir mehr, wie Europas größter Fernbusanbieter seinen Gästen eine moderne, erschwingliche, komfortable und ökologisch nachhaltige Art des Reisens ermöglichen will.
„Reisen mit FlixBus entlastet schon jetzt die Umwelt. Bereits seit 2018 setzen wir mit unserem Partner Greenpeace Energy in Deutschland und Frankreich die weltweit ersten E-Fernbusse im Testbetrieb ein. Aktuell prüfen wir den Einsatz von Wasserstoff-betriebenen Fernbussen – ein weiterer Schritt in Richtung grüne Mobilitätswende“.
Vom Berliner ZOB-Busbahnhof aus haben wir an diesem Frühherbsttag Hin und Zurück den professionellen Szymon Trzaska am FlixBus-Steuer. Er rollt mit uns nach 142 Kilometern fast auf die Minute genau an der Ostseite des Leipziger Hauptbahnhofs ins neue Busterminal. Das liegt im Erdgeschoss eines Parkhauses. Bis vor zur Wintergartenstraße stehen neue Hotels oder werden gerade gebaut.
Auch das alte, einst ehrwürdige, die letzten 20 Jahre allerdings geschlossen vor sich hindämmernde Hotel »Astoria« westlich vom Hauptbahnhof ist nun zur Rekonstruktion eingerüstet. Eine israelische Firma sei hauptsächlich involviert, als künftiger Betreiber wäre der Hilton-Konzern im Gespräch, sagt Andreas Schmidt. Er leitet bei der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH den Bereich Öffentlichkeitsarbeit/PR und begleitet uns zusammen mit Sophie Weinhold und Isabell Gradinger, die eine Auszubildende, die andere Praktikantin.
Das städtische Unternehmen kann im ersten Halbjahr 2019 erneut auf eine erfreuliche Statistik verweisen.
Mit insgesamt 895.262 registrierten Ankünften von Leipzigbesuchern und
1.658.310 Übernachtungen war das erste Halbjahr des Vorjahres deutlich übertroffen worden.
Kurzer Bummel wenige Tage vor dem Jubiläum „30 Jahre Friedliche Revolution“ durchs Stadtzentrum. Dem Hauptbahnhof gegenüber gibt es nur noch eine Baulücke.
An den beiden Brandmauern rechts und links alte und neue Sprüche: in edlem schwarz-weiß auf Glas »Meissen – Europas ältestes Porzellan« und kunterbunt gesprüht auf die kahle Wand »Wir bleiben hier! – Frieden! – Demokratie jetzt!«
Am Fuße neu gepflanzter Straßenbäume Schildchen wie dieses: »Spenden- und Pflanzaktion ‚Für eine baumstarke Stadt‘, Linde (Tilia cordata), von der Klasse 4b der Lessingschule«.
Die wahrzeichenartige »Blechbüchse« am Richard-Wagner-Platz, einst »konsument«-Warenhaus, gibt es nur noch äußerlich, innen sind Shoppen und Arbeiten inzwischen anders strukturiert.
Die Innenstadt hat durch die nun nach oben geöffneten Kanäle der Leipziger Flüsschen neues, altes Flair gewonnen.
»Zills Tunnel«, seit 1841 in Betrieb, zu DDR-Zeiten war im Obergeschoss das Nationalitätenrestaurant »Plowdiw“, ist fein renoviert.
Schräg gegenüber der »Coffe Baum«, 1711 war da erstmals der »Heeße« gebrüht worden, ist seit einem Jahr geschlossen; die Sanierung und Pächterwechsel ziehen sich leider hin, heißt es.
Leipzigs neue Umgebung
An der Thomaskirche steigen wir in einen Stadttourbus und begeben uns in die allwissende Obhut von Konrad Thurm, pensionierter Dipl.-Physiker und nun Stadt- und -umgebungsführer. Wir fahren nach Süden, für Leipzigkenner: an der Rennbahn Scheibenholz vorbei in Richtung Markkleeberg.
