CTOUR on Tour: Notizen einer Entdeckungsreise durch Patagonien mit dem Auto (Teil 2)

Silbervogel über Feuerland
Eine Tour durch Patagonien ist auch eine Reise in ein Einwanderungsland. Nicht weit von Puerto Montt, das zwei Flugstunden von Santiago de Chile entfernt liegt, haben sich Mitte des 19. Jahrhunderts am Llanquihue-See erste deutsche Kolonisten angesiedelt.

Lago Lianquihue
Lago Lianquihue

Museo Colonial Aleman
Am Westufer des Sees mit Blick auf den mächtigen Vulkan Osorno liegt das beschauliche chilenische Städtchen Frutillar. Hier erinnert das Museo Colonial Aleman an die erste Generation der Einwanderer aus Deutschland. In einer Parkanlage, eingebettet in einen Hang werden hier Maschinen und Feldgeräte, eine Schmiede, eine Mühle mit einem Wasserrad und ein Glockenturm der Einwanderer gezeigt. Zwischen Rhododendronbüschen und Azaleen stehen noch einige Siedlungshäuser. Sie vermitteln mit dem 150 Jahre alten Mobiliar von Handwerker-Familien ein Stück ihres Alltags-Lebens.

Museum Colonial Aleman
Museum Colonial Aleman

Gelöbnis der Einwanderer
Alle Mitglieder der ersten großen geschlossenen deutschen Einwanderergruppe nach Chile legten 1851 sogar folgendes Gelöbnis gegenüber den chilenischen Einwanderungsbehörden ab: „Wir werden ebenso ehrliche und arbeitsame Chilenen sein, wie nur der beste von ihnen es zu sein vermag. In die Reihen unserer neuen Landsleute eingetreten, werden wir unser Adoptiv-Vaterland gegen jeden fremden Angriff mit der Entschlossenheit und Tatkraft des Mannes zu verteidigen wissen, der sein Vaterland, seine Familie und seine Interessen verteidigt.“ Dieses sogenannte Anwandter-Gelöbnis drückte die Loyalität der deutschen Einwanderer gegenüber ihrer neuen Heimat aus und wollte gleichzeitig an den eigenen Traditionen festhalten.
Wie würde auf diese Verpflichtung der deutschen Einwanderer aus dem 19. Jahrhundert die veröffentlichte Meinung in Deutschland heute reagieren, wenn den Migranten in Deutschland empfohlen würde, ein solches oder ähnliches Gelöbnis abzulegen?

Blick von Frutillar auf den Osorno
Blick von Frutillar auf den Osorno

Kein jungfräuliches Territorium
Der südliche Teil von Patagonien konnte vom spanischen Imperium nie erobert und beherrscht werden. Das Gebiet galt bis ins 19. Jahrhundert als kulturloses, unbesiedeltes Land und als barbarische Wüste. Deshalb gelang es den Ureinwohnern, hier ihren Lebensraum und eigene Kulturtraditionen noch lange zu erhalten. Erst die bis ins 20. Jahrhundert anhaltende europäische Immigration besonders durch Deutsche, Engländer und Waliser führte zur gewaltsamen Zurückdrängung und Vernichtung der Urbevölkerung.
Im Museo Colonial Aleman steht auf einer blank geputzten Messingtafel, dass das Museum mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Auf zahlreichen Hinweistafeln im Museum wird darüber informiert, dass die Mapuche, die Ureinwohner dieser Gebiete, einen bedeutenden Bestandteil der heutigen multiethnischen Bevölkerung darstellen. Und es wird mit political correctness festgestellt: die frühere Geschichtsbeschreibung enthielt irrtümliche Theorien. Der Llanquihue-See war kein jungfräuliches Territorium und schon vor der deutschen Kolonisation besiedelt und auch erforscht. Auf gut deutsch: Es ist zu bezweifeln, dass sich die deutschen Siedler auf unbewohntem Gebiet niedergelassen haben. Hier lebten tausende von Jahren Ureinwohner, die innerhalb weniger Jahrzehnte verdrängt und später nahezu völlig ausgerottet wurden. Dies sollte nicht vergessen werden, wenn – völlig zu Recht – die zivilisatorischen und kulturellen Leistungen der deutschen Zuwanderer-Familien gefeiert werden.
Im Umfeld des Museums ist auf den ersten Blick die Suche nach deutschen Spuren in der chilenischen Kleinstadt wenig erfolgreich. Immerhin existiert ganz in der Nähe des Museums ein Restaurant. Es hat zwar keine Speisekarte in deutscher Sprache, keine deutschsprachige Bedienung, nicht einmal ein einziges Foto aus deutschen Einwanderungszeiten an der Wand. Aber es trägt noch heute den beziehungsreichen Namen “Guten Appetit“.

