LEIDVOLLE PRAXIS EINES KAPITÄNS

Peter Grunewald berichtet aus seinem Alltag

Peter Grunewalds Schiff heißt zwar „Sans Souci“ – ohne Sorgen – , doch er hat genug davon, wenn er an den Zustand der deutschen Wasserstraßen denkt.Von 1983 bis 1985 erlernte er, 1966 an der Saale geboren, das Schlosserhandwerk. Von 1986 bis 1989 absolvierte er die Matrosenlehre. 1990 erwarb er sein erstes Patent. Er befuhr dabei Elbe komplett, Havel, Oder, Weser, untere Ems und Rhein.Von 1993 bis 1998 war er Schiffsführer auf Tankern und machte sich 1999 mit dem MTS „Ulrike“ selbständig. 2007 kaufte erdas Kabinenmotorschiff MS „Sans Souci“ und befährt seitdem damit ganzjährig die umfangreichen westeuropäischen Reviere. Zwischen Frühjahr und Herbst pendelt sie zwischen Kiel, Hamburg, Berlin, Stettin, Stralsund, Rügen, Hiddensee und Zingst.

Während einer Fahrt von Schwedt/Oder nach Magdeburg/Elbe (s. CTOUR Report) und weiter nach Mukrena/Saaleergaben sich problematische Situationen. Erst kürzlich haben wir über folgende Fragen, die sich aus der jeweiligen Situation vor Ort ergaben, gesprochen:

In welchem Zustand waren die deutschen Wasserstraßen früher, z.B. auch in der DDR?

Die Wasserstraßen wurden auf dem Stand von1939 erhalten, das aber kontinuierlich, zum Beispieldurch Baggerarbeiten auf Elbe und Saale.
Neu gebaut wurde 1951/52 aus politischen Gründen nur der Havelkanal nordwestlich um West-Berlin. Dadurch sollte die Stadt umgangen werden.

Was ist seitdem anders geworden?

Anfangs erschien alles sehr vielversprechend: Neubau der Elbüberführung, Ausbau des Mittellandkanals, Elbe-Havel-Kanal, Betonnung auf der Elbe, Neubau Schleuse Uelzen, der dann allerdings auch viel länger dauerte als geplant.
Jetzt ist es aus meiner Sicht und der Sicht vieler Kollegen so, dass niemand den Mut hat, etwas zu entscheiden. Die größte Aufgabe der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung ist es anscheinend, sich selber zu verwalten. Eine „wichtige“ Arbeit, so erscheint es uns jedenfalls von Bord aus, ist es, das Gras an den Schildern zu mähen.
Aber alles wird erst mal umstrukturiert und „verbessert“ und Personal abgebaut, so dass aktuell schon zu wenig Personal für den Betrieb von Schleusen vorhanden ist wie in Berlin-Spandau oder Schönwalde am Havel-Kanal. Dadurch fallen für uns enorm kostenintensive Wartezeiten an.

Viele Schleusen werden regelrecht heruntergewirtschaftet. Hier nur einige Beispiele, die mir gerade einfallen:

  • im Weser-Datteln-Kanal am nördlichen Rand des Ruhegebiets arbeitet meist nur eine Schleuse von zwei betriebsbereiten;
  • in der Ruhrschleuse wurden alle Poller abgeflext, so dass man in einer Notsituation nicht mal stoppen kann;
  • eine Dauerkatastrophe ist das berüchtigte Hebewerk Scharnebeck im niedersächsischen Elbe-Seitenkanal;
  • die neue Schleuse Uelzen am Elbe-Seitenkanal ist oft defekt;
  • die katastrophale Schleusen-Situation auf der Mosel ist in Fachkreisen hinlänglich bekannt;
  • die neue Schleuse Berlin-Spandau ist 2019 während der gesamten Saison defekt, Schleusenleute gibt es auch keine;
  • die Schleuse Schönwalde arbeitet wegen Personalmangel nur von 7.00 – 15.00 Uhr;
  • Krönung ist allerdings die neue Schleuse Wusterwitz, am Elbe-Havel-Kanal östlich von Brandenburg, die noch am Tag der Eröffnung wegen Betonkrebs gesperrt wurde, die alte soll ausgerechnet während der Saison wieder halbwegs hergerichtet werden.

Wie fällt der Vergleich z. B. mit den Niederlanden aus?