Das Weichbild der Stadt tritt zurück, die Auen-, Industrie- und Erholungslandschaft hervor. Wir erreichen eine Gegend, die zur wichtigsten aber eben leider auch, besonders im Winter, offensten Flanke der DDR-Wirtschaft gehört hatte: Braunkohlentagebaue und Wärmekraftwerke des Leipziger Reviers.
Auch hier begannen schon vor langem die Schließungen, der Rückbau, die Grubenflutungen, die Renaturierung, Revitalisierung und schließlich die Neunutzung – vor allem als Natur- und Erholungsgebiete.
Es ist längst ein auf- und abschwellender Prozess, und er wird noch Jahrzehnte dauern. Nicht allein wegen der Finanzierung, sondern einfach deshalb, weil der Natur über 150 Jahre Geraubtes nicht in 15 Jahren wiederzugeben ist.
Mittagsimbiss am Rand des noch aktiven Tagesbaus Vereinigtes Schleenhain im Revier. Der weite Blick macht den enormen Technik- und auch Energieaufwand deutlich, mit dem auf diese Weise Energiegrundstoff gewonnen wird. Eine Schulklasse steht gerade auf dem der Öffentlichkeit zugänglichen Aussichtspunkt. Von diesen Mädchen und Jungen dürfte kaum eine oder einer künftig in der Kohle oder im Kraftwerk arbeiten. Wie das Panorama in 20 Jahren vielleicht einmal überall aussehen könnte, erleben wir später am Störmthaler See.
Hier klaffte einst eine der Gruben des Braunkohlentagebaus Espenhain. Von 2001 an wurde sie geflutet, 2014 wurden die 700 Hektar Seefläche sogar als Badesee freigegeben. Mitunter käme man allerdings wegen der Spuren eisenhaltiger Mineralien etwas „angebräunt“ heraus, wird erzählt.
Den fetten Karpfenbesatz scheint das allerdings nicht zu stören. Zur Skyline gehört ein Bergbau-Technikpark, an einem Uferteil zieht sich das Ferienressort Lagovida entlang, alljährlich im August steigt das dreitägige Rockfestival »Highfield«.
Also viel Natur und Naturschutz, viel Atmosphäre und viel Raum für Entspannung und Muße.
Eine andere Spannung aber bleibt und wird sicher tendenziell weiter steigen. Bis, so der aktuelle Planungsstand, in Deutschland 2038 das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, drängen Kumpel und Gewerkschaft darauf, dass auch hier um Leipzig herum »adäquate Industriearbeitsplätze« entstehen. Das meint vor allem adäquat bezahlte.
Und das erscheint momentan noch völlig illusorisch. Denn im Dienstleistungs- und Tourismusbereich dürfte es die nicht geben, zumindest nicht in genügender Zahl.
Die Attraktion im Störmthaler See, der nicht nur Bergbauhinterlassenschaften, sondern auch einstige Dörfer bedeckt, ist eine Kirchturmspitze, die aus ihm hervorragt. Sie gehört zu einer künstlichen Insel, der Vineta, und soll an das einst überbaggerte Dorf Magdeborn erinnern. Die Spitze ist eine 15 Meter hohe Replik des Originals, das unweit auf dem Seegrund ruht.
Schiffsführer Bernd Naumann bringt uns rüber mit einer Barkasse, die einst als »Hein Kröger« im Hamburger Hafen Dienst tat.
»Krysta 4« heißt sie nun, in Anlehnung an den Namen des Leipziger Varietés »Kristallpalast«, das sich hier wirtschaftlich beim Projekt »Kunst statt Kohle« engagiert.
Die Insel-Plattform misst rund 300 Quadratmeter. Unterhalb der Kirchturmspitze gibt es einen hübschen Raum, der für Veranstaltungen aller Art zu mieten ist.