Colonia Suiza
Colonia Suiza

Colonia Suiza in Argentinien
Vor mehr als hundert Jahren siedelten sich ebenfalls im Norden von Patagonien im Nahuel Huapi Gebiet in Argentinien einige Familien aus der Schweiz an. Damals gab es hier nur einen Urwald, durch den sie sich mit der Machete den Weg bahnten. Sie gründeten die Colonia Suiza, brachten viel Wissen und Können für die Landwirtschaft mit und legten damit auch einen Grundstein für den Ort Bariloche. Heute hat die Stadt eine Einwohnerzahl von 120.000 und ist ein Wallfahrtsort für Touristen im Sommer wie im Winter. Die Schweizer Siedlung mit vielen schmucken Holz-Häusern, einige Kilometer von Bariloche entfernt, existiert noch. Hier wimmelt es nur so von kleinen und großen Schweizer Nationalfahnen. Verkaufsstände locken mit solchen auf große Tafeln geschriebenen Sprüchen: „Schmäckt gut“. Was allerdings heute das Schweizerische betrifft, kommt mir fast alles recht spanisch vor.

Ruta 40 ohne Abenteuer
Routa 40 ohne Abenteuer

Freud und Leid der Abenteurer
Die Einwanderer und Siedler hatten vor mehr als hundert Jahren im menschenleeren Patagonien wirkliche Abenteuer zu bestehen. Da lässt sich dann mancher professionelle Reiseautor, wie beispielsweise die Argentinien-Kennerin Ariane Martin, dazu hinreißen, es zutiefst zu Bedauern, dass einige Strecken der Ruta 40 eine asphaltierte Fahrdecke aufweisen. Da müsse der Abenteurer drunter leiden, wenn sich die Piste immer mehr in eine Bandscheiben freundliche Straße verwandelt, heißt es. (*2) So als ob die Romantik unter die Räder kommt. Alle Individualreisenden, die per Auto Patagonien durchqueren, können nur bestätigen, dass noch hinreichend viele Schotterpisten auf dem Weg nach Feuerland übrig geblieben sind. Vor allem, wenn der Tourist unterwegs weitere Ziele anfährt.

Ruta 40 mit Abenteuer
Routa 40 mit Abenteuer

Zudem wird es abenteuerlich, wenn wie auf der Routa 40  schmerzhaft zu erleben, in der Phase des Neubaus der Fahrbahn eine tiefe wenig verdichtete Sandschicht aufgetragen wird. Sie verwandelt sich bei Schnee und Regen in eine Schlammschicht, die nur im 2. Gang mit 4×4 Drive über Dutzende Kilometer zu überwinden ist – ein bisschen viel Abenteuer pur. Unglaublich erscheint heute jedoch, wie damals die Pioniere auf Entdeckungsfahrten und die Einwanderer mit ihren Habseligkeiten in dieser wilden Landschaft bestehen konnten.