Den Vergleich zu den Niederlanden darf man garnicht wagen, denn dort herrscht ein anderes System:
– auf der Rijkswaterstaat kontrollieren Fremdfirmen Schleusen- und
Wasserstraßen und bringen die Fahrwassertonnen aus und ein;
– die Schifffahrtsämter sorgen mit großen Bauhöfen und modernster Technik für einen reibungslosen Betrieb der Wasserstraßen.

Welche Folgen haben diese Veränderungen für die Schifffahrt, d.h. ergeben sich daraus Nachteile für Ihr Unternehmen?

Die Folgen sind immer mehr nicht funktionierende Wasserbauwerke.
Dadurch fällt in vielen Revieren oft die komplette Schifffahrt aus. Für uns ergeben sich daraus, dass wir die Fahrpläne nicht einhalten können und für Busse und Alternativ-Ausflüge erheblich mehr berappen müssen, von unzufriedenen Fahrgästen mal ganz abgesehen. Wenn Reisen ausfallen, dann immer gleich mehrere.

Wie reagiert die Wasserstraßenverwaltung darauf?

Bis jetzt merkt man keinerlei Veränderungen, denn spürbare Entscheidungen fallen ja nicht.

Was erwartet die Schifffahrt von der Verwaltung, die immer von „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ spricht, die sie garantiere?

Wir alle erwarten, dass sich die WSA auf ihre Kernaufgaben konzentriert wie in den Niederlanden und die Wasserstraßen wieder dauerhaft in Ordnung bringt getreu ihrem Motto von der „Sicherheit und Leichtigkeit“ des Schiffsverkehrs.

Welche Ursachen hat diese unbefriedigende Situation?

Das liegt unseres Erachtens an den ständigen Umstrukturierungen, die für die Mitarbeiter eine Menge Ungewissheit in Bezug auf ihre Zukunft bringt, so dass es auch schwierig ist, dafür Nachwuchs zu generieren. Viele Kollegen wollen zwar Gutes für die Schifffahrt tun, werden aber oftmals „von oben“ ausgebremst.
Das liegt auch an teilweise unmöglichen Dienstvorschriften und Arbeitsplatzbeschreibungen, von denen nicht abgewichen werden darf. Bei uns zum Beispiel sind die Arbeitsverträge so gestaltet, dass das Personal universell eingesetzt werden kann.

Und das Fazit?

Wir als Schiffer müssen für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung mehr Unterstützung vom Bund fordern, denn der ist letztendlich für die katastrophale Gesamtsituation der deutschen Wasserstraßen verantwortlich. Am Geld kann es meiner Meinung nach nicht liegen, denn die Steuertöpfe quellen über, werden allerdings nicht ausreichend infrastukturfördernd eingesetzt. Zumal Binnenschifffahrt reichlich zum Umweltschutz beiträgt, indem Transporte von der Straße/Schiene auf die kostengünstigeren Wasserwege verlagert werden.

Vielen Dank für das Gespräch und – trotz aller deutschen Widrigkeiten – weiterhin havariefreie Fahrt!
Das Gespräch führte der Stralsunder Schifffahrts-Journalist Dr. Peer Schmidt-Walther (PSW) im Januar 2020.

MS SANS SOUCI
Baujahr: 2000 in Grave/Niederlande als EUROPA; 2007/08 modernisiert und in SANS SOUCI umgetauft; Renovierung: 2014; Länge: 82 m; Breite: 9,50 m; Tiefgang (max.): 1,60 m; Vermessung: 1000 Tonnen; Antrieb: 2 x 600 PS (Neumotorisierung 2012); Crew: 25; Passagiere: 82 (max.); Restaurant: 1; Passagierdecks: 2 + Sonnendeck; 41 Außenkabinen (13 qm) mit nicht zu öffnenden Panoramafenstern; Sauna: 1 (gegen Gebühr); Treppenlift zwischen Haupt- und Panoramadeck; 1 Restaurant (1 Essenszeit); Bar: 1; Boutique: 1; Unterhaltung: TV mit Videoempfang, Bibliothek, Tanzmusik; Preis/Nacht: 211 Euro (durchschn.); Heimathafen: Peissen/Saale; Flagge: deutsch.
www.ms-sanssouci.de; Buchungen: www.plantours-partner.de; www.dertour.de