Meist finden hier Hochzeiten statt. Energetisch werde das Kunst- und Partyobjekt fast autark betrieben, heißt es. Eine allgemein gern generell angestrebte Energieperspektive, die unser Reiseleiter Konrad Thurm, wie gesagt gelernter Dipl.-Physiker, sehr ausgewogen, aber doch mit ziemlicher Skepsis sieht und diskutiert.
Neue Kunst im alten Kraftwerk
Später, zurück in Leipzig, ist Gelegenheit, noch eine andere Art Umwidmung von Industrie in Kunst zu bestaunen. Im Kunstkraftwerk begrüßt uns der Kunst- und Kulturmanager Christian Gracza.
Im Leipziger Westen mutierte 2014 ein einstiges Kohlekraftwerk zu einer Kunsthalle, dem Kunstkraftwerk Leipzig.
Hier laufen seither spektakuläre multimediale Ausstellungen ab. 360 Grad Videoshows lassen die Besucher z. B. in die Zeit der Renaissance eintauchen.
Und zwar gemäß des immersiven Kunstansatzes, bei dem Betrachter mittels moderner Medien quasi in den Kunstraum eingesogen werden, um sich quasi eins mit dessen virtueller Realität zu fühlen.
Auf dem Programm stehen Themen wie diese: »Leonardo – Raffael – Michelangelo: Giganten der Renaissance« und »Wunderwelten von Alice« oder »Bach experience«. Dauer jeweils zwischen 10 und 35 Minuten. Das Projekt „WERK in PROGRESS“ indes vermittelt bereits einen Ausblick auf das „Jahr der Industriekultur“ 2020 in Sachsen.
Gekauft und in die Kunstspur gebracht wurde das ehemalige Kraftwerk von Markus Löffler, Direktor des örtlichen Instituts für Medizinische Informatik.
Er sehe sich als Mäzen, und um Profit gehe es ihm nicht, zitierte ihn unlängst die »Leipziger Volkszeitung«. Er wolle zusammen mit den Künstlern allein den break even erreichen. Der break even point ist in Neudeutsch bekanntlich der Punkt, an dem sich Ausgaben und Einnahmen die Waage halten. Ein sozial und kulturell sehr engagiertes Ziel für einen Unternehmer. Markus Löffler will es in Kürze erreichen.
Für den Strukturwandel in Leipzig, vor allem in seinem Umland dürfte besagter Punkt wohl noch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Und richtig verdient werden müsste unterm Strich dann irgendwann ja auch mal etwas.
Wildwasser in Markleeberg
Doch selbst wenn ganz ehrgeizige Projeke nicht so ganz aufgehen – es bleiben am Ende mitunter zumindest Erfolgsinseln. Dafür noch ein hübsches Beispiel zum Schluss:
Auf unserer Umlandfahrt kommen wir auch am »Kanupark Markkleeberg« vorbei, eine bau-industriell entstandene Wildwasser-Sportanlage für Kanuten aller Disziplinen. 2007 eröffnet, gehört sie zu den damaligen vorbereitenden Sportbauten der einstigen Leipziger Olympiabewerbung. »Wir sind vergleichbar mit den Olympiastrecken von London 2012 und Rio 2016«, schwärmt Christoph Kirsten, der Leiter des Kanuparks, dessen Besitzer die Stadt Leipzig ist.
So misst sich Leipzig also weiterhin an der Welt. Man stelle sich vor, die Welt würde sich heute umgekehrt an der Olympiastadt Leipzig 2012 messen.
Ganz so verkehrt wäre das dann nicht, oder?
Die Recherche wurde unterstützt von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH sowie der FlixBus GmbH
www.leipzig.travel
www.lust-auf-leipzig.de
www.flixbus.de
www.kunstkraftwerk-leipzig.com
Fotos: Hans-Peter Gaul (6), Andreas Schmidt (2), Manfred Krause; Sophie Weinhold, Isabell Gradiner