Versorgungslager am Lago Sarmiento
Versorgungslager am Lago Sarmiento

Der Flieger Gunther Plüschow
Auf einer wenig befahrenen Schotter-Strecke in einer Bucht vom Lago Sarmiento steht am Straßenrand ein unscheinbarer Gedenkstein und eine Tafel. Sie ist dem deutschen Flieger Gunther Plüschow (1886-1931) gewidmet. Er hatte hier gemeinsam mit seinem Flugzeug-Ingenieur Ernst Dreblow ein Versorgungslager für sein Heinkel Wasserflugzeug eingerichtet. Plüschow überfliegt als erster Pilot ganz Feuerland, Kap Hoorn, mehrere Gletscher und unternimmt Entdeckungsflüge über die Magellanstraße, den Beagle-Kanal und das Gebiet rund um die Torres del Paine. Während solche Flug-Pioniere wie Charles Lindbergh oder Antoine de Saint-Exupèry auch in Deutschland bekannt sind, ist der deutsche Flieger nahezu vergessen. Das ist um so erstaunlicher, da er bis in die Gegenwart in Argentinien und Chile als großer Entdecker und Dokumentalist geehrt wird und darüber hinaus ein wahrhaft abenteuerliches Leben führte.

Gunther Plüschow
Gunther Plüschow

Als junger Marine-Flieger ist er 1914 in der chinesischen Hafenstadt Tsingtao, damals Kolonie des deutschen Reiches, stationiert.
Ihm gelingt aus der von der japanischen Armee belagerten Stadt als einzigem Deutschen mit dem Flugzeug die Flucht. Eine abenteuerliche Reise führt ihn dann rund um die Welt und zurück nach Deutschland. Der argentinische Journalist und Filmemacher Roberto Litvachkes hat das Leben von Plüschow erforscht. 1*)
Für den Argentinier verkörpert Gunther Plüschow die Faszination für das geheimnisvolle Patagonien, das damals schwer erreichbar und unbekannt war. Plüschow veröffentlichte darüber seinen Roman „Silbervogel über Feuerland“ und sein gleichnamiger Film hat 1930 in Berlin erfolgreiche Premiere. Er war dauerhaft gefesselt von der überwältigenden Schönheit des patagonischen Inlandeises. Er brachte von seinen Flügen, oft unter Lebensgefahr, zum ersten Mal Fotos und Filmmaterial von diesen bis dahin unerforschten Gegenden Südamerikas mit. Die Bevölkerung in Punta Arenas und Ushuaia im Süden von Feuerland war begeistert und hatte hohe Erwartungen, dass Plüschow vor allem mit seinem Kartenmaterial dazu beitragen wird, die damals sehr mangelhafte Kommunikation in Gang zu bringen und Feuerland besser an den Kontinent anzubinden. Bei einem seiner Flüge verunglückten er und sein Flugzeug-Ingenieur tödlich.

Aussichtspunkt in die Welt Fotos: Ronald Keusch, Wikipedia (1)
Aussichtspunkt in die Welt
Fotos: Ronald Keusch, Wikipedia (1)

13.643 Kilometer bis Borussia Dortmund
Eine aktuelle Spur von Deutschen in Patagonien ist in der 100.000 Einwohnerstadt Punta Arenas auf dem chilenischen Festland zu finden, die gegenüber der Insel Feuerland liegt. Hoch über der Stadt auf einem Aussichtspunkt ist einer der langen Masten mit dem üblichen Sammelsurium von Hinweisschildern aufgestellt. Darauf sind einige Kilometer-Entfernungen zu Städten in der Welt aufgelistet. Deutschland ist auch vertreten: 13.643 Kilometer Luftlinie Borussia Dortmund.

Anmerkungen
1*) „Gunther Plüschow, ein Leben voller Abenteuer und der Liebe für das unzähmbare Patagonien“ Roberto Litvachkes.
2*)Ariane Martin, Buenos Aires Patagonien, Reisebegleiter für Individualisten, unterwegs Verlag 2015, S. 184 ff.